Interview: Rage - Lingua Mortis Orchestra
By Roger W.
Aus dem Z7 in Pratteln immer noch viel Kraft schöpfen.



Rage wandeln in diesem Jahr erneut auf orchestralen Pfaden, wobei sie mittlerweile die Orchester-Geschichte vom Metal-Trio klar trennen – und dabei neue Standards setzen. Das im August erschienene neue Lingua Mortis Orchestra-Album erklingt für sich. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass sich das Interview mit Gitarrist Victor Smolski ausschliesslich um das neue Werk drehte. Aber lest selber und legt dazu wieder einmal die Klassiker von «XIII», «Speak Of The Dead&» und «Strings To A Web» auf.


MF: Wie war der heutige Tag für euch. Hattet ihr Stress?

Victor: Stress nicht, aber es war sehr viel zu tun. Wir haben heute geprobt, auch ein paar neue Lieder geübt und arrangiert. Es ist schon ein langer Tag. Wir haben um acht Uhr mit dem Aufbau angefangen. Es ist schon eine tierische Logistik mit so vielen Leuten. Wir haben für heute ein richtig langes Set zusammen gestellt - viel länger als wir auf dem "Masters Of Rock" und am "Wacken" gespielt haben. Es gibt viele Songs, wobei wir alte und neue mischen. Das Set ist bestimmt zwei Stunden lang, was ich aber nicht so genau weiss.

MF: Ihr spielt auf dieser Tour nicht sehr viele Konzerte.

Victor: Nein, so viele sind es nicht. Mit so einem Aufwand kann man nicht oft spielen. Weil das Projekt einfach so teuer ist, dass es kaum finanzierbar ist. Es ist einfach viel zu teuer. Normalerweise ist das kein Geschäft für uns. Wir machen das als Dank für die Fans, welche die CD gekauft haben. Ich denke auch, dass wir das Projekt einfach auch live präsentieren müssen. Wir versuchen jetzt einmal ein paar Festivals und ein paar normale Shows zu spielen. Um Weihnachten sind wir wieder auf Tour und spielen noch drei, vier Konzerte mehr. Wir möchten das auf jeden Fall live präsentieren. Aber es ist kein gutes Geschäft, weil es einfach zu teuer ist.

MF: Wieso habt ihr als einer der wenigen Konzertorte gerade das Z7 ausgewählt?

Victor: Es ist einfach sehr schön hier. Norbert ist ein alter Freund und wir fühlen uns total gut hier. Von der Crew, von der Location, von der Anlage, das klingt gut. Das ist einfach aufgrund einer langen guten Freundschaft. Es hat hier eine grosse Bühne und es macht Spass hier zu spielen. Und wir kriegen jeweils ein sehr, sehr gutes Feedback von den Fans. Wir glauben, dass es heute Spass machen wird.

MF: Ihr trennt ja mittlerweile Rage von Lingua Mortis Orchestra feat. Rage. Wollt ihr damit jeweils zeigen, ob ihr gerade mit oder ohne Orchester spielt?

Victor: Ja, das war mehr oder weniger der Wunsch der Fans. Diese waren bis im letzten Jahr ein wenig verwirrt, ob es sich nun um Rage oder ob es sich um das Orchester handelt. Und dann haben wir auch Platten wie die «Speak Of The Dead» mit der Suite Lingua Mortis produziert, welche auf der halben Platte mit und auf der anderen Hälfte ohne Orchester war. Das ist nicht so einfach, weil es sehr viele Fans gibt, welche eher auf harte Songs stehen und welche uns als Trio sehen möchten. Gleichzeitig gibt es sehr viele Fans, welche uns mit Orchester sehen möchten und diese Songs mögen. Wir haben uns deshalb gedacht, dass wir das besser trennen. Dann weiss jeder, um was es geht. Rage ist Rage. Und Lingua Mortis Orchestra ist alles, was bei uns mit Orchester zu tun hat. Diese Trennung nehmen wir auf CD und auch live vor. Und so kann jeder entscheiden, was er von Rage mehr mag oder natürlich auch beides kaufen oder besuchen.

MF: Auf Tour habt ihr nun dieses Lingua Mortis Orchester. Ist das immer dasselbe Orchester mit denselben Leuten oder wechselt das?

Victor: Lingua Mortis ist mehr oder weniger so der Name von diesem Projekt – Also Band und Orchester. In der Geschichte von Rage haben wir sehr viele verschiedene Orchester gehabt; das Prager Orchester, das London Orchester, das Weissrussische Orchester, das Deutsche Orchester aus Dortmund und jetzt haben wir ein spanisches Orchester aus Barcelona.

MF: Lingua Mortis Orchestra ist also einfach der Name der Verbindung zwischen Band und Orchester?

Victor: Das ist einfach der Name von Rage mit Orchester.

MF: Ihr schaut also einfach jeweils wer gerade Zeit dafür hat, oder wer das überhaupt umsetzen kann?

Victor: Ja, wir suchen einfach ein passendes Orchester. Es ist nicht so einfach. Wir haben früher sehr viel normale Orchester ausprobiert. Und das hat teilweise nicht so gut gepasst, weil da so alte Säcke oder Klassiker dabei im Orchester waren, die nicht unbedingt auf Heavy Metal standen und auch nicht so gerne mit spielten. Und dann war alles für sie zu laut und sie fühlten unsere Musik nicht so richtig. Also habe ich damals, als wir «Speak Of The Dead» aufgenommen haben, das Weissrussische Orchester gefunden. Das ist ein Studenten-Orchester. Und da waren alle Metalfans. Das hat mit den Leuten richtig Spass gemacht. Das kannst du zum Beispiel auf den Aufnahmen vom Wacken 2007 sehen, wo dieses Weissrussische Orchester dabei ist. Das war richtig geil. Leider bestanden überall Probleme mit dem Reisen, wegen den Visa. Die brauchen eben überall ein Visa. Also habe ich dann in Europa nach einem passenden Orchester gesucht. Und so habe ich das spanische Orchester gefunden, welches genauso wie das von Weissrussland zusammen gesetzt ist. Da sind ebenfalls junge Leute dabei und alles geht entspannt ab und ist total Rock'n'roll. Wir haben richtig Spass daran und sie spielen auch richtig gut. Die spielen richtig tight – so wie es eben sein muss.

MF: Für das neue Album habt ihr gleich mit zwei Orchestern zusammen gearbeitet. Hätte da eines auch gereicht oder decken die verschiedene Aspekte ab?

Victor: Ich habe das extra gemacht, weil ich verschiedene Klänge auf dem Album haben wollte. Also auch für das Studio und den Mix. Ich habe bereits sehr viele Orchester-Projekte aufgenommen. Nicht nur für Rage. Ich habe viele Bands wie zum Beispiel Lacrimosa, Leaves' Eyes oder Atrocity aufgenommen. Und ich habe Erfahrungen gesammelt wie ein Orchester klingt und wie man ein Orchester besser aufnehmen kann. Teilweise ist es gut, wenn man ein Orchester komplett aufnimmt, also wenn sie zusammen in einem grossen Raum spielen. Weil dann kriegt man von der Akustik einen klassischen Klang. Aber ich mochte dann gleichzeitig zu diesem klassischen Klang auch einen sehr trockenen tighten Klang für harte Riffs, weil ich dann mit kleineren Gruppen arbeiten kann. Also damit ich so erste Streicher, zweite Streicher, Celli und Ähnliches extra aufnehmen und auch Overdubs machen kann. Das alles klingt dann sehr trocken in einem Rock-Studio. Und dieser Klang passt viel besser zu harten Gitarrenriffs und Doublebass Drums. Und so habe ich mit zwei Orchestern zwei verschiedene Klangräume kreiert, was mir beim Produzieren sehr geholfen hat.

MF: Das Album ist ja auch teilweise sehr hart und dann wieder schön weich.

Victor: Ja, die Lieder sind sehr dynamisch und da habe ich einfach so verschiedene Räume gebraucht. Ein weiterer Grund war die Zeit. Weil ich parallel mit einem zweiten Orchester aufgenommen und immer wieder verschiedene Dinge ausprobiert habe. Zudem habe ich teilweise verglichen, was wo besser klingt. Das war insgesamt sehr sportlich.

MF: Ich habe euch dieses Jahr an Wacken gesehen und gemerkt, dass du auch Cello spielst. Schon lange?

Victor: Ich habe mit sechs Jahren angefangen Cello zu spielen. Ich habe eine komplette klassische Ausbildung als Cellist und Pianist. Ich habe also Klassik richtig studiert. Also Klavier und Cello. Im Studio habe ich bei Rage alle Klavier, Piano- und Cello-Parts ich selber eingespielt- und das schon immer.

MF: An Wacken hattet ihr ja auch einen Keyboarder dabei. Wie geht der im ganzen Sound auf?

Victor: Ich hatte eigentlich vor, noch zusätzlich ein paar Sachen selber auf dem Keyboard live zu spielen. Aber das ist zu viel für mich. Und da habe ich einen Keyboarder gesucht, welcher klassisch sehr gut ist und habe ihn gefunden. Er kommt auch aus Spanien und ist ein sehr guter Pianist, welcher auch Metal spielen kann. Er macht beides sehr gut.

MF: Ihr musstet ja zum Schluss einige Orchester-Teile noch einmal einspielen. Was ist passiert? Hat es nicht gepasst?

Victor: Nein. Ich habe einfach ständig experimentiert und ausprobiert. Es gibt ein paar Teile, wo ich gejammt habe. Einmal war der Part etwas länger und ich habe da verschiedene Sachen ausprobiert. Und kurz vor dem Mix habe ich ein paar Teile umgebaut, weil es so besser klang. Und dann brauchte ich noch ein paar Teile vom Orchester. Da hatte ich aber keine Zeit zum Fliegen und habe es via Skype gemacht und aus dem Studio den Leuten schnell geschickt und sie haben für mich ein paar Teile neu aufgenommen.

MF: Aber so wie es jetzt drauf ist, stimmt es für dich?

Victor: Doch jetzt stimmt es. Es ist wirklich ein Mammut-Projekt, und ich bin sehr stolz darauf. Das ist absolut das Grösste, was ich in meinem Leben je produziert habe.

MF: Ich bin gespannt, was da noch kommt, wenn du auch diese Grenzen nochmals überschreiten wirst.

Victor: Ja (lacht) - Keine Ahnung.

MF: Zum Lingua Mortis Orchestra gehören auch zwei Sängerinnen und Henning Basse (ex-Metalium). Sind diese auch längerfristig geplant oder einfach nur für dieses Album und diese Konzertreise relevant?

Victor: Nein, das sollte längerfristig sein. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, nach Leuten zu suchen. Das war lustig. Weil Dana habe ich gefunden, weil sie normalerweise Gitarrenunterricht bei mir genommen hat. Denn obwohl sie professionelle klassische Sängerin in einem Orchester ist, spielt sie auch gerne Gitarre. Und sie hat bei mir Unterricht genommen. Und da haben wir miteinander gesprochen. Wir haben das dann mal getestet und es hat gepasst. Jeanette habe ich auch nicht als Sängerin gefunden. Normalerweise spielt sie Geige und sie hat in einer anderen Besetzung auch schon mal Geige gespielt. Es war die Besetzung, mit welcher wir nach Amerika zum "70'000 Tons Of Metal" geflogen sind. Sie war da als Geigerin dabei. Und dann habe ich entdeckt, dass sie singt. Das hat mir auch gefallen und so habe ich dann mit den Aufnahmen angefangen. Henning kenne ich schon lange und...

MF: ...das passte einfach.

Victor: Ja! Ich möchte einfach so viele verschiedene Stimm-Farben haben. Und das waren genau die richtigen.

MF: Die Geschichte des Albums hat ja vor allem Peavy geschrieben. Es geht um die Hexenverfolgung im Mittelalter. Ist das auch etwas, was dich beschäftigt?

Victor: Er hat die Texte zu einer Geschichte geschrieben, welche es bereits gibt. Er hat sich da nichts Neues ausgedacht. Er hat auf diese Geschichte einfach Musik drauf gelegt. Es ist eine echte Geschichte, die wirklich passiert ist. Nicht weit von Frankfurt entfernt in einer kleinen Stadt. Im 16. Jahrhundert haben die dort immer noch Blödsinn gemacht. (lacht)

MF: Wir hatten das in der Schweiz auch.

Victor: Ich glaube, das war überall in der Welt. Mich hat es gewundert, dass das noch so spät passiert ist. Also im 16. Jahrhundert. Normalerweise war das dann bereits vorbei. Aber dass sie Leute so spät immer noch verrückt waren – unglaublich!

MF: Entstanden dann die Texte und das Orchester parallel?

Victor: Nein, nein. Wir machen immer die Musik zuerst und dann die Texte. Aber diese Geschichte hatten wir bereits vorher gefunden. Beim Komponieren habe ich bereits gewusst, um was es geht. Also habe ich bereits Bilder gehabt. Im Prinzip haben wir diese Geschichte weiter entwickelt aus meiner Geschichte auf meinem Soloalbum im Jahre 2000. Das heisst «The Heretic». Und das war im Prinzip bereits diese Geschichte, wo wir aus weltweiten Archiven diese Ketzerei so heraus gelöst haben. Peavy fand das damals toll, hat darauf weiter recherchiert, gesucht und dann diese Geschichte gefunden.

MF: Die Ballade dazu ist ja bereits ein wenig musicalmässig.

Victor: Das war auch mein Gedanke beim Komponieren dieses Liedes. Ich mochte da ein bisschen eine Heavy Metal Oper machen. So richtig in Richtung Theater und so. Und vielleicht klappt das auch mal, das Werk in einem Theater zu präsentieren. Ich bin zurzeit mit zwei Theatern im Gespräch. Die interessieren sich, daraus eine richtige Metaloper auf einer Theaterbühne zu machen.

MF: Toll, mit Schauspielern und...

Victor: ...ja ja. Ich hoffe, dass wird klappen, aber...

MF: Also mit einer Hexe die brennt...

Unser Roger W. (links) mit Victor Smolski >>>

Victor: ...ja ja. Wir haben gerade darüber gesprochen, welche wir heute verbrennen wollen, aber noch keine gefunden.

MF: Ihr habt auf dem Album noch zwei Bonustracks. Wie habt ihr diese ausgesucht? Na ja, «Straight To Hell» ist euer Hit. Also vielleicht der Rage-Song überhaupt.

Victor: Genau. Das ist der grösste Hit von uns. Bei «One More Time» ist es so, dass das Lied von Anfang an als Orchestersong gedacht war. Das ist so der erste Song, den ich jemals mit Peavy zusammen komponiert habe. Der ist also entscheidend für unsere Geschichte, da er der erste Song ist, den wir jemals miteinander gemacht haben. Der war von Anfang an als Orchester-Songs gedacht. Wir haben aber zurzeit von «Welcome To Hell» kein Orchester gehabt und deshalb habe ich da alles mit Keyboards gemacht. Aber das ganze Arrangement war schon fertig von damals. Also haben wir uns gedacht, dass wir den jetzt einfach mal aufnehmen.

MF: Das ist wie eine Art Rückblick, der hier drauf Sinn macht?

Victor: Genau. Ich habe gedacht, dass es sowieso cool ist, so ein paar Bonustracks zu machen. Also habe ich mir für die nächste Platte gedacht, dass ich irgendwelche Orchester-Arrangements von «Perfect Man», «Trapped» oder sowas aufnehme - vielleicht auch mit etwas von «Missing Link». Also ein paar alte Songs mit Orchester, so als Bonus.

MF: Da wird es also künftig noch mehr geben?

Victor: Ja, für das nächste Lingua Mortis Album.

MF: Das heisst ihr werden diese Trennung von Metal- und Orchester-Alben weiterführen.

Victor: Ja, wir werden beide weiterführen.

MF: Aber werdet ihr das trennen auf den Alben?

Victor: Ja, wir werden das trennen. Auf jeden Fall. Das ist so einfacher zu produzieren für mich. Auch für den Sound. Weil der Sound vom Album «21» ist zum Beispiel sehr hart. Die Orchester brauchen aber mehr Platz, mehr Dynamik. Da kann man nicht so 0 dB laut voll auf die Fresse machen. Das ist ein anderer Klang. Und das so zusammen auf ein Album zu mischen, ist für mich sehr schwierig. Es zu trennen ist auf jeden Fall viel einfacher.

MF: Was wir denn als nächstes kommen. Das zweite LMO- oder das 22. Rage-Album?

Victor: Da kommt etwas ganz anderes. Im nächsten Jahr feiern wir 30 Jahre Rage. Und dann machen wir irgendwas Spezielles. Wahrscheinlich eine Art «Best Of» mit irgendwelchen raren Aufnahmen im Form von Studio-Demos. Also irgendwas Lustiges wird da noch kommen. Wahrscheinlich ein Special-Release zur 30-jährigen Geschichte.

MF: Wir sind durch. Hast du noch irgendwelche Grussworte an deine Fans?

Victor: Ich bin sehr froh, dass das klappt hier zu spielen. Weil wenn wir an Pratteln denken, haben wir immer nur gute Erinnerungen. Es ist immer einer der Höhepunkte auf den Tournee. Wir freuen uns tierisch auf das Konzert. Wir haben immer so eine Unterstützung hier vom Publikum gekriegt, das hier her kommt. Es kommen ja auch sehr viele Deutsche und Franzosen. Da kommen wirklich viele Fans. Und es ist immer ein geiles "Meet And Greet". Und es macht immer Spass. Danke für so viele Jahre der Unterstützung. Weil diese Energie, die wir hier kriegen, brauchen wir für solche wahnsinnigen Projekte wie LMO!