Interview: Dream Theater
By Liane P. & Roger W.
Mitte September 2011 kommt das neue Album „A Dramatic Turn Of Events“ von Dream Theater raus und alle sind schon ganz gespannt wie es wohl klingen mag – ohne eine der wichtigsten Person nämlich den Schlagzeuger Mike Portnoy. Im September 2010 machte sich Portnoy, der neben John Petrucci (g) die meisten Songs von Dream Theater schrieb, einfach aus dem Staub. Die Suche nach einem Ersatz erfolgte über eine Dokumentations-Serie auf Youtube, welche die Plattenfirma Roadrunner Records hochgeladen hatte. Ende April stand dann fest: Mike Mangini der zuvor schon bei Steve Vai, Extreme und Annihilator gespielte hatte, is The Man! Wir trafen John Petrucci vor dem Konzert im Komplex 457 in Zürich, um mal nachzuhaken. Nach dem Konzert waren die Diskussionen heiss und ein paar Leute aus dem Publikum waren der Meinung, dass die Drums zurückhaltender und nicht mehr so kraftvoll seien wie zuvor. Die Band selbst ist in jedem Fall zufrieden und schaut positiv in die Zukunft...  John Petrucci , Liane P. (LP), Roger W. (RW)

LP: Ihr habt gestern in Italien gespielt und zwar in Verona im Castello Scaligero, eine wunderschöne Kulisse. Gamma Ray und Anathema waren im Vorprogramm. Wie hat es euch dort gefallen?


John Petrucci: Es war toll. Wir hatten vorher noch nie in solch einem Ambiente gespielt. Wir hatten zuerst auch gar nicht realisiert wie schön es dort ist. Wir sind mit dem Bus da einfach reingefahren und alles was wir sahen, war dieses schöne Schloss. Es war unglaublich cool. Dann in der Nacht mit all dem Licht und den Leuten und dem Nachthimmel, das war beeindruckend, ein wirklich schönes Konzert. Und Verona war grossartig. Wir haben die Juliet Statue gesehen und hatten eine Menge Spass.

LP: Die Italiener sind feurig, die Leute dort sind wahrscheinlich ziemlich durchgedreht.

John Petrucci: Ja, die wahren sehr emotional. Das Publikum war grossartig und es war sehr schön für uns.

LP: Heute spielt ihr in Zürich. Ihr habt uns euren neuen Schlagzeuger mitgebracht.

John Petrucci: Ja, das haben wir (lacht).

LP: Wie fühlt ihr euch mit Mike Mangini und wie viele Konzerte habt ihr bereits mit ihm gespielt? Wie sind die Reaktionen des Publikums?

John Petrucci: Die erste Show die wir vor ein paar Tagen in Rom gespielt haben war die erste Show der Tour und wir hatten keine Konzerte vorher mit ihm. Das war also die erste Show zusammen mit Mike Mangini und ich denke, dass das Publikum ihn sehr schätze. Die haben seinen Namen gerufen „Mangini, Mangini“. Und als er sein Schlagzeug-Solo gespielt hatte, sind alle abgegangen. Die bisherigen Reaktionen zeigen, dass die Leute ihn wirklich mögen. Er ist nicht nur ein unglaublicher Schlagzeuger, sondern auch eine wirklich nette Person. Die Band klingt toll mit ihm. Wir haben zusammen eine gute Zeit. Was die Reaktionen der Presse betrifft, weiss ich es nicht. Bisher habe ich noch nichts darüber gelesen. Aber wir haben ja erst vor ein paar Tagen mit dieser Tournee begonnen und bisher läuft alles sehr gut.

LP: Der Wechsel bei Dream Theater war ja ein grosses Thema in Foren und eben im Internet. Mike Manginis Einstieg hat bei Twitter eine Welle ausgelöst und gehörte zu den Top Themen u.a. neben der Hochzeit von Prinz William.

John Petrucci: Ja, die Königliche Hochzeit gefolgt von Mike Mangini (lacht). Das war wohl, weil die Hochzeit am gleichen Tag statt gefunden hat, als wir bekannt gegeben haben, dass er unser neuer Schlagzeuger ist. Und so war er einer der grossen Nachrichten auf Twitter. Wirklich lustig.

RW: Das heutige Konzert ist ja ziemlich speziell, da das neue Album ja noch nicht draussen ist. Ihr werdet also eine Best-Of-Show spielen?

John Petrucci: Ja genau. Wir haben dass diesmal so gemacht, dass wir fast von jedem Album ein Lied ausgesucht haben. So könnt ihr heute Abend von fast jedem Album ein Lied hören. Mit Ausnahme von „A Change Of Season“. Ja, davon haben wir nichts ausgesucht. Zusätzlich spielen wir auch den neuen Song, den wir bereits ins Internet gestellt haben. Es macht wirklich viel Freude, dieses Set zu spielen. Es sind irgendwie alles unsere Lieblingslieder, die wir heute spielen werden.

RW: Also wird das Set heute sehr lange?

John Petrucci: Ja, es geht ca. zwei Stunden lang.

RW: Sehr nett. Es wird also kein drei stündiges Konzert wie früher geben?

John Petrucci: Nein, nein. Es ist kein „An evening with…“ Wir haben eine Vorgruppe dabei. Deshalb sind es zwei Stunden.

LP: Das neue Album heisst „A Dramatic Turn Of Events“. Spielt der Titel auf den Wechsel am Schlagzeug hin?

John Petrucci: Der Albumtitel wiederspiegelt die Liedtexte des Albums. Und alle Lieder auf dem Album handeln auf die ein oder andere Weise von verschiedenen wichtigen Ereignissen, die geschehen sind. Mal in der Geschichte oder welche heute passieren. Wie zum Beispiel die Revolten im Mittleren Osten. Also Grossereignisse welche die Leben der Menschen verändert haben.

LP: Ich habe eine Liste aller neuen Lieder hier.

John Petrucci: Also, auf der Liste stimmt einer der Titel nicht. „The Sharman`s Trance“ ist nicht der richtige Name. Es heisst „Bridges In The Sky“. Aber es behandelt eine Schamanen Situation. Und eigentlich kommt auch das Coverartwork von dem Lied „Bridges In The Sky“. Dazu hat der Maler das Cover umgesetzt. Alle Lieder haben also etwas mit wichtigen Ereignissen zu tun, welche Menschenleben verändert haben. Der Titel des Albums hat nichts zu tun mit der Bandsituation. Es ist purer Zufall. Ich denke, die Leute könnten denken, dass es was damit zu tun hat. Aber es hat damit überhaupt nichts zu tun. Wir haben nichts über Mike’s Ausstieg geschrieben. Wir haben uns gedacht, dass das sehr seicht wäre dies zu tun.

RW: Wie lange habt ihr die Lieder geübt, bevor ihr sie aufgenommen habt?

John Petrucci: Wir haben die Songs gar nicht vorher geübt. Wir haben zwei Monate damit verbracht, die ganze Musik für das Album fertig zu stellen. Mike Mangini war damals noch nicht bei uns. Da waren nur ich, Jordan, John und James. Wir haben das ganze zusammen geschrieben und Demos davon gemacht. Ich habe das Schlagzeug auf dem Computer programmiert und habe es dann Mike Mangini geschickt. Er hat es dann gelernt und darauf aufgenommen. Wir haben die Lieder also bis heute noch nie zusammen gespielt.

LP: Ihr habt ja mit dem Produzenten Andy Wallace zusammen gearbeitet. Er ist ja sehr bekannt und hat bereits viele Auszeichnungen bekommen.

John Petrucci: Ja, ich liebe seine Arbeit.

LP: Er hatte bereits mit Nirvana, Rush und Prince zusammen gearbeitet. Wie seid ihr auf ihn gekommen?

John Petrucci: Ja, er hat mit so vielen Künstlern zusammen gearbeitet. Als erstes: Ich liebe Andy Wallace, ich wollte schon immer, dass er eines unserer Alben mixt. Ich habe lange auf diesen Augenblick gewartet. Alles was er bisher getan hat, klingt für mich toll. Also Linkin Park, Sepultura, und alles von ihm klingt so gut. Wir haben unsere Wünsche dem Plattenlabel platziert und gesagt, dass wir wirklich gerne Andy Wallace haben wollen. Wir haben jedes mal gefragt, bei jedem Album: „Kann Andy Wallace das neue Album mixen?“ Und dieses mal hat er „Ja“ gesagt. Wir sind dann sehr gut mit ihm ausgekommen. Er und ich hatten eine sehr gute Zusammenarbeit. Das Ergebnis ist fantastisch!

LP: Und du hast das Album ja produziert.

John Petrucci: Ja, das habe ich. Und er hat es mixt. Und es klingt jetzt genial!

RW: Hörst du denn oft andere Bands? Auf jedem Dream Theater-Album sind neue Klänge und Sachen, die zum Teil auch von anderen Bands stammen könnten.

John Petrucci: Ich denke, dass auf dem neuen Album ein bisschen anders sein wird. Man wird keine Einflüsse von anderen Bands hören um ehrlich zu sein. Was wir tun wollten ist, wirklich zurück auf das schlichte Songwriting zu gehen, also Gitarre, Keyboard. Und so haben es geschrieben. Wir wollten sicher sein, das alles einzigartig, originell, melodisch und kompliziert klingt. Wenn man vielleicht auf den vergangenen Alben Dinge wie zum Beispiel Muse oder Rush rausgehört hat, sollte es diesmal nur nach Dream Theater klingen. Es klingt eventuell mehr nach unseren früheren Alben.

RW: Aber du hörst nach wie vor auch andere Bands?

John Petrucci: Ja natürlich. Was ich persönlich für mich entdeckt habe ist: Satelliten Radio. Ich schalte einfach eine Rockstation oder eine Metalstation ein und höre zu. Das ist meine Lieblingsart andere Bands zu hören, wenn ich zum Beispiel am Autofahren bin. Ich gehe nicht wirklich in Läden und kaufe mir da Alben.

RW: Du hörst also einfach Radio?

John Petrucci: Ja, vor allem.

LP: Und ihr habt ja wirklich gute Radiostationen in den USA.

John Petrucci: Ja. Satelliten-Radio ist toll. Man kann da hören, was alles neu im Metalbereich rausgekommen ist. Also schaltet man sich da einfach im Metal-Kanal rein. Wenn du aber Klassik hören willst, wechselst du einfach den Sender. Ich liebe das.

LP: Ich möchte gerne nochmals auf das neue Album zurück kommen. Könntest du drei Lieder von der Liste hier aussuchen und uns etwas über diese erzählen?

John Petrucci: Weisst du, es ist immer sehr schwierig, da einfach einzelne Songs rauszusuchen. Da gibt es einige, bei denen etwas Besonderes mitschwingt. Nur schon, weil es sehr viel Spass gemacht hat, sie zu schreiben. Einer dieser ist „Outcry“, welcher einfach wild ist und etwas Hymnisches hat, was die Leute wohl sehr mögen werden. Ein anderer ist „Lost But Not Forgotten“. Es ist ein sehr technisches Lied und hat einen wirklich starken Groove und ich mag dessen Gitarrensolo. Und ein weiterer ist „Breaking All Illusions“. Es ist ein ziemlich episches Lied und besitzt einige nette Teile und sehr viele verschiedene Stimmungen. Wenn ich drei raussuchen müsste, wären es diese drei. Aber für mich sind alle Lieder auf dem Album aussergewöhnlich. Wir haben versucht, jedes Lied wirklich gut zu machen. Also kein Lied auf dem Album stinkt mir oder ist ein „Füller“.

LP: Wenn ich Musik liebe dann bin ich sehr leidenschaftlich. Ihr habt ein recht kritisches Publikum. Man sagt die Leute gehen hin um nach Fehlern zu suchen.

P: Diese Leute hätten ans Konzert in Verona kommen sollen, denn da hätten sie sehr viele Fehler gehört (lacht). Ich denke, dass die meisten im Publikum schlicht unsere Konzerte geniessen. Ich sehe alle lächeln und ich sehe alle die Lieder mitsingen und ich sehe die Hände in der Luft und ich höre, wie sie es geniessen. Ich denke, dass daher die meisten deine Ansicht teilen. Die wollen ans Konzert gehen, die Band hören und die Show und die Musik geniessen. Dann gibt es aber auch welche, die gerne die Musiker kritisieren. Was das ganze schlimmer macht, ist das Internet mit Youtube und solchen Sachen. Wenn du gerade einen schlechten Moment hattest, wirst du das sicher auf Youtube für alle seh- und hörbar finden. Aber da kann man nicht wirklich etwas dagegen tun. Es ist aber auch ein Phänomen unserer aktuellen Zeit. Jeder ist ein Kritiker, jeder kann es besser machen. Mit all diesen Realty-Shows und American Idol. Alle sind daran, sich gegenseitig zu beurteilen. „Diese Person singt besser als die andere!“ Ich verhalte mich mehr wie du. Ich gehe hin, geniesse das Konzert, geniesse die Atmosphäre. Ich geniesse, dass alle zusammen sind, die die selbe Musik mögen. Das ist grossartig.

RW: Euch ist bewusst, dass ihr so etwas wie die Anführer der Prog-Metal-Szene seit?

John Petrucci: Wirklich?

RW: Ja. Fühlst du dich verantwortlich für die Art „Szene“?

John Petrucci: Ja, ich fühle mich sehr verantwortlich dafür (lacht). Ich nehme das sehr ernst. Also, dass was wir tun ist die Musik, die wir gerne spielen und wir gerne schreiben. Es ist immer noch dasselbe wie damals, als wir die Band gegründet haben. John Myung und ich waren Jung und hörten Yes, Genesis, Rush und Pink Floyd. Und dann haben wir auch Metallica, Iron Maiden und Metal und was auch immer gehört. Wir mögen nach wie vor in etwa die gleiche Musik wie damals. Das ist ziemlich fest in unseren Herzen verankert. Wir werden auch weiterhin die Fahne des Progressiv Metal stolz in die Luft halten (lacht). Wir sind sehr stolz darauf und mögen es.

RW: Ihr habt sehr viele Live-Alben rausgebracht. Wie wichtig sind diese für dich?

John Petrucci: Ich denke, dass diese wichtig sind. Bei gewissen Bands werden diese ein wichtiger Teil ihrer Geschichte. Wiir sind eine Band, die es liebt Live zu spielen. Wir lieben es, raus auf die Bühne zu gehen und uns selber herauszufordern. Vielleicht wechseln wir gewisse Sachen oder improvisieren. Was auch immer. Es ist auch ein ganz anderes Musikhören, wenn es live gespielt wird. Ich denke, dass das ein wichtiger Teil von dem ist, was wir sind. Und das sagt sehr viel. Es ist nicht nur das Studio. Besonders die Live-Alben zeigen, wie die Band klingt. Das ist grossartig. Bei Rush ist es sehr, sehr ähnlich mit ihren Live-Veröffentlichungen.

RW: Und die Lieder klingen auch wirklich anders in der Live-Version. Also nicht alle, aber einige.

John Petrucci: Ja, das tun sie. Das liegt in der Natur der Sache. Auf Studio-Alben hat man zum Beispiel Overdubs und andere Sachen. Live hast du das nicht. Es gibt somit eine andere Version der Songs. Für mich ist das cool, weil es neue Facetten zeigt.

RW: Wir sind bei den berühmten letzten Worten für heute. Was sind diese für dich?

John Petrucci: Als erstes möchte ich allen danken, dass ihr Mike Mangini so nett empfangen habt. Ich denke, dass sagt sehr viel über die Leute aus, welche Dream Theater hören. Alle sind so nett. Mike hatte uns sehr unerwartet verlassen und alle waren traurig danach. Aber gleichzeitig haben wir jetzt ein neues Kapitel aufgeschlagen. Wir haben einen grossartigen Schlagzeuger. Die Band klingt super und jeder empfängt ihn sehr herzlich. Ich möchte wirklich betonen, dass mir das sehr viel bedeutet. Wir werden niemanden hängen lassen. Wir können es kaum abwarten, dass das neue Album rauskommt.

LP: Nach dem Release wird es ja eine Welttournee geben.

John Petrucci: Ja, im Herbst werden wir in Nordamerika unterwegs sein. Danach besuchen wir Südamerika und Asien. Wir werden wohl nicht vor dem nächsten Frühling zurück in Europa sein.

RW: Also müssen wir nicht all zu lang auf euch warten.

John Petrucci: Nein, nicht so lang.

RW: Jetzt haben wir erst mal Zeit, das neue Album richtig kennen zu lernen.

John Petrucci: Ja, und ich hoffe dass ihr es mögen werdet.



John Petrucci (mitte) mit Roger W. und Liane P. >>