Es geht auch ohne
Moshpit.
Das aktuelle Album „Queen Of Time“ ist nicht mehr
druckfrisch aber doch neu genug, um mit Tomi Joutsen
(Sänger von Amorphis) während ihrer Europatournee ein
wenig darüber zu plaudern. Gleichzeitig war dies auch
die Gelegenheit, die vergangenen Jahre der Band einmal
Revue passieren zu lassen und einen Einblick ins
Schaffen der Finnen zu erhalten. Ein schon fast
schüchtern wirkender Frontmann empfing mich also im
kleinen Kämmerchen des Z7 in Pratteln, der sich aber
kurz nach Beginn des Gesprächs als interessanter und
offener Interviewpartner rausstellte.
MF: Die
Karriere von Amorphis begann vor 29 Jahren und heute
gehört ihr zu den grössten Heavy Metal Bands der Welt.
Wie fühlt sich das an?
Tomi: Weisst du,
ich sehe uns gar nicht als eine der so grossen Bands.
Das wäre vielleicht etwas zu dick aufgetragen. Ich bin
erst seit 14 Jahren bei Amorphis und von daher
vielleicht auch nicht ganz die richtige Person, um
darüber urteilen zu können. Ich denke, dass wir uns
einfach glücklich schätzen können, nach so vielen Jahren
noch Platten machen zu können, die auch Interessenten
finden. Es gibt natürlich auch Personen im Business, die
nach so vielen Jahren einfach keine Motivation mehr
haben weiter zu machen. Unsere Leidenschaft ist
bekanntlich noch vorhanden und alle sind höchst
motiviert Musik zu machen, solange wir noch können. Ich
denke wir haben uns nicht einen Wahnsinnsnamen gemacht
in den letzten Jahren aber wir sind stetig als Musiker
etwas gewachsen – Stück für Stück und es freut mich
persönlich, dass Amorphis heute diesen Erfolg feiern
kann. Gerade die aktuelle Tour zeigt schön auf, dass den
Leuten gefällt was wir tun…
MF: Ihr wart
meist ausverkauft, oder?
Tomi: Nicht
alle aber die meisten davon. Es ist auch nicht das erste
Mal, dass wir ausverkaufte Shows in Europa haben aber
gerade in so hoher Zahl ist schon grossartig. Es
passieren momentan einfach grossartige Dinge mit
Amorphis.
MF: Das freut mich zu hören!
Jetzt seid ihr ja schon länger wieder auf Tour, erst in
den Staaten und jetzt aktuell in Europa. Wie ist es für
euch zurück auf der Bühne zu sein und neues Material
sowie alte Klassiker live zu performen?
Tomi: Nach einem Album folgt eigentlich immer eine Tour
und auf der Bühne zu stehen ist wohl das, was einem
Musiker Spass machen sollte. Wir wollten auch immer
einige Shows machen aber zu viele auch wieder nicht. Wir
sprechen so von ungefähr 120 Shows pro Jahr. Wir haben
auf dieser Tour auch wirklich tolle Promoter und
grossartige Manager, die im Vorfeld schon sehr gut
gearbeitet haben. Natürlich bleibt es harte Arbeit und
es ist nicht immer so easy wie es scheint. Besonders für
die „Family-Guys“, was die meisten von uns sind aber wir
sind nun mal in einer Band und jeder Job hat ja
bekanntlich Höhen und Tiefen.
MF: Das kommt vermutlich gerade in
solchen Situationen zum Tragen, wenn ihr warten müsst,
bis es endlich losgeht…
Tomi: Ja genau
(lacht), das sind die klassischen toten Zeiten, in denen
man sich manchmal etwas anderes wünscht…
MF: …wie ein Telefonanruf bei der Familie
zum Beispiel?
Tomi: Ja genau…
MF: Kannst du mir auch etwas zur Rückkehr von Olli-Pekka
Laine erzählen? Er hatte ja eine Pause von 18 Jahren bei
Amorphis eingelegt und seit rund einem Jahr ist er
wieder dabei. Wie ist das für dich oder die Band?
Tomi: Also für mich war es eine total neue
Situation. Ich kannte Olli-Pekka vorher nicht, habe ihn
nur ein paarmal kurz getroffen bei einigen Shows in
Finnland mit früheren Bandmitgliedern. Wir waren vorher
keine Freunde, kannten uns nicht, denn ich bin nicht aus
Helsinki wie die anderen Jungs sondern etwas von
ausserhalb. Als er dann zurückkam, kannte ich den Typen
nicht persönlich aber nach der ersten Tour, ich denke
das war die Tour mit Volbeat , fand ich Olli-Pekka
einfach nur grossartig. Er ist sehr talentiert.
MF: Dann ist sein Einfluss in der Band bereits
wieder spürbar?
Tomi: Ja absolut. Ich
denke als er die Band verliess, hat die Chemie einfach
nicht gestimmt zwischen den Mitgliedern und das war der
Hauptgrund für seinen Abgang. Jetzt ist er zurück, die
Chemie stimmt und wir sind alle ein wenig erwachsener
geworden. Wir wollen schliesslich damit unseren
Lebensunterhalt verdienen von daher… und er schreibt
wirklich gute Kompositionen, von denen ich in Zukunft
noch mehr hören möchte.
MF: Wir haben
jetzt bereits etwas in die Zukunft und in die
Vergangenheit von Amorphis geschaut. Wenn man sich die
letzten Veröffentlichungen anschaut, sind die doch alle
sehr unterschiedlich ausgefallen. Besonders wenn man
„Tales From The Thousand Lakes“ mit „Under The Red
Cloud“ oder dem letzten Album „Queen Of Time“
vergleicht. Was ist die letzten 25 Jahre mit der Musik
von Amorphis passiert?
Tomi: Nun, ich
denke dass gerade zu „Tales-Zeiten“ die Death
Metal-Szene noch ganz schon in den Kinderschuhen
steckte. Alle Bands waren irgendwie neu. „Tales From The
Thousand Lakes“ ist darin ein einzigartiges Album. Es
war auch für mich persönlich ein sehr wichtiges Album
und ist es bis heute noch. Ich bin nur zwei Jahre jünger
als die Jungs und als es herauskam war es auch für mich
ein musikalischer Meilenstein, ebenso „The Karelian
Isthmus“. Ich denke, dass die Zeit einfach auch viel
verändert hat sowie die personellen Wechsel im Line-Up
der Band. Jeder hat etwas Neues eingebracht und dazu war
der damalige Death Metal irgendwie hektisch und die
Jungs haben sich damit mehr und mehr gelangweilt. Es
kamen Einflüsse aus den Siebzigern hinzu und die Band
war einfach irgendwie offen und bereit für Neues.
Trotzdem kann man seit „Elegy“ vielleicht aber auch
schon seit „Tales“, rein vom Sound her ohne Gesang,
Amorphis über die Jahre dennoch klar erkennen. Wir haben
einfach immer schräge Elemente, die uns auszeichnen. Wir
haben auch oft diese melancholische Stimmung in unseren
Songs und ich bin sehr froh, dass die Jungs diese
Offenheit besitzen. Ich denke, dass ein weiteres
„Tales-Album“ auch gar nicht möglich gewesen wäre. Es
hätte nicht denselben Stellenwert gehabt und als ich zur
Band hinzukam, haben wir sowieso gerade damit begonnen,
wieder vermehrt Heavy Metal zu spielen. Jetzt bei „Queen
Of Time“ haben wir wieder vermehrt härtere Riffs
angewendet und das Album ist wie eine Compilation
vergangener Jahre…
MF: Härtere Riffs,
weniger progressive Elemente. Kann man schon fast von
einem „Back to the roots-Album“ sprechen?
Tomi: Oh… ich möchte nicht sagen, dass wir grundsätzlich
härter geworden sind aber um ein „Back to the
roots-Album“ handelt es sich definitiv nicht. Es war
eher so ein Gefühl, das uns beim Schreiben überkam. Wir
planen sowieso nie etwas, wenn wir uns an neuem Material
zu schaffen machen. Es wäre ja voll blöd zu sagen, dass
wir ein Album zu 75% Heavy Metal und 25% anderen
Elementen produzieren. Wir schreiben einfach unsere
Songs und versuchen dabei das Beste aus dem Stück
rauszuholen.
MF: Wenn wir gerade beim Stückeschreiben
sind: ich habe gelesen, dass ihr eure Texte nicht selber
schreibt. Ist das richtig?
Tomi: Ja das
stimmt. Wir haben schon seit vier oder fünf Alben einen
Songschreiber.
MF: Was bedeutet das denn
für euch? Habt ihr persönlichen Einfluss auf die Texte
oder geht das ganz verloren?
Tomi: Nun,
ich kenne den Typen schon länger. Etwa 25 Jahre. Er war
früher mein Lehrer an der Schule. Er ist ein älterer
Herr um die sechzig, der sich mit der finnischen
Mythologie und deren Geschichten einfach sehr gut
auskennt und er kommt absolut von ausserhalb der
Metal-Szene. Wenn ich eine Idee für einen Song habe,
dann frage ich ihn, ob er etwas darüber schreiben
könnte. Natürlich kennt er unser Konzept und unsere
Persönlichkeiten und er weiss genau, was zu uns passt.
MF: Das ist sehr interessant, denn viele Bands sagen
doch gerade zu dem Thema, dass es ihnen sehr wichtig
sei, sich in den eigenen Worten ausdrücken zu können?
Tomi: Ja das stimmt! Aber wir sind einfach
eine Truppe aus guten Musikern und ich glaube, dass
keiner der Jungs gute Texte schreibt. Ich persönlich bin
total scheisse (lacht). Wenn ich schreibe ist es
wirklich scheisse! Es wäre echt schade, grossartige
Musik mit beschissenen Lyrics zu verschandeln. Die Musik
braucht gute Texte und ich glaube, dass wenn manches so
zusammenkommt, dass es ebenso sein muss.
MF: Wie sind denn schlussendlich die Aufnahmen zu „Queen
Of Time“ verlaufen?
Tomi: Wir sind mit
ein paar Demos nach Finnland gefahren, um mit dem
Produzenten die ersten Vocalaufnahmen zu machen. Dann
haben wir alle definitiven Aufnahmen in Stockholm und
Örebro gemacht, ausser unser Keyboarder, der hat seine
Aufnahmen im eigenen Studio eingespielt. Normalerweise
haben wir einfach Ideen, die wir dann auf Demos
einspielen, damit wir sie nicht mehr vergessen. Danach
feilen wir an Arrangements bis sie passen.
MF: Ihr hattet bezüglich Aufnahmen eine harte Zeit.
Wart ihr zu derselben Zeit nicht noch auf Tour?
Tomi: Ja allerdings! Wir hatten keine grosse Pause, um
das Album einzuspielen. Wir machten dies gerade im
Anschluss an die Tour aber die Jungs hatten bereits etwa
20 Songs eingespielt und da wir tolle Komponisten in der
Band haben, war die quälende Phase überschaubar. Wir
hatten unser Material zusammen. Es wird erst dann
stressig, wenn einer seinen Teil nicht bringt aber das
ist bei uns kein Thema. Es ist auch toll mit einem
Produzenten zu arbeiten, dem man vertrauen kann… unser
siebtes Mitglied sozusagen. Er ist eine starke
Persönlichkeit, die uns sagt, was er von unseren Songs
braucht, damit sie im Endeffekt auch so klingen, wie sie
klingen sollen.
MF: Nun noch eine Fan-Frage. Was kann
der Amorphis-Fan, der euch bis dato noch nie gesehen hat
von einer Show erwarten?
Tomi: Nun, ich
würde sagen, dass wir oft schon etwas ältere Fans haben,
was grossartig ist. Deshalb gibt es bei unseren Shows
nicht so viele „Moshpits“, „Circlepits“ und ähnliches
Zeug. Ich kann mich noch gut an einen Gig in Holland
erinnern, der mich zu Beginn ziemlich irritiert hat. Die
Bude war voll aber alle standen nur da, leicht wippend
mit ihrem Bier in der Hand. Ich dachte: „Hey, Amorphis
ist doch eine Metal Band. Natürlich haben wir keine
Blast-Beats und ultraschnelle Songs aber trotzdem…!“ Das
hat mich zu Beginn schon verunsichert bis ich gemerkt
habe, dass die wirklich zuhören. Die stehen da und hören
der Musik zu! Wenn ich heute zu einem Konzert gehe, dann
bin ich auch nicht mehr im „Moshpit“ anzutreffen, ich
will die Musik hören!
MF: Ja… ich
meistens auch…
Tomi: …ja wirklich. Ich
habe mich eine Zeitlang echt gefragt, wenn die Leute
nicht abgegangen sind, ob das etwas mit uns zu tun hat.
Schliesslich habe ich realisiert, dass die echt einfach
zuhören, den Moment geniessen. Natürlich haben wir auch
jüngere Fans und da kommt schon mehr zurück, was
natürlich auch toll und wichtig ist…
MF:…wichtig für die Show…
Tomi: …wichtig
für die Show und es gibt dir auf der Bühne auch wieder
Energie zurück. Es ist diese spezielle Chemie zwischen
Fan und der Band. Für mich sind aber die Boys und Girls,
die einfach nur da stehen und zuhören absolut in
Ordnung. Ich kann trotzdem mein Bestes geben, da ich
weiss, dass sie wirklich der Musik zuhören.
MF: Was kann man in Zukunft von Amorphis
erwarten? Ist bereits neues Material in der Pipeline?
Tomi: Ja… wir haben wirklich bereits ein
wenig über das neue Album gesprochen aber da ist
natürlich noch nichts vorhanden, das wir vorzeigen
könnten. Es stehen erst einmal die Tour und die
Sommer-Festivals auf dem Plan. Danach sind wir noch in
Nordamerika auf Tour und vielleicht spielen wir im
Anschluss noch ein paar Gigs in Europa. Das ist aber
noch nicht beschlossene Sache. Ein neues Album ist also
frühestens nächstes Jahr zu erwarten aber ich weiss es
ehrlich gesagt nicht. Wir haben wirklich viele Pläne
aber es ist noch nichts geplant (Gelächter). Wir
brauchen sicher auch mal Pause. Weisst du, an einem
gewissen Punkt in deinem Leben brauchst du immer wieder
Pausen, um dich erholen und neue Energie tanken zu
können.
MF: OK! Danke für das angenehme
Gespräch und ich freue mich schon auf eure Show.
Tomi: Danke dir und viel Spass!
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