Szene! Nachruf für Lemmy
30. Dezember 2015
By Tinu


Eine weitere Legende ist von uns gegangen und wird ein Loch hinterlassen, das niemand jemals wieder auffüllen wird. Ian Fraser «Lemmy» Kilmister, der am 24. Dezember 1945 das Licht der Welt erblickte, hat uns am 28. Dezember 2015 verlassen. Lemmy starb an seiner Krebserkrankung, welche erst zwei Tage vorher entdeckt wurde. Blickt man zwei Jahre zurück, überrascht der Tod vom Motörhead-Kopf nicht. Lemmy musste in den vergangenen Monaten immer wieder Konzerte absagen, und sein gesundheitlicher Zustand war sehr besorgniserregend. Trotzdem schockt die traurige Nachricht von Lemmys Tod und lähmt eine ganze Szene. Wer, wenn nicht Lemmy, sollte den Sensenmann immer wieder austricksen? Nun ist es doch passiert, was viele befürchteten und keiner wahr haben wollte. Die ganze Welt trauert um eine Legende und Ikone gleichermassen.

Mister Kilmister und seine Vorliebe für Jacky-Cola waren allseits bekannt, ebenso seine unsterbliche Musik (Vierzig Jahre Motörhead!), wie auch seine Ablehnung gegenüber Religion, Politik und Krieg. Auch wenn seine Leidenschaft für Gegenstände aus dem zweiten Weltkrieg kein Geheimnis war, das Interesse galt in erster Linie den geschichtlichen Hintergründen. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal mit Motörhead in Kontakt kam. Es war ein Poster, auf dem mich Lemmy, Fast Eddie Clark und Phil Taylor (der erst gerade am 11. November verstarb) mit grimmigen Blicken anstarrten. «Meine Güte, das müssen genau die Typen sein, vor denen mich meine Mam immer warnte», ging es mir durch den Kopf. Als ich ein paar Tage später bei einem Kumpel zum ersten Mal «Iron Fist» hörte, erwachte in mir das Interesse für die Band. Ich würde mich nicht als den ultimativen Motörhead-Fan betrachten, aber ich habe und werde immer grossen Respekt vor Lemmy und seiner Musik haben. Dies auch wegen meinen drei Begegnungen mit dem Engländer. Zum ersten Mal traf ich ihn im Backstageraum am 22. Februar 1997 in Sempach. Mit dem Rücken zur Türe sass die Ikone und spielte mit seinem einarmigen Banditen. Links und rechts je eine grosse Kühlbox mit mehr Jack Daniels Flaschen als Cola Dosen. Es war eine unbeschreibliche Magie welche Lemmy umgab, aber auch etwas sehr Freundliches. Bevor das Interview begann, mixte mir der singende Bassist einen Drink, der es in sich hatte… Das Interview gestaltete Lemmy und er lenkte das Gespräch mit seinen Antworten dahin, wo er es haben wollte. Was immer wieder aufblitzte, waren seine geschichtlichen Kenntnisse und sein knarziges, legendäres Lachen. Das nächste Mal sah ich Lemmy ein Jahr später im Z7. «Hey man, I remember you!» begrüsste mich Mister Motörhead mit einem breiten Grinsen, legte dabei seinem Arm um meine Schulter und bat mich, ihn vor zu aufdringlichen Freaks zu bewahren, weil Lemmy ein bisschen seine Ruhe haben möchte. Das dritte und letzte Mal traf in Mister Kilmister in Frauenfeld auf dem WC, als er mit einer Kippe im Mundwinkel neben mir pinkelte und mit seiner rauchigen Stimme sagte: «Ich liebe die Stille hier auf dem Klo», mit einem breiten Grinsen die Hosen schloss und auf seinen weissen Cowboystiefeln von dannen zog. Ja, man kann sagen, dass Lemmy kauzig war, aber unter seiner Schale pochte ein weicher, sehr fürsorglicher Kern.

Wir werden dich vermissen Lemmy. Sei es die Art, wie dein Mikrofon zu hoch auf der Bühne stand und du immer deinen Kopf beim Singen anheben musstest. Dein Spiel auf dem Rickenbacker-Bass und die Power, mit welcher du deine Songs ausdauernd in unzählige Konzerthallen der Welt geprügelt hast. Deine einmalige Art Songs zu schreiben und Lieder zu texten. Deine Persönlichkeit und Attitüde, die niemand anders so lange am Leben gehalten hätte wie dich und dein Ansehen bei vielen Musikern, welche du beeinflusst oder unterstützt hast. Bands wie Girlschool, Saxon, Skew Siskin oder Doro haben auch dank dir einen entscheidenden Karrierewendepunkt erlebt oder tolle Lieder mit dir zusammen komponiert. «We are Motörhead and we play Rock'n'Roll!» wird leider nicht mehr in den Konzerthallen aller Welt zu hören sein. Speziell auf der Bühne entfachten Lemmy, Phil Campbell (Gitarre) und Mikkey Dee (Schlagzeug) in den letzten zwei Jahrzehnten ein Inferno, das Seinesgleichen sucht! Was Lemmy uns als Vermächtnis hinterlässt, sind unzählige Hits, Anekdoten und Sprüche wie: «My doctor told me to drink more water. What did I? I told my roadie to put one more ice cube into my Jack Daniels…»