Livereview: Scorpions
10. November 2010, Zürich – Hallenstadion
By Tinu
Das soll es nun gewesen sein? Eine der wohl prägendsten und erfolgreichsten Truppen im Hard Rock will sich von der Bühne verabschieden? Auch wenn die «Get Your Sting And Blackout Farewell»-Tour noch einige Monate dauern wird und dies vielleicht das letzte Konzert auf helvetischem Boden gewesen ist, so bleibt nach diesem 10. November Wehmut zurück. An eine Zeit, in der ein gewisses Reinheitsgebot bei den harten Klängen zum guten Ton gehörte und das Outfit ebenso zum Sound passte, wie die Hymnen zu den Scorpions. Tja, eine der ganz grossen Bands tritt ab. Welche anderen Combos werden ihr folgen? Und was noch weitaus schlimmer ist, welche jungen Bands sollen solche Lücken schliessen? Danke! Mir fällt auch keine ein...

Aber, da sass ich nun im Hallenstadion und erinnerte mich an die unglaublichen Momente zurück, als die Hannoveraner 1988 zusammen mit Cinderella die Züricher Kultstätte in Schutt und Asche legten. Oder ein Jahr später, zusammen mit Vixen. Oder 1991 zusammen mit Tesla. Viele Jugenderinnerungen ziehen an mir vorbei und verursachen ein Hühnerfell. Es war 20:10 Uhr, als die Lichter im Hallenstadion erloschen und auf den drei Videoleinwänden Bilder von der «World Wide Live»-Tour aufblitzten. Die breite Bühne und der Laufsteg ins Publikum liessen erahnen, dass die Herren, trotz ihres Alters, Gitarrist Rudolf Schenker und Sänger Klaus Meine mit je 62 Jahren, noch immer Vollgas auf der Stage geben wollen. Zusammen mit Lead-Gitarrist Matthias Jabs und den jüngeren Teilnehmern Bassist Paweł Mąciwoda und Trommelwunder James Kottak (ehemals Kingdom Come) sollten die nächsten knappen zwei Stunden eine Reise in die Vergangenheit und Gegenwart sein. James spielte zuerst auf seinem hydraulischen Drumriser in schwindelerregender Höhe und gab wie immer kraftvoll den Takt an. Neben seinem präzisen Spiel war es einmal mehr seine Show mit den Sticks, die propellerartig drehten oder in die Luft flogen um dann für den nächsten Schlag wieder aufgefangen wurden. Er ist ein verdammtes Tier an seinem Werkzeug. Dies manifestierte auch sein Solo, das mit einem kleinen Film, mit unterschiedlichen Scorpions-Covers («Love At First Sting», «Lovedrive», «Animal Magnetism», «Crazy World», «Humanity: Hour I», «Sting In The Tail») in denen er die Hauptrolle spielte, untermalt wurde. Mit seinem Bekenntnis zur Schweiz: «Great to be back in Switzerland, but it’s better to be in Zurich! Three Words: YOU KICK ASS!» hatte er alle auf seiner Seite. Etwas ruhiger verhielt sich da Paweł, der sehr solide spielte, aber sich gegen das Charisma von Klaus, Rudolf und Matthias nicht behaupten konnte. Klaus sang die höheren Töne erstaunlicherweise noch immer sehr gut und trieb das Publikum während der ganzen Show an. Rudolf rannte von der einen Bühnenseite zur anderen, verpasste trotzdem nie seinen Einsatz für den Chorgesang, drehte seine Pirouetten und hüpfte wie ein junges Reh auf der Bühne. Matthias bewies, dass er einer der besten Lead-Gitarristen ist. Alleine seine Solodarbietung «Six String Sting» liess vielen wieder mal den Mund offen stehen.

Nach der bebilderten Einleitung startete das Quintett mit «Sting In The Tail» um anschliessend die ersten Evergreens «Make It Real» und «Bad Boy Running Wild» anzuhängen. Genau solche Tracks sind es, die es heute kaum mehr zu hören gibt. Lieder, die mit einer Melodie ausgestattet sind, die man sofort mitsingen kann und trotzdem nie langweilig werden. Wer wird zukünftig solches Material schreiben? «The Zoo» mit dem ersten Mitsingpart der Fans und das Instrumental «Coast To Coast» heizten die Stimmung weiter an. Wie gewohnt spielte bei «Coast To Coast» Klaus mit einer dritten Gitarre mit und als James am Schluss des Songs mit einer Schweizer Fahne seinen nackten Oberkörper einwickelte gab es kein Halten mehr in der Halle. Dabei präsentierte der Schlagzeuger auch zum ersten Mal an diesem Abend sein Rückentattoo «Long Live Rock’n Roll». Für ihn mehr als nur eine Lebensweisheit! Weiter ging’s mit «Loving You Sunday Morning». Klaus begrüsste nach diesem Track das Publikum: «Grüetzi mitenand Zürich! Schön wieder hier zu sein, um euch zu danken. Wir schauen nicht zurück, sondern straight nach vorne», und spielte zusammen mit seine Bandkollegen den kommenden Live-Hit («The Best Was Yet To Come»). - Würden die Skorpione weiter die Welt mit ihrer Musik verzücken. - Hört man in solchen Momenten nur Klaus und das Publikum singen, läuft es jedermann kalt den Rücken rauf und runter. Den Ausklang fand diese Nummer mit Rudolf und Matthias auf den Laufsteg. Nur mit ihren Akustischen bewaffnet. Klaus gesellt sich zu ihnen und widmet den nächsten Song («Send Me An Angel»), dem grossen und tragisch verunfallten Steve Lee... Die ersten Zeilen des Refrains («Here I am») werden lauthals von den Schweizern mitgesungen.

Wenn wir schon in einer gefühlvollen Phase sind, dann werden wir sie auch richtig auskosten. Mit «Holiday» und Mister Meine, der die Schweizer dazu antreibt den Ton lange zu halten («Was ist los Zürich? Seid ihr dabei? Ihr könnt den Ton sehr lange halten, ich glaube ihr habt lange geprobt mit den Alphörnern») und einem fantastischen Doppelsolo von Rudolf und Matthias geht es über zum legendären 1989 Music Peace Festival in Moskau, das die Inspiration für den nächsten Song war, der seinen Erfolg mit dem Fall der Mauer feierte und heute nichts von seiner Message verloren hat. Hier ist «Wind Of Change»!» Wie bei jedem Song, fanden auch hier Bilder zum entsprechenden Song den Weg auf die Leinwände. Dass Moskau und Berlin bei der wohl bekanntesten Pfeifmelodie zu ehren kamen, war klar. Nach den eher besinnlicheren Momenten ging es weiter mit «Raised On Rock», «Tease Me Please Me» und dem wohl härtesten Track der Scorpions «Dynamite». Bei «Blackout» trat Rudolf mit der «Gesichtsverzierung» vom Cover des gleichnamigen Albums auf, um dann mit «Big City Nights», dem kampferprobten Mitsingteil und mit der bekannten und lange nicht mehr aufgeführten Scorpions-Pyramide den offiziellen Teil der Show zu beenden.


Ein klatschendes Händemeer, grelle Schreie und «Zugabe»-Rufe holten die Jungs nochmals auf die Bühne zurück. «Vielen Dank!», sagte Klaus um die erste Zugabe anzukünden: «Was soll ich nach all den Jahren sagen? «Sill Loving You, Baby!» Passend wurde zu diesem Song ein küssendes Paar aus dem Publikum gefilmt. Seien wie ehrlich. Wie viele Kinder wurden wohl bei diesem Song gezeugt? «Rock You Like A Hurricane» beendete dann diese Show, die ohne Support-Band auskam und ehrlich gesagt auch keine brauchte. Vielleicht sehen wir die Jungs nochmals auf dieser Tour. Wenn nicht, war dies hier ein würdiger Abschied einer Band, die seit 1972 mit dem ersten Album Musikgeschichte geschrieben hat und nicht zu ersetzen sein wird. Für mich ein sehr emotionales Konzertende...

Setliste Scorpions: Sting In The Tail, Make It Real, Bad Boys Running Wild, The Zoo, Coast To Coast, Loving You Sunday Morning, The Best Is Yet To Come, Send My An Angel, Holiday, Wind Of Change, Raised On Rock, Tease Me Please Me, Dynamite, Kottak Attack, Blackout, Six String Sting, Big City Nights, Sill Loving You, Rock You Like A Hurricane