Interview: Pretty Maids
2. Februar 2001 Z-7 Pratteln
By Francoise S.
Ronnie Atkins
Politisch oder nicht politisch, das ist hier die Frage...
Freundlich werde ich im Backstagebereich des Prattelner Z7 von Ronnie Atkins empfangen. Der charmante Pretty Maids-Frontmann offeriert mir ne Coke und steht mir bereitwillig Rede und Antwort.
SMF:„Carpe Diem“ ist ein wirklich edles Scheibchen mit grossartigen Melodien. Was ich vermisse, ist ein Killersong wie „Future World“. Habt ihr bewusst auf härtere Songs verzichtet?

RONNIE:    Nein. Ich meine, wir hätten zwölf Killersongs schreiben können! Aber du bist nicht die erste, die mir das sagt.
Jedes Mal, wenn wir ein Album aufnehmen, geben wir unser Bestes. Es ist wichtig für diese Band, dass die Songs sowohl melodisch, als auch die harten Riffs vorhanden sind. Ich denke, „Carpe Diem“ ist ein gutes Album. Es ist bestimmt nicht das beste Album, aber es ist ein gutes Album. Es ist eine schöne Sache, wenn die Leute deine Scheibe kaufen. Die Pretty Maids sind anders als andere Bands, weil wir unsere Füsse in zwei verschiedene Lager gesetzt haben. Auf der einen Seite das harte Zeug, auf der anderen das melodische. Das Schlüsselwort ist die Melodie, es muss melodisch sein. Nun, die Einen mögen lieber die melodischen Sachen, diese Leute finden, dass „Carpe Diem“ ein gutes Album ist. Die Anderen mögen mehr die heavy Songs, für diejenigen ist die neue Scheibe wahrscheinlich etwas zu kommerziell, ich weiss es nicht. Aber das sind die Pretty Maids im Jahre 2000.

SMF: Ist es überhaupt möglich ein klasse Album wie „Future World“ oder „Red, Hot and Heavy zu toppen?

RONNIE: Es war damals einfach eine andere Zeit. Die Achtziger, das war etwas anderes. Ich möchte nicht versuchen eine zweite „Red, Hot and Heavy“ oder eine zweite „Future World“ aufzunehmen. Die Pretty Maids gibt es seit zwanzig Jahren, und wir sind jetzt alle in den Mid-Dreissigern. Heute
herrschen einfach andere Zeiten.

SMF: Lass uns über die Songs eurer neuen CD sprechen. „Tortured Spirit“ zum Beispiel handelt von zwei Personen in einer. Hast du eine zweite Persönlichkeit, oder wie kam es zu diesem Text?

RONNIE: (schmunzelt) Ich denke, wir alle haben eine zweite Persönlichkeit in uns...

SMF: Ach, ja?

RONNIE: Ich denke schon. Aber im Grunde genommen ist der Song reine Erfindung. Er handelt nicht von mir. Die meisten meiner Texte sind frei erfunden, andere sprechen aus dem Herzen. Ich habe Songs geschrieben, die mir sehr viel bedeuten, über meine Kinder und ähnliche Dinge. Also, die meisten Pretty Maids Songs sind Erfindung oder handeln vom alltäglichen Leben - sie sind jedenfalls nicht politisch. Ich bin kein Bob Dylan, aber ich gebe mein Bestes. (lacht)

SMF: Okay, machen wir bei „They’re all alike“ weiter. Ich zitiere aus dem Text: „Big Brother is watching, under control... beg for your vote...“ Bezieht sich dieser Text auf die Big Brother TV-Show?

RONNIE: Nein. Er bezieht sich auf die Abstimmung zur Europäischen Union. Wir mussten in Dänemark entscheiden, ob wir beitreten oder nicht, und haben abgelehnt. Im Grunde geht es um Politiker, die einfach voll sind von Scheisse. Sie versprechen dir Dinge vor der Wahl, und wenn sie dann gewählt sind, können sie sich nicht mehr daran erinnern, was sie versprochen haben.

SMF: Ihr habt so viele grossartige Songs, ihr könntet fünf Stunden spielen!

RONNIE:    (wie aus der Pistole geschossen) Aber wir tun es nicht!

SMF: Das war anzunehmen... Wie habt ihr die Songs ausgesucht, die ihr nun auf der Tour spielt?

RONNIE: Es ist tatsächlich sehr schwierig. Wir haben auf unserer Website den Fans die Möglichkeit gegeben, ihre Lieblingssongs auszusuchen. Ein grosses Problem war, dass unser Keyboarder die Pretty Maids im Dezember verlassen hat, und zwar genau vor den Tourproben. Wir mussten also den
Ersatz-Keyboarder erst in die Songs einführen. Das waren achtzehn bis zwanzig Songs, die wir unbedingt spielen wollten. Leider konnten wir so nicht ganz alle Songs proben, die wir gerne gespielt hätten. Je mehr Platten wir machen, desto schwieriger wird die Auswahl der Songs, das ist klar. Natürlich gibt es Songs, die müssen wir einfach spielen, weil die Leute diese Stücke einfach erwarten. Im Prinzip spielen wir also eine Kombination von dem, was wir spielen wollen, und was die Fans gerne
hören möchten. Wir ändern die Setlist aber jeden Abend ein wenig, das gibt uns die Möglichkeit, frisch zu bleiben.

SMF: Einige von euch haben bereits Frau und Kinder. Ist es nicht hart für euch, eure Familien zu verlassen, wenn ihr auf Tour geht?

RONNIE:    Oh, ja! Aber ich spreche jeden Tag mit meinen Kindern. Ich rufe sie jeden Abend an, um Gute Nacht zu sagen. (schaut erschrocken auf seine Uhr) Oops, ich habe heute noch nicht angerufen!! Ja, natürlich ist es hart. In den Achtzigern sind wir machmal bis zu zehn Wochen auf
Tour gewesen, aber damals hatte ich noch keine Kinder. Heute sind wir höchstens vier Wochen von zu Hause weg. Es liegt also im Rahmen, aber natürlich vermissen mich die Kids, und ich vermisse sie auch...

SMF: Wie würdest du das Leben auf Achse beschreiben?

RONNIE: Die meiste Zeit musst du warten. Es ist wirklich eine grosse fucking Warterei, und zum Schluss darfst du zwei Stunden auf der Bühne stehen. Das Schlimmste an der Sache ist, dass du anfängst zu trinken, weil dir langweilig ist. Was kann man denn im Bus schon machen!? Man kann ein Buch lesen oder sowas, aber dann denkt man, ach, ich trinke doch noch eins...Natürlich haben wir auch ne Menge Spass. Die Band und die Crew ist wie eine richtige kleine Familie, und wir haben eine gute Zeit miteinander. Wir sind jetzt etwa zwei, drei Wochen auf Tour, und es ist immer noch toll. Jedenfalls haben wir uns noch nicht umgebracht...

SMF: Heute Abend, und auch in Deutschland, werdet ihr von einer schweizer Band unterstützt: Crystal Ball. Hast du sie schon gehört und magst du sie?

RONNIE: Ich habe sie schon gehört, aber ihre Show habe ich mir noch nicht angesehen. Ich denke, sie sind okay. Sie sind beim gleichen Label, und die wollten, dass Crystal Ball mit uns auf Tour gehen. Für mich ist das in Ordung, es sind nette Jungs. Ich kriege sonst nicht so mit, was in der Szene passiert, ich höre mir auch keine neuen Bands an, geschweige denn Hardrock.

SMF: Nein...? Was hörst du dir denn an?

RONNIE:(grinst) Ich höre mir meine alten Black Sabbath Platten an... Weißt du, wenn ich heute ein Metal Magazin aufschlage, kenne ich die meisten Bands gar nicht. Ich habe da eine Menge verloren. Es gibt einfach zu viele Bands, und da gibt es eine Menge Scheisse. Ich meine, die meisten sind wirklich grossartige Musiker, aber leider fehlen ihnen gute Songs. Ich vermisse einfach gute Songs. Wo sind all die guten Songs geblieben???

SMF: Ihr feiert dieses Jahr euer 20-jähriges Jubiläum...

RONNIE: Eigentlich erst nächstes Jahr...

SMF: Oh, wirklich? Ich dachte, euch gibt es seit 1981?

RONNIE: Mmmm, 1981, 1982...

SMF: Okay, jedenfalls schon sehr lange. Wenn du auf deine Karriere zurückblickst, was war das Schönste?

RONNIE: Das Schönste? Puh, es gab so viele schöne Dinge. Die Achtziger waren toll, von ’85 bis ’90, das waren fünf sehr gute Jahre. 1992 war ein sehr schönes Jahr, „Please don’t leave me“ war ein grosser Hit in Japan und Skandinavien. ’87 war ein grossartiges Jahr, „Future World“ war ein grosser Erfolg, wir spielten am Monsters of Rock und haben mit Deep Purple getourt. Ich würde sagen, die Jahre ’87 und ’92 sind die beiden Schlüsseljahre für die Pretty Maids.

SMF: Was war das Schlimmste?

RONNIE: (überlegt lange) Ich weiss es nicht. Ich weiss es wirklich nicht. Wahrscheinlich das Jahr 1990, als wir „Jump the Gun“ veröffentlichten. Die Erwartungen an uns waren sehr gross, aber die Scheibe hatte nie den Erfolg, den wir uns erhofft hatten. „Jump the Gun“ war die grösste Enttäuschung. Ich denke aber immer noch, das es ein gutes Album ist, es kam nur zur falschen Zeit. Die Leute standen damals total auf Guns N’Roses, und wir haben versucht, eine Def Leppard Scheibe zu machen. (lacht)

SMF: Hast du jemals darüber nachgedacht, die Pretty Maids zu verlassen?

RONNIE: Ich habe in der Tat daran gedacht, nämlich nach dem „Jump the Gun“ Album. Drei Jungs verliessen die Band, und Ken Hammer und ich blieben alleine zurück. Da wollte ich tatsächlich aussteigen. Aber nach einem Monat haben Ken und ich wieder zusammen Songs geschrieben und gemerkt, dass die Magie immer noch da ist. Heute kann ich es nicht sagen. Ich sehe mich noch nicht in fünf Jahren. Vielleicht bin ich noch dabei, vielleicht auch nicht. Es wird aber definitiv ein weiteres Pretty Maids Werk geben!

SFM: Da freue ich mich schon drauf! Okay, das wars. Vielen Dank für das Interview.

RONNIE:    (reicht mir die Hand und steht eilig auf) Alright, thanks. Ich werde jetzt sofort meine
Kids anrufen...