Interview: Rage
By Roger W.
Rage ist eine Macht! Mit ihrem 21. Werk «21» rockten sie kürzlich das Z7 und bewiesen, dass alt nicht gleich «Lahm» sein muss. Im Gegenteil: Wie ein Jungbrunnen spucken Sänger und Bassist Peavy Wagner, Gitarrist Victor Smolski und Schlagzeuger André Hilgers kreative Ideen raus, spannen Melodiebögen und lassen auch die nötige Härte nie vermissen. Rage wagen es sogar, live Hits wie «Higher Than The Sky» und «Straight To Hell» wegzulassen, ohne dass sie gleich gelyncht werden. Bei so viel Selbstvertrauen erstaunt es umso mehr, dass sich Peavy Wagner beim Interview als äusserst höflicher und bescheidener Gesprächspartner entpuppte. Dabei wich er nicht einmal heiklen Themen wie die negativen Erlebnisse mit seinem Vater aus und hielt auch seine Meinung zum Ex-Trommler Mike Terrana nicht zurück. Aber lest selbst.

MF: Auch auf dieser Tour spielt ihr im Z7. Ist das neben der Zeche in Bochum eure zweite Heimat geworden?


Peavy: Ja, bestimmt. Ich habe gehört, dass es heute das 16. Mal ist, dass wir hier sind. Norbert hatte uns ja bereits beim 10. Mal den Schlüssel vom Haus gegeben (lacht). Wir gehören mittlerweile zum Inventar. Und ohne das Z7 wäre für uns eine Tour eine Enttäuschung. Das gilt aber wahrscheinlich für alle Bands. Es ist hier immer, als ob man nach Hause kommt. Alleine schon für das Catering lohnt sich die Fahrt. Man müsste hier also gar nicht spielen, sondern könnte auch nur zum Essen kommen (lacht).

MF: Ihr spielt jetzt mit dem 21. Album bereits zum 16. Mal hier. Wenn man da die 80er Jahre abzieht, wo es das Z7 noch nicht gab, merkt man, dass ihr pro Album mehrmals hier gespielt haben müsst?

Peavy: Ehrlich? Das kann sein. Wir haben hier noch eine Silvestershow gemacht und das Sommerfestival ein paar Mal bespielt. Ja, wir sind immer wieder gerne hier.

MF: Wie habt ihr dieses Mal die Vorbands ausgesucht?

Peavy: Das waren Vorschläge unserer Plattenfirma. Und das waren die Bands, die uns dann am genehmsten waren.

MF: Das ist ja sehr abwechslungsreich mit Prog von Communic, Pagan von Týr…

Peavy: Ich denke, dass das eine ganz interessante Mischung ist. Es ist anders, als wenn jede Band so dasselbe macht.

MF: Zum neuen Album: Ich finde, dass ihr noch härter als sonst geworden seid. Ein bewusster Schritt?

Peavy: Es war ganz klar ein bewusster Schritt. Aber ich finde nicht, dass der Unterschied zu den früheren Alben so gravierend ist. Wir haben jetzt keinen Stilwechsel gemacht. Wir haben nur noch mehr harten Metal drauf, als wir sonst hatten, und dies, weil keine orchestrierten Songs auf dem Album sind. Dadurch wirkt es insgesamt ein wenig kerniger. Wir haben uns nach dem letzten Album entschieden, dass wir die orchestrierte Musik als gesondertes Projekt unter dem Namen Lingua Mortis Orchester behandeln. Es wird ein eigenes Album geben, auf dem es nur orchestrierte Songs drauf haben wird. Und deswegen haben wir uns jetzt mit dem Rage-Album auf die harten Sachen konzentriert. Und insgesamt wirkt es dadurch jetzt wohl ein wenig härter.

MF: Wie weit seid ihr denn bereits mit diesem Orchester-Album?

Peavy: Noch gar nicht weit. Die Songideen haben wir zwar bereits, aber wir haben noch nicht geprobt, und wir haben auch die Orchestrierung noch nicht. Und wir haben auch noch nicht mit der Organisation angefangen. Schwierig an dem Album ist eigentlich nur diese ganze logistische Geschichte abzustimmen. Ich denke mal, dass wir das bis April in den trockenen Tüchern haben wollen. Dann könnte ich mir vorstellen, dass wir im Oktober ins Studio gehen könnten.

MF: Wird es da eine Art Zyklus geben. Also Rage, dann Lingua Mortis, dann Rage, dann Lingua Mortis?

Peavy: Wir werden es so aufteilen, dass wir in einem Jahr nicht zwei Dinge gleichzeitig am Laufen haben. Das würde sich auch nicht zusammen bewältigen lassen. Wenn wir mit dem einen fertig sind, kümmern wir uns ums nächste.

MF: Und mit Rage könnt ihr ja immer noch dazwischen Einzelshows spielen, weil es weniger aufwändig ist.

Peavy: Klar, Einzelshows können wir immer dazwischen spielen. Das machen wir ja auch. Es ist quasi uns täglich Brot.

MF: Wegen der Härte: Du hast diesmal zum ersten Mal Death Metal artigen Gesang ausprobiert.

Peavy: Ja, ein paar Growls sind drauf. Die habe ich diesmal ausprobiert. Das verschärft wahrscheinlich ebenfalls den Eindruck, dass das Album härter geworden ist. Aber das sind nur so ein paar Stellen, wo ich diesen Gesangsstil als Effekt einsetze. Die Songs verlangten an den Stellen einfach einen härteren Gesang. Und zufälligerweise hat Victor mich gefragt, ob ich diesen Stil auch mal singen könnte, ob ich das mal probieren wollte? Eigentlich hatte er ein paar Ideen für ein Solo-Album und wollte da ein paar Growls drauf haben. Also habe ich mir diesen Gesangsstil angeeignet und dann ist das Soloalbum gar nicht in Angriff genommen worden. Aber die Ideen, die wir da hatten, fanden wir so gut, dass wir sie jetzt bei Rage eingebunden haben.

MF: Das Solo-Album hat sich von daher schon mal gelohnt?

Peavy: Ja, denn da entstand der Plan, mal was in diese Richtung zu machen. Das hat so den Anstoss gegeben. Ich fühle mich damit sehr wohl und als Effekt finde ich das auch ganz interessant.

MF: Beim Lied «Psycho Terror» hat zum ersten Mal euer Schlagzeuger André Hilgers mitgeschrieben.

Peavy: Das ist wahr. Es ist das erste Mal, dass unser Trommler einen Song mitgeschrieben hat. Der ist zu über 80 Prozent von ihm. Von Victor stammen dieses Hauptgitarrenriff und das ganze Gitarrenarrangement, und ich habe den Text dazu gemacht. Alles Weitere ist tatsächlich von ihm. Die Melodieführungen und so.

MF: Beim letzten Mal hattet ihr mit «Hell Girl» einen Song über das Baby von André Hilgers drauf. Den Song hat er aber nicht selber geschrieben?

Peavy: Er hatte da die textliche Idee, aber den Text geschrieben habe ich.

MF: Und die Musik?

Peavy: Die Musik war ebenfalls von mir.

MF: Mit Ausnahme von zwei Songs handeln diese auf dem neuen Album von Selbstmord, Serienkillern, und Mord im Allgemeinen. Stimmt das so?

Peavy: Durch die Presseabteilung von Nuclear Blast wird es immer so dargestellt, als ob es auf dem neuen Album nur um Mord und Totschlag geht. Aber ganz so krass ist es nicht. Es sind ein paar Songs dabei, die sich um diese Thematik bewegen. Zwei handeln über Selbstmord und einen habe ich aus der Sicht eines Serienkillers geschrieben, weil mich das psychologisch interessiert. Aber es ist jetzt nicht so, dass das ganze Album einfach ein einziges Gemetzel ist.

MF: Aber das Thema interessiert dich grundsätzlich?

Peavy: Ja, es ist eines meiner Lieblingsthemen. Alles was so ein Bisschen mit Irren, mit Tod und mit den Abgründen der menschlichen Psyche zu tun hat. Das sind dann eigentlich mehr so Psychienstudien von Leuten, die in so eine Richtung driften. Es interessiert mich von der psychologischen Seite her. Es geht dabei nicht um ein stumpfes «ich will jetzt alle umbringen». Die Texte gehen da schon weiter.

MF: Ein anderes Thema ist Umweltschutz.

Peavy: Bei «Black And White» geht es um die Vernichtung der Artenvielfalt. Was ein brennendes Thema ist, welches eigentlich gar niemanden interessiert. Die meisten Menschen auf dieser Welt handeln und benehmen sich, als gebe es dieses Problem gar nicht. Aber innerhalb kurzer Zeit sterben momentan sehr viele Arten für immer aus. Es werden jeden Tag tausende von Arten vernichtet, welche uns nicht mal bekannt sind. Zum Beispiel bei der Regenwaldzerstörung. Und anscheinend ist das den Menschen egal.

MF: Du als Präparator hast da sicher einen besonders starken Bezug zum Thema?

Peavy: Ja, genau. Ich kriege das halt auch so ein Bisschen mit. Und ich sehe, wie immer mehr Tiere auf die Rote Liste kommen. Ich finde es halt irgendwie schade, dass wir unsere Umwelt oder die Schöpfung vernichten, bevor wir sie überhaupt verstanden haben. Aber eigentlich müssten wir ja verschwinden. Das ist eine unheimliche Arroganz, die wir da ablegen. Eigentlich gibt es mehr Menschen als genug. Der Mensch ist das einzige Wesen, welches sich gegen die Natur richtet und sich damit selber vernichtet. Im Grunde könnte man es so darstellen, dass die Menschheit ein Krebsgeschwür der Evolution ist. Eigentlich gehören wir ausradiert. (lacht)

MF: Das gibt es ja dieses neue Leck an einem Ölbohrturm in der Nordsee.

Peavy: Ja, aber das interessiert niemanden. Der Profit ist da immer wichtiger. Das Schlimme ist, dass die meisten Menschen gar nichts davon verstehen. Die wissen gar nicht, was passiert. Die sind nur ahnungslos.

MF: Dann hoffen wir, dass sie wenigstens deine Texte lesen.

Peavy: Die Texte können im besten Fall einen Anstoss sein, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Man muss sich da schon selbst mal damit befassen. Es reicht nicht, einfach nur die Texte zu verstehen.

MF: Ein weiterer Song (Forever Dead) handelt über die Probleme, die du mit deinem Vater hattest.

Peavy: Der Text ist im Grunde eine Psychostudie über mir selber. Er ist eine Art Eigentherapie um mit dem Thema fertig zu werden. Mein Vater hat mich in meiner Kindheit ziemlich gewalttätig behandelt, so wie es wahrscheinlich vielen Jungs in den 60er Jahren gegangen ist. Das war ja damals normal. Und die ganze Gesellschaft störte sich nicht daran. Heute würde mein Vater dafür ins Gefängnis kommen. Damals war es natürlich selbstverständlich.

MF: Du singst da "You're forever dead, but I cannot let you go". Bedeutet das, das er dich über seinen Tod hinweg immer noch terrorisiert?

Peavy: Ja, das ist ja gerade das Problem. Dass man das, was man als kleines Kind eingeprügelt kriegt, im Hirn mit den Synapsen verknüpft wird. Es ist sehr schwierig, davon loszukommen. Es gibt Reaktionen, auf gewisse Ereignisse halt, die damit verbunden sind. Diese zu verändern, dass man anders reagieren kann, das ist unheimlich schwierig. Man muss erst mal lange daran arbeiten, dass man sich der Problematik überhaupt bewusst wird. Und vor allem muss einem erst mal klar werden, wie man auf gewisse Situationen reagiert. Und was für Erinnerungen das auslöst. Das sind ja alles unbewusste Vorgänge. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Andere nehmen dazu einen Therapeuten. Ich selber verarbeite diese Erlebnisse, in dem ich Songtexte darüber schreibe.

MF: Du sparst damit Geld und verdienst auch noch etwas damit.

Peavy: Och, so sehe ich das jetzt nicht. Es geht mir da weniger ums Geld. Es geht mir um etwas anderes. Ich habe immer Texte über das geschrieben, was mir gerade eingefallen ist, was ich gerade im Kopf hatte, was mich dann beschäftigte. Ich mache mir da vorher nicht Gedanken darüber, ob das jetzt für ein Publikum interessant ist. Ich dachte, dass der Text auch Leuten hilft, die selber ähnliche Probleme haben. Insofern kann ich mir schon vorstellen, dass auch andere Personen mit dem Text was anfangen können.

MF: Kommt dazu, dass du mit Rage auch nicht dermassen viel verdienst!?

Peavy: Na ja, wir sind keine Millionäre. Aber wir können davon leben.

MF: Also ihr rockt?

Peavy: Genau, es reicht auf alle Fälle. Ich lebe jetzt seit 1987 davon. Und ich komme ganz gut durch. Wir sind ja auch nur drei Leute. Und so reicht es für uns drei allemal.

MF: Was mir beim neuen Album gefällt, ist die schöne Special Edition.

Peavy: Das ist eine Idee von Nuclear Blast. Sie sieht edel aus. Die machen sich immer sehr viele Gedanken darüber, wie die CDs hochwertiger werden können. Damit es sich auch lohnt, eine CD zu kaufen.

MF: Ich durfte sie anhand der Online-Files für Metal Factory bewerten und habe mir die CD dann trotzdem noch gekauft, was eher selten vorkommt.

Peavy: Das Gute an der Metalszene ist, dass hier viele Leute noch wirkliche Sammler sind und deshalb auch bereit sind, das Produkt zu kaufen. Anders als im Pop oder im Hip Hop. Da interessiert sich ja kein Mensch mehr für eine CD. Da wird die Musik nur noch illegal runtergeladen. Und davon können die Künstler natürlich nicht existieren.

MF: Ich war ein wenig enttäuscht von der Bonus-CD. Ich finde den Sound der Live-CD ziemlich schwach. Hattet ihr da Einfluss?

Peavy: Es handelt sich da nur um einen Mischpult-Mitschnitt. Wir haben ihn so roh gelassen wie er ist, weil er so einen rohen Charakter hat. Das fand ich toll. Ansonsten hätten wir das Konzert nochmals live einspielen müssen, womit es kein Live-Konzert mehr gewesen wäre.

MF: Stimmt.

Peavy: Das Ganze war auch nicht geplant gewesen, dass das jemals veröffentlicht werden sollte. Das war ein Mitschnitt für uns. Wir schneiden fast jedes Konzert mit.

MF: Auf der Homepage ist ein wahrscheinlich bereits alter Eintrag, der besagt, dass die Besetzung mit Mike Terrana die Beste überhaupt war.

Peavy: Joh… Also Mike Terrana ist ein toller Trommler. Und damals als er dabei war, haben wir das auch so gesehen, dass das bis dahin die beste Besetzung war. Allerdings finde ich mittlerweile, dass André ihm als Trommler in Nichts mehr nach steht, was das rein Spielerische angeht. Und vom Menschlichen her gesehen, ist es viel, viel einfacher mit André zu arbeiten. Mike Terrana ist ein schwieriger Mensch, mit dem ist es schwer auszukommen. Auf jeden Fall finde ich es jetzt mit André viel, viel angenehmer. Wir haben eine super Stimmung in der Band seit André dabei ist. Es ist alles unheimlich spannend und für mich. Es ist noch eine Steigerung, zu dem was wir mit Mike Terrana eben hatten.

MF: Für mich drängt sich André Hilgers auch viel weniger in den Vordergrund.

Peavy: Das ist es, was wir auch so sehr daran mögen. Wir sind alle nicht so die Egomanen, welche sich wie die grossen Rockstars benehmen. Wir sind ein Team. Alle gehören dazu, auch unsere Crew. Jeder macht hier seinen Part. Und so sehen wir uns und so muss sich ein Trommler, der zu so einer Band gehört, halt auch aufführen. Mike Terrana hat immer nur sein eigenes Süppchen gekocht, war sehr unkollegial und sehr egozentriert und so was passt bei uns einfach nicht rein. Solche Leute sind wir nicht.

MF: Ihr habt es aber trotzdem ziemlich lange mit ihm ausgehalten.

Peavy: Ja, sieben Jahre. Aber finde erst mal einen Ersatz für ihn. Denn von dem Kaliber gibt es ja nicht so viele Trommler.

MF: Ihr geht im Mai nach Japan und Korea und im September nach Russland. Das sind schöne Länder für Reisen!?

Peavy: Ja, wobei Russland sehr stressig werden wird. Da werden wir sehr weit in den Osten reisen. Es werden also sehr weite Ziele sein. Dazu werden wir teilweise fast zweitägige Zugreisen benötigen. Und das ist schon ein kleiner Abenteuer-Trip.

MF: Ihr fährt dann da mit der Transsibirischen Eisenbahn?

Peavy: Genau.

MF: Verbindet ihr das auch mit Ferien?

Peavy: Als Ferien würde ich etwas anderes bezeichnen. Eine Tour kannst du nicht als Ferien sehen. Da ist schon sehr viel Arbeit dabei. Die Leute sehen immer nur die 90 Minuten, in welcher wir auf der Bühne stehen, aber wie viel Arbeit darum ist, sehen sie nicht. Das ist wirklich ein 24 Stunden Job.

MF: Ich möchte es nicht machen, für mich wäre das zu viel.

Peavy: Das ist schon ein ziemlicher Aufwand. Ich finde es dann schön, wenn man zwischendurch mal weniger zu tun hat. Das ist auch wichtig. Unser Gitarrist, der Victor, ist ein Workaholic. Der lädt sich in den Pausen so viel anderes Zeug noch drauf, was mir zu viel würde. Ich brauche ein bisschen Abstand und ein bisschen Ruhe. Ich geniesse es zwischendurch, auch mal nichts zu machen.

MF: Ich habe vorher auf einem Plakat gesehen, dass ihr Anfang September nochmals in die Schweiz kommt.

Peavy: Ja, davon habe ich gehört. Wir werden auf einem Schweizer Festival auftreten. (das Open Circle Festival am 31.08 und 01.09.2012 in Spreitenbach). www.opencircle.ch

MF: Wir sind am Ende des Interviews angelangt. Hast du noch irgendwelche, wichtige Informationen an die Fans?

Peavy: Ja, dass wir nach wie vor allen dankbar sind, welche uns unterstützen. Wir freuen uns, Euch auf den Konzerten zu sehen.