Es muss am 31. Januar 1987 gewesen sein, als die damals
gerade zu Platin-Millionären aufgestiegenen Schweden von Europe das
Hallenstadion restlos ausverkauften. Ohne Support-Band standen
Sänger, Schönling und Frauenschwarm Joey Tempest, Keyboarder Mic
Michaeli, Bassist Jon Levén, Trommler Ian Haugland und den für John
Norum eingestiegene Kee Marcello auf der grossen Bühne und
begeisterten mit einer Rock-Show, die sich gewaschen hatte. Weg von
der Produktion von «The Final Countdown», hin zu einer rockigen
Performance, bei der man erkennen konnte, wo die Jungs ihren Wurzeln
haben.
Bevor das Quintett damals auf die Bühne
konnte, musste nach dem Intro zum Millionenhit, wer kennt die
einleitendende Keyboardmelodie von «The Final Countdown» nicht, die
Bühne geräumt werden, welche sich durch ein Plüschtier Bombardement
gefüllt sah. Nicht ganz 30 Jahre später standen dies Jungs wieder in
Zürich auf der Bühne. Dieses Mal aber mit John Norum an der Gitarre
und unverständlicherweise im bedeutend kleineren Volkshaus. Okay,
die Westschweizer bekamen einen Tag später die Möglichkeit, die
Nordländer in Lausanne zu sehen, aber trotzdem blutete mir das Herz,
das eine nach wie vor dermassen geile Rock-Band nicht mehr Publikum
als vielleicht knapp 700 Nasen ziehen konnte. Selbst der Balkon im
Volkshaus war nicht geöffnet und dies mit dem Bewusstsein, dass
Europe in all den Jahren eigentlich immer die höchsten
Chartplatzierungen in der Schweiz hatten (neben Schweden). Dies
hinderte Europe aber nicht, eine geschichtsträchtige Show zu
spielen, die wie immer von den Gesangs- und Entertainerqualitäten
von Joey lebte, aber ohne die anderen Vier nicht die Magie
versprühen würde, wie es eben eine Europe-Show tut.
Tax The Heat Bevor der Siegeszug mit Europe startete
musste man sich durch nicht ganz 45 Minuten Tax The Heat kämpfen.
Die Classic-/Blues-/Retro-Band spielt einen Sound, der momentan sehr
angesagt ist, von denen es aber ebenso viele Bands wie Sandkörner am
Meer gibt. Dabei nicht im Wasser unterzugehen, oder von den Wellen
geschluckt zu werden ist verdammt schwer. So standen vier Musiker
auf der Bühne, denen eine gewisse Verstrahltheit nicht abzusprechen
war und die sich wirklich fast nicht auf der Bühne bewegten. Diese
hüftsteife Show zündete dann auch nicht ein Feuer, wie man es sich
von einem Support erhofft. Und der gefällige Verlegenheitsapplaus
ging in den Nebengesprächen der Besucher schon fast unter. Zum
ersten Mal spielen die Jungs aus Bristol in der Schweiz und sie
freuen sich, verkündete der Sänger und bedankte sich immer wieder
für den Applaus des Publikums. Gesanglich war alles im grünen
Bereich, musikalisch auch, dank des sehr gut abgemischten Sounds,
aber Tax The Heat wirkten irgendwie deplatziert vor den
nachfolgenden Europe. Es gibt heute einfach (zu) viele gute Bands,
solche die kommen und gehen, solche die gar nie eine Bühne betreten
und solche die sich seit Jahren behaupten können. Genau hier lag der
ganz grosse Unterschied zwischen Europe und Tax The Heat. Qualitativ
lagen die Truppen zu weit auseinander. Eine Band wie zum Beispiel
The Treatment hätten anstelle von Tax The Heat sicher mehr gerockt
und Arsch getreten und so war sehr wahrscheinlich niemand
enttäuscht, als das Quartett endlich die Bühne verliess und selbige
für Europe räumte.
Europe Es war ein sehr simpler Bühnenaufbau, der
durch zwei grosse Video-Screens abgerundet wurde. Europe stellten
dabei einmal mehr die Musik in den Mittelpunkt und hatten wie so oft
mit Joey Tempest den perfekten Zeremonienmeister. «Tonight is a
special night. We do something, that we never did before and we'll
never do again. Before we explode with the eighties and «The Final
Countdown», we play the whole «War Of Kings» album». Ja es war eine
spezielle Angelegenheit, denn mit diesen beiden Alben, zeigten
Europe auch, dass sie sich Soundtechnisch in den letzten Jahren von
den massentauglichen Sounds wegbewegten und sich heute mehr ihren
Wurzel zuwenden. Dabei sind die Lieder um einiges rockiger und
härter geworden, verlieren dabei aber niemals die Melodie. Hört man
sich die Alben an, so sind einige Unterschiede zu hören. Hat man
Europe aber in den letzten Jahrzehnten regelmässig an den Konzerten
besucht, stellt man fest, unabhängig davon ob man das Jahr 1986 oder
2016 schreibt, der Fünfer hat immer gerockt. Und dies nicht zu
knapp.
Von Beginn weg wurde die Möglichkeit, Filmsequenzen
in die Songs einzubauen, rege genutzt. Dabei waren logischerweise
die Bilder aus den achtziger Jahren der Hingucker und mancher
Besucher sah man mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht und
Erinnerungen, welche ihnen fast auf die Stirne geschrieben waren.
Ja, auch ich hatte mal eine Dauerwelle und trug gestreifte
schwarz/weiss Hosen… «Do you see all this pictures behind us? I
think we're still looking good?» Ja, das tut ihr Joey, so
als
ob ihr einen Jungbrunnen für euch gepachtet habt. Der Shouter
überzeugt einmal mehr mit seinen schweizerdeutschen Ansagen. «Guete
Abe Züri!» Sofort hatte er die Lacher und die Begeisterung auf
seiner. «Sid ihr no da?», oder «Wie gahts öich?» machten den Shouter
noch sympathischer und dass dabei speziell die weibliche Fraktion
einmal mehr fast schmachtend vor der Bühne standen und mit Sätzen
wie: «…der sieht ja immer noch geil aus, als denn würde ich noch
immer nehmen…» nicht geizten, war die logische Schlussfolgerung.
Es war aber nicht nur Joey, der dazu beitrug, dass der Abend ein
voller Erfolg wurde. Auch wenn John Levén nicht mehr der Aktivposten
von früher ist und zuweilen fast ein bisschen zu Cool auf der Stage
steht, mit seinem Bassgroove hält er John Norum den Rücken frei. Es
war einmal mehr sensationell, was der Gitarrist an diesem Abend aus
seinen Saiten zauberte. War dies bei den fast schon arabisch
anmutenden Keyboardklängen von «Rainbow Bridge» als solistische
Unterstützung, bei Klassik beeinflussten Instrumental von
«Vasastan», dem extrem gefühlvollen Solo von «Praise You», dem
coolen Solo bei «Ninja» oder den schnellen Parts bei «On The Loose»,
John war einfach eine Klasse für sich. Dass er eher zu den stillen
Geniesser gehört und dabei die Bühne lieber Joey überlässt ist
bekannt. Und trotzdem liess er es sich nicht nehmen, immer wieder
mit dem Publikum zu spielen und es anzustacheln. Keyboarder Mic
Michaeli ist nicht nur wegen «The Final Countdown» ein ganz
wichtiger Mann
im Gefüge von Europe, sondern auch, weil er mit seiner Spielweise,
den Liedern eine völlig andere Richtung verleihen kann. Dass dabei
sein Einsatz bei «Praise You» um ein vielfaches mehr Retro ist, als
die meisten Retrobands, darf getrost auch mal erwähnt werden.
Trommler Ian verrichtete einmal mehr einen bescheidenen, aber sehr
«taktvollen» Beitrag zum Geschehen. Dabei wurde bei der Einleitung
zu «Cherokee» kurz das Publikum eingebunden und dies passte wie die
berühmte Faust aufs Auge. Joey sang auf einem extrem hohen Level.
Hatte sichtlich Spass und lächelte immer wieder. Dabei war ihm kein
Weg zu weit und er kletterte auf die seitlichen Boxen um dem
Europe-Publikum zu zuwinken.
Musikalisch zeigten die Herren
mit dem letzten Studioalbum «War Of Kings», dass sie sich heute
nicht mehr um Trends kümmern. Sie gehen unbeirrt ihren Weg, wissen
genau, wie die Melodie einzustreuen ist, damit sich die Songs sofort
in den Gedankengängen festkrallen kann. Dass «War Of Kings»
bedeutend erdiger, rockiger und direkter ist, macht die Lieder im
Vergleich zu «The Final Countdown» nicht schlechter. Ein schon
angesprochener Song wie «Praise You» hat einfach dieses Deep
Purple/Uriah Heep/UFO- Feeling. Trotzdem ist «Days Of Rock' n Roll»
ein
«good time party rocker», der absolut zeitlos ist, stilistisch wie
«Nothin' To Ya» klingt und trotzdem anders ist. Ein Stück wie
«California 405» hätte sicher nicht auf «The
Final Countdown» oder
«Out Of This World» gepasst, ist aber ein Song, den man sich immer
wieder gerne anhört, weil er einfach Laune macht. Logisch ging die
Party auf höchste Betriebstemperatur, als das komplette «The Final
Countdown»-Album gespielt wurde. Da kannte jeder die Strophen und
Refrains, so dass das Publikum bei «Rock The Night» sogar lauter
sang, als Joey. Was Mister Tempest wiederum ein «…beautiful…»
entriss. Auch wenn Lieder wie «Heart Of Stone» oder «Danger On The
Track» im Schatten der Single-Hits von Europe stehen, sie haben eine
verdammte Daseinsberechtigung und gehören in das Set der Schweden.
Wie auch das Schnelle «On The Loose». Dass beim Titelsong von «The
Final Countdown» der Bär tanzte war so sicher, wie das Amen in der
Kirche und die Party kannte kein Halten mehr! Nach fast zwei Stunden
verabschiedeten sich Europe mit den Worten «Thank you for 35 years!»
Danke euch für diese Zeit, in der ihr immer bewiesen habt, dass ihr
auf der Bühne zum Besten gehört, was es zu hören und zu sehen gibt.
Europe sind noch immer einer der besten Live-Bands. Das war sie
schon vor 30 Jahren und ist es heute noch. Damals mussten sie sich
den Thron mit Bon Jovi teilen, oder darum kämpfen. Heute haben sie
bewiesen, dass sie keine Konkurrenz mehr haben!
Setlist
Europe: «Video Intro», «Hole In My Pocket», «The Second Day»,
«Praise You», «Nothin' To Ya», «California 405», «Angels (With
Broken Hearts)», «Days Of Rock' n Roll», «Children Of The Mind»,
«Rainbow Bridge», «Vasastan», «Light It Up», «War Of Kings» - «Video
Intro», «The Final Countdown», «Rock The Night», «Carrie», «Danger
On The Track», «Ninja», «Cherokee», «Time Has Come», «Heart Of
Stone», «On The Loose», «Love Chaser/The Final Countdown»
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