Interview: Amorphis

By Oliver H.
 
Es geht auch ohne Moshpit.



Das aktuelle Album „Queen Of Time“ ist nicht mehr druckfrisch aber doch neu genug, um mit Tomi Joutsen (Sänger von Amorphis) während ihrer Europatournee ein wenig darüber zu plaudern. Gleichzeitig war dies auch die Gelegenheit, die vergangenen Jahre der Band einmal Revue passieren zu lassen und einen Einblick ins Schaffen der Finnen zu erhalten. Ein schon fast schüchtern wirkender Frontmann empfing mich also im kleinen Kämmerchen des Z7 in Pratteln, der sich aber kurz nach Beginn des Gesprächs als interessanter und offener Interviewpartner rausstellte.

MF: Die Karriere von Amorphis begann vor 29 Jahren und heute gehört ihr zu den grössten Heavy Metal Bands der Welt. Wie fühlt sich das an?

Tomi: Weisst du, ich sehe uns gar nicht als eine der so grossen Bands. Das wäre vielleicht etwas zu dick aufgetragen. Ich bin erst seit 14 Jahren bei Amorphis und von daher vielleicht auch nicht ganz die richtige Person, um darüber urteilen zu können. Ich denke, dass wir uns einfach glücklich schätzen können, nach so vielen Jahren noch Platten machen zu können, die auch Interessenten finden. Es gibt natürlich auch Personen im Business, die nach so vielen Jahren einfach keine Motivation mehr haben weiter zu machen. Unsere Leidenschaft ist bekanntlich noch vorhanden und alle sind höchst motiviert Musik zu machen, solange wir noch können. Ich denke wir haben uns nicht einen Wahnsinnsnamen gemacht in den letzten Jahren aber wir sind stetig als Musiker etwas gewachsen – Stück für Stück und es freut mich persönlich, dass Amorphis heute diesen Erfolg feiern kann. Gerade die aktuelle Tour zeigt schön auf, dass den Leuten gefällt was wir tun…

MF: Ihr wart meist ausverkauft, oder?

Tomi: Nicht alle aber die meisten davon. Es ist auch nicht das erste Mal, dass wir ausverkaufte Shows in Europa haben aber gerade in so hoher Zahl ist schon grossartig. Es passieren momentan einfach grossartige Dinge mit Amorphis.

MF: Das freut mich zu hören! Jetzt seid ihr ja schon länger wieder auf Tour, erst in den Staaten und jetzt aktuell in Europa. Wie ist es für euch zurück auf der Bühne zu sein und neues Material sowie alte Klassiker live zu performen?

Tomi: Nach einem Album folgt eigentlich immer eine Tour und auf der Bühne zu stehen ist wohl das, was einem Musiker Spass machen sollte. Wir wollten auch immer einige Shows machen aber zu viele auch wieder nicht. Wir sprechen so von ungefähr 120 Shows pro Jahr. Wir haben auf dieser Tour auch wirklich tolle Promoter und grossartige Manager, die im Vorfeld schon sehr gut gearbeitet haben. Natürlich bleibt es harte Arbeit und es ist nicht immer so easy wie es scheint. Besonders für die „Family-Guys“, was die meisten von uns sind aber wir sind nun mal in einer Band und jeder Job hat ja bekanntlich Höhen und Tiefen.

MF: Das kommt vermutlich gerade in solchen Situationen zum Tragen, wenn ihr warten müsst, bis es endlich losgeht…

Tomi: Ja genau (lacht), das sind die klassischen toten Zeiten, in denen man sich manchmal etwas anderes wünscht…

MF: …wie ein Telefonanruf bei der Familie zum Beispiel?

Tomi: Ja genau…

MF: Kannst du mir auch etwas zur Rückkehr von Olli-Pekka Laine erzählen? Er hatte ja eine Pause von 18 Jahren bei Amorphis eingelegt und seit rund einem Jahr ist er wieder dabei. Wie ist das für dich oder die Band?

Tomi: Also für mich war es eine total neue Situation. Ich kannte Olli-Pekka vorher nicht, habe ihn nur ein paarmal kurz getroffen bei einigen Shows in Finnland mit früheren Bandmitgliedern. Wir waren vorher keine Freunde, kannten uns nicht, denn ich bin nicht aus Helsinki wie die anderen Jungs sondern etwas von ausserhalb. Als er dann zurückkam, kannte ich den Typen nicht persönlich aber nach der ersten Tour, ich denke das war die Tour mit Volbeat , fand ich Olli-Pekka einfach nur grossartig. Er ist sehr talentiert.

MF: Dann ist sein Einfluss in der Band bereits wieder spürbar?

Tomi: Ja absolut. Ich denke als er die Band verliess, hat die Chemie einfach nicht gestimmt zwischen den Mitgliedern und das war der Hauptgrund für seinen Abgang. Jetzt ist er zurück, die Chemie stimmt und wir sind alle ein wenig erwachsener geworden. Wir wollen schliesslich damit unseren Lebensunterhalt verdienen von daher… und er schreibt wirklich gute Kompositionen, von denen ich in Zukunft noch mehr hören möchte.

MF: Wir haben jetzt bereits etwas in die Zukunft und in die Vergangenheit von Amorphis geschaut. Wenn man sich die letzten Veröffentlichungen anschaut, sind die doch alle sehr unterschiedlich ausgefallen. Besonders wenn man „Tales From The Thousand Lakes“ mit „Under The Red Cloud“ oder dem letzten Album „Queen Of Time“ vergleicht. Was ist die letzten 25 Jahre mit der Musik von Amorphis passiert?

Tomi: Nun, ich denke dass gerade zu „Tales-Zeiten“ die Death Metal-Szene noch ganz schon in den Kinderschuhen steckte. Alle Bands waren irgendwie neu. „Tales From The Thousand Lakes“ ist darin ein einzigartiges Album. Es war auch für mich persönlich ein sehr wichtiges Album und ist es bis heute noch. Ich bin nur zwei Jahre jünger als die Jungs und als es herauskam war es auch für mich ein musikalischer Meilenstein, ebenso „The Karelian Isthmus“. Ich denke, dass die Zeit einfach auch viel verändert hat sowie die personellen Wechsel im Line-Up der Band. Jeder hat etwas Neues eingebracht und dazu war der damalige Death Metal irgendwie hektisch und die Jungs haben sich damit mehr und mehr gelangweilt. Es kamen Einflüsse aus den Siebzigern hinzu und die Band war einfach irgendwie offen und bereit für Neues. Trotzdem kann man seit „Elegy“ vielleicht aber auch schon seit „Tales“, rein vom Sound her ohne Gesang, Amorphis über die Jahre dennoch klar erkennen. Wir haben einfach immer schräge Elemente, die uns auszeichnen. Wir haben auch oft diese melancholische Stimmung in unseren Songs und ich bin sehr froh, dass die Jungs diese Offenheit besitzen. Ich denke, dass ein weiteres „Tales-Album“ auch gar nicht möglich gewesen wäre. Es hätte nicht denselben Stellenwert gehabt und als ich zur Band hinzukam, haben wir sowieso gerade damit begonnen, wieder vermehrt Heavy Metal zu spielen. Jetzt bei „Queen Of Time“ haben wir wieder vermehrt härtere Riffs angewendet und das Album ist wie eine Compilation vergangener Jahre…

MF: Härtere Riffs, weniger progressive Elemente. Kann man schon fast von einem „Back to the roots-Album“ sprechen?

Tomi: Oh… ich möchte nicht sagen, dass wir grundsätzlich härter geworden sind aber um ein „Back to the roots-Album“ handelt es sich definitiv nicht. Es war eher so ein Gefühl, das uns beim Schreiben überkam. Wir planen sowieso nie etwas, wenn wir uns an neuem Material zu schaffen machen. Es wäre ja voll blöd zu sagen, dass wir ein Album zu 75% Heavy Metal und 25% anderen Elementen produzieren. Wir schreiben einfach unsere Songs und versuchen dabei das Beste aus dem Stück rauszuholen.

MF: Wenn wir gerade beim Stückeschreiben sind: ich habe gelesen, dass ihr eure Texte nicht selber schreibt. Ist das richtig?

Tomi: Ja das stimmt. Wir haben schon seit vier oder fünf Alben einen Songschreiber.

MF: Was bedeutet das denn für euch? Habt ihr persönlichen Einfluss auf die Texte oder geht das ganz verloren?

Tomi: Nun, ich kenne den Typen schon länger. Etwa 25 Jahre. Er war früher mein Lehrer an der Schule. Er ist ein älterer Herr um die sechzig, der sich mit der finnischen Mythologie und deren Geschichten einfach sehr gut auskennt und er kommt absolut von ausserhalb der Metal-Szene. Wenn ich eine Idee für einen Song habe, dann frage ich ihn, ob er etwas darüber schreiben könnte. Natürlich kennt er unser Konzept und unsere Persönlichkeiten und er weiss genau, was zu uns passt.

MF: Das ist sehr interessant, denn viele Bands sagen doch gerade zu dem Thema, dass es ihnen sehr wichtig sei, sich in den eigenen Worten ausdrücken zu können?

Tomi: Ja das stimmt! Aber wir sind einfach eine Truppe aus guten Musikern und ich glaube, dass keiner der Jungs gute Texte schreibt. Ich persönlich bin total scheisse (lacht). Wenn ich schreibe ist es wirklich scheisse! Es wäre echt schade, grossartige Musik mit beschissenen Lyrics zu verschandeln. Die Musik braucht gute Texte und ich glaube, dass wenn manches so zusammenkommt, dass es ebenso sein muss.

MF: Wie sind denn schlussendlich die Aufnahmen zu „Queen Of Time“ verlaufen?

Tomi: Wir sind mit ein paar Demos nach Finnland gefahren, um mit dem Produzenten die ersten Vocalaufnahmen zu machen. Dann haben wir alle definitiven Aufnahmen in Stockholm und Örebro gemacht, ausser unser Keyboarder, der hat seine Aufnahmen im eigenen Studio eingespielt. Normalerweise haben wir einfach Ideen, die wir dann auf Demos einspielen, damit wir sie nicht mehr vergessen. Danach feilen wir an Arrangements bis sie passen.

MF: Ihr hattet bezüglich Aufnahmen eine harte Zeit. Wart ihr zu derselben Zeit nicht noch auf Tour?

Tomi: Ja allerdings! Wir hatten keine grosse Pause, um das Album einzuspielen. Wir machten dies gerade im Anschluss an die Tour aber die Jungs hatten bereits etwa 20 Songs eingespielt und da wir tolle Komponisten in der Band haben, war die quälende Phase überschaubar. Wir hatten unser Material zusammen. Es wird erst dann stressig, wenn einer seinen Teil nicht bringt aber das ist bei uns kein Thema. Es ist auch toll mit einem Produzenten zu arbeiten, dem man vertrauen kann… unser siebtes Mitglied sozusagen. Er ist eine starke Persönlichkeit, die uns sagt, was er von unseren Songs braucht, damit sie im Endeffekt auch so klingen, wie sie klingen sollen.

MF: Nun noch eine Fan-Frage. Was kann der Amorphis-Fan, der euch bis dato noch nie gesehen hat von einer Show erwarten?

Tomi: Nun, ich würde sagen, dass wir oft schon etwas ältere Fans haben, was grossartig ist. Deshalb gibt es bei unseren Shows nicht so viele „Moshpits“, „Circlepits“ und ähnliches Zeug. Ich kann mich noch gut an einen Gig in Holland erinnern, der mich zu Beginn ziemlich irritiert hat. Die Bude war voll aber alle standen nur da, leicht wippend mit ihrem Bier in der Hand. Ich dachte: „Hey, Amorphis ist doch eine Metal Band. Natürlich haben wir keine Blast-Beats und ultraschnelle Songs aber trotzdem…!“ Das hat mich zu Beginn schon verunsichert bis ich gemerkt habe, dass die wirklich zuhören. Die stehen da und hören der Musik zu! Wenn ich heute zu einem Konzert gehe, dann bin ich auch nicht mehr im „Moshpit“ anzutreffen, ich will die Musik hören!

MF: Ja… ich meistens auch…

Tomi: …ja wirklich. Ich habe mich eine Zeitlang echt gefragt, wenn die Leute nicht abgegangen sind, ob das etwas mit uns zu tun hat. Schliesslich habe ich realisiert, dass die echt einfach zuhören, den Moment geniessen. Natürlich haben wir auch jüngere Fans und da kommt schon mehr zurück, was natürlich auch toll und wichtig ist…

MF:…wichtig für die Show…

Tomi: …wichtig für die Show und es gibt dir auf der Bühne auch wieder Energie zurück. Es ist diese spezielle Chemie zwischen Fan und der Band. Für mich sind aber die Boys und Girls, die einfach nur da stehen und zuhören absolut in Ordnung. Ich kann trotzdem mein Bestes geben, da ich weiss, dass sie wirklich der Musik zuhören.

MF: Was kann man in Zukunft von Amorphis erwarten? Ist bereits neues Material in der Pipeline?

Tomi: Ja… wir haben wirklich bereits ein wenig über das neue Album gesprochen aber da ist natürlich noch nichts vorhanden, das wir vorzeigen könnten. Es stehen erst einmal die Tour und die Sommer-Festivals auf dem Plan. Danach sind wir noch in Nordamerika auf Tour und vielleicht spielen wir im Anschluss noch ein paar Gigs in Europa. Das ist aber noch nicht beschlossene Sache. Ein neues Album ist also frühestens nächstes Jahr zu erwarten aber ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Wir haben wirklich viele Pläne aber es ist noch nichts geplant (Gelächter). Wir brauchen sicher auch mal Pause. Weisst du, an einem gewissen Punkt in deinem Leben brauchst du immer wieder Pausen, um dich erholen und neue Energie tanken zu können.

MF: OK! Danke für das angenehme Gespräch und ich freue mich schon auf eure Show.

Tomi: Danke dir und viel Spass!