Interview: Primal Fear
By Tinu
Nach einem sensationellen Debütalbum (1998) und der Tour als Support von Running Wild, waren die Jungs von Primal Fear schnell in aller Munde. Kontinuierlich verfeinerte das Quintett seinen Sound und gehört heute zu den angesagtesten Vertretern des traditionellen Metals. Dabei gingen Sänger Ralf Scheepers und Bassist Mat Sinner immer einen Schritt weiter und erweiterten ihre Musik mit neuen, aber dem Grundgerüst ihres Sounds angepassten, Elementen. Kürzlich erschien der Live-Doppelschlag: «Live In The USA» als CD und «All Over The World» als DVD. Für uns Helvetier hat besonders die visuelle Umsetzung des Konzertes seinen Reiz. Der Grossteil des Materials wurde im Z7 (Pratteln) aufgenommen. Mat (MS) stand Tinu zu Verfügung und entpuppte sich einmal mehr als netter und auskunftsfreudiger Interviewpartner. Dass der neben Primal Fear auch als Sinner-Mastermind tätige Musiker in vielen anderen Projekten involviert ist und seine Zeit immer brechend gefüllt ist, wurde in diesem Gespräch klar aufgezeigt. Auch, dass Mat über all die Jahre ruhiger geworden ist.

MF: Mat, wie geht’s dir?


MS: Ja, es geht...

MF: ...das klingt aber nicht danach?

MS: Wenn du so lange in Amerika unterwegs warst und hier auch noch ein paar Festivals absolviert hast, bist du ziemlich am Arsch. Dann ist der Jetleg, wenn du zurückkommst, schon heftig...

MF: ...aber Amerika hat sich gelohnt?

MS: Es war gut... (lacht). Nein, es war klasse! Logisch, wenn Primal Fear nach Amerika fliegen wird dort nicht immer alles super sein. Da gibt es auch Montagabende irgendwo am Arsch der Welt mit Konzerten, die nicht super laufen. Das gehört zum Teil einer Woche (lacht). Im Amerika spielen wir in kleineren Clubs, aber auch mittleren Hallen. Das ist abhängig von der Stadt in der wir gerade spielen. ABER! Mittlerweile ist es so, dass wir dort als Headliner touren. Das können heute auch nicht mehr alle Bands.

MF: Somit ist der Markt für euch in Amerika gut?

MS: Drüben versucht die Industrie dem Fan immer wieder zu erzählen, was er zu tun und zu lassen hat. Glücklicherweise verweigern sich die Leute immer wieder diesen Versuchen. Es gibt noch Menschen, die sich das anhören, was sie wollen. Das Problem haben wir in anderen Ländern auch. Wenn man sieht was in Deutschland oder auch der Schweiz abgeht, dann dürfte es einige Musikrichtungen gar nicht mehr geben. Der Fan ist entscheidend. Nicht das Musikmagazin (lacht). Das Phänomen, des Soundchecks in einem Magazin, kennst du ja auch. Da gibt es Presselieblinge, die räumen auf der ganzen Linie ab und verkaufen kaum Platten. Auf der anderen Seite gibt es Combos, die in diesen Bewertungen sensationellerweise immer total abkacken, aber fett verkaufen und in den Charts auftauchen. Das ist doch ein klares Zeichen, dass der Hörer selber entscheidet, was er kaufen will und was nicht.

MF: Wie wichtig sind denn für dich Chartplatzierungen?

MS: Das ist alles relativ. Das ist eine schöne Begleiterscheinung damit man sieht, dass Platten verkauft werden. Wichtig ist aber, was du auf die Dauer verkaufst und was unter dem Strich übrigbleibt. Das ist das Entscheidende. Steigst du in die Charts ein ist das klar ein Zeichen dafür, dass die Fans auf eine neue CD von dir warten. Zudem orientieren sich die Veranstalter an den Charts. Wegen den Festivals und den Gagen. Somit ist das Ganze eine Reputationsfrage.

MF: In Amerika habt ihr zusammen mit Pamela Moore (sang auch schon mit Queensrÿche) getourt. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

MS: Ralf kennt sie schon länger. Der Rest der Band traf sie zu ersten Mal, als wir zusammen mit Queensrÿche in Tschechien spielten. Pamela hat uns schon auf der letzten Tour begleitet, und schon damals war sie eine Bereicherung für unser Programm. Auf der vergangenen Amerika-Tour haben wir das Ganze auf drei Songs ausgebaut. Das bringt unserer Show einen zusätzlichen Farbtupfer. In Europa wird diese Konstellation wohl nicht zu Stande kommen. Dafür ist sie auf der DVD zu sehen (lacht). Möglich ist ja grundsätzlich alles. Es kommt immer auf die Zeit und die Zusammensetzung an. In Detroit spielten wir mit Amanda Sommerville zusammen. Metal Mike hat uns in Springfield und New York unterstützt. Wenn man Freunde wiedersieht und die jammen mit uns auf der Bühne, ist das immer eine coole Sache, die auch den Fans Spass macht.

MF: Wo und wie wurde das Material für die Live-CD («Live In The USA») und -DVD («All Over The World») zusammengestellt?

MS: Auf Tour ergibt es sich immer wieder, dass man einen Gig mitschneiden kann. Auf der letzten Amerika-Tour haben wir auf dem Progpower-Festival gespielt. Die Jungs von dort haben eh immer eine Firma am Start, die das Ganze filmt. Da der Sound dort super professionell ist, hatten wir die optimale Gelegenheit unser Konzert aufzunehmen und mitzuschneiden. Ausserdem war das Publikum saugut drauf. Die gleiche Möglichkeit hatten wir in Los Angeles. Auf der Europa-Tour haben wir drei Konzerte mitgeschnitten. Zu Hause sichteten wir das komplette Material und entschieden, was wir daraus machen.

MF: Wie kam es dann, dass die CD nur mit Material aus Amerika bestückt ist und die DVD hauptsächlich aus Pratteln und zu kleinen Teilen aus Amerika stammt?

MS: Die CD stammt zu 95 % aus den Aufnahmen von Atlanta. Wir haben da super gespielt, es waren tollen Aufnahmen, alles wunderbar. So konnten wir locker mit dem vorhandenen Material arbeiten. Die verschiedenen Konzerte haben sich interessanterweise alle sehr ähnlich angehört. Die Band hat so tight gespielt, dass man kaum Unterschiede herausgehört hat. Was optisch anders war? Die Art, wie wir in Atlanta aufgetreten sind war nicht so geil, wie in Pratteln. In dieser Phase der Tour traten wir viel, viel sicherer sowie energischer auf und trauten uns auch mehr zu. Aus diesem Grund sieht das Ganze runder aus und wir entschieden uns das Z7-Konzert zu verwenden. Die Aufnahmen stammen zu 95 % aus Pratteln. Nur «Fighting The Darkness» ist aus Amerika, weil Pamela Moore mitsingt und viele Fans das sehen wollen. Das ist eine zusätzliche Bereicherung für die DVD. Vom Acting und Spielen war der Rest in der Schweiz dermassen stimmig... Das war wirklich ein gutes Konzert und viel, viel runder als der Gig in Atlanta, da die Aufnahmen aus Amerika eine viel zu vorsichtige Truppe widerspiegelte. Wir waren noch nicht so lange auf Konzertreise und spielten darum viel zu konzentriert. In Pratteln war alles viel lockerer. Da wusste auch jeder, wie er wo rumzulatschen hatte. Persönlich habe ich das Gefühl, dass keiner der Musiker daran dachte, dass da irgendwo eine Kamera steht. Das Einzige, was man bemängeln könnte ist, dass ein bisschen zu wenig Weisslicht und somit nicht zu jeder Sekunde ein tolles Kamerabild vorhanden ist. Im Z7 war das Problem, dass wir typisches Rock’n Roll-Licht hatten und so das Ganze nicht für die Kamera, sondern für die Band ausgelegt war. Aber den Tod muss man sterben. Mir sind die Vibes und die Atmosphäre viel wichtiger, als dass jedes Bild gestochen scharf ist.

MF: Ist man bei Liveaufnahmen als Musiker nervöser, als sonst?

MS: Wie schon gesagt, bin ich der Meinung, dass wir im Z7 überhaupt nicht an die Kameras dachten. Das war alles frei Schnauze, und jeder war sich seiner Sache sicher. Es war das fünfzigste Konzert und alles lief rund. Atlanta war der fünfte oder sechste Gig, da war die Truppe noch nicht so eingegroovt und die Band konzentrierte sich zu stark darauf, dass sie beim Spielen keine Fehler macht. Das war in Pratteln überhaupt nicht der Fall, sondern alles ganz locker! Wir haben auch im Studio nichts mehr nachgebessert. Nicht einmal beim Gesang. Das war Supermaterial, das wir verwenden konnten, und nicht mal ein schiefer Ton war vorhanden. Wir haben fünf bis sechs Shows mitgeschnitten. Im Endeffekt war es wirklich so, dass alle Gigs fast die gleiche Qualität hatten. Logisch, das Gitarrensolo war mal länger oder mal kürzer oder die Ansagen waren anders. Die Songs an und für sich waren immer prima.

MF: Probt ihr vor einer Tour überhaupt noch oder ist dann das erste Konzert auch gleich die Hauptprobe?

MS: In letzter Zeit war dies so. Wir haben uns aber entschlossen, dass wir nach dem Sommer, wenn Primal Fear wieder auf Tour gehen, ein paar Songs einproben, die wir länger nicht mehr gespielt haben. So werden wir dann schon vor dem Konzertstart ein bis zwei Tage den Proberaum aufsuchen.

MF: Wird man da auch einen Song wie «Black Sun» wieder hören? Ich weiss, dass du mit diesem Album nicht so glücklich bist.

MS: Den einzigen Track, den ich mir von dieser Platte vorstellen kann ist «Armageddon», aber der Rest muss nicht unbedingt sein. Ich bin mir auch bewusst, das man mit acht Scheiben nicht immer alle Vorstellungen der Fans erfüllen kann (lacht). In Amerika gab es die abenteuerlichsten Wünsche, was die Besucher von uns hören wollten. Das war unfassbar. Irgendwann muss man als Musiker eine Entscheidung treffen und sagen, das ist ein rundes Programm, und es ist mehr oder weniger von jeder Platte was dabei. Auf der kommenden Tour werden wir sicherlich vier Lieder rausschmeissen und andere integrieren.

MF: Euer Gitarrist Magnus Karlsson war zwischenzeitlich nicht dabei und wurde von Alex Beyrodt ersetzt...

MS: ...Magnus war immer ein Mitglied von Primal Fear und Alex war sein Ersatz. Von Beginn weg war klar, dass wir alles versuchen würden Magnus in der Band zu halten. Wir sind erwachsene Menschen und wenn er und seine Frau Zwillinge bekommen und schon einen kleinen Sohn haben, dann muss man einfach sagen: «Komm, bleib mal ein Jahr lang zu Hause». Wenn Magnus das will ist das absolut in Ordnung. Es gibt genügend andere Musiker, die in solchen Fällen «on the road» gehen, die Frau und das Neugeborene allein zu Hause lassen und das Geschrei nicht um die Ohren haben wollen (lacht). Magnus war verantwortungsbewusst und wollte bei seiner Familie sein.

MF: Ist Alex für euch der Edeljoker, den man immer dann einsetzen kann, wenn einer der Gitarristen ausfällt?

MS: Nun gut, ich bin mit Alex bei Voodoo Circle involviert (...und dem Rockslave läuft schon das Wasser im Mund zusammen...) und habe ihm da viel geholfen. So hilft er dann mir, wenn ich ein personelles Problem habe. Die anderen Jungs in der Band mögen Alex, er ist ein super professioneller Gitarrist und wie ein Mitglied der Truppe. Er ist kein Aussenstehender, sondern voll integriert und macht auf der Bühne einen Wahnsinnsjob. Dies auch ausserhalb der Stage, was nicht zu vernachlässigen ist. Alex ist einfach ein Supertyp!

MF: Was passiert in nächster Zeit bei «german metal commando»?

MS: Ab Mitte September ist eine Europa-Tournee geplant. Das Ziel ist, dass Primal Fear in Ländern und Städten spielen, in denen wir noch nicht so oft aufgetreten sind, wie Polen, Tschechien, Finnland, Schweden, Dänemark, Italien, Frankreich und auch in ein paar deutschen Städten. Schnell sind dann wieder vier Wochen vorbei.

MF: Bist du in den letzten zehn Jahren durch das, was du erlebt hast im Musikbusiness ruhiger geworden oder stumpft man da sogar ein bisschen ab?

MS: Ich glaube nicht, dass man dabei abstumpft. Das sind eher Erfahrungswerte. Es ist aber ganz gut möglich, dass ich vor 15 Jahren noch bei gewissen Dingen explodiert bin und passiert heute das Gleiche wieder, dann lasse ich mir erst mal einen Kaffee `raus (lacht). Dies ist auch wesentlich, WESENTLICH gesünder für einem selbst, anstatt permanent hoch zu gehen. Das ist sehr ungesund (lacht). Aus diesem Grund macht mir das Ganze auch viel mehr Spass, die Sache zu geniessen und ruhiger anzugehen, als immer auf 120 rum zu rennen und alle verrückt zu machen.

MF: Wie schwierig ist da die Gratwanderung etwas zu erreichen, dafür zu kämpfen und trotzdem die Musik geniessen zu können? Ist das ein normaler Prozess oder muss man da in sich reingehen?

MS: Das eine hat, glaube ich, mit dem anderen nichts zu tun. Kämpfen um jeden Millimeter oder sich immer permanent zu verbessern, im Songwriting an die Grenzen zu gehen und Dinge auszuprobieren ist alles ein kreativer Wahnsinn. Den sollte man als Musiker ausleben. Die Frage geht bei mir eher in den Stressfaktor. Mache ich mir das Leben selber schwer, weil alles grau, scheisse und halb voll ist oder freut man sich über die Dinge und findet es einfach nur geil? Spiele ich am Montagabend in Amerika, am Arsch der Welt vor 200 Leuten, dann kann ich mich nicht beklagen. Weil die 200 Nasen sind die, welche uns sehen, sich total freuen und einen tollen Abend geniessen wollen. Da kann ich doch nicht mit Halbgas spielen und einen auf beleidigte Leberwurst machen! Sondern ich freue mich, dass überhaupt 200 Personen gekommen sind. So muss man das sehen und viel mehr die positiven Dinge hervorheben. Wenn wir als Band weltweit spielen können, ist das eine schöne Sache und dann kann ich mich nicht immer beklagen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass man um jeden Millimeter kämpft und versucht seinen Status zu bestätigen oder auszubauen. Du, jetzt werden wir ja fast politisch (lacht). Als Musiker muss man aber auch verschiedene Dinge am Laufen haben und kann sich nicht nur auf Eines konzentrieren. «Alter, ich mache jetzt nur Primal Fear, das ist mein Leben», das geht heute nicht mehr.

MF: Du bist ja immer wieder neben Primal Fear in anderen Projekten involviert. Sinner, Voodoo Circle, dann bei diversen Gastauftritten und auf dieser Rock-Meets-Classic-Geschichte. Was läuft im Moment alles bei dir?

MS: Mit Voodoo Circle sind wir ziemlich weit vorangeschritten für die zweite Scheibe. Sobald sie fertig ist, kommt sie bei AFM raus. Ich arbeite an einer neuen Sinner-CD, die Anfang 2011 erscheinen wird. Am neuen Kiske-Werk bin ich auch beteiligt. Das wird am 22. September 2010 erscheinen. Dann wollen wir auch endlich die Ralf Scheepers-Soloscheibe, die seit drei Jahren in der Mache ist, in Angriff nehmen. Da werden sehr persönliche Songs drauf sein. Diese Solo-Geschichte soll Ralf widerspiegeln. Er hat über all die Jahre Lieder geschrieben, die aus irgendeinem Grund bei Primal Fear nicht untergekommen sind. Nicht weil sie die Qualität nicht hatten, sondern weil sie vom Konzept her nicht passten und in eine andere Richtung gingen. Trotzdem wurden zwei Drittel der Platte neu geschrieben. Dabei hat Ralf ein paar sehr persönliche und sehr interessante Sachen verarbeitet. Da ist von einer Ballade, bei der er alle Instrumente selber spielt, bis zum beinharten Metalsong alles dabei. Sprich, ein grosser Facettenreichtum. Aber im Grundsatz eine richtige Metal-Platte. Das wird kein Kuschelrock (lacht). Dann wollen wir mit Sinner nach dem Release wieder touren. Die letzte Platte hat uns riesigen Spass gemacht. Bei «Rock Meets Classic» war ich der musikalische Leiter. Das heisst aber nicht, dass ich der Hauptinitiator bin. Ich war für die Leitung und die kreative Umsetzung verantwortlich. Welche Songs werden in Absprache mit den Sängern gespielt oder wie bringt man die Lieder zwischen Band, Chor und Orchester zusammen, so dass alles stimmig ist und funktioniert. Es wird eine Fortsetzung davon geben und dabei spielen wir im Januar 2011 vier Mal in der Schweiz. In Basel, Zürich, Genf und Sursee. Der Hauptsponsor will, dass zwei Sänger vom letzten Mal dabei sind nämlich Dan McCafferty und Lou Gramm. Die werden den ersten Teil des Programms bestreiten und die zwei anderen den zweiten Part.

MF: Mat, herzlichen Dank für das wie immer sehr interessante Interview und die Einblicke in die Zukunft.

MS: Immer wieder gerne, Martin.