Alles entwickelt sich spiralartig. Jede neue Windung wiederholt
teilweise die vorige. Aber es wird jedes Mal etwas Neues
hinzugefügt, deswegen findet auch die Wiederholung auf einem anderen
Niveau statt. Das letzte Album von Kylesa, das 2010 erschien, trägt
den entsprechenden Namen „Spiral Shadow“ und hat den von Kylesa
gewählten Weg endgültig bestätigt. Seit 2009 (d.h. seit der
Erscheinung des Albums „Static Tension“) begannen die Musiker von
Kylesa, psychedelische Musik der neuen Generation zu spielen. Eine
harmonische Mischung des modernen Sludgecore/Crustcore und der
Melodik, der buzzing-bluesy Black-Sabbath Gitarren und der
archaischen instrumentalen Effekte brachte der Band unerhörten
Erfolg unter den Avantgarde Musik-Fans. Die Band hat ihren
einzigartigen Klang gefunden und wird jetzt kaum im Schatten von
ihren berühmten Landsleuten Mastodon stehen. Als support mit dabei:
„Circle Takes The Square“, eine experimentelle Post Hardcore-Band
(auch Kylesa's Landsleute) aus Savannah, Georgia. 2004 machten sie
sich mit ihrem abendfüllenden Debütalbum „As The Roots Undo“
international auf sich aufmerksam. Sieben Jahre später melden sie
sich mit dem Nachfolger „Decomposition Volume 1“ zurück. Die
Vorgruppe für beide Bands war die kanadische Hardcore/Noise
Rock-Band KEN Mode, welche im Jahr 2011 das Album "Venerable"
veröffentlicht.
Die Musiker von KEN Mode betraten die Bühne in voller
Dunkelheit. Beleuchtet wurde die Bühne nur von zwei oder drei
Stehlaternen, die nur schummeriges, gelbes Licht spendeten. Die
Atmosphäre in der Halle war äußerst düster, genauso wie die Musik
von KEN Mode. Die Musiker spielten eine harte minimalistische
Version von Hardcore mit sehr langen Breakdowns, die bis zu
8 Sekunden dauerten. Besonders hart schienen die Partien des
Schlagzeugers Shane Matthewson zu sein - bei solch einer aggressiven
Spielweise sagt man oft, dass der Schlagzeuger „wie ein Tier“
spielt, was definitiv auch passte. Er trommelte wütend, sodass alle
anderen Töne kaum zu hören waren. Außerdem wurden die anderen
Musikinstrumente und die Mikrophone so abgestimmt, dass ihre
Lautstärke mit der von den Schlagpartien gar nicht zu vergleichen
war. In einem Moment konnte man sogar Mitleid mit dem Band-Frontman
verspüren – dem Sänger/Gitarrenspieler Jesse Matthewson, Bruder von
Shane, der so stark wie möglich ins Mikrophon schrie und eiferte und
dennoch kaum zu hören war! Ebenso sehr strengte sich auch der
Bassist/Hintergrundsänger an. Seine Stimme war kaum hörbar, dafür
aber waren die recht interessanten Basspartien umso präsenter. Trotz
der furchtbaren Abstimmung des Klanges gelang es den Musikern, einen
starken Eindruck auf das Publikum zu machen. Einige besonders
beeindruckte Zuhörer kamen dicht an die Bühne, und einer von ihnen
wechselte mit Jesse brennende Blicke während des Auftrittes und
gestikulierte heftig. KEN Mode sind keine Anfänger im Bereich
extremer Musik, weil sie schon vier vollständige Alben
veröffentlicht haben. Es ist zweifellos, dass ihr Auftritt die
Zuhörer bitteren Hass empfinden ließ!
Die zweite aufwärmende Band, Circle Takes The Square, gehört
zu einer anderen Richtung im Bereich extremer Musik. Das 2004
erschienene Album „As the Roots Undo“ machte die Band zu einem
profilierten Screamo-Vertreter mit Mathcore-Elementen. Es sei
erwähnt, dass nicht alle Band-Teilnehmer bei dieser Tournee anwesend
waren. Der Gitarrenspieler David
Rabitor war nicht da. Deswegen
mussten sich die anderen Musiker recht stark bemühen, um die
notwendige Dichte des Gitarrenklanges zu erreichen. Trotz allen
Schwierigkeiten gelang es den zwei Band-Gründern, d.h. dem
Gitarrenspieler Drew Speziale und der Bassistin Kathy (Coppola)
Stubelek, die als ein eingespieltes Sängerduo anerkannt sind, diese
Aufgabe zu erledigen. Es sei betont, dass die Band alle Instrumente
und die Mikrophone äußerst sorgfältig „checkte“. Jeder
Band-Teilnehmer schrie bzw. sang einige Male ins Mikrophon, um sich
zu vergewissern, dass seine bzw. ihre Stimme sicher klang, und das
trug seine Früchte. Während des Auftrittes der Band konnte man nicht
nur die Kompliziertheit der instrumentalen und rhythmischen
Konstruktionen einschätzen (das Spiel des Schlagzeugers verdiente
auch das höchste Lob), sondern auch die mit Emotionen überfüllten
Liedertexte deutlich hören. Die dominierende blaue Farbe betonte die
starke und tief emotionale Hingabe der Musiker. Die Sängerin und der
Sänger, die beide mager sind, sahen sehr harmonisch aus, obwohl die
Stimme von der Sängerin Kathy, die eher einer Teenagerin ähnlich
war, sicherer und heller klang. Drew beeindruckte mich mit seiner
Schüchternheit, weil er sich ständig in der Bühnenecke versteckte
und sein Gesicht mit seinen Haaren bedeckte. Erst am Ende des
Auftrittes näherte er sich dem Zentrum der Bühne, lächelte sanft,
bedankte sich beim Publikum für den warmen Empfang und teilte mit,
dass es seine erste Reise in die Schweiz war. Als er fragte, ob
jemand aus dem Publikum die Musik der Band früher schon gehört
hatte, sagte jemand sofort „ja“. Das musste Drew aufgemuntert haben,
und während der letzten Lieder versteckte er sich nicht mehr so
sehr.
Nach einer sehr kurzen Pause betraten die Musiker von Kylesa
die Bühne, und es schien, als würde die Bühne sofort wärmer und
farbenreicher. Sowohl die ganze Band als auch jeder einzelne
Teilnehmer machte einen sehr positiven Eindruck. Als die talentierte
Gitarrenspielerin Laura Pleasant, die eine ungewöhnlich überirdische
Stimme besitzt, die Bühne betrat, zog sie die Aufmerksamkeit des
ganzen Publikums sofort auf sich. Sie trug eine hellrote Jeans mit
einem Gürtel, der ihre Taille unterstrich, große runde Ohrringe mit
Ornament und ein eng anliegendes T-Shirt mit dem Logo der
schwedischen Band Witchcraft, die psychedelischen Rock in der
Richtung Pentagram spielt. Auf dem Logo ist eine Hexe dargestellt,
deren Gesicht dem von Laura sehr ähnlich ist. Aber auch ohne diese
Andeutung fühlt man, wie stark der zauberhafte Reiz von dieser
wunderbaren Musikerin ist. Lauras recht niedrige Stimme wird
manchmal zum wütenden Geschrei, und die einschmeichelnden
Gitarrenmodulationen wie z.B. im Lied „Don't Look Back“ sind eine
echte Verschönung. Am Ende des Auftrittes schrie einer der Zuhörer
deutlich: „You are beautiful!“. Und das muss man zugeben! Der
geistige Anreger der Band – Producer, Sänger, und Gitarrenspieler
Phillip Cope – stand rechts. Er sah sehr bescheiden aus und trug ein
schlichtes, graues Hemd, was für die Avantgarde-Bühne nicht typisch
ist. Außer allen möglichen Gitarreneffekten
machte dieser Zauberer
und Spezialist für archaischen Klang ab und zu „magische“
Armbewegungen neben dem sogenannten Thereminvox – dem allerersten
elektrischen Musikinstrument. Es ähnelt einer Holzschachtel, die auf
einer Stütze steht und einen vertikalen, metallenen Stab hat. Um
diesen Stab herum bildet sich ein elektromagnetisches Feld. Um das
Instrument erklingen zu lassen, muss man seine Hand in dieses Feld
einführen. Dabei erklingt ein recht schriller Lärm, dessen Höhe und
Intensität verschieden sein können. Phillip schrie eher als dass er
sang, und das harmonierte mit Lauras Gesang sehr gut. Es war einem
Dialog ähnlich, als ob Phillip etwas fragte und Laura ihm
antwortete.
Als Hintergrundsänger trat der Bassist Eric Hernandez
auf. Dieser stämmige Kerl strömte eine äußerst starke Energetik und
Selbstsicherheit aus. Seine unterstützenden Basspartien waren
deutlich und gut zu hören, auch wenn alle anderen Partien reich und
unterschiedlich waren. In der Band gibt es zwei Schlagzeuger,
deswegen standen auf der Bühne zwei Trommelanlagen. Das fiel sofort
auf und sah etwas ungewöhnlich aus. Aber die Anlagen waren
verschieden. Die erste war traditionell für Metal- und Core-Bands
und hat eine Basstrommel, an welcher der Schlagzeuger sass. Die
zweite Trommelanlage bestand aus einigen kleinen und mittelgroßen
Trommeln, die hoch über dem Boden waren, weswegen der Schlagzeuger
stehend spielen musste. Die zweite Trommelanlage klang einer
ethnischen Perkussion ähnlich, und das liess die Musik von Kylesa
recht exotisch klingen. Ich war erstaunt, wie gut eingespielt die
Musiker spielten und wie gut die Schlagpartien einander ergänzten.
Was die Set-Liste anbelangte, so bestand sie meistens aus den besten
Liedern aus den letzten zwei Alben. Die Lieder aus dem letzten Album
klangen feiner und enthielten weniger Core (besonders „Tired Climb“
und „Scapegoat“). Aber das Publikum reagierte aktiver, wenn die von
der Zeit geprüften Hits aus dem Wendealbum „Static Tension“ (2009)
gespielt wurden. Besonders enthusiastisch begrüßte das Publikum den
zweifellosen Hit „Running Red“ mit seinem bekannten Riffing. Davor
bat Laura um Entschuldigung dafür, dass die Musiker kein längeres da
capo spielen konnten, weil sie jeden Tag Konzerte hatten und sehr
müde waren (momentan macht die Band eine lange Tournee und reist
europaweit). Deswegen wurde außer „Running Red“ das erprobte „Where
The Horizon Unfolds“ (2006) da capo gespielt, und nach stürmischem
Beifall war das Konzert zu Ende.
Set Liste Kylesa: „Said Done“, „Only One“, „Tired Climb“, „To Forget“,
„Forsaken“, Drum-Jamming, „Bottom Line“, „Don't Look Back“,
„Distance Closing In“, „Unknown Awarness“, „Hollow Severer“, „Scapegoat“,
„Running Red“, „Where The Horizon Unfolds”
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