Die Band als Familie.
Das sitzt man dem Gitarristen einer Band gegenüber,
welche mit «Hysteria» und «Pyromania» Millionen von
Alben verkauft hat und ist einfach nur begeistert, wie
freundlich, zuvorkommend und bodenständig dieser Musiker
ist. Begonnen hat die Erfolgskurve beim ihm mit Girl,
bis Phil Collen die Erfolge kommen und gehen gesehen hat
mit Def Leppard. Er hat mit seinem filigranen und
virtuosen Gitarrenspiel den Sound von Leppard
mitbestimmt und war dabei, als sich «Hysteria» mit zwölf
Platin-Auszeichnungen (sprich 12 Millionen verkauften
Exemplaren, alleine in den USA!) zu einem weltweiten
anerkannten Hit entpuppte. Was sich damals in diesem
Album verkaufstechnisch entlud, war schon beim Vorgänger
«Pyromania» mit 10 Millionen Einheiten (in den US of A)
zu erkennen. Der Nachfolger «Adrenalize», mit gerade mal
"nur" 3 Millionen verkauften Einheiten in den Staaten,
war ein "Flop" für Def Leppard.
Während
andere Bands sich nach solchen Verkaufszahlen die Finger
lecken würden, begann der Stern des tauben Leoparden zu
sinken. Es war nicht nur der sinkende Absatz, sondern
auch das Ur-Mitglied Steve Clark, der während der
Songwriting-Phase an seiner Alkoholsucht starb. Eine
weitere Tragödie, nachdem Schlagzeuger Rick Allen bei
einem schweren Unfall seinen Arm verlor, als die Jungs
für «Hysteria» im Studio weilten. Ein Album wie «Slang»,
welches in den Staaten noch gerade 500'000 Einheiten
verkaufte, trug zusätzlich dazu bei, dass die Truppe
kleinere Brötchen backen musste und auch sie nicht davor
gefeit war, die Grunge-Welle schadlos zu überstehen.
Doch die Band kämpfte sich zurück und gehört heute
wieder zu den grössten Hardrock-Bands des Universums.
Dies belegt auch die soeben veröffentlichte CD-Box mit
dem schmucken Titel «The CD Collection - Volume Two».
Wenn man bedenkt, mit welcher Freundlichkeit mich
Phil begrüsst, da könnten sich viele Musiker, die
weitaus weniger grosse oder ähnliche Erfolge feierten,
eine dicke Scheibe abschneiden. Der Gitarrist, der
nebenbei noch bei Man Raze und Delta Deep singt und
spielt, entpuppte sich als sehr redseliger und offener
Musiker, der mit Def Leppard vieles erlebte und dabei
seine "Prüfungen" im Leben absolvierte. Heute sieht Phil
mit seinem durchtrainierten Körper nicht wie ein
62-jähriger Mann aus, sondern eher wie einer, der trotz möglicher
"Sex, Drugs And Rock'n'Roll" Phasen den Blick immer
auf das Ziel fokussierte.
MF: Phil, was
ist das Geheimnis, dass ihr mit Def Leppard seit 1992 ein
stabiles Line-up habt?
Phil: Wir sind in der Arbeiterklasse aufgewachsen und
haben von unseren Eltern viel gelernt, was es bedeutet
sich Dinge zu erarbeiten und sich dabei auf andere
verlassen zu können. Es wird dir im Leben nichts
geschenkt, sondern du musst dafür wirklich hart
arbeiten. Wenn du etwas geleistet hast, bleib nicht
stehen, sondern geh deinen Weg weiter. Speziell wenn du
in einer Rockband spielst (grinst)… Es ist nicht wie in
einer Fabrik. Dort jeden Morgen hinzugehen, das ist
hart. In einer Rockband zu spielen, kommt einem wahr
gewordenen Traum gleich. Gestern waren wir in Mailand
und haben Kaffee getrunken. Das ist wundervoll! Andere
müssen dafür zahlen, und wir können es mit unserer Arbeit
verbinden. Klar müssen wir auch dafür arbeiten.
MF: Trotzdem gab es sicher auch
schwierigere Momente, als Rick damals bei einem
Autounfall seinen Arm verlor und die Musikindustrie auf
ein neues Album von euch wartete, nachdem «Pyromania» ein
dermassen grosser Erfolg war.
Phil: Den
einzigen Druck, den wir damals spürten, war der
Kostendruck, weil die ganze Produktionszeit so viel Zeit
und Geld verschlang. Was uns nie fehlte, war der Glaube
an das was wir taten. Als ich damals meiner Mutter eine
Rohversion von «Love Bites» vorspielte, fing sie an zu
weinen. Wow, was für eine grossartige Reaktion. John
"Mutt" Lange ist ein unglaublicher Produzent, und wir
vertrauten ihm blind. Er trieb uns immer an, und je
härter man arbeitet, desto fokussierter wird man. Auch
wenn es manchmal zum Verzweifeln war, wenn man nach acht
Stunden im Studi, immer den gleichen Part spielte,
irgendwann auf dem Boden liegend erwachte und Mutt
sagte: "Hey, genau der Part vor neunzig Minuten, das ist es,
den nehmen wir. Kannst du ihn nochmals spielen?" Ich
hätte ihn auf den Mond schiessen können (lacht). Wir
haben sehr viel von ihm gelernt. Wie man singt oder
Gitarre spielt. Wir probierten andere Produzenten aus,
aber mit keinem anderen hatten wir diese persönliche
Weiterentwicklung.
MF: Welches war die schwierigste Zeit
für dich?
Phil: Das muss gewesen sein,
als Steve starb und die Zeit davor, als er in einer
nicht guten Verfassung war. Es hat mir das Herz
gebrochen mit ihm zu sprechen und zu sehen, wie es ihm
von Tag zu Tag schlechter ging.
MF: Somit passt das Klischee von Sex,
Drogen und Alkohol?
Phil: Alkohol ist
legalisiert, wird oft auch glorifiziert und ist eine
sehr powervolle Droge. Es gibt so viele Dinge, die mit
einer Band passieren. Eheschliessungen, Ärger,
Trennungen, Unfälle und furchtbare Krankheiten (Vivian
hatte Krebs)… Es fühlt sich wie eine Familie an, was mit
meinen Jungs in der Band passiert, und wenn ich ehrlich
bin, sehe ich sie auch mehr als meine eigene Familie
(grinst). Zudem habe ich mit Joe mehr Zeit verbracht,
als mit meiner Mutter (lacht). Hört sich verrückt an,
wenn ich darüber nachdenke (lacht). Von den guten
Erfahrungen lernst du viel. Bei den schlechten hoffst
du, dass du sie nie mehr durchlebst.
MF: Denkt man an Rick, Steve oder auch Vivian mit seiner
Krankheit, wolltest du jemals die
Gitarre an den berühmten Nagel hängen und die Band
verlassen?
Phil: Ricks Rückkehr war ein
unglaubliches Erlebnis, aber als Steve starb… Ich
wünschte mir, dass ich die Reset-Taste drücken könnte.
Er war ein so toller Typ, besass einen unglaublichen Humor,
und es machte immer Spass, mit ihm neue Lieder zu
schreiben. Wir erlebten fantastische Erfolge zusammen
und… Ja, es gab diese Momente. Weisst du, Freundschaft
ist das Wichtigste in einer Band. Du erlebst viele
schöne Dinge, aber auch anderes. Da hilft es dir, wenn
man sich gegenseitig unterstützt und weiss, dass die
Jungs für dich da sind.
MF: Bei was erneuerst du deine Batterien?
Phil: Pausen sind wichtig, dürfen aber nicht zu lange
sein. Du weisst selber, dass die Musikindustrie nicht
mehr diejenige ist, welche sie mal war (grinst). Mit den
Downloads oder dem Streaming hat sich alles massiv
verändert. Machst du heute ein Album… Schau, dass es
zumindest dir selber gefällt (lacht), weil es ja kaum
jemand kauft (lacht). Wir schreiben oft neue Lieder auf
Tour oder ich habe gerade das neue Tesla Album
produziert. Vieles passiert da auch zwischen den
Konzerten, und irgendwie hilft mir dies auch, da ich mich
mit anderen Dingen beschäftige, um mich abzulenken und fit
zu bleiben.
MF: «Slang» wurde von den Fans sehr
kontrovers aufgenommen, da es sich soundtechnisch sehr
von den Vorgängern abgrenzte. Wie stehst du heute zu
diesem Album?
Phil: Ich liebe es. Es war
anders, eher ein dunkles Werk. Wir mussten etwas
anderes, Neues kreieren, da wir mit den drei Alben
vorher unglaubliche Erfolge feierten. Es war wichtig
etwas anderes zu machen. Nach «Slang» wussten wir, dass
wir wieder zurück gehen mussten (lacht). Weg von diesem
erfrischenden Weg (lacht). Mit «Euphoria» kamen wir
wieder musikalisch nach Hause (grinst). Allerdings
beschritten wir mit Liedern wie «Paper Sun» doch auch
einen anderen Weg, der ohne «Slang» vielleicht gar nicht
möglich gewesen wäre. «21 Century Sha La La La Girl» ist
ein völlig lustiger und auch auf eine gewisse Weise
dummer Song (lacht). Erneut etwas anders als das, was
wir vorher taten. Es war Pop-Musik, wie sie die
Backstreet Boys spielten. Da stand «Paper Sun» eher in
der Tradition von «Gods Of War». «Promises», die erste
Single, war auf einem Riff aufgebaut, wie man es von uns
kannte. Ich schrieb das Riff und erfuhr, dass meine Mam
starb, bevor sie ins Flugzeug steigen konnte. Es hört
sich völlig verrückt an, und damals dachte ich nur
«FUCK!». Heute beschleicht mich kein negatives Gefühl,
wenn ich das Riff höre, sondern es erinnert mich immer
an meine Mam (lächelt).
MF: Gab es einen Grund, dass ihr mit
«Slang» euren Sound verändert habt?
Phil: Ja, «Pyromania», «Hysteria» und «Adrenalized»
waren sich sehr ähnlich. Logisch hat das ganze
Nirvana-Zeugs alles verändert. Es war erfrischend und
der Ansatz einer amerikanischen Antwort auf den
englischen Punk. Mit diesem Einfluss versuchten wir
etwas Neues zu machen und uns von diesen amerikanischen
Hair Metal Bands frei zu schwimmen. Es war ein
grossartiger Prozess, unterschied sich vom dem was wir
bis dahin taten und war irgendwie auch notwendig für uns
und unsere weitere Entwicklung. Ich denke, dass wir noch
heute von diesem Album zehren, da wir danach viele Ideen
entwickelten und umsetzten, die ohne «Slang» nicht
möglich gewesen wären.
MF: War es fast so, dass ihr vorher
einen Trend gesetzt habt und mit «Slang» einem gefolgt
seid?
Phil: Ich denke nicht, dass wir
einem Trend gefolgt sind, da wir noch immer Def Leppard
waren. Wir haben das Album in einer Villa in Spanien
aufgenommen. Noch heute bin ich mir sicher, dass es
grossartig war und ist, eine andere Erfahrung gemacht zu
haben.
MF: Du warst nicht von Beginn an bei
Def Leppard. Erinnerst du dich an das erste Meeting oder
die erste Probe mit den Jungs?
Phil: Ich
spielte schon vorher mit ihnen. Es waren kleine Jams auf
der Bühne, damals mit meiner Truppe Girl. Das hat sich
immer so ergeben. Joe und Steve haben oft bei meiner
Mutter im Wohnzimmer auf dem Sofa geschlafen (grinst).
Daher kannten wir uns. Die erste Probe? Das muss damals
gewesen sein, als «High And Dry» draussen war. Unser
erstes Konzert spielten wir im Marquee Club. Wir wussten
nicht, was mit «Pyromania» passieren würde und spielten
den Support für Billy Squier, als alles um uns herum
explodierte.
MF: Herzlichen Dank für die Zeit und das
Interview…
Phil: …es war mir ein
Vergnügen, und ich wünsche dir alles Gute.
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