Interview: Destruction

15.07.2020
By Tinu
 
Mit dem neuen Gitarristen sehr zufrieden.



Eine Persönlichkeit wie Schmier, der seit Jahren die Fahnen des Thrash Metals stetig hochhält, findet man in der heutigen, immer schneller lebenden Musiklandschaft nur noch selten. Die legendären, ersten Gehversuche, mit den Klassikern «Mad Butcher», «Bestial Invasion» oder «Curse The Gods» verhalfen dem Trio nachhaltig schnell in aller Munde zu sein. Das musikalische Rückgrat, bestehend aus Schmier und Mike (g), wurde 2019 vom Trio zum Quartett erweitert. Gitarrist Damir Eskic verhalf der Truppe mit seiner Malmsteen-artigen Spielweise zu einem noch virtuoseren Sound. Zusammen mit Neutrommler Randy Black (ehemals Annihilator, W.A.S.P. und Primal Fear) wurde letztes Jahr die Studioscheibe «Born To Perish» veröffentlicht, welche den eingeschlagenen Weg von «Under Attack» erfolgreich weiter voran trieb. Mit einem kleinen Blick in den eigenen musikalischen Rückspiegel, den Fokus aber immer auf das Hier und jetzt gerichtet, überzeugte die Truppe mit den beiden letzten Studioveröffentlichungen. Überraschend erblickte nun das Live-Album «Born To Thrash – Live In Germany» das Licht der Welt. Wie es zu dieser Live-Scheibe kam und wie Schmier mit seiner zusätzlichen Rolle als Bandmanager von Burning Witches umgeht, könnt Ihr im folgenden Interview nachlesen.

MF: Schmier, du steckst gerade in einem Interview-Marathon! Macht es noch immer Spass oder ist es inzwischen zu einer Pflichtübung geworden?

Schmier: Da ist ein Teil des Jobs. Wer den Fans keine Unterschriften und nicht gerne Interviews gibt, der hat in diesem Business nichts verloren und sollte kein Musiker sein. Wie in jedem Beruf gibt es Dinge, die man lieber macht und anderes weniger gern. Klar gibt es auch Gespräche die ermüdend sind, vor allem wenn immer die gleichen Fragen gestellt werden. Momentan sind wir in einer interessanten Zeit, in der es viele spannende Themen zum Besprechen gibt. Da ich mit Leuten aus der ganzen Welt spreche, bekomme ich vieles mit.

MF: Gibt es eine Frage, die du schon immer beantworten wolltest, welche dir aber noch nie gestellt wurde?

Schmier (überlegt): Das ist eine gute Frage (grinst). Etwas, das mich am meisten nervt ist, wenn mich die Leute Marcel nennen. Irgendwann stand dieser Vorname auf Wikipedia. Ich hasse es, wenn sie dann sagen: "Aber du heisst doch Marcel". Bei Destruction bin ich Schmier, und dieser Spitzname kommt nicht von ungefähr. Schon zu meiner Jugendzeit hatte ich den weg, der irgendwann mein Markenzeichen wurde, weil mich alle so nannten. Wird man älter, denken alle, dass sie mich nun mit meinem Vornamen ansprechen müssen, da sie ihn auf Wikipedia gelesen haben. Erstens hat dies nichts mit der Musik zu tun, zweitens habe ich den so nie veröffentlicht und drittens, wenn immer alle alles nachplappern, was auf Wikipedia steht… Ich weiss, das war nicht deine Frage, aber das ist eine, die ich mir selber stellen würde. "Warum glauben die Leute alles, was auf Wikipedia steht?" Oder wieso ist das Internet das Mass aller Antworten? Die Leute googlen jeden Scheiss, therapieren sich selber im Internet und sind überzeugt, dass dort die einzige Wahrheit zu lesen und zu finden ist (lacht).

MF: Ist für dich das Internet Fluch und Segen zugleich?

Schmier: Grundsätzlich bietet das Internet mehr Vor-, denn Nachteile. Aber, es gibt Momente in denen man sagt: "Sorry, jetzt reicht's!" Man muss immer erreichbar sein, und wenn wir ein Konzert absagen müssen, dann prasselt zuerst gleich mal ein Riesen-Shitstorm auf uns nieder. Egal, ob die Band Schuld daran ist oder nicht. Dann musst du gegen alles und alle ankämpfen. Informationen verbreiten sich schneller im Internet, und die Leute hinterfragen kaum mehr was. Die Fakten haben keine Bedeutung mehr, und es gibt sehr schnell vordefinierte Urteile. Auf der anderen Seite ist das Internet toll, da ich alle Fans auf der ganzen Welt schnell erreiche. Auch mit Streamings kann ich von heute auf morgen alle gleichzeitig erreichen. Ob der Fan in Japan, Guatemala oder am Ende der Welt sitzt, sie konnten alle das neue Live-Album zum gleichen Zeitpunkt anhören. Früher musste man das Vinyl oder die CD verschicken. In Ecuador war Geld kaum vorhanden, Tonträger zu kaufen. Das Album kostete 20 Euro, dazu kam der Versand und bald war ein ganzer Monatslohn für die Menschen da unten weg. Streaming hat den Vorteil, dass es die Fans mit der Musik versorgt und man die Bands dadurch supportet. Klar kommt nicht so viel Geld zusammen. Die grösste Scheisse für eine Truppe ist aber YouTube. Da bekommst du als Künstler keinen Euro und andere verdienen an dir. Eigentlich gehört YouTube verboten. Wobei auch ich diese Plattform immer wieder benütze, um mich zu informieren. Trotzdem ist YouTube die grösste Gaunerstelle im Netz.

MF: Wie kam es zur neuen Live-Scheibe? Geplant oder spontan?

Schmier: Das war NULL geplant (grinst). Wir bekamen diese Live-Aufnahme des PartySan-Festivals und wussten, die klingt richtig geil! In der Corona-Zeit, in welcher alles wegbrach, erinnerten wir uns an die Show und stellten fest, dass der Gig wirklich absolut geil war. Da die Grenzen geschlossen waren, konnten wir nicht in das Schweizer Studio. So sprachen wir uns mit der Plattenfirma ab und entschieden zusammen, dass wir zuerst das Streaming veröffentlichen und danach das Album. Das war alles sehr, sehr, sehr spontan (grinst). Wäre Corona nicht gewesen, hätten wir das ganze Jahr getourt und das Live-Album garantiert nicht veröffentlicht. So dachten wir, dass es eine gute Möglichkeit ist, die Fans zu unterhalten und unser neues Line-up zu präsentieren, wenn wir schon nicht auf Konzertreise gehen können. Da im Moment viele Fans zu Hause sitzen und zum Nichtstun verdonnert wurden, ist dieses Album sicher eine gute Ablenkung zum momentanen Alltag. Auch als Musiker ist die aktuelle Situation sehr frustrierend. Aus diesem Grund gibt es viele dieser Live-Streams. Ich bin kein grosser Fan davon, weil ich der Meinung bin, dass die Meisten einfach scheisse klingen. Für einen guten Live-Stream, brauchst du eine gute Technik. Vieles wird billig gemacht und sieht dann auch nicht geil aus. Ausserdem kann dies ein Konzert nicht ersetzen.

MF: Hast du noch Lampenfieber, wenn du auf die Bühne gehst?

Schmier: Ein bisschen Lampenfieber gehört dazu! Das ist der notwendige Respekt vor der Arbeit und dem Publikum. Es ist auch mit einem Adrenalinschub verbunden, was wichtig ist. Hätte ich kein Lampenfieber, wäre ich wohl zu abgestumpft und dann macht das Musik machen auch keinen Spass mehr. Der Nervenkitzel gehört dazu. Wahrscheinlich ist der Bungee Jumper nach dem 200. Sprung auch nicht mehr so nervös, wie beim ersten (grinst). Aber ich bin mir sicher, das Lampenfieber ist auch beim 201. Sprung noch immer da (grinst).

MF: Auf dem neuen Live-Album sind viele Klassiker zu hören und nur zwei Tracks der letzten sieben Scheiben. Wie schwer ist es, diese kultigen alten Lieder durch neues Material zu ersetzen?

Schmier: Am Ende des Tages schaut man, welche Songs beim Publikum am besten ankommen. «Born To Thrash» war eines der ersten Konzerte mit der neuen Platte. Auf einem Riesen-Festival finde ich es schon sehr gewagt zwei neue Nummern zu spielen, wenn alle nur deine Hits hören wollen. Zudem kannte zu dem Zeitpunkt die Leute das neue Material noch nicht. Spielen wir eine Headliner-Show, packen wir vier bis fünf neue Tracks in das Set. Dazu kommt einiges aus den 2000er Jahren, die sich mittlerweile zu Klassikern entwickelten. Wichtig ist, dass die Nummern Klassiker sind und da ist es mir schlussendlich scheissegal, ob der Song ein alter oder neuer ist. Sehe ich mir Accept an und sie spielen die neuen Tracks, aber «Fast As A Shark» oder «Restless And Wild» nicht, dann gehe ich nach Hause und finde das Konzert scheisse (lacht)! So gehts doch den meisten Fans, dass sie ihre Klassiker hören wollen. Natürlich versuchst du als Band, auch Überraschungen oder Lieder, die man schon lange nicht mehr gespielt hat, einzubauen. Bei einem Festival-Auftritt musst du ein knallhartes «Best Of»-Programm abliefern. Auf der letzten Tour spielten wir seit 20 Jahren nicht «Total Desaster», sondern «Thrash Attack». Jeden Abend gab es Beschwerden der Fans. Hast du ein Konzert mit 1'000 Besuchern, finden es trotzdem 990 geil, dass sie immer die gleichen Songs hören (grinst). Der Fluch der Klassiker ist da (grinst). Ob dies nun bei AC/DC oder vielen anderen der Fall ist, die schon seit Jahrzehnten im Business tätig sind. «Born To Thrash» ist eine Festival-Aufnahme. Hätten wir die Tour spielen können, würde man vielleicht noch ein paar Songs mehr hören. So sind fünfzig Minuten zu hören, die voll in die Fresse gehen, ohne Pausen. Ein Hit jagt den andern, was will man mehr? Ein Kritiker hat neulich geschrieben: "Wieso soll ein Thrash Metal Konzert länger als eine Stunde dauern?" Da bin ich gleicher Meinung, auch wenn ich weiss, dass einige das anders sehen.

MF: Wie stark verspürst du einen Legendenstatus in der Thrash-Szene?

Schmier: Viele Bands lösten sich auf und Musiker haben die Gitarre an den berühmten Nagel gehängt. Nicht immer der Beste ist auch der Erfolgreichste. In den letzten zwanzig Jahren (seit der Reunion von Schmier und Mike) waren Destruction sehr konstant. Das ist eine lange Zeit. Die ersten Scheiben (aus den achtziger Jahren) werden bei uns immer legendär sein. Dass diese Klassiker noch immer gekauft werden, ist unglaublich (grinst zufrieden). Ich sehe mich nicht mit einem Legendstatus. Das ist viel zu hochgehypt und macht mich weder zu einem besseren noch zu einem reicheren Menschen. Man sollte Spass an dem haben was du machst und wer du bist. Ob man dabei eine Legende ist oder nicht, das entscheiden andere. Ich bin kein grosser Fan davon, dass man angehimmelt wird.

MF: Was hat sich für dich mit Randy und Damir verändert?

Schmier: An allen Orten wurde es enger (lacht), die fressen und saufen uns alles weg (lacht). Wir haben uns sehr gefreut, dass wieder eine zweite Gitarre am Start ist, und Randy ist einer meiner Lieblingsschlagzeuger. Dass er zu Destruction kam, ist für uns ein tolles Privileg! Ich denke, wir waren schon immer eine gute Live-Band, aber jetzt sind wir eine richtig geile Live-Combo geworden. Die Stimmung in der Band wurde sehr gut. Damir ist immer gut drauf und hat immer gute Laune. So einen Typen brauchst du in einer Band, da es immer wieder Probleme gibt und man an schwierigen Tagen froh ist, einen Mann in der Truppe zu haben, der deswegen nicht gleich den Kopf in den Sand steckt, sondern dazu beiträgt, dass das Klima gut bleibt oder besser wird. Die neue Band-Chemie spürt man. Das überträgt sich auch auf die Bühne und man spielt einfach noch einen Zacken besser.

MF: Ein ganz wichtiger Punkt bei euch ist Randy, der mit seiner erdigeren und organischeren Art viel Positives zum Sound beiträgt und nicht mehr alles, wie bei seinem Vorgänger, so kühl und mechanisch klingt.

Schmier: Ein Trommler ist ein wichtiges Rückgrat einer Band. Randy kommt mehr aus dem Rock, während Vaaver seine Roots im Death Metal hatte. Darum groovt und swingt Randy mehr, so wie du das auch herausfühlst. Er spielt weniger Fills. Technisch gesehen ist Vaaver der noch bessere Schlagzeuger, da er unglaublich jazzige Dinge spielte, da er Musik studierte. Randy groovt aber besser und spielt songdienlicher, trotz seiner technischen Klasse. Wieso sonst haben wir Mister Black in die Band genommen? Weil er einer der geilsten Schlagzeuger ist! Er verleiht den Liedern einen anderen Drive. Beim letzten Studioalbum hört man, zu was er fähig ist und mit welcher Power er die Stücke spielt. Speziell beim Thrash Metal ist der Trommler wichtiger, als bei allen anderen Bereichen des Metals.

MF: Gab es Zeiten, in denen du das Augenmerk mehr auf Geschwindigkeit wie Härte gelegt hast und weniger auf den Song? Ich habe das Gefühl, seit «Under Attack» ist es songdienlicher geworden und klingt mehr wie zu Beginn eurer Karriere.

Schmier: Man will sich als Band stetig weiter entwickeln, und dabei probiert man immer wieder Neues aus. Sich neu zu erfinden ist so eine Sache, da man sich nicht selber wiederholen will. Natürlich hatten wir diese Phasen auch und stopften zu viel in einen Song rein. Verrückte Riffs waren das Thema. Irgendwann fällt dir auf, dass die Nummern darunter leiden. Versuchst du die Lieder live zu spielen, merkst du plötzlich, dass es nicht flutscht. Es ist eckiger und kantiger. Im Studio hat es Spass gemacht die Tracks einzuspielen und zu komponieren, aber am Ende ist die Live-Situation der Gradmesser. Das musst du als Musiker zuerst lernen und deine Erfahrungen sammeln. Aus diesem Grund versuchte ich die Lieder wieder mehr für eine Live-Situation zu schreiben. Eingängiger und trotzdem anspruchsvoll genug. Dieser schmale Grat zwischen stumpf, aber trotzdem eingängig… Die Riffs "catchy" und interessant zu gestalten und somit den Anspruch an sich selber zu erfüllen... So sind wir bei den letzten beiden Studio-Scheiben auf einem guten Weg gewesen und haben uns songdienlicher orientiert. Das ist der Lernprozess einer Band, bei dem man immer wieder in gewissen Phasen mehr den Punk… Wie bei jedem Beruf lernt man durch seine Fehler oder profitiert von seinen Stärken und versucht dies auf der nächsten Platte wieder umzusetzen. Aus diesem Grund, denke ich, ist «Under Attack» wieder eine sehr starke Scheibe geworden. Weil wir aus den vergangenen Fehlern lernten und den eingeschlagenen Weg mit «Born To Perish» weiter führten.

MF: Du bist bekannt als Mentor und Manager von Burning Witches. Wie kam es dazu?

Schmier: Romana (Gitarristin von Burning Witches) war immer wieder auf Destruction-Konzerten anzutreffen. So sind wir in Kontakt geblieben und es wurde Freundschaft daraus. Sie hat mir erzählt, dass ihr grösster Traum eine reine Frauenband sei. Ich versprach ihr, wenn sie die richtigen Mädels finden sollte, würde ich sie unterstützen. Irgendwann kam eine SMS, dass sie eine Sängerin gefunden habe und ihre beste Freundin am Bass mitspielt. So war ich mit im Boot. Es kam zum ersten Demo, und ich wurde zum Band-Daddy auserkoren (grinst). Seit diesem Zeitpunkt arbeiten wir sehr eng zusammen. Ich kann den Mädels viel weitergeben und ihnen einiges an beschissenen Verträgen und falschen Kontakten ersparen. Im Musikbusiness ist es als Frau echt noch schwieriger, weil dich die Leute verarschen wollen. Viele denken, dass den Mädels alles in den Schoss gelegt wurde. Aber die haben für diesen Erfolg echt hart gearbeitet und viel dafür aufgegeben. Der erste Plattenvertrag kam erst mit der zweiten Scheibe zustande. Für mich hat sich vieles wie damals angefühlt, als wir mit Destruction starteten. Der Enthusiasmus der Band und die Begeisterung für die Musik, die oft durch die Routine des Lebens abhanden kommt, sind bei den Girls da. Deswegen macht die Zusammenarbeit sehr viel Spass.

MF: Ich danke dir für das Interview…

Schmier: …es war mir eine Freude, wie immer mit dir…

MF: …besten Dank und weiterhin alles Gute, beste Gesundheit und auf dass wir uns bald wieder sehen.

Schmier: Danke! Ja, das ist das Wichtigste, bleib gesund Martin.