Livereview: ICE ROCK - Festival 2020

09. Januar bis 11. Januar 2020, Wasen i. E. – Nussbaumschachen
By Rockslave

Das nicht nur von der Jahreszeit her coolste Schweizer Rock- und Metal-Festival geht mit Riesenschritten auf das 20-jährige Jubiläum zu! All diejenigen Szeneleute, Veranstalter und Promoter die dachten, dass das alljährlich abrockende Tenn bald wieder von der schweizerischen Musiklandkarte verschwinden wird, sind längst verstummt. Die Beharrlichkeit und das Geschick des Gründer-Duos, verbunden mit dem Glück der Tüchtigen, hat dem ICE ROCK schon manchen unvergesslichen Moment beschert. Dies signalisierte auch die achtzehnte Ausgabe, die nebst zwei Ikonen der NWOBHM (Diamond Head und Praying Mantis) in diesem Jahr auch Evergrey ins Emmental zu locken vermochte! Eine Top-Band, die schon auf manch grösserer Bühne performt hat, und trotzdem kamen die Jungs direkt aus Schweden angereist, respektive angeflogen. Mit Dynazty, Lechery, Pretty Wild und Stallion marschierten weitere musikalische Leckerbissen auf. Und wie es sich gehört, war natürlich auch wieder nationales Eigengewächs wie Evolve, Lucy Four, Fighter V und Fat Dog vertreten. Bemerkenswert war auch der Auftritt von Sweet Needles, die für dieses eine Konzert im eigenen Auto aus Paris (!) nach Wasen rauf gefahren sind. Kein Weg zu weit, um am ICE ROCK dabei zu sein.


Donnerstag, 09.01.2020 (Erster Tag)

Fat Dog
Der Opener aus Solothurn betrat pünktlich um 19:00 Uhr die Bühne und legte gleich mit fettem Groove los! Mit einer total unbekümmerten Selbstver-ständlichkeit wurde Rock, Metal bis hin zu Funk zelebriert. Dies gefiel nebst der kleinen, aber feinen und mit entsprechenden T-Shirts bekleideten Fanbase vor der Bühne zunehmend wie augenscheinlich auch den jüngeren Fans unter den Besuchern. Frontmann Joel Rätz gebärdete sich wie ein wildes Tier, das mit einer überaus starken Gesangsstimme auftrumpfte. Kaum zu glauben, dass die junge Band erst vor drei Jahren erstmals Bühnenluft schnupperte. Die ziemlich tighte Performance überraschte wirklich und war mitunter auch der Verdienst des sehr überzeugend agierenden Bassisten Christof Huber. Die Band punktete insgesamt aber klar als Kollektiv und setzte mit ihrem mitunter leicht alternativ getränkten Sound das erste Ausrufezeichen des diesjährigen ICE ROCK Festivals. Man darf also gespannt sein, welchen Weg Fat Dog in den nächsten Jahren gehen werden. Die gelungene Visite im Emmental dürfte bei den Jungs noch eine Weile in guter Erinnerung bleiben.

Setliste: «Introsong» - «Hell» - Ice Where!?» - «Collar Of Death» - «Give Me More» - «Nothing For Me» - «De Sächst, Ah Nei Dr 7.» - «Hippedihop» - «My Life» - «Pain» - «Mad Up My Mind» - «Hometown» - «Short Story/Fat Dog».

Lechery
Kaum angefangen, gab es schon die erste Änderung zum ursprünglichen Billing, aber dafür konnten weder die Schweden von Lechery, noch Diamond Head was. Fakt war aber, dass die Instrumente der Briten noch in London feststeckten! Darum bliebt nichts anderes übrig, als die Reihenfolge umzudrehen und gleichzeitig zu hoffen, denn ohne persönliche Arbeitsgeräte wird es zuweilen schwierig bis unmöglich zu spielen. Im Grunde genommen war dieses Missgeschick eigentlich gar keines, da Diamond Head so in die Rolle des heutigen Headliners rückten, was eh besser passte, wie sich schon bald heraus stellen sollte. Die erste Band des Festivals, die heuer von der "Souls of Rock" Foundation unterstützt wurde, liess sich davon nicht aus dem Konzept bringen, im Gegenteil. Die Premiere auf Schweizer Boden wurde von der ersten Sekunde an dafür genutzt, um auf die Qualitäten der Band aufmerksam zu machen. Die 2004 in Halmstad gegründete Combo liess ziemlich schnörkellosen wie klassischen Heavy Metal vom Stapel und fuhr zu einem kernig klingenden Gitarrensound eine ordentliche Breitseite auf. Nebst Gitarrist Fredrik Nordstrandh steuerte auch Leadsänger Martin Bengtsson ergänzende Riffs und vor allem Leads bei. Letzterer war übrigens mal, wenn auch über zwanzig Jahre her, Bassist von Arch Enemy! Die heute Abend gespielten Songs stammten weitgehend von ihren bisherigen drei Alben. «We Are All Born Evil» wurde dabei 2018 veröffentlicht und beendete eine siebenjährige Pause. Um wieder anknüpfen zu können, müsste nun bald mal was Neues unters Volk gebracht werden.

Setliste: «Intro» - «Cynical» - «Hero Of The Night» - «Carry On» - «Hold On To The Night» - «Heart Of A Metal Virgin» - «Mechanical Beast» - «We Are All Born Evil» - «Heavy Metal Invasion» - «Your Fate» - «Slave Under Passion» - «Rise With Me».

Diamond Head
Eines muss man Brian Tatler als einzig übrig gebliebenem Ur-Mitglied ja schon zu Gute halten, nämlich endloses Durchhaltevermögen! Und dies beinhart, was angesichts der erfolgsmässig insgesamt eher tristen Karriere riesigen Respekt gebührt. Dies alles hängt natürlich mit der sattsam bekannten wie breitgetretenen Geschichte von Metallica zusammen, die mit ihren Inter-pretationen von «Am I Evil», «The Prince» und «Helpless» den Erfolg für sich buchten. Brian kann sich natürlich noch heute über nie versiegende Tantiemen freuen, aber der Preis, den er dafür mit seiner eigenen Band bezahlen musste, war essentiell. Nichtsdestotrotz steckte Mr. Tatler nie auf und seit dem dritten Neubeginn von 2000 sind vier weitere Alben erschienen, wovon vor allen die letzten zwei ziemlich gute Kritiken verbuchen konnten. Nicht unwesentlichen Anteil daran hat Frontmann Rasmus Bom Andersen, der seit 2014 mit dabei ist. Aus der kurzen Phase der 90er ist noch Drummer Karl Wilcox erhalten geblieben, der mit seinem Power Drumming auch heute Abend für Furore sorgte. Diesen Zeilen ist somit zu entnehmen, dass die benötigten Klampfen zum Glück doch noch rechtzeitig den Weg ins Emmental fanden. So wurde der Headliner seiner Rolle gerecht und schöpfte aus dem Vollen. Rasmus musste dabei gefühlt für jeden einzelnen Fan kämpfen und der Einsatz lohnte sich schliesslich. Dies erfreute den Chef sichtlich, was in einer agilen Performance mündete. Sein Sound klang zwar nicht so verschroben wie zuvor, aber Diamond Head liessen nichts anbrennen. Das Konzert erfüllte die Erwartungen, nicht zuletzt auch deswegen, weil die oben erwähnten Songs allesamt gespielt wurden. Dass «I Am Evil» als obligat letzter Kracher nach allen Regeln der Kunst abgefeiert wurde, war so klar wie das Amen in der Kirche. Dass die Interpretation von Metallica für immer unerreicht sein wird, ist in meinem Fall der Tatsache geschuldet, dass ich diesen alten Klassiker der Amis lange für einen eigenen Song hielt!

Setliste: «Borrowed Time» - «Bones» - «Lightning To The Nations» - «Death By Design» - «Set My Soul On Fire» - «In The Heat Of The Night» - «The Prince» - «To Heaven From Hell» - «Play It Loud» - «Belly Of The Beast» - «The Messenger» - «Shoot Out The Lights» - «It's Electric» - «Helpless» - «Am I Evil?».



Freitag, 10.01.2020 (Zweiter Tag)

Fighter V
Es ist immer wieder schön festzustellen, wenn sich vergleichsweise junge wie hungrige Bands aus der kleinen Schweiz anschicken, nach den Sternen zu greifen und die Welt erobern zu wollen. Dass der Weg dahin in heutigen Zeiten bedeutend holpriger und steiniger als noch in den 80ern ist, schleckt keine Geiss weg. Dennoch haben Fighter V, die sich zuvor Haïrdrÿer nannten, offenbar genug Hummeln im Arsch und haben sich mit ihrem Debüt-Album «Fighter» mächtig angestrengt, zumindest mal die Auffahrt auf die Autobahn zu kriegen. Obwohl es zu Beginn des Auftrittes der Melodic Rocker aus Hergiswil um Punkt 19:00 Uhr noch keinen totalen Girlie-Alarm vor der Bühne gab, sorgten dennoch einige weibliche Supporters gleich für die richtige Aufmerksamkeit. Diese wurde anschliessend auch von Frontmann Dave Niederberger gesucht und im weiteren Verlauf definitiv gefunden. Obwohl der Band der stilistische rote Faden zeitweilen abhanden kommt, ging der Fünfer beherzt an die Sache ran. Mir fehlte allerdings einiges an Durchschlagskraft, um wirklich geflasht zu werden. Zudem kann es gefährlich sein, Cover-Songs grosser Bands, wie eben Bon Jovi, im Repertoire zu haben. Der eine Classic war «Runaway» und soweit ok, aber warum man dann auch noch «You Give Love A Bad Name» als Zugabe im Set stehen hatte, verstehe ich hingegen gar nicht. Da nützten selbst die sehenswerten "David Lee Roth" Gedenk-Spagat-Sprünge von Dave nichts mehr, zumal ein paar Fans in der ersten Reihe mehrmals und deutlich hörbar den Songtitel «Headlines» skandierten, aber nicht erhört wurden. Insgesamt ging die energetisch vorgetragene Performance der Nidwaldner Jungs voll in Ordnung, aber für die Oberliga braucht es deutlich mehr!

Setliste: «Heat Of The City» - «Frontline» - «Fighter» - «Can't Stop The Rock» - «Runaway (Cover Bob Jovi)» - «There She Goes» - «Save Your Love» - «Dangerous» - «City Of Sinners» - «Looking For Action» - «Turn It Up!» -- «You Give Love A Band Name».

Pretty Wild
Obwohl Festival-Boss Fridu den bevorstehenden Auftritt der Schweden glaubwürdig als Premiere auf Schweizer Boden ankündigte, folgten bald danach die entsprechenden Reaktionen auf Facebook und berichtigten dies um-gehend. Fakt ist auf jeden Fall, dass die Truppe mitunter auch 2015 als Support von The Poodles im Mini-Z7 aufspielte, wie dem auch sei. Das Debüt «All The Way» erschien 2008 und sorgte vor allem in der Heimat für gute Resonanz. Spätestens ab dem zweiten selbst-betitelten Release von 2014 war das auch heute noch bestehende Line-up mit Ivan Ivve Höglund (v), Axl Ludwig (g), Kim Chevelle (b) und Johnny Benson (d) auch albumtechnisch gesetzt. Grosses Auf-sehen erreichten Pretty Wild damit nicht, da die Konkurrenz zahlreich und vor allem hochklassig ist. Mit dem dritten Wurf «Interstate 13» und nach fünf Jahren Pause gelang zumindest der musikalische Befreiungsschlag. Genau das erhoffte sich meine Wenigkeit für den Auftritt beim ICE ROCK, und die Erwartungen wurden weitgehend erfüllt. Der grundsätzlich ansprechende Glamster Hardrock hätte zwar noch eine Ecke dreckiger und zwingender um die Ecke kommen sollen, doch je länger die Jungs auf der Bühne standen, desto besser hörte sich das Ganze an. Von der Optik her konnte allerdings nur Gitarrist Axl punkten, während die Kollegen so zu sagen viel "zu brav" aussahen. Das färbte freilich nicht auf die Performance des Quartetts ab, und vor allem das, was Bassist Kim Chevelle seinem Instrument entlockte, versetzte mich und auch das aktive Publikum im Tenn in beste Party-Stimmung! Dass insgesamt vor allem neuere Songs gespielt wurden, zeigte die Marschrichtung an, nämlich nichts anderes als vorwärts.

Setliste: «Intro» - «Break Down The Walls» - «Get it On» - «Come Out Tonight» - «Superman» - «Drum Solo Johnny Benson» - «Stand My Ground» - «High Enough» - «Give It All Tonight» - «Staring At The Sun» - «Guitar Solo Axl Ludwig» - «All I Want» - «Wildheart» -- «Are You Ready» - «Meant For Trouble».

Praying Mantis
Nach der gestrigen Ansage von Diamond Head war es nun an den Landskollegen von Praying Mantis, für entsprechenden Reibach zu sorgen. BYH!!! Festival sei Dank, konnte ich die NWOBHM-Ikone 2007 zum ersten Mal live geniessen. Hätte damals einer gesagt, dass die Band fast satte dreizehn Jahre später, und dann erst noch an so einem kultigen Ort wie dem hier, auftreten wird, wäre glatt für verrückt erklärt worden. Das dachten sich wohl auch Fridu und Marco, als sie die Zusage erhalten hatten. Und so kam es, dass mit der Band natürlich die beiden Brüder und letzten beiden Ur-Members Tino (g/v) und Chris Troy (b), zusammen mit Andy Burgess (g), John "Jaycee" Cuijpers (v) sowie Hans in 't Zandt (d) die Reise ins Emmental antraten. Was danach während gut eineinhalb Stunden zelebriert wurde, markierte das bisherige Highlight des ICE ROCK Festivals! Die sichtliche Freude, die förmlich aus den Gesichtern der Musiker sprang, übertrug sich bald auf die begeistert antizipierenden Fans, die auch der UK-Kultband einen unvergesslichen Abend bescherten. Der kernige Gitarrensound war ein Ohrenschmaus sondergleichen und die Solos von Andy Burgess liessen einen, trotz ein paar Timing- und Spiel-Schnitzern, mit herunter hängender Kinnlade zurück! Das war einfach ganz grosses Kino, und es ist schon ein Jammer, dass so eine Band zu ihren besten Zeiten nicht die Bedingungen vorfand, das damalige Talent in die richtigen Bahnen zu lenken. So war dies hier und heute Abend nichts anderes als ein unbezahlbares Geschenk, das noch lange nachwirken wird! Dies betrifft auch die Musiker, allen voran Tino Troy, der voll des Lobes war und sich pudelwohl fühlte.

Setliste: «Captured City» - «Praying Mantis» - «Believable» - «Panic In The Streets» - «Restless Heart» - «Fight For Your Honour» - «Keep It Alive» - «Mantis Anthem» - «Highway» - «Dream On/Lovers To The Grave» - «Time Slipping Away» - «Letting Go» -- «Simple Man (Cover Lynyrd Skynyrd)» - «Children Of The Earth».

Stallion
Eigentlich hätte man sich nach dem hammermässigen Auftritt von Praying Mantis bloss noch ein letztes Bier gönnen und den Heimweg antreten können. Doch so läuft das erstens nicht beim ICE ROCK, und zweitens gehören viele Besucher nicht zum Ü-50 Club wie ich. Deshalb war es richtig wie nachvollziehbar, um Mitternacht nochmals richtig Krach zu veranstalten. Die Wahl fiel heuer auf Stallion aus Deutschland, sprich Baden-Württemberg. Hierbei handelt es sich um die Truppe, die die Szene seit 2013 bereichert. Der überaus speedig aufgezogene Heavy Metal wird ganz im Stile der 80er gelebt und vor allem durch Frontmann Paul "Pauly" Ehrenhardt verkörpert. Als die Band zur Geisterstunde die Bühne im Nussbaumschachen betrat, tauchte für uns Schweizer ein bekanntes Gesicht auf! Die Rede ist von Gitarrist Claudio "Clode" Hürlimann (Ex-Battalion), der letztes Jahr Oliver "Olli Gee" Grbavac ersetzte. Das war natürlich schon ein Aufsteller, bevor überhaupt ein Ton gespielt wurde. Was bald danach jedoch folgte, war ein mittlerer Orkan, und auch wenn die Optik von Pauly in der heutigen Zeit etwas affektiert daher kam, passte das Package wie die berühmte Faust aufs Auge. Stallion gaben ordentlich Gas, ohne aber die Trademarks der Heavyness, sprich gedrosseltere Parts, auszulassen. Das Axt-Duo mit Äxxl und Clode harmonierte dabei bestens und die noch zahlreich vorhandenen Fans vor der Bühne feierten den Rausschmeisser nach allen Regeln der Kunst ab. Der Volldampf-Metal sorgte während gut einer Stunde für ausgesprochen gute Stimmung wie Schweiss gleichermassen. Wohl all denen also, mich eingeschlossen, die noch bis zum Abschluss des zweiten Festivaltages vor Ort geblieben sind.

Setliste: «Rise And Ride» - «Down And Out» - «Wild Stallions» - «No Mercy» - «Kill Fascists» - «Stigmatized» - «Killing Time» - «Underground Society» - «Watch Out» - «Shadow Run» - «The Devil Never Sleeps» - «From The Dead» - «Kill Fascists» - «Canadian Steele».



Samstag, 11.01.2020 (Dritter Tag)

Sweet Needles
Der dritte und letzte Tag des ICE ROCK Festivals setzt voraus, dass man die Nacht zuvor nicht allzu heftig Party gemacht hat, denn die erste Band stand schon um 14:30 Uhr auf der Matte! Wobei was heisst hier "früh"? Davon konnten eher Sweet Needles berichten, denn der zweite von "Souls Of Rock" supportete Act fuhr etwa morgens um drei Uhr (!!) in der Landeshauptstadt Paris mit dem eigenen Auto ab, um rechtzeitig im Emmental anzukommen. Die fünf jungen Franzosen waren den allermeisten Besuchern ein zuvor unbeschriebenes Blatt. Der Name der Band und das Logo suggerierten zunächst einen Stil, der zu Anfangszeiten gezockt wurde, sprich Glam und Sleaze. Inzwischen hat sich das Ganze jedoch mehr in Richtung Stoner Rock verlagert, ohne dabei mit stilistischen Scheuklappen unterwegs zu sein. Die Optik der Bandmitglieder stützte diese Tatsache, was aber nicht hiess, dass Sweet Needles an Intensität eingebüsst hätten, im Gegengeil! Vor allem Frontmann Oscar Bonnot, der auf den ersten Blick wie der Zwillingsbruder von Cliff Burton (Metallica, R.I.P.) aussah, gebärdete sich wild und ungezügelt zum fetten Sound wie tighten Zusammenspiel seiner Hintermannschaft. Zu Beginn erzeugte die energisch vorgetragene Chose vor noch nicht so vielen Fans leider keine wirkliche Resonanz, aber das änderte sich mit fortlaufender Auftrittsdauer des coolen Openers. Sänger Oscar gab hierzu alles was er hatte und war sich zudem nicht zu schade, auch den Bühnenboden in seine agile Performance miteinzubeziehen. Der ordentliche Schlussapplaus war mehr als verdient und Sweet Needles empfahlen sich als heissen Tipp für die Zukunft!

Setliste: «Intro» - «Not The Only One» - «Egotrip» - «Feel Alive» - «Instrumental Interlude» - «Rock'n'Roll Queen (The Subways Cover)» - «Another Land» - «Be Bop» - «Failed» - «Better Late Than Never» - «Thirteen».

Lucy Four
Aus Schweizer Sicht war ich vor allem auf den Auftritt von Lucy Four gespannt. Vor fünf Jahren war die gleiche Besetzung noch unter dem eher profanen Bandnamen SEXY unterwegs. Bassist und Sänger Kudi M. Heeg sowie Drummer Pidi "Criss" Leuenberger waren zudem Mitglieder des Schweizer Kult-Trios Hellmute, das zwischen 1993 und 2008 existierte. Die Gegenwart wie Zukunft fungiert nun unter Lucy Four und es brauchte keine Minute, bis der erdige Rock-Sound das Tenn bis in den hintersten Winkel ausfüllte. Das tighte Zusammen-spiel, reduziert auf die Maxime "weniger ist mehr" war von der musikalischen Performance her schlicht eine Wucht. Während Frontmann Pascal Tallarico voll in seiner Rolle aufging, liessen Gitarrist Rey Misterio und die Rhythmus-Truppe mit Kudi und Pidi rein gar nichts anbrennen. Mit Fokus auf dem Debüt-Album «Burn In Paradise» rockte das agile Quartett, als gäbe es kein Morgen mehr. Drummer Pidi zählte die Songs jeweils mit fast überschäumender Energie an und zerlegte sein Drum beinahe. Ganz zu schweigen davon, dass sein schweisstreibendes Spiel sichtlich einige Energie abforderte. Jeder Track war einem kräftigen Tritt in den Arsch gleich und eigentlich stand die Band zu früh auf der Bühne. Nichtsdestotrotz übertrug sich die überbordernde Spielfreude bald auch auf das Publikum, welches zwar etwas Anlauf brauchte, jedoch noch rechtzeitig auftaute und die brillante Vorstellung entsprechend würdigte. Ein Vergleich mit den vorher aufgetretenen Bands hinkte stilistisch zwar, aber für mich lieferten Lucy Four den bisher klar tightesten Auftritt des ICE ROCK ab und hinterliessen einen hervorragenden Eindruck.

Setliste: «1000 Women» - «Last Night» - «Dressed To Thrill» - «Do It Again» - «Burn In Paradise» - «No Guarantees» - «Fucked Up To The Bones» - «Holy Roller» - «Drive» - «Fatal Attraction» - «Don't Mind» - «Supernova» - «Shout For SEXY».

Evolve
Da ich die Schweizer Prog Metaller aus Montreux, die sich seit 2018 nun mit Sänger und Producer Jean-Marc Viller zusammen getan haben, vorher nicht kannte, war zunächst nicht klar, welcher Stil nun Einzug hielt. Überhaupt schnallte ich erst während der Aufbauarbeiten auf der Bühne, dass Jean-Marc zum Waadtländer Ensemble, das im Jahre 2000 gegründet wurde, dazu gehörte. Evolve brachten 2009 eine erste 4-Track EP noch mit einem anderen Frontmann heraus, um anschliessend albummässig über eine Dekade lang wieder in der Versenkung zu verschwinden. Just auf den Auftritt am ICE ROCK Festival hatte die Band heuer das brandneue Album «Choose Your Path» mit dabei, das mitunter gleich komplett (!), wenn auch in anderer Songanordnung, durchgespielt wurde. Bevor es losgehen konnte, mussten noch technische Probleme gelöst werden, was eine augenscheinliche Hektik auslöste. Mit leichter Verspätung erklang das Intro, gefolgt vom instrumentalen Album-Opener. Da diese Sequenz ohne Gesang gefühlt ewig dauerte, nahm sie dem sich anbahnenden Spektakel leider gleich zu Beginn einigen Wind aus den Segeln. «Neverending Journey», ein Track der EP und aktuell neu eingespielt, blieb sich dann aber fast nichts mehr schuldig. Mit ordentlich Vibes von Threshold, Vanden Plas und den frühen Ivanhoe bratzten Evolve voll nach vorne los. Jean-Marcs Stimmbänder brauchten allerdings etwas Anwärmzeit, um danach umso kräftiger zuzulangen. «Time» liess anschliessend jeden anwesenden Prog-Fan garantiert nicht kalt, und je länger Mr. Viller performte, desto mehr wurde klar, dass sein Mitwirken unerlässlich ist. Einziger Wermutstropfen war jedoch, dass es der Band deutlich hörbar an Spielpraxis fehlte.

Setliste: «Society (Intro)» - «The Following» - «Neverending Journey» - «Time» - «Try Before You Die» - «The Light At The End Of The Labyrinth» - «Liberty» - «Deal With Desperation» - «Transit» - «Symbols» - «Humanity».

Blessed Hellride
Wer als sachkundiger Fan gedacht hat, dass es kaum eine neue Schublade gibt, um den Sound einer Band zu charakterisieren, wurde nun eines Besseren belehrt! Der räudige Haufen aus Trier (D) verschrieb sich nach der Gründung 2010 zuerst dem Sleaze und Glam Rock. Kurz darauf verständigte man sich auf das Wahre, sprich Southern und Groove Metal oder eben "BOOZE N ROLL" gemäss eigener Definition, respektive Schreibweise. Das klang auf dem Papier schon mal nach ordentlich Rotz, und genau das veranstalteten Blessed Hellride danach auch. Angeführt durch den hünenhaften Fronter Tiny Fuel und eskortiert von Jack Stoned (g), Yacko José Gonzales (g), Maze Grey (b) sowie Captain (d) zündete der Fünfer eine ordentliche Party auf der Bühne. Dabei stand mitunter auch ein eigenwillig gestalteter Mikrophonständer im Mittelpunkt, der mit einigen Vintage-Leuchten behangen war und ein scheinbar wichtiges Requisit repräsentierte. Zu einem obergeil bollernden Basssound knüppelten die Jungs ihre Songs mit massig Körpereinsatz runter. Dass dabei immer wieder mal Motörhead zitiert wurden, verwunderte an dieser Stelle nicht. Leider blieb die echt rotzig vorgetragene Chose trotz hohem Energiefaktor unter dem Strich zu gleichförmig. Es gab kaum Hooks mit Wiedererkennungswert und unterstrich ein sattsam bekanntes Problem, das viele Bands mit sich herum tragen. Der Resonanz beim Publikum tat dies allerdings keinen Abbruch, und je bierseliger Mann oder Frau unterwegs war, desto besser kam das Ganze an. Mitten im Set ging dann der erwähnte Mic-Ständer ziemlich unerwartet zu Bruch. Nichtsdestotrotz erfüllten Blessed Hellride ihre Mission, die anschliessend am Merchstand CD-mässig ausgeschossen waren.

Setliste: «Intro» - «Booze n Roll» - «Rock'n'Rolla» - «Devils Ride» - «St. Lucifer» - «Overdrive Junkies» - «Fucking Hairy Bastards» - «Dead Mens Blues» - «Bourbon King» - «Papa Joe» - «Good Times Roll» - «Blessed Hellride» - «Bastards & Outlaws».

Evergrey
Wer sich im Sommer mal unwissend nach Wasen im Emmental "verirrt" und vor dem aufgeräumten Tenn im Nussbaumschachen steht, würde nie im Leben darauf kommen, was da jeweils im Januar abgeht. Doch diese Geschichte muss nicht mehr erzählt, sondern vielmehr das erwähnt werden, was Fridu Gerber und Marco Forster hier oben mit ihrem Baby geschafft haben. Der Lohn für das alles ist eine mittlerweile ordentliche Referenz an Bands, die in den letzten Jahren verpflichtet werden konnten. Mit Evergrey wurde nun das Husarenstück schlechthin abgeliefert, das man sich kaum je hätte vorstellen können, schlicht ein wahr gewordener Traum! Die schwedischen Progressive Dark Power Metaller sind zwar keine big selling Band, aber was in einem Vierteljahrhundert Karriere entstanden ist, kann sich sehen und vor allem hören lassen. Evergrey in einem Z7 in Pratteln zu sehen, ist die eine Sache, aber was Mastermind Tom Englund und seine Jungs da oben abfackelten, lässt einem die Kinnlade ergriffen nach unten klappen. Mit einer noch nie dagewesenen Wucht wurden einige Leckerbissen der letzten drei Alben «Hymns For The Broken» (2014), «The Storm Within» (2016) und dem grandiosen «The Atlantic» (2019) sowie grundsätzlich nur Songs aus den 2000ern gespielt. «Recreation Day» vom gleichnamigen Album (2003) markierte dabei den ältesten Song. Somit fehlte leider zum Beispiel Material von «Solitude - Dominance - Tragedy» (1999), also dem Album, durch das ich damals auf Evergrey aufmerksam wurde. Der heutige Hammer-Auftritt blieb sich jedoch nichts schuldig, und die zahlreich anwesenden Fans dieses Genres wurden Zeugen eines absolut unvergesslichen Konzerts ihrer Helden!

Setliste: «A Silent Arc» - «Weightless» - «Distance» - «Passing Through» - «The Fire» - «Leave It Behind Us» - «Black Undertow» - «My Allied Ocean» - «All I Have» -- «The Grand Collapse» - «Recreation Day» - «A Touch Of Blessing» - «King Of Errors».

Dynazty
Nach dem Headliner aufzutreten zu müssen, und dazu nach so einem Hochkaräter wie Evergrey, ist nicht jedermanns Sache. Doch mit Dynazty handelt es sich erstens um Landsleute und zweitens wurde einem die Ehre zuteil, das ICE ROCK Festival 2020 als letzte Band abschliessen zu dürfen. Meine Wenigkeit war allerdings total geplättet von Evergrey und darum nahm ich nach den Fotos reissaus vor der Bühne, respektive schaute mir das Ganze aus den hinteren Reihen gemütlich an. Die Schweden, die sich ja ohne ihren etatmässigen Leadsänger Nils Molin (der übrigens auch bei Amaranthe shoutet) als Tourband für Joe Lynn Turner ziemlich überzeugend in Szene setzten, konnten bisher unter ihrem eigenen Namen leider kaum für echte Akzente sorgen. Eigentlich völlig zu unrecht, denn seit der Gründung 2007 bis hin zum heuer erst kommenden neusten Wurf «The Dark Delight» sind es nicht weniger als sieben Alben, die griffigen Hard & Heavy Sound typisch skandi-navischer Prägung repräsentieren. Genau das wurde dann auch megatight und vor immer noch ansehnlich viel Publikum zelebriert. Die zahlreichen Synthie-Parts kamen zwar ab Band, aber das eckte nicht wirklich an. Nils dirigierte die Fans mit Leichtigkeit und die Lautstärke das Applauses bedurfte keines weiteren Kommentars. Mit der Zeit kriegte ich allerdings das Gefühl, dass sich die Songs etwas im Einerlei verloren. Dieser Eindruck bestätigte sich bei der audiomässigen Nachlese zu Hause jedoch nicht mehr. Dennoch glaube ich, dass der Dynazty-Sound mit einer opulenteren Produktion, sprich einfach mit der grösseren Kelle angerichtet, mehr zur Geltung kommen könnte. Insgesamt setzte das Quintett einen absolut würdigen Schlusspunkt.

Setliste: «Intro» - «Breathe With Me» - «The Northern End» - «Firesign» - «The Grey» - «Ascension» - «Incarnation (including Bass Solo by Jonathan Olsson)» - «Drum Solo George Egg» - «In The Arms Of A Devil» - «Raise Your Hands» - «The Smoking Gun» - «The Human Paradox» - «Titanic Mass» - «Starlight».


Fazit zur Ausgabe 2020: Das Wetter zeigte sich deutlich wärmer als auch schon, kein Schnee in Sicht. Am Donnerstag waren erwartungsgemäss weniger Leute als letztes Jahr zugegen, als Shakra kräftig Fans anlockten. Dennoch dürften es schon gut 300 Besucher gewesen sein. Sonst alles wie gehabt, heisst coole wie total friedliche Stimmung und familiär, inklusive eines Heiratsantrages! Heuer konnte man neue Gesichter entdecken und auch etwas mehr Junge als sonst. Offenbar pilgerten einige, trotz der 18. Auflage, zum ersten Mal ins Emmental. "Souls Of Rock" und das OK gaben sich am ersten Abend zu langfädig mit der Präsentation der wertigen wie nachhaltigen Hoodies. Tag zwei und drei in gleicher Mission waren dann deutlich kompakter. Ausser etwas Trockeneis bei Blessed Hellride kam keine Rauchmaschine zum Einsatz. Trotzdem waren die Lichtverhältnisse abermals eher schwierig, da es generell zu wenig Frontlicht gab. Leider ist alles schon wieder vorbei, aber die Epic Doom Metaller Atlantean Kodex wurden als erste (Wunsch-) Band für 2021 bereits bestätigt.