Opeth galten lange als Insider-Band, sie schienen geradezu verdammt
worden zu sein, ihre Existenz in den CD-Schränken der Szene-Heinis
zu verbringen - als zu komplex wurden ihre Klangwelten beschrieben,
Hörer würden niemals Zugang finden. Nun, im Jahre 2006 sind diese
Stimmen verstummt - denn offensichtlich haben Opeth geschafft, was
viele gehofft, aber wenige ihnen wirklich zugetraut haben: Sie
gelten als heissester Act rund um den Globus, ihre aktuelle CD "Ghost
reveries" erhält durchs Band reisserische Kritiken, und auf der
aktuellen Tour verzeichneten sie den grössten Publikumsaufmarsch
seit Bandgründung. Am Abend vor dem Konzert im Zürcher Abart stand
mir Bandchef und Oberdenker Mikael Akerfeldt zwischen Soundcheck und
Nachtessen Rede und Antwort.

MF: Mikael, soweit ich die Kritiken eurer letzten Konzerte
studiert habe, scheint die Band und vor allem du extrem viel Spass
an den Shows zu haben - Du machst eine Menge Witze, erzählst die
interessantesten Dinge zwischen den Songs - Bist du eigentlich
generell eine Frohnatur?
MA: Ich denke, ja. Weisst du, mein Leben ist gut. Ich habe eine
Tochter, die Band kommt voran, ich habe eine Frau, ich habe ein
Haus, ich habe einen Volvo, Platten - Ich kann mich also nicht
wirklich beklagen. Die Sache mit mir auf der Bühne - Weisst du,
früher habe ich eigentlich gar nicht viel gesagt. Ich weiss nicht,
weshalb ich das jetzt mache. An manchen Tagen sag' ich trotzdem nix,
aber irgendwo habe ich halt mal angefangen zu labern, Witze zu
erzählen. Unserer Ansicht nach geht's beim Live-Spielen vor Publikum
einfach darum, eine gute Zeit zu haben. Wenn ich persönlich an
Konzerte gehe, mag ich es auch, wenn der Frontmann was erzählt. Es
verschafft dir Zugang in die Persönlichkeit. Und natürlich kann man
jetzt darüber diskutieren, ob ich lustig bin, oder nicht - Ich bin
nun mal kein Comedian, ich sage was immer mir einfällt -
hauptsächlich eben jede Menge Sarkasmus und Ironie, danach steht mir
am meisten. Wenn man das nicht versteht, denkt man wahrscheinlich,
ich sei ein Vollidiot - Aber zum Glück kapieren es die meisten
Leute.
MF: Wenn es dir also so gut geht, woher kommen dann all diese
Opeth-typischen depressiven oder satanischen Themen?
MA: Oh, ich denke nicht, dass das Hand in Hand kommt. Das ist das
klassische, beinahe romantische Bild eines Songwriters - Wein
trinken, in den Sorgen ertrinken - du weisst schon, der
melancholische Typ. Offensichtlich hatte ich eine gute Portion harte
Zeiten, aber ich denke, dass das einfach gehypt wird, dieses
klassische Bild. Für mich ist es einfach natürlich, traurige und
depressive Musik zu schreiben, wenn es mir gut geht. Und wenn ich
mich schlecht fühle, schreibe ich überhaupt nicht.
MF: Das ist für dich also eine natürliche Sache?
MA: Ich denke es zumindest. Ich kann nicht für jeden sprechen, aber
bei mir war das immer so. Diese ganzen traurigen Themen, die treffen
einfach meinen Nerv. Das heisst nicht, dass ich auch so bin - Wenn
ich die Person wäre, die in meinen Songs durchscheint, dann wäre ich
schon längstens tot (Grinst breit).
MF: Beim Stöbern in deiner Online-Bio ist mir aufgefallen, dass
du scheinbar nie mit dem üblichen Lifestyle eines Rockmusikers zu
kämpfen hattest.
MA: Nein, nie. Ich bin so clean wie sonst nix. Ich trinke ab und zu
was, aber selbst das habe ich reduziert. Ich versuche sogar, mit dem
Rauchen aufzuhören, klappt bis jetzt ganz gut. Aber: Ich nehme keine
Drogen. Ich habe Gras und Hasch geraucht, auch mal Mushrooms, oder
sonst was, aber das ist nichts auf regulärer Basis, das mache ich
nur, wenn ich angetrunken bin, es mir schlecht geht und ich auf Tour
bin. Ich trinke zum Beispiel auch nichts, wenn ich mit der Band im
Studio arbeite. Früher hat's da schon anders ausgesehen. Aber
nochmal - Ich nehme keine Drogen, ich hasse Drogen, aber leider sind
sie überall. Sogar in dieser Band. Jeden Tag, irgendwo Drogen,
jemand will was verkaufen, jemand kauft was. Das ist halt der
Lebensstil, so läuft das. Viele Leute machen da mit, weil sie
einfach sowieso damit assoziiert werden, weil sie Rockstars sind -
Und eine Menge Leute machen es, weil so der Tag schneller vorbei
geht, oder weil sie sich dann wacher fühlen. Ich hasse Drogen, und
ich hasse Abhängige. Nach Konzerten genehmige ich mir ein Bier, oder
ein, zwei Gläser Rotwein, aber ich fülle mich lange nicht mehr so
ab, wie das früher der Fall war. Als ich jünger war und wir auf Tour
waren (Das ist gar nicht mal so lange her), war die ganze Nacht lang
Party angesagt, einfach saufen. Aber dann kam ich an den Punkt, an
dem meine Stimme nicht mehr mitmachte, vor allem wegen hartem
Alkohol. Ich habe immer Vodka und Scotch getrunken, wir hatten sogar
Scotch auf unserem Rider aufgeführt, davon haben wir eine Menge
gekippt. Zudem wurde ich auf Tour immer krank, mein Immunsystem hat
immer mehr abgekriegt von all dem Rauchen und Trinken. Also habe ich
mich nun vom harten Alkohol verabschiedet, das Rauchen
zurückgefahren, und ich schlafe sehr viel. Ich war noch nicht krank
auf dieser Tour, und das ist das erste Mal überhaupt! Es bleiben
noch einige Gigs übrig, aber - bis jetzt hat's geklappt.
MF: Es gilt als erwiesen, dass die Leute von Heute die
Konzentration schnell verlieren, dass sie nicht im Stande sind, sich
über eine längere Zeitspanne zu konzentrieren. Weshalb, denkst du,
kommen die Leute zu euren Konzerten und setzen sich all diesen
10-Minuten-Songs aus?
MA: Ich weiss es nicht. Ich würde sowieso nie für ein Konzert
bezahlen, wenn mich die Songs nicht interessieren. Offensichtlich
kann man Leute langweilen. In Tat und Wahrheit: Wenn ich an Konzerte
gehe, die zwei Stunden dauern, da werde ich müde, das geht gar nicht
anders - Sogar, wenn es meine Lieblingsband ist. Das ist auch ein
Grund, weswegen ich mittlerweile so viel rede - Das Konzert wird
dadurch einfach besser in Erinnerung bleiben, deswegen interreagiere
ich nun stark mit dem Publikum. Mir ist schon klar, dass es zuviel
verlangt ist, wenn wir die Leute auffordern, zwei Stunden lang 100
Prozent dabei zu sein. Da breche ich lieber kurz mal ab, und erzähle
was.
MF: Opeth-Songs scheinen ihren eigenen Regeln zu gehorchen - Wie
also entscheidest du, ob ein Song beendet ist - nur durch Gefühl?
MA: Das ist einfach etwas, das ich fühle - Ich weiss es sogar.
Meistens habe ich einen Schlussteil und ein erstes Riff, diese beide
Elemente sind sehr wichtig. Obwohl sie nicht alleine die Songs
tragen, sie weisen immerhin in eine bestimmte Richtung. Ich will da
nichts übereilen, und betrachte einen Song erst als beendet, wenn er
sich danach anfühlt. Ich mag schon gar nicht darüber nachdenken, ob
ein Stück jetzt zu lange ist. Wenn's gut klingt, dann bleibt das
auch so. Klar habe ich Fehler gemacht, Songs wurden zu lange oder
gar langweilig. Also habe ich diesmal versucht, vielmehr auf das
Gesamtbild zu hören. Sofort, wenn sich etwas falsch anfühlte, haben
wir's gelöscht. Jedes Riff dient einem Zweck, wir versuchen nicht,
zu viel hinein zu packen - So wie wir es leider auch schon gemacht
haben. Wir haben die Riffs immer vier oder sechs Mal gespielt, aber
jetzt arbeite ich mehr im Sinn des Songs, und wenn sich etwas schief
anfühlt, dann wird das eben gelöscht.
MF: Wie malst du all diese Klangwelten, ohne das Ziel aus den
Augen zu verlieren? Existiert überhaupt so etwas wie ein Ziel?
MA: Mehr oder weniger. Ich beginne meist mit der Suche nach einem
melodischen Thema oder einem Lead für den Song. Und sobald ich sowas
habe (Kann auch einfach ein spezieller Moment sein), versuche ich,
rundherum weiter zu bauen. Solange ich etwas habe, an das man sich
erinnern kann, da fühle ich sofort eine gewisse Aktivität, dann
mache ich einfach von da weiter. Ich kann in beide Richtungen
arbeiten, also retrospektiv Richtung Beginn, oder einfach vorwärts.
MF: Also baust du deine Songs konsequent um Riffs auf, oder
arbeitest du manchmal auch von Beginn weg mit Texten?
MA: Nein, nie mit Texten. Normalerweise beginne ich mit einem Riff,
und dann verformt sich das Ganze beinahe von selbst in ein
Arrangement. Drei, vier Riffs, einige Brücken dazwischen, ein
Chorus, oder was auch immer - Und dann nehme ich das als Demo auf.
Früher war das ganze mehr Riff-orientiert, da versuchten wir
manchmal fünfzehn Riffs in einen Song zu quetschen?¦
MF: Könntest du einen Song nennen, der den Geist von Opeth am
besten verkörpert?
MA: Von allen CDs?
MF: Ja.
MA: Der erste Song auf dem neuen Album ist ziemlich gut ("Ghost of
perdition" - MF). Er hat alles, wie ein Feuerwerk - ständig passiert
was. Ich erinnere mich genau, als ich den Song das erste Mal gehört
habe, dachte ich nur "Whoa!". Das mag ich. Wenn man nach diesem Song
nicht an der Band interessiert ist, dann wird das nie geschehen.
MF: Hast du eigentlich schon mal bemerkt, dass der erste cleane
Teil aus "Ghost of perdition" wie "The grudge" von Tool klingt?
MA: Ja, das ist ziemlich offensichtlich. Ich stehe total auf "Lateralus"
und "Aenima" und "Undertow". Tool ist eine der Bands, die mich am
meisten beeinflusst hat. Deswegen habe ich auf diesem Album vermehrt
mit Rhythmen und Schlagzeug gearbeitet. In dem Teil, den du
angesprochen hast, hat der Gesang natürlich auch eine Ausschlag
gebende Rolle.
MF: Aber habt ihr das schon bei den Aufnahmen gemerkt?
MA: Wir nannten den Teil sogar "Tool-Teil". Auf dem Computer benennt
man normalerweise jedes Riff einzeln, und dieses nannten wir
wirklich "Tool-Teil". Es ist sowas wie eine Hommage. Manche werfen
mir vor, dass es geklaut wäre, aber immerhin mache ich das nicht das
erste Mal, auch wenn es meist sehr subtil ist.
MF: A propos Songs schreiben: Wie ist es eigentlich, mir dir zu
arbeiten? Bist du sowas wie ein Diktator, weil du die Songs alleine
schreibst?
MA: Manchmal, wenn sie Jungs die Sachen falsch spielen (lächelt).
Als Songwriter ist es mein grösstes Interesse, dass die Band die
Sachen spielt, wie ich will. Aber deswegen bin ich noch kein
Diktator, wenn sie etwas ändern möchten, und es dadurch besser
klingt, dann ist das ok. Da bin ich kein Sturkopf, es soll einfach
gut klingen. Und ich bin nunmal abhängig von der Band, damit was
draus wird.
MF: War das nie ein Kampf der Egos?
MA: Es sind defintiv keine Egos mehr übrig in dieser Band, jeder
fühlt sich wohl - zumindest soweit ich weiss. Es muss ja nicht
heissen, dass ich auf ewig alle Songs alleine schreibe! Wenn jemand
mit einem Song bei mir vorbeikommt, dann ist das für mich ok. Es ist
halt nur noch nie passiert, die anderen Jungs schreiben nicht - So
einfach ist das. Ich denke es ist sehr rar, dass Bands mehrere
Songwriter haben, und trotzdem immer noch nach der selben Band
klingen.
MF: Bei einigen Bands merkt man gleich, wer welchen Song
geschrieben hat!
MA: Ja - Für mich gab's nur eine Band, die das in etwa konnte: Die
Beatles! Sie hatten vier Songwriter. Alle beschissenen Songs, das
waren Ringo's (grinst). George Harrison, das war der Sturkopf, der
versuchte in John Lennon-Gebiet einzudringen - Aber er hat einige
tolle Sachen gemacht. Die besten Stücke waren allerdings von John
Lennon und Paul McCartney. Aber man sieht natürlich auch die
negativen Seiten einer solchen Konstellation: Egos ab dem ersten
Tag, und offensichtlich sogar Hass und Neid. Es scheint also
gleichermassen gut und schlecht zu sein.
MF: Wie verlief die Arbeit mit Per (Wiberg, neu an den Keyboards,
MF), konnte er am Ende einfach noch einige Spuren drüber legen, oder
waren die Keyboards schon ins Songwriting integriert worden?
MA: Nein, ich hatte bereits einige Keyboard-Teile auf meinen Demos.
Er kam dann eines Tages vorbei, hörte sie sich an und nahm einige
Sachen neu auf, so wie er sie spielen wollte. Aber sie wurden mit
den Demos geschrieben. Wir wollten sowieso keine Children Of
Bodom-mässige Keys (dudelt zu Demo-Zwecken ein wenig herum), daran
waren wir nicht interessiert. Wir arbeiteten mit Sounds, also quasi
"Was machen wir hier, wie soll das klingen?"
MF: Ich war sehr überrascht, wie gut die Hammond-Sounds mit den
Gitarren harmonieren!
MA: Ja, meistens ist der Hammond-Sound sehr nahe am Gitarren-Sound
dran.
MF: Themenwechsel: Als du das erste Mal von Martin Lopez'
Krankheit gehört hast, wie war das für dich?
MA: Weisst du, er hat so lange in dieser Band gespielt. Er ist jetzt
mehr oder weniger seit den Deliverance/Damnation-Sessions krank. Es
war einfach fürchterlich für mich. Klar waren wir besorgt, aber wir
dachten, dass das schon wieder wird, und dass sich das von selbst
löst - Aber es ist eskaliert. Auf unserer letzten Tour (Eine
Festival-Tour) hat er wirklich schlecht ausgesehen, wir stritten uns
oft. Er war einfach krank, wie ein Skelett. Und grundsätzlich
spielte er auch sehr schlecht - Wir hatten einige Shows, die die
Hölle waren. Er wusste es, wir wussten es. Eines Tages wachte er auf
- es ging ihm miserabel - und er ging dann mal eben aus dem Bus,
konnte dann aber den Eingang nicht mehr finden, sein Hirn wollte
nicht funktionieren. Also brachten wir ihn ins Spital, diskutierten
mit ihm, und sagten ihm, dass es das Beste sei, wenn er nach Hause
fliegen würde - und er war zum Glück einverstanden. Also ging er
nach Hause, während wir weitermachen mussten, schliesslich hatten
wir eine neue Platte draussen. Wir mussten also einen Ersatz finden.
Wir konnten einfach nicht auf ihn warten und die Tour unterbrechen.
Als ich letztes Mal mit ihm sprach (eine Woche vor dieser Tour),
klang er bereits viel besser. Ich werde ihn bald einmal treffen, wir
werden ein wenig jammen, um zu sehen, wo er steht - bevor wir uns
entscheiden, ob er wieder in die Band kann. Er ist ja eigentlich
immer noch dabei, wir wollen nur 100 Prozent sicher sein, dass er
nicht wieder in eine Situation kommt, in der er eine Show nicht
spielen kann.
MF: War es nicht schwer für dich, eine Scheibe zu schreiben und
im gleichen Augenblick zu wissen, dass sie auf Tour von jemand
anderem gespielt wird?
MA: Wir haben es ja kommen sehen, es wurde immer komplizierter, mit
ihm zu arbeiten. Aber ich war so in die Arbeit vertieft, ich wollte
nicht über irgendwelche Probleme diskutieren, die sich am Horizont
abzeichneten - wir mussten schliesslich arbeiten. Er hat dann das
Album eingespielt, und es hat ganz gut geklappt. Wir mussten jeweils
warten, bis er sich bereit fühlte, den nächsten Part einzuspielen.
Er sass einfach nur rum, um plötzlich zu sagen "Ok, ich bin bereit".
Es war langweilig. Aber wir dachten nie daran, ihn zu feuern.
MF: Ok, letzte Frage: Du hast mal gesagt, dass du mit dem "Deliverance"-Album
nicht zufrieden bist - Weshalb?
MA: Nein, es liegt nicht am Album, ich habe einfach schlechte
Erinnerungen an den Aufnahmeprozess. Und offensichtlich war einiges
des Materials nicht so gut, wie es hätte sein können - Aber
andersrum: Einige der Songs sind die besten, die wir haben, wie etwa
"Deliverance", oder "A fair judgement". Aber vor allem der letzte
Song ("By the pain I see in the others") ist ein klares Resultat von
Stress und schlechter Arrangierung - Der hätte rausgeschnitten
werden sollen, ich mag ihn wirklich nicht.

MF: Ok, das war's schon, besten Dank!
MA: Gern geschehen!
El Muerte mit Mikael Akerfeldt (r) >>>>
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