Interview: Shinedown
By Kissi
So ziemlich jede Band hegt den Traum, irgendwann mal weltberühmt zu sein. Für europäische Kapellen ist dies meist gleichbedeutet damit, den grössten Musikmarkt der Welt zu erobern: die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch was macht man, wenn man aus den USA kommt und dort schon mit massig Erfolg und Ruhm überhäuft wurde? Richtig, man schifft über auf den alten Kontinent, um auch noch die Wiege der westlichen Zivilisation von sich zu überzeugen. Genau diesen Teil der Karriere begehen dieser Tage Shinedown, die mit «Leave A Whisper» (2003) und insbesondere «Us And Them» (2005) die Staaten wie im Sturm eroberten, ausverkaufte Touren quer durchs Land absolvierten und dabei unter anderem auch für Van Halen zu eröffnen die Ehre bekamen. In Europa indes blieb die Band all die Jahre ein Insider-Tipp für all jene, die auf massentaugliche, dabei aber nie langweilige Rockmusik irgendwo zwischen Soundgarden, Godsmack und Drowning Pool mit einem Retro-Touch stehen. Mit dem dritten Streich «Sound Of Madness» und der ausgedehnten Tour als Support von Disturbed soll sich dies nun endgültig ändern. Nicht nur darüber quatschte Metalfactory mit Drummer, Gründer und wohl auch Wortführer Berry Kerch (BK), Klampfer Zach Myers (ZM) und Eric Bass (EB), dessen Name seine Bandstellung schon verrät. Lest also, was Shinedown zu sagen haben über ihre Vorbilder, das spannende an Balladen und Wrestling.

MF: Erste Frage natürlich: Wie fühlt ihr euch auf eurer ersten Europa-Tournee?

Alle gleichzeitig: Wunderbar! Fantastisch! Super!

BK: Es ist einfach super! Für unsre erste Tour sind wir echt positiv überrascht. Die Leute sind jeden Abend super drauf und gehen voll ab. Dazu all die geschichtsträchtigen Plätze zu sehen und die vielen verschiedenen Menschen, es ist einfach wunderbar. Daneben können wir jetzt sogar auf Deutsch Bier bestellen, hahaha... Wir können uns nicht beklagen!

MF: Ihr seid das erste Mal in der Schweiz. Was habt ihr vorher von unserem Land so alles gekannt?

BK: Schweizer Sackmesser, Uhren, Schokolade, Banken, die Genfer Konvention... und eine starke Armee aber neutral!

EB: Ausser den Bergen kann ich da nichts mehr hinzufügen...

MF: Ist Europa so, wie ihr es euch vorgestellt habt? Ihr seid ja erst für zwei Festivalkonzerte in Deutschland rübergekommen.

BK: Ja und nein! Vieles ist schöner und beeindruckender als ich es mir vorgestellt habe. Andererseits kommst du aber an Orte, von denen du vielleicht schon gehört oder wunderschöne Photos gesehen hast, da erwartest du all diese Dinge und siehst absolut nichts davon, wie in Schottland etwa. Ich meine, das ist auch schwierig, denn meistens siehst du ja nur einen winzig kleinen Teil rund um die Konzerthalle herum. Ich hab ja auch hier nur einige Häuserblocks bewandern können und das ist sicher nicht präsentativ für Zürich, geschweige denn für die Schweiz. Zum Beispiel spielten wir in Schottland in der Stadt, in welcher der Erfinder von Sherlock Holmes aufgewachsen ist (gemeint ist Schottlands Hauptstadt Edinburgh, in welcher Sir Arthur Conan Doyle geboren wurde – Anm.d.Verf.): Man stellt sich also alte Backsteinhäuser und all das vor, landet aber in einem grauen Industriequartier, welches genauso gut irgendwo in den Staaten stehen könnte. Das enttäuscht dann ein wenig.

MF: Gibt es Unterschiede zwischen amerikanischem und europäischem Publikum?

BK: Natürlich ist da zuerst eine Sprachbarriere, die zwar, da heute alle Englisch lernen, nicht allzu gross ist. Daneben lernt man uns in Europa erst kennen, was heisst, dass die Songs halt nicht so inbrünstig und sicher mitgesungen werden wie in den Staaten. Das ist aber gerade das Spannende: es ist eine Eroberung. In Amerika spielen wir vor Leuten, die seit Jahren unsere Fans sind, alle Texte kennen und einzig wegen uns auftauchen. Hier kennt man uns noch nicht und wartet eigentlich auf Disturbed. Wir können bei diesen Konzerten nicht davon ausgehen, dass wie wild gehüpft und mitgemacht wird und haben noch stärker als sonst das Gefühl, einfach alles geben zu müssen, um die Leute überzeugen zu können. Jedoch ist diese Aufgabe in Europa tun zu müssen sicherlich dankbarer, als wenn wir in den Staaten jetzt das gleiche erfüllen müssten. In den USA, auch wenn sie deine Musik gut finden, geht keiner ab, wenn er dich als Band nicht kennt. Hier ist es so, dass man dich zuerst vielleicht skeptisch betrachtet, aber wenn Musik und Show gut sind, dann wird sofort mitgemacht. So haben wir es jedenfalls erlebt.

EB: Das Publikum hört in Europa besser zu und geht leichter auf die Musik ein. In den Staaten hört sich das Publikum die ersten paar Minuten einer unbekannten Band an und entscheidet dann gleich unumstösslich. Hier bei euch bekommt man als Band eine grosse Chance und man hört sich das ganze Konzert an und urteilt erst danach, das find ich klasse. Das ist echtes Zuhören für mich.

MF: In Windeseile seit ihr in den USA berühmt geworden, während man in Europa noch praktisch nichts von euch gehört habt. Worin seht ihr die Gründe, gerade wenn man bedenkt, dass Europa amerikanische Trends eigentlich meistens aufnimmt?

BK: Ich denke, der grösste Fehler liegt in der Promotion. «Sound Of Madness» ist eigentlich die erste Scheibe von uns, die flächendeckend in Europa zu haben ist. Da ging irgendetwas schief. Da wir also keine Scheibe raus hatten, war es auch praktisch unmöglich, hier auf Tour zu gehen. Es war eigentlich immer unser Traum, nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt erfolgreich zu werden. So ist das doch in jeder Band. Die Labelpolitik und -bürokratie hat das aber nie möglich gemacht bis jetzt.

MF: Auf Wikipedia wird euer Sound als «Post-Grunge» bezeichnet. Was haltet ihr von dieser Ettiketierung?

ZM: Kann das bitte mal jemand ändern? Oh ja! Das kann ja jeder ändern. Also wenn du nach dem Interview gerade nichts los hast, dann könntest du das doch machen? Wäre echt nett!  Wir sehen uns sicher nicht als «Post-Grunge»! Ich denke, das kommt daher, dass unser Sänger Brent Smith vor allem auf der ersten Scheibe noch ziemlich nach Chris Cornell klang. Deshalb hat man uns wohl in diese Schublade gesteckt...

EB: Wir machen einfach nur Rock'n'Roll, alle anderen Subgenres sind doch überflüssig.

MF: Könnt ihr euer drittes Album «Sound Of Madness» so kurz wie möglich beschreiben?

BK: The «Sound Of Madness»! (Allgemeines Gelächter...) Nein... Kurz gesagt ist es eine grosse Rockplatte mit fettem Sound und voller Emotionen.

MF: Dafür sind nicht zuletzt die Balladen verantwortlich, die bei euch doch einen grossen Teil der Songs ausmachen. Wenn ihr euch zwischen Balladen und harten Tracks entscheiden müsstet, was würdet ihr wählen?

EB: Ich würde mich wohl für die Balladen entscheiden. Ich war schon immer der Softie in der Band. Ich mag beides und liebe es auch, die rockigen Tracks live zu spielen. Die Balladen aber sind spannender, schwieriger und eben auch emotionaler, tiefgründiger. Das ganze würde live dann aber verdammt langweilig werden, hahaha... Ein Konzert nur aus Balladen funktioniert nicht, denke ich...

BK: Ich glaube, ich muss mich Eric anschliessen. Klar liebst du es als Drummer, richtig Krach machen zu können und voll rein zu hauen. Spannender sind aber auch für mich die ruhigen Songs, da sie viel schwieriger sind und ich mich stärker konzentrieren muss, gleichzeitig aber mehr Möglichkeiten habe. Eine Ballade zu drummen, ohne das sie langweilig wird, das ist schwierig. Und ich glaube, dass ich nicht schlecht darin bin, hahaha...

ZM: Ich würde auch für die ruhigen Tracks stimmen. Unsere emotionalen Stücke sind dabei ja aber nicht klassisch simple Schmusesongs, sondern beinhalten Tempo- und Rhythmuswechsel und sind dadurch ziemlich vielschichtig. Und bezieht man noch die textliche Ebene mit ein, so sind die balladesken Stücke meine Lieblingssongs, da sie eben tiefer gehen.

EB: Also ich denke ja nicht, das unsere Balladen besser sind als unsere härteren Tracks. Ich würde sie nur lieber spielen, wenn ich mich entscheiden müsste. Dabei sind sie, wie Zach richtig gesagt hat, ja nicht einfach simple Songs, sondern sehr abwechslunsgreich und meistens auch ziemlich melancholisch und auch heavy.

MF: Auf eurer Homepage schreibt ihr, dass ihr für «Sound Of Madness» über 60 Songideen zusammengetragen habt, bevor ihr ins Studio gingt. Wie wählt man bei so viel Material aus, was auf die Scheibe kommt und was nicht?

BK: 60 Songideen heisst nicht 60 gute Songideen, hahaha! Sie haben sich eigentlich von selber dezimiert. Man merkt schnell, welche Songs die besten sind, auch wenn man deren Entwicklung anschaut. Dann hast du 20 bis 25 Songs und von denen wählst du die aus, die am besten zusammenpassen und ein rundes Album abgeben. Den Rest, der ja auch gut ist, verwendest du dann für B-Sides, Bonustracks oder irgendwelche «I-Tunes only»-Veröffentlichungen. Sie passen einfach nicht auf die Scheibe.

MF: In wiefern unterscheidet sich Shinedown von all den anderen Ami-Rockbands wie Staind oder Drowning Pool? Was ist das Spezielle an Shinedown?

BK: Das Spezielle – und ich will hier jetzt nicht gegen eine dieser Bands wettern, denn sie sind alle Freunde von uns – ist die Ehrlichkeit in Brents Lyrics. Es ist die Ehrlichkeit von Shinedown. Wir singen nicht über irgendwelche Märchen oder erfundene Sachen, sondern über uns und unsere Erfahrungen, über die Stories, die wir selber erlebt haben. Ich denke, genau das fühlen die Fans.

ZM: Ich denke, es ist auch genau das, worüber wir gerade eben gesprochen haben. Diese Mischung aus straight groovenden, harten Tracks und den schwermütigen, ehrlichen Balladen. Da sind wir zwar nicht die einzigen, aber ich glaube, dass wir es auf eine Art hinkriegen, dass beides immer zu 100% nach Shinedown klingt.

MF: Ebenfalls gelesen habe ich, dass einige eurer Tracks für Wrestling-Shows oder von einzelnen Wrestlern verwendet werden. Sind Shinedown eine Wrestling liebende Band?

BK: Ich würde von mir nicht behaupten, dass ich Wrestling liebe, dass trifft eher auf Zach zu, aber ich find es gut. Die ganze Szene war verdammt gut zu uns und hat uns supportet. Wir stammen ja alle aus dem Süden und das ist sozusagen die Hochburg dieses Sports. Wir sind damit aufgewachsen, waren Teenager, als die grosse Zeit von Hulk Hogan und all den Helden war, da konnte man Wrestling gar nicht ignorieren. Wenn du aus dem Süden kommst, dann schaust du Wrestling und du schaust Football!

ZM: Meine Grossmutter schaute Wrestling bis ans Ende ihres Lebens und sie wurde 99. Man wächst damit auf und es wurde zu einem Teil der Kultur, was für euch Europäer vielleicht ein wenig unverständlich ist.

MF: Wenn man sich euer Material anhört, dann ist es schwer, sich eure musikalischen Vorlieben und Einflüsse vorzustellen. Welches sind eure Top-3 Rockbands?

BK: Oh, da werden wir dir total verschiedene Antworten geben. Meine drei sind Led Zeppelin, Iron Maiden... Prince und Nine Inch Nails, ich muss vier nennen!

EB: Muse, Stone Temple Pilots & Rage Against The Machine.

ZM: U2, Thin Lizzy und Led Zeppelin.

EB: Oh Mann! Ihr habt beide so coole Antworten, all die alten Bands, meine stammen alle aus den 90ern.

ZM: Komm schon! Ich hab zwei aus Irland, dass ist nicht wirklich cool! Aber für mich sind U2 und Thin Lizzy einfach zwei Bands, denen keine Ami-Truppe je das Wasser reichen kann.

MF: In der Vergangenheit habt ihr Van Halen supportet. Wie war das so?

BK: Unglaublich! Es sind alles wunderbare Typen! Sie mögen sich gegenseitig hassen, aber einzeln sind sie alle fantastisch. Wir haben unzählige Tequilas mit Sammy (Hagar, immer mal wieder Sänger der Band – Anm.d.Verf.) gekippt und noch mehr Weinflaschen mit Eddie (Van Halen, Gitarrist – Anm.d.Verf.) geleert. Es war wirklich cool!

MF: Jede junge Band hat den Traum, Alben zu veröffentlichen und auf Tournee rund um die Welt zu gehen so wie ihr es könnt. Warum ist gerade euch das gelungen?

BK: Viel Arbeiten und viel, viel Glück. Vor allem musst du einfach alles geben. Immer dann, wenn du denkst, jetzt seist du gut genug, dann schreib einen besseren Song. Es geht nur darum, gute Songs zu schreiben und sie dann auch noch gut spielen zu können.

EB: Wenn du Songs schreiben kannst, die die Leute hören wollen, dann bekommst du auch Aufmerksamkeit. Natürlich musst du ein wenig Glück haben, aber in erster Linie muss das Material da sein. Ohne das bringt dir auch Glück nichts. Es ist harte Arbeit. Natürlich ist es Spass und alles, wovon du geträumt hast, aber manchmal ist es auch anstrengend. Gerade auf dieser Tour merken wir wieder, wie hart man arbeiten muss, um die Leute da draussen von sich und seiner Musik überzeugen zu können. Wenn wir es dann schaffen, dann ist das Gefühl der Befriedigung, das Gefühl, etwas geschafft zu haben, umso stärker.

MF: Was sind eure Pläne für die nähere Zukunft?

BK: Touren, Touren, Touren! Wir machen um Weihnachten eine kleine Pause, kommen danach aber schon wieder zurück nach Europa um eine Headliner-Tour zu spielen. Wir werden auch wieder zurück nach Zürich kommen! (am 09.01.09 ins Abart – Anm.d.Verf.) Danach geht es wieder zurück in die Staaten, um da zuerst Headliner-, dann bei einer grösseren Band Support zu sein. Dann kommen Festivals, hoffentlich auch in Europa, dann der Rest der Welt, also Australien und Asien, dann wieder US-Tour, vielleicht wieder zurück nach Europa... du siehst, wir hören nicht mehr auf zu Touren!

MF: Dann kommen wir schon zur letzten Frage, die ich jeder Band stelle: Wo werdet ihr und/oder Shinedown in 10 Jahren stehen?

BK: Wahrscheinlich irgendwo mit einer Gehhilfe...

EB: Nein, hoffentlich bestehen wir den Test der Zeit...

BK: Wir wollen eine Band sein wie U2, Led Zeppelin, Aerosmith oder die Rolling Stones, die nach Jahrzehnten noch touren. Gut, Led Zeppelin touren jetzt leider doch nicht mehr, aber sie haben auf jeden Fall Musikgeschichte geschrieben und werden in den Geschichtsbüchern des Rock'n'Roll verewigt bleiben.

ZM: Ich will nie überholt oder veraltet sein. Ich hoffe, wir machen noch Jahrzehte lang Musik zusammen. Wichtig ist dabei aber, dass man aktuell bleibt und nicht zu einem Schatten seiner selbst wird. Ich meine damit nicht, dass man Trends folgen soll, im Gegenteil. Das Ziel von uns ist es, zeitlose Musik zu machen und uns zu entwickeln, uns keine Grenzen zu setzen.

MF: Danke für das Interview!

BK: Wir müssen dir danken... All ihr Schweizer Rocker da draussen, zieht euch Shinedown rein!