Ein flottes Trio wird bevorzugt.
Steve Kudlow ist ein Musiker durch und durch. Steve wer? Ach
sorry, die Rede ist vom singenden Anvil Gitarristen Lips. Einer, der
mit einem breiten Grinsen Freude an dem hat, was er tut. Einer,
welcher dabei nie reich wurde und dank der unzerstörbaren
Freundschaft zu seinem Trommler Robb Reiner immer den richtigen
Gegenpol hatte. Mit dem neusten Werk «Anvil Is Anvil» überzeugte das
Trio einmal mehr und überraschte die Fangemeinde sogar mit
Piraten-Klängen. Doch nicht nur damit gehört die neue Scheibe zu
etwas ganz Besonderen, sondern auch weil sich die Kanadier auf ihre
Stärke besonnen haben und dabei eine Art «Best Of» in Form von neuen
Liedern kreierten. Wie es dazu kam, was Lips in seiner Karriere
bewegte und wie er zum neuen Line-Up mit Bassist Chris Robertson
steht, erzählte der ruhige und sympathische Lips vor dem Konzert im
Z7.
MF: Lips, nach fast vierzig Jahren im Musikbusiness, welches
Fazit ziehst du?
Lips: Dass wir es nie des Geldes wegen gemacht haben
(lacht). Nur weil wir die Musik liebten, und das war der richtige
Grund, um all die Jahre zu überstehen.
MF: Was
fasziniert dich an der Musik und was ist deine Motivation,
weiterhin Musik zu machen?
Lips: Noch immer das Gleiche wie damals, als ich mit der
Musik startete. Ich liebe es (grinst zufrieden vor sich hin)! Alles
hat bei mir mit Chuck Berry begonnen (lacht), oh mein Gott! Ich bin
schon ein alter Knabe und wurde 1956 geboren. Es spielt keine Rolle,
was sich in den letzten sechzig Jahren alles verändert hat, Chuck hat
mich verändert (lacht). Alles, was in meinen ersten beiden Jahrzehnten
mit Gitarren-Musik zu tun hatte, veränderte und beeinflusste mein
Leben. Somit alles von Chuck Berry bis zu Michael Schenker (lacht).
1966 begann ich selber Musik zu spielen. Mein Dad brachte mir eine
Gitarre nach Hause. Ich brachte mir das Spielen selber bei. «I
learned by try and error» und nicht durchs Kopieren. Dabei versuchte
ich die Dinge von Beginn weg richtig zu spielen. Ich sass nie da und
imitierte mit meinem Finger einen anderen Gitarristen oder seine
Spielart. Klar hörte ich anderen Gitarristen zu, wie sie spielten,
aber als Inspiration und nicht um sie zu covern. So kreierte ich bei mir
einen eigenen Ton und Sound. Klar hatte ich auch während einer
kurzen Zeit Gitarren-Stunden. Zum Glück hatte ich aber einen älteren
Bruder, der all die Musik nach Hause brachte, die ich sonst in
meinem Alter nicht gehört hätte (lacht). 1967 kam ich das erste Mal
mit Jimi Hendrix in Berührung (lacht).
MF: Was sind
für dich die Unterschiede zwischen 1980 und heute im Musikbusiness?
Lips: Wir brauchen endlich wieder Plattenfirmen (wie aus
der Pistole geschossen!) und deren Unterstützung, wenn wir eine neue
Platte veröffentlichen oder deren Tour-Support. Nur noch die
grossen und berühmten Bands können von solchen Verträgen
profitieren. Heute gibt es für eine neue Truppe beim Start keine
Infrastruktur. Das ist der enorme Unterschied.
MF: Was war für dich wichtig in der Vergangenheit
und was ist es heute?
Lips: Noch immer das Gleiche: Integrität! Zu tun was ich
will, wo ich will und wenn ich will (grinst). Ich mag es nicht, wenn
mir jemand sagt, wenn ich was wo und bis wann zu erledigen habe. Ich
bin gerne für das verantwortlich was ich tue. Dabei geht und ging es
nie ums Geld, sondern um die Integrität. Zu fühlen was korrekt ist,
so dass ich in der Nacht ruhig schlafen kann. Das Gefühl zu haben,
dass ich das Beste tat, was ich konnte.
MF: Nach all den Jahren, wie verhält es sich mit dem
Klischee «Sex, drugs and Rock'n'Roll»?
Lips: Sex… Ich bin keine 18 Jahre alt mehr (lacht), meine Bälle
laufen nicht mehr um ihre Leben, es hat nicht mehr genügend
Testosteron (grinst). Mit Drogen hatte ich nie viel am Hut. Alkohol
ist wahrscheinlich die schlimmste Droge. Kaffee und Marihuana sind
organische... - Ich nehme heute beides noch, und wenn du die beiden
Dinge als Drogen siehst, weil man sie regelmässig konsumiert, dann
konsumiere ich Drogen (grinst). Klar rauche ich Pot seit ich vierzehn
Jahre alt bin. Was soll ich sagen? Einige Dinge ändern sich nie
(lacht).
MF: Ist somit euer Song «Smoking Green» eine
Art Antriebsfeder für euch?
Lips: Es war eine Art mich auszudrücken. Ob es eine
Antriebsfeder ist? Rauchen ist eine Art sich zu öffnen. Dabei können
die besten Ideen und Songs entstehen. Weil du nie begreifst, was du
getan hast (lacht), sondern es einfach tust. Rauchst du, entspannst
du dich und viele Dinge entfalten sich automatisch. Es kann zu einer
sehr grossen Kreativität führen. Rauchen würde nie klappen, wenn du
einen klar definierten Plan verfolgst. Ich war nie high auf der Bühne.
Ich liebe es mir zuzuhören, was ich spiele. «Wow, das klingt
cool oder was zum Geier spiele ich heute für einen Scheiss». Auf der
Bühne will ich direkt und organisiert sein. Zu viele Dinge passieren
auf der Bühne, und wenn ich dabei singe, die Leadgitarre spiele und
der Frontmann bin, muss ich alles unter einen Hut bringen. Das
braucht zu viel Konzentration, welche von Marihuana zerstört werden
könnte. Das würde für mich nicht funktionieren. Das kann durchaus
bei anderen Musikern klappen, bei mir nicht. Es käme mir nie in den
Sinn, anderen Leute zu diktieren, was sie zu tun haben und was
nicht. Zudem würde Pot meine Stimme hemmen. Ich könnte nicht so
singen wie normalerweise.
MF: Ist «Anvil Is Anvil» das beste Album, das ihr jemals veröffentlicht habt?
Lips: Ich denke schon! Wir gingen von unseren favorisierten
Aspekten aus, welche uns über all die Jahre auszeichneten. Und wenn
etwas klingt wie «Jackhammer», wen zum Geier interessiert dies schon
(lacht)! Das ist eine tolle Nummer. Etwas, das uns getrieben und
nicht behindert hat. Selbstbetrachtet, schauten wir rückblickend,
was uns auszeichnete über all die Jahre. Welches waren die besten
Parts? Dazu kreierten wir neue Lieder. Ohne zu sagen, nein das
können wir nicht machen, weil es schon mal da war. Wir wollten
unsere besten Seiten neu aufleben lassen. Alle Kapitel liessen wir
zusammenfliessen, konzentrierten uns dabei auf unsere
Höhepunkte und schrieben die neuen Lieder. Auf eine ganz natürliche
Weise gerade so, wie wir es fühlten.
MF: Somit ist «Anvil Is Anvil» eine «Best Of» in
Form von neuen Liedern?
Lips: Das ist absolut korrekt. Es war
wichtig, dass wir nicht nur die Vergangenheit aufleben lassen
wollten, sondern dass die Songs neu und frisch klingen. Wäre dies
nicht so gewesen, hätten wir alles nur nochmals eingespielt. Der
andere Aspekt, der uns sehr wichtig war… Als Dave Allison (Gitarre)
und Ian Dickson (Bass) uns damals verliessen, verloren wir ein ganz
wichtiges Element der Band. Eines, das nie ersetzt wurde durch all
die Jahre! Das war die zweite Stimme. Wir benötigen eine zweite
Stimme, die harmonisch zu meiner ist! Es reicht nicht nur eine
andere hinzuzufügen, sondern es muss eine sein, die mit meiner
funktioniert. Die hatten wir in der Vergangenheit nicht mehr. Als
wir unseren alten Bassisten feuerten, speicherten wir uns neu ab
(lacht). Sal war kein schlechter Bassist, aber wir benötigen einen
speziellen Bass-Mann. Einen, der zusammen mit einem fantastischen
Trommler harmoniert. Einen, der Rush liebt oder einen wie Jack
Bruce. Einen, der in einer Dreierkonstellation funktioniert und der
die Lücke füllt, wenn ich meine Solos spiele. Dazu mit der richtigen
Stimme gesegnet ist. Dieses Loch füllten wir und können seit dem
Weggang von Dave endlich wieder all die Songs spielen, welche wir
den Fans nie vorenthalten wollten. Wie «Free As The Wind». Heute
haben wir die zweite Stimme, welche die Chöre singen kann und das
Lied voller klingen lässt, wenn wir es spielen. Das ist ein grosser,
grosser Bonus, den wir heute mit Chris haben. Er ist der Basser, den
wir suchten, und den wir als Basser sehen. Das ist der richtige Typ
und wir sind verdammt glücklich, ihn bei Anvil zu haben. Das kannst du
auch auf dem neuen Album hören und ist ein markanter Unterschied. Das
Schlagzeug klingt um einiges besser. Und wieso ist das so? Weil wir
den perfekten Bass-Player fanden. Er hat die richtige Technik und
spielt zusammen mit dem Drum. Das ist verdammt wichtig, dass der
Basser zusammen mit dem Schlagzeuger spielt. Die richtigen Noten und
Töne. Das ist eine wunderbare Kombination mein Lieber! Wechselst du
einen Bassisten aus, wechselst du die ganze Hülle dessen was du tust
und wie die Band klingt.
MF: Dann wirst du wohl einen
zweiten Gitarristen nicht vermissen?
Lips: Nein, das tue ich
nicht! Klar war es ungewohnt für mich ohne zweiten Gitarristen,
aber wir wollten diese Dreier-Band. Es ist Verschwendung an Zeit und
Geld! Nimmst du dir einen Gitarristen aus England und er sitzt
zweieinhalb Monate im Studio rum, spielt dabei nur eine Stunde,
frage ich mich, was zur Hölle passiert hier, wenn ich die Flüge,
sein Hotel, sein Essen und sein Dabeisein bezahle, wenn nicht mehr
dabei raus kommt? Spielt er seinen Part ungenau ein, ist das eine
verdammte Verschwendung. Braucht er für seine zwei Solos, die ich
noch selber schreibe, genau gleich viel Zeit, wie ich für den
kompletten Rest des Albums, kann etwas nicht aufgehen. Wie viel Geld
kostet mich dies? Er hat sich nicht einmal mit den Liedern vertraut
gemacht und kann nicht einmal die Rhythmusspuren aufnehmen. Bei den
Proben war er nicht anwesend. Da braucht es dann schon eine gewisse
Frechheit, darauf zu bestehen als zweiter Gitarrist erwähnt zu
werden. Das war seit Daves Ausstieg so.
Auch als Sebastian Marino
bei uns war. Er lebte hundert von Meilen weg und bei den Proben war er
nie dabei. Die Lieder wurden immer von Robb und mir geschrieben.
Sebastian sang nicht mal. Wir verloren ein ganz wichtiges Mitglied
und versuchten ein neues zu integrieren. Das könnte dann jedermann
sein, wenn er nicht dem entspricht, was du suchst. Es ist nicht
wichtig, wie schnell du spielst (lacht). Es ist das Gefühl und wie
du dich mit den Liedern identifizierst. All diese überbewerteten
GIT-Gitarristen, welche verdammt schnell ihre Skalen runter bolzen,
kannst du nicht voneinander unterscheiden, weil alle die gleichen
Lehrer haben. Spielen sie ein Lick, was ist der Unterschied? Keiner
wird dir das sagen können! Muss ich einem zweiten Gitarristen jede
Melodie und Parts erklären, obschon er eigentlich ein Musiker ist?
Während ich mir wünsche, dass er sich mit den Songs auseinander setzt
und mir dann noch frech vorbei kommt, weil er dies so spielen soll,
wie ich will, dann platzt mir der Kragen. Mensch Junge, hast du dir
schon mal Gedanken gemacht, wie Anvil klingen? Was der spezielle
Sound der Band ausmacht? Es interessiert dich keinen Scheiss (Lips
Stimme wird lauter), wenn wir uns auf die Tracks vorbereiten, er
hier im Studio sitzt, mich eine Menge Geld kostet und mich noch
anschnauzt. Das ist völlig verrückt und der absolute Wahnsinn. Wenn
ich dem noch alles erklären muss, kann ich es gleich selber
einspielen und brauche keinen zweiten Gitarristen.
Über all die
Jahre, in denen wir mit der Band am Start waren, haben wir nach Dave
die zweite Gitarre auf der Bühne oftmals leiser gedreht. Was immer
der zweite Saitenakrobat tat, schlussendlich war viel wichtiger,
was der Bassist spielte oder mich singen zu hören. Und ganz, ganz
wichtig! Was sind das für unglaubliche Drums!!! Bei Anvil spielt
einer der besten Trommler im Metal mit und man kann ihn dann
nicht einmal hören? Bloss weil wir einen komischen zweiten
Gitarristen haben? So etwas braucht die Band nicht. Macht den
verdammten Fader meiner Gitarre leiser und hört, was der andere
Guitarplayer spielt und ihr wisst was abgeht. Fragt euch dann, was
das wichtige Element bei Anvil ist (Lips beruhigt sich so langsam
wieder)! Es braucht den richtigen Bassisten und du wirst nie eine
Rhythmusgitarre benötigen, wenn ich meine Leads spiele.
Der andere
Aspekt ist, wenn du als Trio spielst, hat jeder Musiker mehr
Verantwortung und wird härter arbeiten. Alleine aus diesen Grund
benötigen Anvil keinen zweiten Gitarristen. In den Frühzeiten von
Anvil, als Dave zusammen mit mir sang, nahm er seine Zeit wahr und
schrieb Gitarrenparts für die kommenden Songs. Sein Ego war nicht so
gross, dass er zu einem zweiten Leadgitarristen werden wollte, nein
er war ein glücklicher Rhythmusgitarrist. «Lass mich machen und
schauen, was mit deinen Solos zusammen passt», das war seine Devise.
Etwas, das sich verbinden lässt und den Sound perfekt erscheinen
lässt. Darum sagte ich, als uns Dave verliess, verloren wir ein
wichtiges Element, welches den Sound von Anvil vollendete. Wir
verloren das Rhythmus- und Stimmgefüge für immer. Darum suchten wir
den passenden Bassisten. Einen, der wie Dave singen kann und aus
diesem Grund bin ich seit Langem nicht mehr so glücklich wie heute,
mit dieser Bandkonstellation (grinst). Wenn du fragst, ob die neue
Anvil die beste ist… JA!!! Auf diesem Level (lächelt zufrieden) ist
sie es!
MF: Wieso hast du damals den freien Platz bei
Motörhead als Nachfolger von Fast Eddie nicht angenommen?
Lips: Ich steckte inmitten des Songwritings für «Forged In Fire». Was
sollte ich tun? Ich wollte seine Anfrage wirklich gerne annehmen.
Ich träumte immer davon bei Motörhead zu spielen, weil ich wohl der
grösste Motörhead-Fan war (lacht). Lemmy war ein sehr vertrauter
Freund von mir. Natürlich war es schrecklich, nein sagen zu müssen.
Zuerst war Lemmy stocksauer über meine Entscheidung. Er fand dann
Brian Robertson von Thin Lizzy und realisierte, dass es keinen Sinn
machte, über Lips verärgert zu sein. Er nahm mich zur Seite und
entschuldigte sich dafür, dass er mich angebrüllt hatte mit den
Worten: «Fuck you! You don't wanna be in the band!» nachdem er 1983
das Album mit Brian eingespielt hatte und wir uns auf einem Festival
in Belgien trafen… Wir waren gerade mit den Aufnahmen zu «Forged In
Fire» fertig. Ich lief da an diesem Bandcontainer vorbei, als mich
eine Hand am Kragen packte und meine Bandkollegen schon Angst um
mich hatten (lacht). Es war Lemmy, der sagte (Lips spricht mit der
gleich rauchigen Stimme wie Lemmy): «Du hast deinen kleinen Arsch
gefälligst zu mir zu bewegen, wenn ich mit dir sprechen will»!
«Okay, was ist los Lemmy? (lachend)». «Wir haben nun Brian in der
Band und ich bin richtig «fucking» glücklich! Ich habe eine Menge
Respekt für dich Lips, dass du dich für deine eigene Band
und Musik entschieden hast!», danke Mann, und wenn wir noch zusammen
die kommende Tour mit euch machen können, ist alles perfekt (lacht).
So fand alles ein glückliches Ende. Über all die Jahre blieben wir
Freunde. Als Würzel die Band verliess, sagte ich zu Lemmy: «Brauchst
du einen zweiten Gitarristen, ruf mich an! Ich habe Zeit und Anvil
sind momentan nicht so beschäftigt wie in den 80ern. Wenn du mich
brauchst, ich bin da». Lemmy wollte dann aber als Trio weiter machen.
Er bevorzugte dies und wollte keinen extra Bullshit mehr (lacht).
MF: Danke für das interessante Interview und alles Gute für
deine Zukunft.
Lips: Danke dir, es hat Spass gemacht.
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