Die brasilianischen Angra haben in ihrem Heimatland,
Frankreich und Japan einen Superstar-Status. In den
anderen Teilen der Erde fristen sie ein eher
bescheidenes Leben. Wieso dies so ist, wissen
wahrscheinlich nur die Sesselfurzer im Metal-Olymp.
Gitarrist Kiko Loureiro (KL) ist ein redseliger und
netter Interviewpartner. Einer, der fantastische Solo
spielt und auch ein absoluter Gentleman ist. So
plauderte der Brasilianer dann auch gleich los, als er
neben mir Platz nahm.
KL: Die ganze Band ist der Meinung, dass es viele
Unterschiede zum letzten Album «Aurora Consurgens» gibt.
Wir alle lieben «Temple Of Shadows» und haben mit diesem
Werk viel gespielt. So lange, dass wir die Tour in zwei
Teile teilen mussten. Danach starteten wir mit einem
unheimlich tollen Gefühl das Songwriting. Vielleicht
auch mit einem gewissen Druck. Dieser Spirit war
unglaublich. Wir komponierten «Aurora Consurgens» und
gingen wieder auf Tour. Allerdings begannen dann unsere
Probleme mit dem damaligen Manager und wir unterbrachen
unsere Aktivitäten für mehr als ein Jahr. Wir waren zum
Ausruhen verdammt. Einige starteten ihre Solokarrieren,
andere genossen ihre Familien. So hatten wir auch mehr
Zeit zum Komponieren. Alles war sehr frisch. Zusammen
mit Sepultura gingen wir in Brasilen auf Tour. Weitere
Konzerte, zum Beispiel in Europa mussten wir aber leider
absagen. Viele Leute fragten uns, wann ein neues Album
erscheinen würde. Wir nahmen diese Frische mit und
schrieben mehr als 20 neue Stücke. Konnten aber dann nur
zehn Lieder für die neue Scheibe verwenden. Aus diesem
Grund ist diese Energie und dieses positive Feeling der
grösste Unterschied zu seinem Vorgänger. Natürlich
reflektiert sich dies auch in den neuen Songs, zumindest
hoffe ich dies (lacht). Auch wenn wir mehr mit
unterschiedlichen Atmosphären und Elementen gearbeitet
hatten, ist es in meinen Augen ein in sich
geschlosseneres Werk. Ausserdem kam Ricard Confessori
zurück in die Band, nachdem er uns im Jahr 2000
verlassen hatte. Er brachte dieses alte Element zurück
in Angra. Wir haben viele Ideen gesammelt und trotzdem
war der effektive Songwritingprozess sehr kurz. Das muss
zwischen Oktober, November und Dezember gewesen sein.
Danach haben wir das komplette Material zwei Mal
zusammen geprobt und dabei gleich die Demos aufgenommen.
Im Januar haben wir die zehn Lieder nochmals intensiv
geprobt und im März alles aufgenommen. So brauchten wir
für den kompletten Prozess knapp fünf Monate.
MF: Welches ist für dich das beste, das
erfolgreichste und das wichtigste Album von Angra?
KL: Keine Ahnung, ich habe da eine etwas andere Sicht.
Das Debütalbum «Angels Cry» war sicherlich sehr wichtig
für uns. Die zweite Scheibe «Holy Land» war für uns
insofern wichtig, dass wir wussten, dass es weitergeht
wird. Aus Sicht der Europäer, zumindest höre ich dies
immer wieder, muss «Holy Land» ein sehr erfolgreiches
und wichtiges Werk sein. Vielleicht auch, weil wir mit
neuen Elementen arbeiteten. «Angels Cry» war ein
typisches German-Metal-Album. Bei «Holy Land» haben wir
mit deutlich mehr brasilianischen Elementen gearbeitet.
Angra wollten diese Latin-Elemente mit den europäischen
Parts verbinden. Natürlich war auch «Rebirth» mit dem
neuen Line-up extrem wichtig. Ein Zeichen, dass wir noch
immer am Leben sind. Mit «Temple Of Shadows» haben wir
bedeutend mehr experimentiert. Mir persönlich ist jedes
Album wichtig. Jedes beweist und zeigt, dass die Band
noch immer am Leben ist.
MF: Dann war die Scheibe «Rebirth» auch tatsächlich eine
Wiedergeburt für die Band?
KL: Ja, drei Leute verliessen uns damals (Sänger Andre
Matos, Bassist Luis Mariutti, Ricardo Confessori gingen
alle zu Shaaman) und Rafael Bittencourt und ich
überlegten uns, was zu tun ist. Wir haben immer das
getan, woran wir glaubten. Viele waren aber der Meinung,
dass wir ohne Andre, Angra nicht weiter am Leben
erhalten konnten. Aber wir taten es! Rafael und ich
schrieben neue Lieder für ein weiteres Werk und fanden
mit Sänger Eduardo Falaschi, Bassist Felipe Andreoli und
Schlagzeuger Aquiles Priester fantastische neue Musiker.
Wir starteten zusammen durch und wurden grösser als
jemals zuvor. Das Radio spielte die Lieder vom «Rebirth»-Album
und wir auf den grössten Festivals zusammen mit
renommierten Popbands. Das war was ganz Neues. Der Weg
dahin war hart und schwer. Es war eine Wiedergeburt in
Form dessen, dass wir den Leuten bewiesen, dass wir
weiterhin am Ball bleiben, tolles Material schreiben und
uns nicht unterkriegen lassen.
MF: Rafael und du seid die einzigen Musiker, die vom
ersten Album übriggeblieben sind. Wie ist die
Kooperation und die Freundschaft zwischen euch?
KL: Die war immer grossartig. Es ist eine erfolgreiche
Freundschaft. Auch wenn wir in vielen Dingen
unterschiedlich sind, haben wir sehr grossen Respekt
voreinander. Diese verschiedenen Persönlichkeiten sind
für Angra aber äusserst wichtig. Wir haben gelernt die
guten Dinge hervorzuheben. Wir haben schon vor Angra
zusammen gespielt. Das war allerdings eine sehr kleine
Band (schmunzelt). Damals waren wir 17 Jahre jung. Es
ist eine lange Zeit, die wir zusammen verbrachten. Angra
könnte aber auch ohne uns beide existieren. Keine
Ahnung, wie die Fans das sehen. Wir sind anders
aufgebaut als Sepultura. Aber ich bin der festen
Überzeugung, dass Angra als Band mehr zu bieten hat, als
die Musiker, die da spielen. Das Konzept der Musik...
Die einzelnen Individuen sind sehr wichtig für die Band
und den Sound. Kein anderer Sänger könnte diese Stimmung
verbreiten wie es Edu tut. Aber viele Truppen haben ihre
Mitglieder ausgetauscht. Waren es die Musiker oder der
Produzent. Der Sound kann nach einer Auswechslung total
anders klingen, aber das Konzept der Band wird immer das
Gleiche bleiben. Nimm Led Zeppelin als Beispiel. Spielt
eine Truppe wie Mars Volta einen Song von ihnen, wirst
du immer erkennen, dass es ein Zep-Song ist. Auch wenn
er total anders klingt. Oder Judas Priest. Auch wenn
eine andere Truppe einen Priest-Track spielt, du wirst
immer erkennen dass es von den Jungs um Rob Halford ist.
MF: Was hat dich in all den Jahren im Business verärgert
und verrückt gemacht?
KL: Das könnte dauern....
MF: ...ich habe Zeit!
KL (lacht): Es hat sich in den letzten Jahren sehr viel
im Business verändert. Lange Zeit war ich zu
leichtsinnig und hatte keine Ahnung, was mit unserem
Geld passiert. Ich kannte das eigentliche Business neben
der Musik überhaupt nicht. Es war mir nichts klar und
fand vieles auch nicht fair. Musiker finden ihre Passion
in der Musik und nicht im Geschäft. Viele Manager
verdienen an dieser Passion. Während der Mucker versucht
immer professionell aufzutreten. Sei es nur mit seiner
Gitarre in einer schummrigen Bar, in welcher er ohne
Gage seine Passion zelebriert. Dann triffst du sie. Die
Manager, die sich nicht darum kümmern, welche Passion du
hast und ob du professionell bist. Das macht mich irre
und ich brauchte meine Zeit, bis ich das alles verstand
(lacht).
MF: Wie wichtig ist für dich die Kombination zwischen
Musik, Text und Cover bei Angra?
KL: Wir starten immer mit der Musik, sitzen mit unseren
Instrumenten im Probelokal und beginnen mit dem Spielen.
Dabei probieren wir viele Dinge aus. Ist ein Track okay,
dann schreiben wir die Texte dazu. Genau gleich wie es
auch Bob Dylan oder viele andere Artisten tun. Wir
schreiben Strophen und suchen nach den passen Refrains.
Das alles muss zu den Instrumenten passen. Wenn wir dann
das Bild aus Musik und Lyrics in unseren Köpfen haben,
geht es an die Erarbeitung des Covers. Da sollte jede
Farbe auch aufzeigen was das Album auszeichnet. Das ist
wie bei einer Frau, die sich ihre Farben zu ihrer
Persönlichkeit aussucht (lacht). Alles ist enorm wichtig
für das komplette Werk. Das Cover soll plakativ zeigen,
was der Käufer dann zu hören bekommt.
MF: Wie kam es dazu, dass Ricardo wieder bei euch
spielt?
KL: Rafael arbeitete an seiner Solo-Scheibe. Keine
Ahnung wie es dazu kam, aber er fragte Ricardo an, ob er
nicht Lust hätte einige Songs im Studio einzuspielen. So
trommelte Ricardo zwei Lieder ein. Damals, als er uns
verliess gab es zu viele Diskussionen in der Band. Über
Männer und Frauen und viele andere Dinge. Dies führte
zum Split. Aquiles war dann unser neuer Schlagzeuger und
als er uns verliess, diskutierten wir über mögliche
Nachfolger. Wir erinnerten uns gerne an Ricardo und als
wir uns mit möglichen Kandidaten trafen, war er einer
von ihnen. Mit seiner Vergangenheit und seinem Stil hat
er uns einfach wieder überzeugt.
MF: Was war der Grund, dass ihr euch von Andre Matos
getrennt habt?
KL: Es gab nie einen wirklich Grund dafür, aber viele
kleine Dinge, die dazu führten. Viele Gründe in neun
Jahren, die uns gegenseitig verärgerten. Dann passiert,
was in solchen psychologischen Momenten in einer Combo
passiert. Das ist aber nicht damit zu vergleichen, was
die Jungs von Metallica ans Tageslicht brachten. In
jeder Truppe gibt es diese Meinungsverschiedenheiten.
Bei Metallica waren sie extremer mit all den
Alkoholproblemen. Alles was hoch kommt, wenn du einen
unglaublichen Druck hast und einen ebensolchen Erfolg.
Dinge passieren auf unterschiedlichen Stufen. Viele
führen zu Frustrationen. Oftmals spielt das
Beziehungsnetz zwischen Männer und Frauen auch eine
gewichtige Rolle. Irgendwann kam es dann zum Knall.
MF: Wie schwer war es für Edu Andre zu ersetzen?
KL: Andre wollte Angra schon zu «Fireworks» verlassen.
Darum waren die Aufnahmen und dann auch die Tour etwas
anstrengend für alle. Damals startete der Aufbruch durch
das Internet. In den Foren trafen wir auf einen Sänger
aus Brasilien São Paulo. Wir kannten Edu schon vorher,
hatten keine Ahnung, wie sich diese Elemente
zusammenfügen würden, aber es passte.
MF: Wie kam es zu euren Coverversionen?
KL: Wir starteten mit «Wuthering Heights» von Kate Bush.
Ein Song, der zuerst in einer völlig anderen Version,
sehr Metal, zu hören war. Im Studio, zusammen mit
Charlie Bauerfeind, war er der Meinung, dass wir diesen
Track in einer anderen Version einspielen sollten. Als
Ballade. Es klang fantastisch. Später folgten «Painkiller»
von Judas Priest und «Kashmir» von Led Zeppelin. Ab und
zu spielen wir Coverversionen während unseren Konzerten
und wechselten dazu unser Line-up aus. Das macht
wirklich Spass.
MF: Wie gross seid ihr noch immer bei euch zu Hause und
in Japan?
KL: Das sind noch immer die grössten Märkte für uns.
Spielen wir in Ländern wie der Schweiz, wissen wir es zu
schätzen, wenn die Leute an unsere Konzerte kommen. Das
ist auch der Grund, wieso wir nicht so oft bei euch
sind. Wir lieben es bei euch zu spielen, aber es ist ein
ganz anderes Feeling, wenn wir in Japan oder Brasilien
spielen. Zu Hause haben wir dieses patriotische Gefühl.
Die Leute unterstützen ihre eigenen Bands bedingungslos.
Aber ich will in Brasilien, in Japan und auch im Z7
spielen, weil ich es liebe.
MF: Kiko, es hat Spass gemacht, besten Dank für das
Gespräch. KL: Martin, danke dir für das interessante
Interview.
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