Livereview: Europe - Tax The Heat

16. November 2016, Zürich – Volkshaus
By Tinu   Pics by Rockslave
Es muss am 31. Januar 1987 gewesen sein, als die damals gerade zu Platin-Millionären aufgestiegenen Schweden von Europe das Hallenstadion restlos ausverkauften. Ohne Support-Band standen Sänger, Schönling und Frauenschwarm Joey Tempest, Keyboarder Mic Michaeli, Bassist Jon Levén, Trommler Ian Haugland und den für John Norum eingestiegene Kee Marcello auf der grossen Bühne und begeisterten mit einer Rock-Show, die sich gewaschen hatte. Weg von der Produktion von «The Final Countdown», hin zu einer rockigen Performance, bei der man erkennen konnte, wo die Jungs ihren Wurzeln haben.

Bevor das Quintett damals auf die Bühne konnte, musste nach dem Intro zum Millionenhit, wer kennt die einleitendende Keyboardmelodie von «The Final Countdown» nicht, die Bühne geräumt werden, welche sich durch ein Plüschtier Bombardement gefüllt sah. Nicht ganz 30 Jahre später standen dies Jungs wieder in Zürich auf der Bühne. Dieses Mal aber mit John Norum an der Gitarre und unverständlicherweise im bedeutend kleineren Volkshaus. Okay, die Westschweizer bekamen einen Tag später die Möglichkeit, die Nordländer in Lausanne zu sehen, aber trotzdem blutete mir das Herz, das eine nach wie vor dermassen geile Rock-Band nicht mehr Publikum als vielleicht knapp 700 Nasen ziehen konnte. Selbst der Balkon im Volkshaus war nicht geöffnet und dies mit dem Bewusstsein, dass Europe in all den Jahren eigentlich immer die höchsten Chartplatzierungen in der Schweiz hatten (neben Schweden). Dies hinderte Europe aber nicht, eine geschichtsträchtige Show zu spielen, die wie immer von den Gesangs- und Entertainerqualitäten von Joey lebte, aber ohne die anderen Vier nicht die Magie versprühen würde, wie es eben eine Europe-Show tut.

Tax The Heat
Bevor der Siegeszug mit Europe startete musste man sich durch nicht ganz 45 Minuten Tax The Heat kämpfen. Die Classic-/Blues-/Retro-Band spielt einen Sound, der momentan sehr angesagt ist, von denen es aber ebenso viele Bands wie Sandkörner am Meer gibt. Dabei nicht im Wasser unterzugehen, oder von den Wellen geschluckt zu werden ist verdammt schwer. So standen vier Musiker auf der Bühne, denen eine gewisse Verstrahltheit nicht abzusprechen war und die sich wirklich fast nicht auf der Bühne bewegten. Diese hüftsteife Show zündete dann auch nicht ein Feuer, wie man es sich von einem Support erhofft. Und der gefällige Verlegenheitsapplaus ging in den Nebengesprächen der Besucher schon fast unter. Zum ersten Mal spielen die Jungs aus Bristol in der Schweiz und sie freuen sich, verkündete der Sänger und bedankte sich immer wieder für den Applaus des Publikums. Gesanglich war alles im grünen Bereich, musikalisch auch, dank des sehr gut abgemischten Sounds, aber Tax The Heat wirkten irgendwie deplatziert vor den nachfolgenden Europe. Es gibt heute einfach (zu) viele gute Bands, solche die kommen und gehen, solche die gar nie eine Bühne betreten und solche die sich seit Jahren behaupten können. Genau hier lag der ganz grosse Unterschied zwischen Europe und Tax The Heat. Qualitativ lagen die Truppen zu weit auseinander. Eine Band wie zum Beispiel The Treatment hätten anstelle von Tax The Heat sicher mehr gerockt und Arsch getreten und so war sehr wahrscheinlich niemand enttäuscht, als das Quartett endlich die Bühne verliess und selbige für Europe räumte.

Europe
Es war ein sehr simpler Bühnenaufbau, der durch zwei grosse Video-Screens abgerundet wurde. Europe stellten dabei einmal mehr die Musik in den Mittelpunkt und hatten wie so oft mit Joey Tempest den perfekten Zeremonienmeister. «Tonight is a special night. We do something, that we never did before and we'll never do again. Before we explode with the eighties and «The Final Countdown», we play the whole «War Of Kings» album». Ja es war eine spezielle Angelegenheit, denn mit diesen beiden Alben, zeigten Europe auch, dass sie sich Soundtechnisch in den letzten Jahren von den massentauglichen Sounds wegbewegten und sich heute mehr ihren Wurzel zuwenden. Dabei sind die Lieder um einiges rockiger und härter geworden, verlieren dabei aber niemals die Melodie. Hört man sich die Alben an, so sind einige Unterschiede zu hören. Hat man Europe aber in den letzten Jahrzehnten regelmässig an den Konzerten besucht, stellt man fest, unabhängig davon ob man das Jahr 1986 oder 2016 schreibt, der Fünfer hat immer gerockt. Und dies nicht zu knapp.

Von Beginn weg wurde die Möglichkeit, Filmsequenzen in die Songs einzubauen, rege genutzt. Dabei waren logischerweise die Bilder aus den achtziger Jahren der Hingucker und mancher Besucher sah man mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht und Erinnerungen, welche ihnen fast auf die Stirne geschrieben waren. Ja, auch ich hatte mal eine Dauerwelle und trug gestreifte schwarz/weiss Hosen… «Do you see all this pictures behind us? I think we're still looking good?» Ja, das tut ihr Joey, so als ob ihr einen Jungbrunnen für euch gepachtet habt. Der Shouter überzeugt einmal mehr mit seinen schweizerdeutschen Ansagen. «Guete Abe Züri!» Sofort hatte er die Lacher und die Begeisterung auf seiner. «Sid ihr no da?», oder «Wie gahts öich?» machten den Shouter noch sympathischer und dass dabei speziell die weibliche Fraktion einmal mehr fast schmachtend vor der Bühne standen und mit Sätzen wie: «…der sieht ja immer noch geil aus, als denn würde ich noch immer nehmen…» nicht geizten, war die logische Schlussfolgerung.

Es war aber nicht nur Joey, der dazu beitrug, dass der Abend ein voller Erfolg wurde. Auch wenn John Levén nicht mehr der Aktivposten von früher ist und zuweilen fast ein bisschen zu Cool auf der Stage steht, mit seinem Bassgroove hält er John Norum den Rücken frei. Es war einmal mehr sensationell, was der Gitarrist an diesem Abend aus seinen Saiten zauberte. War dies bei den fast schon arabisch anmutenden Keyboardklängen von «Rainbow Bridge» als solistische Unterstützung, bei Klassik beeinflussten Instrumental von «Vasastan», dem extrem gefühlvollen Solo von «Praise You», dem coolen Solo bei «Ninja» oder den schnellen Parts bei «On The Loose», John war einfach eine Klasse für sich. Dass er eher zu den stillen Geniesser gehört und dabei die Bühne lieber Joey überlässt ist bekannt. Und trotzdem liess er es sich nicht nehmen, immer wieder mit dem Publikum zu spielen und es anzustacheln. Keyboarder Mic Michaeli ist nicht nur wegen «The Final Countdown» ein ganz wichtiger Mann im Gefüge von Europe, sondern auch, weil er mit seiner Spielweise, den Liedern eine völlig andere Richtung verleihen kann. Dass dabei sein Einsatz bei «Praise You» um ein vielfaches mehr Retro ist, als die meisten Retrobands, darf getrost auch mal erwähnt werden. Trommler Ian verrichtete einmal mehr einen bescheidenen, aber sehr «taktvollen» Beitrag zum Geschehen. Dabei wurde bei der Einleitung zu «Cherokee» kurz das Publikum eingebunden und dies passte wie die berühmte Faust aufs Auge. Joey sang auf einem extrem hohen Level. Hatte sichtlich Spass und lächelte immer wieder. Dabei war ihm kein Weg zu weit und er kletterte auf die seitlichen Boxen um dem Europe-Publikum zu zuwinken.

Musikalisch zeigten die Herren mit dem letzten Studioalbum «War Of Kings», dass sie sich heute nicht mehr um Trends kümmern. Sie gehen unbeirrt ihren Weg, wissen genau, wie die Melodie einzustreuen ist, damit sich die Songs sofort in den Gedankengängen festkrallen kann. Dass «War Of Kings» bedeutend erdiger, rockiger und direkter ist, macht die Lieder im Vergleich zu «The Final Countdown» nicht schlechter. Ein schon angesprochener Song wie «Praise You» hat einfach dieses Deep Purple/Uriah Heep/UFO- Feeling. Trotzdem ist «Days Of Rock' n Roll» ein «good time party rocker», der absolut zeitlos ist, stilistisch wie «Nothin' To Ya» klingt und trotzdem anders ist. Ein Stück wie «California 405» hätte sicher nicht auf «The Final Countdown» oder «Out Of This World» gepasst, ist aber ein Song, den man sich immer wieder gerne anhört, weil er einfach Laune macht. Logisch ging die Party auf höchste Betriebstemperatur, als das komplette «The Final Countdown»-Album gespielt wurde. Da kannte jeder die Strophen und Refrains, so dass das Publikum bei «Rock The Night» sogar lauter sang, als Joey. Was Mister Tempest wiederum ein «…beautiful…» entriss. Auch wenn Lieder wie «Heart Of Stone» oder «Danger On The Track» im Schatten der Single-Hits von Europe stehen, sie haben eine verdammte Daseinsberechtigung und gehören in das Set der Schweden. Wie auch das Schnelle «On The Loose». Dass beim Titelsong von «The Final Countdown» der Bär tanzte war so sicher, wie das Amen in der Kirche und die Party kannte kein Halten mehr! Nach fast zwei Stunden verabschiedeten sich Europe mit den Worten «Thank you for 35 years!» Danke euch für diese Zeit, in der ihr immer bewiesen habt, dass ihr auf der Bühne zum Besten gehört, was es zu hören und zu sehen gibt. Europe sind noch immer einer der besten Live-Bands. Das war sie schon vor 30 Jahren und ist es heute noch. Damals mussten sie sich den Thron mit Bon Jovi teilen, oder darum kämpfen. Heute haben sie bewiesen, dass sie keine Konkurrenz mehr haben!

Setlist Europe: «Video Intro», «Hole In My Pocket», «The Second Day», «Praise You», «Nothin' To Ya», «California 405», «Angels (With Broken Hearts)», «Days Of Rock' n Roll», «Children Of The Mind», «Rainbow Bridge», «Vasastan», «Light It Up», «War Of Kings» - «Video Intro», «The Final Countdown», «Rock The Night», «Carrie», «Danger On The Track», «Ninja», «Cherokee», «Time Has Come», «Heart Of Stone», «On The Loose», «Love Chaser/The Final Countdown»