Ein Konzertsaal wird
zur Kirche.
Disneyland After Dark, besser D-A-D (da die Dänen
den ursprünglichen Namen nicht mehr verwenden dürfen),
haben mit ihrer Musik begeistert, überrascht, verwirrt und
auch abgeschreckt. Das weiss der singende Gitarrist
Jesper Binzer nur zu gut. Auch wenn man mit dem neusten
Streich «A Prayer For The Loud» wieder viel verbrannte
Erde bepflanzt hat, am Ende des Tages sind es zwei Alben
(«No Fuel Left For The Pilgrims» und «Riskin' It All»),
welche noch heute die grössten Reaktionen bei einem
Live-Set hervor rufen und dies nur bei Einzelstücken aus
allen anderen Scheiben passiert. Tauchen wir in die Welt
von Jesper Binzer ein, einem Musiker, der auf der Bühne
gerne den Entertainer spielt, damit und dank seinem
nicht akzentfreien Deutsch immer wieder für einen Lacher
sorgt sowie viel Kreativität verströmt.
MF: Wie
hat alles mit D-A-D begonnen?
Jesper:
Vor 35 Jahren? «OH FUCK!» (lacht). Daran kann ich mich
nicht mehr erinnern (lacht). Vier Jungs,
unterschiedliche Skate-Parks, irgendwo in Kopenhagen.
Jeder kannte den anderen und wir begannen mit
Punk-Musik. Wenn wir einen Schlagzeuger suchten, wussten
wir, dass wir ihn irgendwo in einem dieser Skate-Parks
finden werden (grinst). Als wir internationaler wurden…
Du weisst, Malmö ist sehr weit weg von Kopenhagen. Das
vierte Konzert spielten wir in Schweden. Wir rockten die
ganze Welt und waren
bereit dazu (grinst). Unsere Eltern haben uns immer
unterstützt, auch wenn sie nie einen Gig von uns
besuchten. Sie waren sehr respektvoll, weil sie wussten,
wie wichtig uns die Musik war.
MF: Wie
wichtig ist ein stabiles Line-up für dich? In dieser
Besetzung spielt ihr nun schon seit 1999 zusammen.
Jesper: Ja, der alte Schlagzeuger war fünfzehn
Jahre bei uns und Laust nun schon seit zwanzig Jahren.
Ansonsten ist alles beim Alten geblieben. Wenn du die
ganze Zeit auf engsten Raum bist, musst du den anderen
in- und auswendig kennen. Klar, es gibt Zeiten, da
spielt es keine Rolle, weil D-A-D in diesem Moment nicht
im Studio sind oder auf Tour. Aber wenn du zusammen
bist, prüft, was sich ewig bindet (grinst). Ab und zu
vermisse ich auch die Energie, welche von uns vier
ausgeht. Diese Stärke spürst du nur, wenn sich vier
Individuen gefunden haben. Loyalität ist dabei ebenso
wichtig wie Spass. Es ist wie ein Haus, auf dem du
immer wieder ein neues Stockwerk baust. Das passiert bei
uns, wenn wir musikalisch was Neues ausprobieren. Das
muss für alle stimmig sein, sonst funktioniert es nicht.
Respekt, Freundschaft, dies alles ist sehr wichtig. Alle
in der Truppe haben ihre Visionen und Wünsche. Diese
Vorstellungen müssen auf irgendeine Weise harmonisch
sein, um die bestmöglichste Musik zu kreieren. Talent…
Ein spezielles Talent und der musikalische Geschmack
können durchaus gleich wichtig sein, wie die Freundschaft.
Im Studio vielleicht eine Spur wichtiger. Das hält den
Respekt für die anderen immer hoch.
MF:
Wie wichtig war es für dich, den Sound bei D-A-D immer
ein bisschen zu verändern und zu erweitern?
Jesper: Das ist sehr wichtig. Wenn man vom Punk her
kommt, sind gewisse Grenzen vorgegeben. Hätten wir uns
nie in diese Western Rock Landschaft begeben, hätten wir
stagniert. Wir wollten eine eigene Marke kreieren.
Etwas, an dem man erkennt, das müssen D-A-D sein. Den
Leuten zu vermitteln, dass es noch immer eine Stufe
besser geht, sich nicht zu verleugnen und trotzdem Neues
zu integrieren. Darum war der Wechsel von «Riskin' It
All» zu «Helpyourselfish» nichts Besonderes, sondern etwas
Natürliches. Wir wollten was Neues machen. Was
überraschend war, wie die Reaktionen ausfielen und wir
feststellen mussten, dass wir vielleicht die Grenzen ein
bisschen zu weit ausloteten. Das hat auch dazu geführt,
dass wir einige Jahre ein bisschen verwirrt waren und
nicht wussten, in welche Richtung sich die Truppe
entwickeln soll. Es war nicht klar, wer der Leader war
und wohin die Reise gehen, geschweige denn wer diese
alles leiten soll. Die Musik kommt aus der "Freiheit". Die
Freiheit zu haben, was in dir ist, raus zu lassen und
nicht zu begrenzen. Das klingt einfach, ist aber
schwieriger, als man denkt. Speziell, wenn man eine Marke
weiter am Leben erhalten will. Wir haben viele, sehr
unterschiedliche Alben veröffentlicht. Glaub'
mir, wir sind auf jedes stolz! Niemand weiss, wo diese
Reise endet. Es gibt keine Gesetze, was machbar ist im
Musikgeschäft und was nicht. Wir sind noch immer da!
MF: Das ist wichtig!
Jesper: Absolut
(lacht). Heute ist es so, dass die Band der Leader ist.
Auch wenn jeder versucht der Leader zu sein (grinst).
Die kleinen Kämpfe, wer was sein will und wo man mehr zu
sagen hat… Wir versuchen immer unser Bestes für die
Marke D-A-D zu geben. Für unser neues Werk «A Prayer For
The Loud» haben wir die ganze Zeit neues Material
geschrieben. Aber es war nie der Zeitpunkt da, die
richtigen zwölf oder vierzehn Tracks fertig zu haben. Es
war nicht so, dass die Lieder langweilig gewesen wären,
aber irgendwas fehlte. Dann gingen wir wieder auf Tour
und das Musikbusiness veränderte sich. So vergingen acht
Jahre, bis unser neustes Baby das Licht der Welt
erblickte. Es gab keinen Grund, das Werk früher zu
veröffentlichen, da die Songs noch nicht livetauglich
waren. Wir spielten viele Demos und neue Songs ein, und
als die Zeit reif war, packten wir die Sache an. Viele
Leute sind der Meinung dass auf «A Prayer For The Loud»
mehr Melodien zu hören sind, als auf seinem Vorgänger.
Ich denke, dass die neuen Lieder besser sind. Du machst,
was du tust und geniesst es. Bei jedem Track denkst du,
das muss ein neuer Hit werden. Der Unterschied zwischen
diesen acht Jahren ist, dass wir durch das viele Spielen
noch näher zusammengerückt sind, und dass sich die Lieder
anhören, als stammen sie aus der Zeit um etwa 1990 herum.
Weil wir wieder fokussierter arbeiten. Trotzdem, dass
die Tracks aus unterschiedlichen Momenten stammen,
klingt alles wie aus einem Guss. Ob sie nun ein oder
fünf Jahre alt sind. Klar entsteht Druck, weil du immer
versuchst dich selber zu sein und dich trotzdem nicht zu
wiederholen. Ob ein Song gut ist, wirst du aber erst später in
eineinhalb oder zwei Jahren feststellen, wenn er
noch immer ein guter Live-Song ist (lacht).
MF: Was willst du uns mit dem Albumtitel mitteilen?
Jesper: Viele Dinge (grinst). Es geht um Leute, die wagen
sich selber zu sein. Menschen, die für sich und andere
einstehen. Es ist okay laut zu sein, um sich "Respekt"
zu verschaffen und wahr genommen zu werden. Oder auch,
dass man Rock'n'Roll, eine Kultur für sich, wieder wahr
nimmt. Ja, wir haben viele Dinge ausprobiert und
versucht in unseren Sound zu integrieren. Aber, wir sind
immer eine Rock'n'Roll-Band geblieben. Es ist eine Art
Religion und der Konzertsaal ist die Kirche dazu. Man
hat etwas, an das man glauben kann, das Stärke verleiht und
dich hoffen lässt. Auf der Bühne geht es laut zu und her.
Die Musik verschafft sich Gehör, darf aber auch für
Spass und Freude einstehen. Wie wichtig es ist zu beten?
Das ist eine persönliche Frage. Jedes Individuum muss
dies für sich selber heraus finden, was er in einem Gebet
findet. Wenn es hilft, dann ist es sehr wichtig!
MF: Bist du eine total andere Person wenn du zu
Hause bist oder auf Tour?
Jesper
(überlegt lange – Laust aus dem Hintergrund: JA!): Am
Ende des Tages (lachend) wirst du auf Tour mehr diese
Person verkörpern und zu Hause mehr jene. Der einzige
Unterschied ist, dass du auf Tour deine Frau und Kinder
nicht um dich hast. Kreativität ist das Wichtigste in
meinem Leben. Es gab aber auch Momente, in denen ich
meine kreative Ader nicht ausleben konnte. Wie schon
angetönt, es gab viele "Ups", aber auch "Downs". Wenn du dich
nicht ausdrücken kannst weil du gehemmt bist, wird es
sehr schwierig.
MF: Welches war deine erfolgreichste
Zeit?
Jesper: Davon gab es viele,
speziell in den späten Neunzigern. Hair Metal Bands waren
sehr angesagt. Die ganzen US- und Japan-Tourneen… Es war
ein grosser Erfolg, weil man auf einer Welle mitreiten
konnte. Heute spielen wir die längste Tour und sehen
immer wieder neue Gesichter an den Konzerten. Vieles ist
zwanzig Jahre her, aber der Erfolg ist noch immer da.
Klar fällt er, bedingt durch das sterbende Business,
kleiner aus. Auch wenn wir nicht mehr die grösste
dänische Band sind, was auch ein bisschen weh tut. Das
war einmal anders, Dinge ändern sich. Aber wenn ich die
kreative Phase ansehe, dann durchleben wir jetzt die
erfolgreichste Zeit. Ich denke aber nicht, dass wenn wir
den musikalischen und erfolgreichen Weg von «No Fuel
Left For The Pilgrims» und «Riskin&' It All» nicht
verlassen hätten, wir heute erfolgloser wären. Leute
vergessen nie ihre erste Liebe. Du identifizierst dich
mit einer gewissen Zeit. Mit Musik, welche dich
in einer bestimmen Phase begleitet hat. Du willst immer
nur das Gleiche. Aber D-A-D gingen immer einen neuen Weg,
nahmen neue Fans mit, für die wir zu einer Identifikation
wurden. So haben wir immer wieder neue Menschen
glücklich gemacht und bewegt. Es gab aber auch sehr
viele schwierige Zeiten für uns (lacht). Was uns aber
immer über Wasser gehalten hat, war die Kreativität. Das
Schöne heute ist, dass ich weiss, dass ich gar nichts
weiss (lacht). Das ist die Wahrheit, wenn man älter
wird. Wenn du im Chaos steckst, ist es wichtig, dass du
noch immer lächelst (grinst).
MF: Jesper, danke für das Interview und
alles Gute für deine Zukunft.
Jesper:
Danke Martin für das Interview.
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