Livereview: Prophecy Fest 2016

28.07. – 30.07.2016, Balver Höhlen – Balve, Deutschland
By Patrica L.


Die Festivallandschaft in Europa ist in den letzten zehn Jahren riesig gewachsen. Als Fan kriegt man eine Auswahl immer ähnlicher werdender Bandpakete und dazu Alternativprogramme, sollte die Musik alleine nicht genügen. Auf der anderen Seite entstehen Veranstaltungen, bei denen die Künstler spezifischer ausgewählt werden. Zu einer von diesen zählt auch das Prophecy Fest, welches in der nun zweiten Ausführung auf zwei Festivaltage und einen Warm-Up-Abend ausgeweitet wurde.
Trollmusic Konzertabend.


Balve liegt nicht gerade zentral, leicht südöstlich von Dortmund im Sauerland. Auf dem einzigen Gleis angekommen, findet man die ersten vollbepackten Festivalbesucher, die sich trotz relativ kurzfristiger Ankündigung eines Warm-Up-Abends bereits am Donnerstag einfinden. Nach einem kurzen Fussmarsch steht das Zelt und wir machen uns mit dem Taxi auf den Weg in die lokale Schützenhalle, wo das kleine niederländische Label Trollmusic heute drei seiner Bands präsentiert.

The Good Hand starten ihr Set bereits um 19 Uhr, während dem noch die letzten scheuen Sonnenstrahlen durch die Hallenfenster dringen. Genauso schüchtern zeigen sich die Jungs auf der hinter einem hölzernen Gartenzaun stehenden Bühne bei den ersten Songs. Die an Billy Corgan (Smashing Pumpkins) erinnernde Stimme von Arjan Hoekstra bekommt sehr viel Platz, was dem harmonischen Sound die nötigen Akzente gibt. Ein sachte eingesetztes Horn bringt eine Prise Experimentierfreude mit, und so werden die Bewegungen auf der Bühne ausgelassener. Natürlich kann man bei so fein gezeichnetem Sound kaum einen Moshpit oder Headbangen erwarten, aber trotzdem spiegelt sich das Mitgehen der Musiker auch im Publikum ab. Nach etwa einer Stunde Spielzeit gibt Frontmann Arjan Hoekstra in einer kurzen Ansage bekannt, dass Mirna's Fling nun nahtlos in ihr Set übergehen werden.

Die zweite Band des Abends setzt sich tatsächlich aus denselben Musikern zusammen, wie The Good Hand davor. Die Instrumentierung sieht dennoch etwas anders aus. Das Keyboard wird von der Bühne verbannt, womit der atmosphärische Teil der Musik wegfällt. Im Gegenzug nehmen rockige Parts sowie Geschwindigkeit zu. Auch die Musiker drehen auf, der Drummer steigt sogar von der Bühne und lässt das Publikum auf einen Gong schlagen. Für die zum Schluss auftretende Band Alvenrad werden noch einmal kurz die Instrumente und zumindest ein Teil der Musiker getauscht und dann holzen die Jungs mit ihrem Folk Metal los. Der Sänger steht an diesem Abend das erste Mal auf der Bühne, lacht ins Publikum, und wirkt sehr charismatisch. Die Mitsingparts werden von einigen Zuschauern erhört, auch bilden sich die ersten tanzenden Grüppchen und Headbanger. Der zweite Sänger, vorher Schlagzeuger, hat seinen Gong noch nicht weggelegt und kommt nun wieder zum Einsatz. So endet der Abend mit ausgelassener, guter Stimmung und die Besucher machen sich motorisiert, oder zu Fuss über stille Feldwege auf den Heimweg.


Tag 1
Sehr zeremoniell, mit Weihrauch und Trommeln, eröffnen Hekate am Freitagnachmittag das Prophecy Fest. Einen besseren Start hätten sich die Festivalverantwortlichen nicht aussuchen können. Die intensive und sehr abwechslungsreiche Darbietung lockt die Zuschauer in Scharen in die Höhle und bannt die Blicke von der ersten Minute an. Die instrumentale Bandbreite ist riesig - ebenso die Zahl der im Verlauf der Show erscheinenden Musiker. Ganz zum Ende des Sets stehen alle gemeinsam auf der Bühne und sorgen für einen donnernden Schlusspunkt. Das Publikum verabschiedet die Truppe mit einem langen Schlussapplaus.

Germ > haben sich zum Start ihres Sets die Unterstützung von Audrey Sylvain geholt und erinnern damit natürlich ein wenig an Amesoeurs. Die poppigen Strukturen, gepaart mit harten Gitarren und den depressiven Schreien, bringen bereits bei ‚Butterfly‘ einige Köpfe zum Kreisen. Aber auch bei den folgenden Liedern ist die Mischung aus den hohen, typischen Schreien, repetitiven Gitarren und sphärischen Synthesizern eine Garantie für ein sich bewegendes Publikum. Der erste Auftritt des australischen Multifunktionalisten in Europa kann man als äusserst gelungen bezeichnen.

Somit sind die Zuschauer bestens vorbereitet auf  Les Discrets, die heute zu den absoluten Publikumslieblingen gehören. Die Band um Fursy Teyssier, der an diesem Wochenende auch Bilder ausstellt und verkauft, klingt weniger suizidal und mehr melodisch, hat sich aber, wie Germ zuvor, ebenfalls eine Dame ans Mikrophon geholt. Die Songs vom neuen Album klingen sehr entspannt. Sie ziehen sich ein wenig in die Länge, wobei man sich jedoch gut darin verlieren kann. Das abschliessende ‚Mouvement Perpétuel‘ wird vom Publikum gerne angenommen, da es, anders als die neuen Lieder, bereits mit Emotionen verbunden wird. Ein wunderschön verträumter Auftritt.

Vor deutlich gelichteten Zuschauerreihen starten Iron Mountain holprig in ihr Set - zumindest was die Bühnenpräsenz angeht. Von Anfang an scheint die Band mit Soundproblemen auf der Bühne zu kämpfen und die Musiker wechseln immer wieder unsichere Blicke. Um den Auftritt trotzdem geniessen zu können, schliesst man am besten die Augen.

Leider war es für Secrets Of The Moon nicht möglich, ihre Idee mit dem Akustikkonzert umzusetzen. Dafür wird nun das komplette neue Album "Sun" dargebracht. Die Mischung aus Black Metal mit einem Hauch von Wave Gothic ist sicherlich nichts für Puristen. Dennoch passt gerade diese Mischung perfekt in die Dramaturgie des ersten Tages. Natürlich sorgt alleine schon die Höhle für ein bedrückendes Gefühl, die Intensität von Liedern wie ‚Dirty Black‘ oder ‚Man Behind The Sun‘ wird durch die perfekte Lichtshow und die Videos auf den Bühnenhintergründen jedoch noch gesteigert. Das Aufblitzen des Mediaplayers, nach dem Abschluss des letzten Liedes, kann man bei dieser Wucht an Musik getrost vergessen.

Helrunar kommt die Aufgabe zuteil, den ersten Festivaltag zu beschliessen. Mit ihrer Musik verbindet die Band aktuelles Geschehen mit vergangener Geschichte. So zieht Marcel Dreckmann bei ‚Devils, Devils Everywhere‘ Vergleiche zwischen der Situation in der europäischen Gesellschaft und der Hexenverbrennung im Mittelalter. Das Publikum zollt dieser Präsentation mit vollem Körpereinsatz Respekt - in den vordersten Reihen ist kaum noch jemand ruhig. Das gleiche gilt bei ‚Magdeburg brennt‘, bei welchem die Chöre im Refrain durch die Höhle hallen. ‚Unter dem Gletscher‘ und ‚Nebelspinne‘ - beide vom Album "Sol" - schliessen das abwechslungsreiche Set und somit auch den mit vielen Highlights gespickten Festivaltag ab.


Tag 2
Eine ganz besondere Möglichkeit bietet sich den Festivalbesuchern am frühen Samstagmorgen. Austragungsort ist abermals die etwas mehr als zwei Kilometer vom Festivalgelände entfernt liegende Schützenhalle. Marcel Dreckmann (Helrunar), der das erste Album seines Nebenprojekts Wöljager als Musiktheater geschrieben hat, bringt dies nun in voller Länge auf die Bühne. Die bereitgestellten Stuhlreihen reichen nicht aus, um dem grossen Publikumsandrang gerecht zu werden, und so werden auch noch die zur Seite geschobenen Tische erobert. Die tragische Geschichte aus vergangenen Zeiten spielt im Münsterland, und wird teilweise im lokalen Mundart, dem Münsterländer Platt, erzählt. Das Theaterstück wird von Themen wie Tod, Mobbing und Vergewaltigung beherrscht. Die Schauspieler und die Musiker zeigen viel Enthusiasmus, sodass die Wirkung beim Publikum nicht ausbleibt. Die angespannten Gesichtsausdrücke lösen sich erst mit dem letzten Satz. Es folgt ein langer und intensiver Schlussapplaus.

In der Höhle beginnen Völur pünktlich um 13.50 Uhr mit ihrem ersten Ritual in Europa. Rotes Licht und Kapuzenmäntel sorgen für das nötige Aussehen der drei Kanadier. Der Sound wirkt sehr experimentell und sperrig. Schräge Violinentöne oder die immer wieder auftretenden Dissonanzen im Gesang zwischen Lucas Gadke und Laura C. Bates machen den Sound spannend. Gerade der zweistimmige Gesang wirkt stellenweise wie von einem vergessenen Naturvolk, was natürlich perfekt in die einzigartige Lokalität passt. So wirkt ihr Auftritt als Gesamtwerk einiges mehr als nur auf CD.

In eine ganz andere Richtung bewegt sich Bohren und der Club of Gore. Die Halle wird total abgedunkelt, nicht einmal die Bar wird mehr beleuchtet und auch der Ausgang wird bestmöglich abgedeckt. Dafür erhellen einzelne Spots in wechselnden Farben die Bühne, während der langsame Jazz der Deutschen vergessen lässt, dass man sich unter der Erde befindet. Viel eher versetzt der Sound einen in einen Schwarzweissfilm, in dem man an einem beinahe leeren Bartresen in einer verregneten Grossstadt sitzt. Die trocken humorvollen Ansagen würzen den Auftritt mit einem ganz eigenen Charme. Von den Musikern selbst sieht man nur dann etwas, wenn sie sich in die Lichtkegel bewegen, womit der Musik selbst viel Platz zum Wirken gegeben wird. Ein absoluter Tipp, wenn man nicht zwingend reissende Gitarren braucht.

Der Wechsel zu Antimatter wirkte auf dem Papier unmöglicher, als er sich tatsächlich anfühlt. Dennoch scheint der frühe Nachmittag einigen Zuhörern falsch gewählt zu sein. Der progressive Rock, den die Briten mit melancholischen Melodien ergänzen, wirkt sehr schwer. Da draussen gerade seltener Sonnenschein anzutreffen ist, ist den Leuten umso weniger zum Träumen zumute, und so leert sich die Höhle im Verlauf des Konzertes merklich.

Nach der Ansage "We are Glerakur and we come from Island", erntet die auf dem Festland noch kaum bekannte Truppe den ersten grossen Applaus, den Bandkopf Elvar Geir Sævarsson sogleich vehement zurückweist. Vorschusslorbeeren, einzig aufgrund der Herkunft, sind ihm merklich unangenehm. Ohne weiter Zeit zu verlieren, dreht das Gitarrenensemble seine Verstärker auf. Eine Gitarristin und drei Gitarristen, zusammen mit einem Bassisten und zwei Schlagzeugern geben ein ungewohntes Bühnenbild ab. Ebenso ungewohnt bewegen sich die Musiker zu ihren ausufernden Klanglandschaften. Insbesondere die Dame sorgt mit ihren Entspannungsübungen zwischen den Songs, dem abgedrehten Rumschrauben an ihren Effekten und den markerschütternden Schreien zum Ende des Sets für Aufsehen.

Zum ersten Mal scheint sich die Halle direkt im Anschluss an einen Auftritt nicht zu leeren. Die Zuschauerreihen nahe der Bühne stehen bereits beim Soundcheck so dicht, dass kaum jemand mehr durchkommt. Alcest wird heiss erwartet. Bereits im Voraus wurde angekündigt, dass man das ganze Album "Écailles de Lune" spielen wird. Passend dazu taucht das Licht die Höhlendecke ein, als ob Wasser reflektiert würde. Leider sind die Vocals beim ersten Song sehr leise, was aber schnell geändert wird. Wie so oft öffnet die Musik ein Tor in eine andere Welt. Die verträumten Gesichter der Anwesenden oder beinahe in Trance verfallende Headbanger zeugen von grosser Zufriedenheit im Publikum. Mit ‚Autre Temps‘ und ‚Là où naissent les coulerus nouvelle‘ gibt es noch zwei Lieder vom vorletzten Album, bevor sich die Franzosen mit ‚Déliverance‘ einen bekannten, wunderschönen Abschluss hinlegen.

Beim Start von Sol Invictus hat es merklich weniger Leute vor der Bühne. Es ist aber auch nicht einfach, sich nach dem Auftritt von Alcest darauf einzulassen. Die Stimme von Tony Wakeford klingt so viel weniger harmonisch, und die mittelalterliche, teils irisch anmutende Musik ist auf ihre Art ziemlich gewöhnungsbedürftig. Dazu kommt unbeabsichtigtes Quietschen von den Geigen in den ersten Songs, was die vordersten Reihen aber nicht stört und trotzdem laut applaudieren lässt. Die Musiker selbst scheinen auch Spass zu haben, obwohl es auf der Bühne mit so vielen Leuten fast etwas eng wird. Zum Abschluss präsentiert man eine Coverversion von Agalloch.

Das letzte Konzert des Festivals knüpft da an, wo der Tag begonnen hat: Schamanistische Vocals und minimalistisches Licht. Doch dann brettern die ersten Gitarren los, das Schlagzeug gibt Vollgas und ein letztes Mal für dieses Wochenende wird die Höhle als Leinwand für die dargebotene Musik gebraucht. Vemod, die bereits letztes Jahr auf dem Festival gespielt haben, bringen mit ihren eisigen Riffs im Dauerfeuer die vorderen Reihen in Bewegung, wenngleich der lange Tag so langsam seinen Tribut fordert. Die Musik der Norweger lebt vom Wechselspiel der atmosphärischen Synthesizer und der rasenden Gitarrenriffs, welche von einem elektronisch klingenden Schlagzeug unterstützt werden. Das Auftreten mit den kurzen Haaren, ganz ohne Schminke, Leder und Nieten verstärkt den modernen Eindruck der Musik. Dennoch verlangt die Wucht der Songs nochmals alles von den Besuchern, die nach dem Konzertende sichtlich erschöpft aus der Höhle kommen.

Das Prophecy Fest ist ein ganz einzigartiges Festival, das schon wegen der Bühne und dem meist sehr gut aufeinander abgestimmten Line-Up punkten kann. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Musiker ihre Kunst, durch die von ihrem Label ermöglichten, besonderen Rahmenbedingungen, auch spezieller darbieten können, was bei anderen Konzerten nur selten der Fall ist. Das wunderschöne Programmbuch ist dann noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Wer ein Ohr für experimentellere Musik übrig hat und nicht nur Gitarrenleads oder totgetriggerte Schlagzeugsalven braucht, sollte die Reise unbedingt in Betracht ziehen. Die Hotels sind jeweils relativ schnell belegt und erste Bands für die Ausgabe von 2017 sind bereits bekannt - frühes Buchen lohnt sich also!