Interview: Treat
By Tinu
Schweden ist bekannt dafür, dass das Land immer wieder erfolgreiche und talentierte Melodic-Rock-Bands ans Tageslicht bringt. Neben Europe, die mit ihrem Hit «The Final Countdown» zu Weltruhm gelangten, waren es Treat, die mit «World Of Promises» einen ebensolchen starken Titel in den eigenen Reihen hatten, aber leider nicht den gleichen Erfolg verbuchen konnten.

Auch wenn das Keyboard ein fester Bestandteil des Bandsounds von Treat war, dominierte der Sechssaiter mehr, als bei ihren Landsmännern um Joey Tempest. Treat erlitten anfangs der neunziger Jahre das gleiche Schicksal wie viele andere Combos auch. Die Grunge-Welle trieb die Schweden an den Rand des Wahnsinns. Zuerst warf Sänger Robert Ernlund das Handtuch. Die entstandene Lücke versuchte Gitarrist Anders Wikström mit Mats Leven zu stopfen, der von Swedish Erotica kam und später bei Yngwie Malmsteen, Dogface, At Vance und Therion in Erscheinung trat. Mit dem trotzigen und erdigen, schlicht betitelten «Treat»-Album veröffentlichte das Quintett sicherlich eine tolle CD, das aber damals im Grunge-Wahn sang- und klanglos unterging. Fazit: Treat gaben auf. Allerdings fanden sich die Originalmitglieder Robert plus Anders, sowie die beim Split an Bord gewesenen Patrick Appelgren (Keyboard, Gitarre) und Jamie Borger (Schlagzeug) und Neuzugang Nalle Pahlsson (Bass) zusammen um 2006 einen Neuanfang zu wagen. Zuerst mit einer «Best Of»-Scheibe und ein paar Shows, die in diesem Jahr im fantastischen Comeback-Werk «Coup De Grace» und einer Tour zusammen mit ihren Landsgenossen The Poodles gipfelte.

Treat haben in all den Jahren nichts von ihrem packenden Flair verloren und alleine die neuen Tracks beweisen, dass die Jungs nichts von ihrem musikalischen Können verlernt haben. Aus diesem Grund musste ein Interview her. Zusammen mit Robert Ernlund (RE) und Anders Wikström (AW) sass ich in einem gemütlichen Container und lernte die beiden Musiker kennen. Mucker, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, das Business gelernt haben zu verstehen und ganz einfach auch heute noch Freude haben an ihren Songs und den Auftritten. Thematisch starteten wir beim neuen Album, flogen über die Karriere der Truppe und landeten via ihrem wohl wichtigsten Auftritt ihn der Karriere, bei der Zukunft. Doch lest selbst, was die Beiden zu erzählen hatten.

MF: «Coup De Grace» klingt, als hätten sich Treat nie aufgelöst. War es für euch so einfach die neuen Lieder zu schreiben?

RE: Nein, nicht wirklich (lacht). Treat lösten sich vor so vielen Jahren auf und als wir die Band 2006 wiederbelebten, bestand noch kein Plan ein neues Album zu veröffentlichen. Aber, als der Zeitpunkt passte schrieben wir wirklich gutes Material. Es fühlte sich genau nach dem an, was wir auch veröffentlichen wollten. Mit dem Endresultat sind wir sehr, sehr glücklich.

MF: Warum hast du Robert keine Songs geschrieben?

RE: Ganz einfach, weil ich keine Zeit dafür hatte, da ich als Soundengeneer arbeite. Anders hat über all die Jahre neue Stücke geschrieben. Dabei hat er mir immer wieder seine neuen Ideen vorgespielt.

AW: Es ist ganz wichtig, dass sich eine Treat-Scheibe nach einem Treat-Album anhört. Mit Robert als Sänger! Das sind die wichtigsten Eckpfeiler. Meine Ideen werden nicht nur für Treat, sondern auch für einige andere Truppen verwendet. Bei all den Demos, die wir kreierten, war es wichtig, dass die Stimme von Robert dazu passt. Genau das macht den Sound von Treat aus. Aus diesem Grund spielt es überhaupt keine Rolle wer die neuen Stücke schreibt. Ob nun alle von mir sind oder nicht. Hier geht es nicht um Prestige und Ansehen, sondern um den Song an und für sich, der einfach gut klingen muss. Stammt die Idee dazu von Patrick (Appelgren) ist das doch wunderbar.

MF: Welche Erwartungen hattet ihr an das neue Album?

AW: Das bestmöglichste Werk zu veröffentlichen. Sonst hatte ich überhaupt keine Erwartungen. In diesen Tagen kannst du auch keine anderen haben. Heute überlege ich mir nur, ob ich in zehn Jahren mit diesen Songs noch gut leben kann? Verkäufe? Das kümmert mich nicht! Das kannst du nicht beeinflussen und wirst sie auch nie genau kennen.

MF: Was steckt hinter dem Cover mit den Uniformen?

AW: Gut (lacht)... Wir wollten mit dem Frontbild etwas Unerwartetes gestalten. Das war die Grundidee. Eine Band zeigen, die seit langer Zeit in diesem musikalischen Schlachtfeld mitkämpfte und nach all den Jahren noch immer am Leben ist. Hey, das sollte purer Spass sein. Es ist ein wirklich gutes Cover geworden, zu dem wir keine grossen Hintergedanken hegen, sondern ganz einfach darstellen wollen, dass wir noch immer gute Freunde sind und uns gegenseitig unterstützen.

MF: Ist denn das Leben eines Musikers eine einsame Schlacht?

RE: Nein, das ist es nicht! Im Musikbusiness, sei es nun in Schweden oder anderswo... Wenn du all die Musiker aus der Vergangenheit heute wieder bei einem Festival oder sonst wo siehst, merkst du erst, was wir für eine grosse Familie sind.

AW: Mir laufen noch immer die gleichen Leute wie früher über den Weg...

RE: ...und wenn ich nach einem Konzert die Fans treffe und sie mir sagen, dass ihnen das Konzert gefallen hat, so ist das ein grossartiges Gefühl. Oder, wenn man bei einer Autogrammstunde noch immer so viele Leute trifft, die deine Unterschrift wollen. Das ist unglaublich! Als wir mit der Reunion starteten war es erstaunlich wie die Fans noch immer Gefallen an unseren alten Liedern fanden. Du kannst gehen wohin du willst. Belgien, Deutschland, Schweden oder auch in der Schweiz, dreh das Mikrofon ins Publikum und sie singen den Text mit. Das ist einmalig und erstaunlich.

AW: Ich habe während meiner Karriere mit so vielen Pop-Künstlern zusammengearbeitet, die für eine sehr kurze Zeit richtig gross waren. Kurz darauf hat man von ihnen nichts mehr gehört.

MF: Wie klassifiziert ihr heute «Scratch And Bite», «The Pleasure Principle», «Dreamhunter» und «Organized Crime»?

AW: Oh, das ist eine gute Frage (lacht).

RE: Es ist so lange her, dass wir für unser Debütalbum die Songs schrieben. «Scratch And Bite» ist nach wie vor ein sehr gutes Werk. Was darauf folgte war eine Tour. Wir reisten viel umher und genossen die Zeit. Als es an der Zeit war für das zweite Album ins Studio zu gehen hatten wir viel zu wenig Lieder in der Hinterhand. Aus diesem Grund ist «The Pleasure Principle» ein gutes Album, das aber nicht zu 100 % unsere Erwartungen erfüllt.

AW: Trotzdem ist es für einige Leute unsere beste Scheibe. Keine Ahnung wieso!

RE: Als wir mit dem Schreiben der Tracks für «Dreamhunter» starteten war für uns klar, dass wir keine halben Sachen mehr veröffentlichen wollten. Wir nahmen uns die Zeit zum Schreiben, die wir benötigten. Vielleicht kann man uns vorwerfen, dass wir das Ganze etwas überproduzierten, aber wir befanden uns gerade in der Zeit, als Def Leppard mit ihren wuchtigen Sounds erfolgreich waren. Ausserdem produzierten wir unser Album im gleichen Studio wie die Engländer. Das war fantastisch und unglaublich...

AW: ...der Geist von Def Leppard war an allen Ecken und Enden zu spüren. Trotz allem war «Dreamhunter» für uns etwas Aussergewöhnliches. Def Leppard beendeten dort «Hysteria», welches ein fantastisches Album ist. Im Studio nahmen wir dankend ihre Tipps entgegen.

RE: Bei «Organized Crime» kamen wir wieder zu unseren Basics zurück. Eine Gitarre, eine Stimme, keine Overdubs, nichts. Darum ist diese Scheibe in meinen Augen so fantastisch geworden.

AW: Mit diesem Album überlebten die fröhlichen Einflüsse der Truppe. Diese CD ist ein solideres Werk als «Dreamhunter», wenn wir mal «World Of Promises» ausklammern. «Organized Crime» hat so viele tolle Stücke. Okay, wenn wir die Fans fragen, welches ihr Lieblingsalbum ist, lautet die Antwort meistens «Dreamhunter». Klar, wir hatten mit «World Of Promises» einen Hit drauf. Aber in all den Jahren lernten wir, wie man eine Scheibe entstehen lassen muss. Bei «Dreamhunter» arbeiteten wir zum ersten Mal mit Computern im Studio. Das war so spannend mit all diesen Programmen und Möglichkeiten zu hantieren und zu experimentieren. Heute arbeiten alle so. Damals war dieser Punkt neu und frisch. Mit unseren neuen Songs, die es zu produzieren galt, ergab dies eine interessante Verbindung.

MF: Nach «Organized Crime» habt ihr euch von Robert getrennt. Was waren die Gründe dafür?

AW: Wir kamen an einen Punkt... Als wir 1999 von unserer Japan-Tour zurückkehrten, befanden wir uns an einer Kreuzung. Wir fühlten, dass etwas passierte, das wir selber nicht steuern konnten. Etwas spielte sich im Musikbusiness ab, und es stellte sich die Frage ob wir uns dem anschliessen oder es ablehnen wollten. Im Grunde genommen führten wir kein reiches Leben. Es war ein Rock’n Roll-Leben, aber kein reiches! Eines, das wir seit 1983 zusammen führten. Ich glaube, Robert hat damals eine sehr gute Entscheidung getroffen, da er in (s)ein normales Leben zurückkehren wollte. Zusammen mit den anderen Bandkollegen ging ich dieses Leben weiter. Wir unterschrieben nochmals bei Polygram, aber die Zeit für unsere Musik war 1992 vorbei. Nirvana und all diese Bands beherrschten die Szene. Für uns begann eine sehr harte Zeit, weil dies nicht der Sound war, den wir komponieren und spielen wollten. Wir hatten die Schnauze gestrichen voll und es kam der Moment, an dem wir uns dem zuwendeten, was wir in unserem Leben noch erleben wollten. Das umsetzen und in Angriff nehmen, was wir schon immer tun wollten. Als wir dann einige Jahre später die Band wieder zum Leben erweckten war dies ein so tolles Erlebnis. Alle kamen und der Kreis schloss sich wieder. Damals waren wir jung und wie kleine Kinder. Der Spassfaktor stand im Vordergrund. Wir hatten alle keine Ahnung vom diesem ganzen Management-Scheiss (lacht). Wir spielten Musik und wollten nur uns selbst sein!

RE: Der Spass stand an erster Stelle.

MF: Was habt ihr zwischen dem Split und dem Comeback getan?

RE: Wie schon angetönt, arbeitete ich als Soundengeneer. Das war meine Arbeit. So blieb ich immer mit der Musik verbunden. Das war eine gute Schule für mich, da ich dadurch mit anderen Sounds in Berührung kam.

AW: Niemand konnte mich stoppen (lacht). Robert hatte immer mit Musik zu tun, ich schrieb unzählige Lieder und ging mit anderen Künstlern auf Tour. Dann arbeitete ich in meinem eigenen Studio und erlernte dort über all die Jahre das professionelle Arbeiten. Jamie (Borger) spielte viele Jahre zusammen mit Jeff Scott Soto bei Talisman. Er war bis 2006, als er wieder bei Treat einstieg, ein sehr gefragter Tour-Trommler. Patrick arbeitete als Musik-Verleger. Diese unsichtbare Verbindung war ein solides Fundament. Bei uns spielt keiner mit, weil er eines Tages für sich selber entschied: «Okay, ab nun werde ich ein Rockstar». Tagtäglich waren wir in diesem Business ein Bestandteil. Das ist auch der Grund, wieso es mit Treat immer, oder besser gesagt wieder, funktioniert. Diese Art von Rockmusik zu spielen ist eine Form, die dich jung hält. Im Herzen und in der Seele. Das ist der Grund, wieso ich noch immer auf der Bühne stehe und neue Lieder schreibe. Ich liebe es! Nichts kann dies so richtig erklären (lacht). Wenn wir auftreten ist das pure Freude. Über all die Jahre sind viele Dinge geschehen. Glaub mir, heute haben wir einen viel grösseren Respekt für einander. Wir akzeptieren unsere unterschiedlichen Wesen. Wenn du jünger bist, gehst du einander viel schneller auf dem Keks und meckerst rum, dass du mit dem oder jenem nicht mehr zusammenarbeiten willst. Akzeptier ihn! Heute können wir mit dem leben. Auch wenn ich derjenigen Person manchmal an die Gurgel gehen könnte, akzeptier ich ihn, denn er könnte mir genauso an die Gurgel gehen (lacht). Im gleichen Atemzug liebt er mich aber auch wieder. Wir sind wirklich sehr enge Freunde geworden.

MF: Was war der Grund für euer Comeback?

AW: Jamie war die Antriebsfeder. «Hey ich war mit Talisman so viele Jahre unterwegs und an allen Orten an denen wir auftraten fragen mich die Leute nach Treat». So kamen wir zum ersten Mal ins Gespräch. Ich wollte unsere Lieder nochmals veröffentlichen und darum kam es zu dieser Compilation «Weapons Of Choice», die zusammen mit einem unveröffentlichten und zwei neuen Songs das Licht der Welt erblickte. Mit dieser Scheibe wollten wir auskundschaften, ob uns die Leute wirklich noch wollten.

MF: Welche Erinnerung habt ihr an das «Monsters Of Rock»-Festival?

RE: 1988? Da existieren so viele Erinnerungen (lacht)! Die Grösste davon ist... Als ich beim ersten Song... Nein, das ist falsch, als wir im Umkleideraum sassen kam der Stagemanager zu uns und schrie: «Guys, five minutes to stage!» Ich sagte nur, wieso nicht, lasst uns die Bühne niederreissen. Wir bestiegen die Stage, spielten den ersten Song und es war unglaublich. Unser deutscher Manager Uwe Block war ein Freund von Iron Maidens Manager (Maiden waren an diesem Tag Headliner) und somit waren wir, die Treat-Jungs auch seine Freunde. Ich denke auch aus diesem Grund war der Monitorsound innerhalb von zwei Sekunden perfekt. Beim ersten Track waren die Reaktionen noch nicht so gut, aber vom zweiten Lied an flippten die Leuten total aus. Ich drehte mich zu meinen Jungs um, sah die ganzen Marshall-Amps und zwischen ihnen David Lee Roth stehen. Er hob seinen Daumen und schrie mir zu: «Oh! You rock!» Ich drehte mich wieder zum Publikum zurück und es war... unglaublich! Nur auf das kommt es an! Hab’ Spass an der Sache!!!

AW: Das war einer dieser «big days in our life». Ich erinnere mich an viele Dinge. Das war unsere erste Show in Deutschland und wir spielten vor 60'000 Leuten. 12 Uhr Mittags. Das war ein sehr beeindruckendes Ereignis. WOW! Was machen wir hier?!? Wir hatten vorher noch nie so was erlebt! Auch wenn wir in Stockholm vor Queen spielen durften, das war auch ein fantastisches Highlight, aber nicht das Gleiche oder zu vergleichen. Wir waren die erste Band an diesem Tag auf dem «Monsters Of Rock»-Billing, spielten zusammen mit Kiss, Iron Maiden, David Lee Roth und Anthrax und durften diesen Event eröffnen. Wir standen mit all diesen Truppen auf dem gleichen T-Shirt und verdammt JA, wir hätten sogar dafür bezahlt (lacht). Das war so grossartig, fantastisch und eine sehr, sehr schöne Erinnerung.

MF: Und die letzte Frage, was sind eure Pläne für die Zukunft?

AW: Wir haben keine Ahnung und keinen Fünf-Jahres-Plan erstellt! Was Robert nächstes Jahr in Angriff nimmt, ich weis es nicht! Nicht einmal von mir selber (lacht).

RE: Wir wissen, dass die letzten Shows, wie «Sweden Rock» oder «Bang Your Head» sehr gut für uns gelaufen sind. Das fühlt sich so an, als ob sich die Fans wünschen, dass Treat weiter existieren. Aus diesem Grund könnte es vielleicht ein neues Album geben. Heute wissen wir das noch nicht.

MF: Dann lassen wir uns doch ganz einfach überraschen. Auf jeden Fall wünsche ich euch alles Gute für die Zukunft, vergesst eure Fans nicht und dann werdet ihr von alleine die richtige Entscheidung treffen...

AW: ...ganz sicher. Herzlichen Dank für das Interview, das uns sehr viel Spass gemacht hat.

RE: Auch dir alles Gute und grüss die Fans in der Schweiz von uns...

AW: ...wenn du schon dabei bist, die anderen auch (lacht).