Gotthard haben mich an diesem Abend wieder zum Fan gemacht. War
ich nach dem Auftritt in Winterthur anlässlich ihrer Domino-Tour
enttäuscht, rockte die Sache heute wieder gewaltig. Das fing bereits
bei der Vorband The Fire an, die souverän und motiviert das Publikum
anheizte. Der Weg durch das wilde Schneegestöber und das Anstehen in
der Kälte hatte sich definitiv gelohnt. Eine Frage blieb allerdings
offen. Gotthard und The Fire spielen mit einem Härtegrad, der
vergleichbar mit Doro, Molly Hatchet oder Shakra ist. Wieso fehlt
das 08/15-Durchschnitts-Schweizer Volk denn dort? Hätten es diese
Bands nicht auch verdient, grosse Hallen zu füllen? So werde ich
also weiterhin die Konzerte mit einer Handvoll Metaller geniessen,
und vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht.
The Fire
Das Wort «Motivation» wurde an diesem Abend sowohl zum Synonym für
Gotthard, wie auch für The Fire. Denn was Letztere da abfeuerten,
war gewaltig. Scheinbar ohne Catwalk-Verbot, nutzten die Italiener
die grosse Bühne gekonnt aus, und spielten sich in einen 45
minütigen Rausch. Sänger Olly stellte sich nicht nur als sehr guter
Unterhalter heraus, sondern auch als exzellenter Barde, der den
Liedern immer genau das gab, was sie brauchten. Dabei entzogen sich
The Fire jedem Versuch, sie stilistisch einzuordnen. Am ehesten
würde vielleicht noch das Etikett "Open Minded Heavy Rock" passen.
Denn die Grundstimmung sämtlicher Songs war heavy und die Vocals
eher brüllend. Daneben präsentierten sich The Fire aber auch
boulevardesk, poppig oder punkig. Bereits beim zweiten Song zog Olly
als «Singing In The Rain»-Mann über den Catwalk, nur um danach
wieder einen Heavy Metal-Song zu intonieren. Das Publikum liess sich
gerne mitreissen und klatschte brav mit.
Und sogar die «Hey»-Rufe
klappten. Zeitweise musste man sich gar vergegenwärtigen, dass The
Fire eigentlich "nur" die Vorband waren. Die klassische
Rock Piano-Ballade «Sweeter Than Me» tat dann ihr Übriges. Als zum
Schluss der Sänger fragte «What do you think about The Fire?», war
die Antwort klar: Die sind richtig eigenständig, selbstbewusst und
unterhaltsam oder schlicht gut. Der Support für das am 22. Dezember
erschienene Album «Abracadabra» ist den Italienern definitiv
gelungen.
Gotthard
Trotz schwerer Vorlage durch The Fire war es danach für Gotthard ein
Leichtes, noch einen drauf zu setzen. Ebenso einsatzfreudig wie die
Italiener, stürmten die Hard Rocker die Bühne und gaben gleich von
Beginn weg Vollgas. Steve Lee tänzelte auf dem Catwalk, suchte ständig
den Kontakt zum Publikum und sang dabei noch wie ein Gott. Nur
Bassist Marc Lynn wirkte zu Beginn etwas erschöpft, während die
beiden Gitarristen Leo Leoni und Freddie Scherer lachten und auf der
Bühne umher tigerten. Als ewigen Gastmusiker hatten Gotthard auch an
diesem Abend Pianist Nicolò Fragile dabei. «Unspoken Words» vom
neuen Album «Need To Believe» und «Gone Too Far» von «Domino Effect»
markierten den Anfang und liessen die Halle kochen. Ein erster
Höhepunkt war mit «Hush» erreicht. Lee liess das begeisterte
Publikum singen; Zuerst die Frauen, dann die Männer und schliesslich
alle zusammen. Das machte selbst dann Laune, wenn man (wie ich)
dieses Spielchen bereits an mehreren hundert Konzerten schon so oft
gemacht hatte. Abgesehen von diesem kleinen Intermezzo waren die
ersten 45 Minuten von durchgespielten Liedern und wenigen Ansagen
geprägt. Ein richtiges Rockkonzert eben, bei dem es in erster Linie
um die Songs ging.
Das änderte sich, als Freddie Scherer für ein Gitarren-Solo auf den
Catwalk kam, und so «Unconditional Faith» einläutete. Die Band
setzte ein, und als im Mittelteil dann ein Schottischer Highlander
die Bühne betrat, war es definitiv Zeit für den Showteil. Es folgten
acht Dudelsackspieler und ein paar Schlagzeuger, die zusammen mit
Gotthard den Song fertig spielten. Die Pipes and Drums von den
«Lucerne Caledonians» wurden extra für die Schweizer und die
Münchner-Shows gebucht. Da heute Tourabschluss war, bedankte sich
der als William Wallace verkleidete Ober-Schotte überschwänglich bei
Gotthard. Er verriet, was sie den unter den Schottenröcken tragen
(nämlich rote Unterhosen mit Schweizer-Kreuz). Aber auch die
Zugabe-Rufe des Publikums wurden gehört. Und so durften
die Schotten
noch einen Song alleine spielen. Fazit: Die Einlage klang gut und
hat zudem toll ausgesehen. Mit Showeinlagen war es danach aber noch
nicht fertig. Steve Lee und Leo Leoni setzten sich zuvorderst des
Catwalks auf Barhocker und kündigten ein Akustik-Set an. Dabei
durfte das Publikum die Songs wünschen. Wie spontan diese Einlage
war, ist schwer zu sagen, denn Lee wehrte immer wieder Songwünsche
mit der Begründung ab. "Das sind Piano Songs! Was Leo da auf seinem
Knie abstützt, ist für mich aber eine Gitarre." Lee half dem
Publikum gar richtig gehend die passenden (eingeplanten?) Songs zu
finden. Aber egal, wie spontan diese Aktion wirklich war, sorgten
die Kurzversionen (in der Regel die erste Strophe und der Refrain) von «In
The Name», «Tomorrow's Just Began», «Let It Be», «All I Care For»
und «One Life One Soul» nur von Lee's Stimme und von Leoni's Gitarre
getragen für meterdicke Hühnerhaut. Wer danach gedacht hatte, es
wäre wieder Zeit zum Rocken, der wurde ein wenig enttäuscht. Denn
Gotthard gaben showmässig noch einen drauf. Sie starteten «Shangrii
La», welches zuerst in einen fulminanten Jam mündete. Damit konnte
die Band die Zeit überbrücken, die es brauchte, bis sich Herr Lee den Weg
durch das Publikum zu seinem Schlagzeug gebahnt hatte. Es folgte ein
cooles Doppelschlagzeug-Solo, bevor Pianist Fragile wiederum die
Zeit für Steve's Rückkehr mit Geklimper überbrückte.
Dann war es aber wieder Zeit zum Headbangen und Mitklatschen. «All
We Are» sorgte für Stimmung, bevor sich Leoni und Scherer bei «I
Don't Mind» auf dem Catwalk gegenseitig duellierten. Als Belohnung
dafür wurde ihnen von zwei Mädchen Bier auf die Bühne gebracht, das
sie kameradschaftlich tranken. Bevor es zu den Zugaben kam, setzten
Gotthard mit «Lift U Up» noch einen drauf. Nach sehr kurzem Warten
markierten «Sister Moon» und «Anytime Anywhere» den Schluss. Danach
leerte sich die Halle schon merklich. Steve Lee kam nochmals auf die Bühne
und sagte: «Da haben wir doch noch was vergessen.» Der wirklich
letzte Song des Abends war nach über zwei Stunden Konzert die
Stadionhymne «Heaven», die das Publikum endgültig davon überzeugte,
ein grossartiges Konzert gesehen zu haben. Man könnte jetzt
natürlich über die Setliste monieren, die ein paar wichtige
Klassiker wie «Mountain Mama» oder «Sweet Little Rock'n'Roller»
ausliess. Auch über die Show könnte man motzen, da sie auf gewisse
Leute zeitweise ein wenig zu perfekt und einstudiert wirkte. Aber
hey, Gotthard waren engagiert, motiviert und boten dem Publikum
neben der tollen Musik auch super Unterhaltung. Und das soll ihnen
erst einmal jemand nachmachen!
Setliste: Unspoken Words, Gone Too Far, Top Of The World,
Need To Believe, Hush, I know you know, Right From Wrong, Delay From
Hell, Unconditional Faith, Accustic Set (In The Name, Tomorrow's
Just Began, Let It Be, All I Care For, One Life One Soul), Shangri
La, Drum Solo, All We Are, I Don't Mind, Oskar, Lift U Up, Sister
Moon, Anytime Anywhere, Heaven
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