Devin Townsend gehört zweifelsohne zu den ganz speziellen Grössen
seiner Zunft. Den 40-jährigen Kanadier zu beschreiben. ist nicht
ganz einfach, aber so viel sei gesagt: Die Vielfalt Devin Townsends
spiegelt sich in allen Facetten seines musikalischen Daseins wieder,
sei es in seinem Auftreten und Aussehen, seinen Shows oder auch in
seiner Musik. Den Sänger und Multiinstrumentalisten als Genie zu
bezeichnen, ist gar nicht mal so abwegig, schliesslich tut dies
ebenfalls einer der schillerndsten Gitarristen unserer Zeit, Steve
Vai.
21-jährig besingt Devin Townsend das 1993 erschienene Album «Sex
& Religion» von eben diesem Steve Vai. Daraufhin arbeitete er mit
anderen namhaften Künstlern zusammen (u.a. mit Jason Newsted/Ex-Metallica),
bevor er 1995 seine Solo-Karriere mit seinem Album «Strapping Young
Lad» startete. SYL entwickelten sich zur Band mit festen Mitgliedern
und veröffentlichten vier Alben. Ganz anders kommen seine Projekte
als Devin Townsend, Devin Townsend Band und Devin Townsend Project
daher. Sich durch seine Diskographie zu hören, erfordert grosse
Flexibilität und Bereitschaft, sich unterschiedlichsten Stilen zu
öffnen, denn seine Musik reicht von elektronischen Alben,
meditativer Musik bis hin zu Progressiv Metal und hochenergetischen
wie aggressiven Aufnahmen. Aber auch als Produzent (u.a. für
Soilwork, Lamb Of God, GWAR) kann er grosse Erfolge verbuchen. 2011
kündigte Devin Townsend das Musical "The Retinal Circus" an, ein
energiegeladenes autobiographisches Werk, einmalig im Roundhouse in
London im Oktober 2012 aufgeführt. Wohl dem, der das Glück hatte, da
dabei zu sein (ich hatte es)! Anlässlich seines neuesten Albums «Epicloud»
tourt
Devin Townsend im Moment zusammen mit Fear Factory und ist ebenfalls
Gast in Pratteln im Z7, wo ich die aussergewöhnliche Gelegenheit
bekam, ein Interview mit ihm abzuhalten. Ein bescheidener und
ruhiger Devin Townsend bescherte mir ein Erlebnis der besonderen
Art, für das wir drei Anläufe brauchten. Der laute Soundcheck des
norwegischen Support-Acts Dunderbeist zwang uns letztlich, in den
Tourbus zu flüchten, wo ich endlich in Ruhe meine lange
vorbereiteten Fragen stellen durfte. Entschuldigt, dass ich nicht
das komplette Interview niedergeschrieben habe und mich nur auf die
wichtigsten Antworten konzentrierte. Ich bin fast eine Stunde bei
ihm gewesen, aus Devin blubberte und sprudelte es wie aus einem
soeben ausgebrochenen Vulkan heraus...
MF: Willkommen in der Schweiz, Devin. Das ist nicht das erste Mal,
dass du dieses Land besuchst, richtig?
Devin: Oh nein, ich war schon sehr sehr oft hier gewesen, ich
kenne das Z7 sehr gut. Wir waren mit Strapping Young Lad hier und
mit der Devin Townsend Band. Ich bin also mit dem Ort hier sehr
vertraut.
MF: Es war jetzt fast auf den Tag genau vor einem Monat, als ich in
London gewesen bin, um "The Retinal Circus" anzuschauen. Es war
fantastisch und extrem aufwändig. Hat mir sehr gut gefallen.
Devin: Wow das ist verrückt! Cool! Du bist dort gewesen? Wir
hatten die komplette Show mitgeschnitten und ich bin gerade dabei,
das Material zu überarbeiten. Ich habe gerade daran gearbeitet,
bevor du gekommen bist. Ist höllisch viel Arbeit. Ich denke wir
werden am 2. Januar 2013 mit dem Schneiden beginnen und dann sollte
es auch bald fertig sein. Das wird richtig cool, ich freue mich sehr
über den Release.
MF: Nicht nur die Nachbearbeitung ist viel Arbeit, ich denke erst
mal das Ganze vorzubereiten und die Aufführung zu planen muss
unglaublich komplex gewesen sein. Wie hast du das auf die Beine
gestellt?
Devin: Uff, ich denke alles, was ich mache ist nicht wirklich
gross organisiert, es ist eher blankes Chaos, das durch eine Art
Hartnäckigkeit zusammen gehalten wird. Es waren vierzig Leute auf der
Bühne und circa hundert Leute, die in die ganze Produktion involviert
waren. Wir hatten nur zwei Tage Zeit für die Proben und keiner wusste
so richtig, was dabei raus kommen wird. Die ganze Sache kroch auf dem
Zahnfleisch, so zu sagen. Aber es ist wie mit anderen Sachen auch,
wenn du ums Verrecken etwas umsetzen möchtest, dann findest du auch
einen Weg. Deswegen hat es dann auch am Ende so gut geklappt. Wir
hatten ja alle keine andere Wahl, es musste irgendwie funktionieren.
Die Show war ja schon seit einem Jahr ausverkauft! (lacht) Aber ich
liebe es, mir Ziele zu setzen, die mich extrem herausfordern. Ziele
wo man denkt, dass man sie nie erreichen kann. Diese Show umsetzen
zu können, war sehr wichtig für mich.
MF: Steve Vai war ja quasi der Überraschungsgast des Abends. Er
wurde über die zwei Leinwände, die über der Bühne hingen, eingespielt
und führte mit kleinen Anekdoten durch die dreistündige Show. Du
hattest ganz am Anfang deiner Karriere mit ihm zusammen gearbeitet,
warum taucht er jetzt wieder auf?
Devin: Nun, die ganze "Retinal Circus" Sache hatte für mich eine
spezielle Bedeutung. Es sollte einen Abschluss für mich darstellen.
Einen Abschluss von diversen Dingen, die in meinem Leben passiert
sind und die mich geprägt haben, aber ab und an noch verfolgen. Ich
habe auch Songs von Strapping Young Lad und der Devin Townsend Band
gespielt, und dann war da eben noch Steve Vai, der an die Leinwand
projiziert wurde. Das alles hat irgendwie etwas mit Ängsten zu tun,
die ich versuche zu verarbeiten. Die ganze Sache mit Steve Vai habe
ich noch nicht so richtig verarbeitet und keinen Abschluss gefunden.
Daher war es für mich wichtig, ihn mit dabei zu haben. Das Gleiche
mit Strapping Young Lad, es war eine coole Sache und hat Spass
gemacht, aber es gab für mich Gründe mich davon zu distanzieren.
Diese Dinge in der Show wieder aufzugreifen war wichtig, um zu
zeigen "Hey ich fand das alles gut damals aber jetzt konzentriere
ich mich auf andere neue Dinge. Ich habe keine Angst davor die alten
Sachen aufzugreifen, aber Mensch, ich bin jetzt 40 Jahre alt und
endlich nüchtern!"
Dieser ganze Metal Kack, auch jetzt die Tour mit Fear Factory, also
ich meine ich liebe die Jungs, aber Hölle! Metal die ganze Zeit
ertragen zu müssen, mir platzt fasst der Schädel davon! Mitte 20 war
das alles kein Problem, aber jetzt kann ich es nicht ruhig genug um
mich herum haben. Nun, ich habe mich natürlich auch gefragt wie es
sein wird, wenn ich das Strapping Young Lad Zeug gar nicht mehr so
hin bekomme. Was ist, wenn ich versage und es total schlecht rüber
kommt? Ich habe es ja seit ungefähr fünf bis sechs Jahren nicht mehr
gespielt. Tja und wir haben es umgesetzt, und es ist für mich eine
Genugtuung sagen zu können: Ich hatte die verdammten Eier gehabt,
dem Versagen ins Gesicht zu schauen – falls es schief gegangen wäre.
Weisst du, ich denke, man muss manchmal über seine Grenzen hinaus
wachsen, denn wenn du niemals den Mut hast Dinge in die Hand zu
nehmen an denen du eventuell scheitern könntest, dann wirst du
niemals siegen können.
MF: Das ist wohl wahr. Eine wirklich gelungene Show, ich muss es
nochmals sagen.
Devin: Oh..., danke, das freut mich. Es war wirklich eine intensive
Sache. Wir sassen alle da im Backstage, verkleidet als Affen und
Ausserirdische und hatten irgendwann Zweifel, ob das alles wirklich
gut kommt. Total abgefahren! Aber am Ende scheint es den Leuten ja
gefallen zu haben.
MF: Ja..., abgefahren ist das richtige Wort. Ich erinnere mich noch
daran, als die zwei Tänzerinnen die fast zwei Meter grosse Vagina auf
die Bühne geschleift haben. Ich war mir erst unsicher, ob es
wirklich das ist, was ich meine das es ist.
Devin: (lacht) Ja, die war massiv! Und natürlich, es war eine
übergrosse Vagina. Das war doch das Beste von allem! Es ist so viel
passiert, ich glaube die Leute waren ein wenig überfordert damit. Es
herrschte das totale Chaos auf der Bühne. Da war eine Hochzeit, dann
eine Geburt und dann auch noch diese Ausserirdischen. Was ich bei
der DVD, die dann nächstes Jahr raus kommt, berücksichtigen möchte
ist, dass besondere Dinge hervor gehoben werden, die eventuell beim
Auftritt untergegangen sind. Ich möchte die Dinge fokussieren, die
wirklich wichtig gewesen sind, und das ist eine tolle Arbeit. Ich
fühle mich wie ein Direktor. Ich mache das zum grössten Teil selbst
und kann entscheiden, was bei welchem Song im Mittelpunkt stehen
soll.
MF: Die Leute, die nicht live im Roundhouse dabei sein konnten, hatten
die Möglichkeit, die Show über das Internet anzuschauen. Es wurde 1:1
über Live-Stream übertragen und für ein paar Franken konnte man sich
das Spektakel anschauen. Glaubst du, das Konzept wird zukünftig an
Popularität gewinnen?
Devin: Das ist schwierig zu sagen. Ich bin gar nicht so gut
darin eine Prognose abzugeben, was die Zukunft so bringen könnte. Vor
allem was die Musikindustrie betrifft. Meine Vorstellungen driften
ganz schön davon ab, was die anderen sagen vor allem wenn es um
Popularität geht. (lacht) Das interessiert mich weniger muss ich
sagen. Aber vielleicht könnte es eine interessante Entwicklung für
die Musikindustrie werden.
MF: Weisst du vielleicht, wie viele Leute den Stream angeschaut
haben? Im Roundhouse selbst sind ja um die 2000 Leute gewesen.
Devin: Ich meine ein paar Tausend. Ich bin schon ein wenig
beeindruckt, wie viele Leute am Ende die Show gesehen haben.
MF: Können wir mit einer weiteren Aufführung rechnen?
Devin: Nun, es ist noch nicht ganz offiziell, aber wir planen eine
neue Show in circa zwei Jahren, ebenfalls in London. Nun, ja eben, es ist
noch nicht ganz offiziell... - Ich erzähle ein anderes Mal davon
(lacht) Es wird noch grösser sein und die letzte Show übertreffen.
MF: 2011 hattest du bereits eine Konzert Reihe an vier Tagen, wo du vier
Alben am Stück gespielt hast, das war auch sehr...
Devin: Du meinst übertrieben? Ja, das war es, absolut!
MF: Nun ich hätte es eher mit interessant umschrieben...
Devin: Du kannst schon übertrieben sagen, das passt
hervorragend.
MF: Diese Reihe wurde ebenfalls in London aufgeführt, warum
orientierst du dich besonders an London?
Devin: Nun, für solche aufwändigen Produktionen benötigst du
eine garantierte Anzahl an Besuchern. London eignet sich sehr dafür.
Es macht keinen Sinn, das an einem anderen Ort zu veranstalten. Wir
waren mal hier in der Schweiz und ich hatte einen Auftritt vor
ungefähr zwölf Leuten und das Bar-Personal war auch noch da. Das war
nicht so lustig. In der Schweiz bin ich nie erfolgreich gewesen,
auch in anderen europäischen Ländern ist das so gewesen. Aber
England, Finnland und auch Australien sind Länder, in denen die Musik
aktuell sehr erfolgreich ist. Aber auch aus anderen Gründen machte
es Sinn, London zu wählen. Unser Management ist dort, das ganze
Equipment ist dort und so weiter. Das macht auch aus finanzieller
Sicht Sinn.
MF: Was mir auch gut gefällt, ist die Zusammenarbeit mit Anneke van
Giersbergen (Ex-The Gathering). Ihre Stimme klingt engelsgleich.
Hast du sie aus diesem Grund ausgewählt? Von den Stimmen her klingt
es wie ein Kampf von Engel gegen Teufel.
Devin: Du findest also, ich singe wie der Teufel? Nun, das war
eigentlich nicht der Hintergrund. Ich würde sagen, es ist bei Mann
und Frau üblich, dass der eine sehr sanft rüber kommt und der
männliche Part eher rau. Obwohl, wenn du mich und Glen Benton
(Bassist und Sänger der Death Metal Band Deicide) vergleichen
würdest, dann wäre es wohl eher umgekehrt.
MF: Könntest du dir vorstellen, deinen Gesangspart mal ganz
abzugeben?
Devin: Ich muss sagen, dass ich das Gitarre spielen bevorzuge.
Ich liebe es! Singen ist eher ein notwendiges Übel für mich. Ich
habe nie den passenden Sänger gefunden, da blieb mir keine andere
Wahl, als das Singen zu erlernen. Als Anneke mir damals einen Track
schickte, war ich hin und weg und sagte ihr sofort zu. Ich könnte
mir nicht vorstellen, dass meine Songs von einer anderen männlichen
Stimme wiedergegeben werden. Mittlerweile weiss ich wie, ich meine
Stimme manipulieren muss, dass das so rüber kommt, wie ich es gerne
hätte. Es war einfacher das zu erlernen, wie einer anderen Person
das beizubringen. Dafür habe ich keine Geduld.
MF: Was hörst du denn privat an Musik?
Devin: Ich höre unglaublich unterschiedliche Sachen und ich
denke mit all den Alben die ich nun veröffentlicht habe, konnte ich
all die Stile die ich mag ganz gut verarbeiten. Was nicht bedeutet,
dass ich so narzisstisch bin und nur meine eigene Musik höre. Ich
bin ein grosser Fan von Musik und habe gerade vor kurzem die Young
Gods wieder gehört. Oh mein Gott, ich liebe diese Band! Sie gehören
zu meinen absoluten Lieblingen. Und das ist das Besondere daran,
meine Musik klingt nicht wie die der Young Gods, und daher kann ich
sie auch unbeschwert hören und geniessen und muss sie nicht ständig
analysieren. Ich mag auch elektronische Musik oder Captain Beefheart
ist auch grossartig.
MF: Kommen wir zurück zu Deiner Musik. Ich versuche es mal in einem
Satz auszudrücken: Deine Musik ist dein musikalisches und visuelles
Tagebuch. Kann man das so sagen?
Devin: Oh ja, das ist genau so. Und "Retinal Circus" hat genau das
versucht auszudrücken und es auf den Punkt gebracht. Es ist
irgendwie schockierend und auch peinlich, dass es so ist. Meine
Leidenschaft Musik zu machen ist eine Art Zwang. Es passiert
unbewusst. Ich habe immer eine Gitarre an meiner Seite. Es gibt eine
im Backstagebereich und eine im Bus. Ich muss sie immer greifbar
haben. Über die Musik verarbeitet ich Ereignisse und es kommen mir
unzählige Ideen in den Kopf. Wenn dann eine Melodie entstanden ist,
versuche ich der Sache einen Namen zu geben. Ich transferiere also
meine Gedanken in Musik und verarbeite Dinge auf meine Art und
Weise. Wenn das vollzogen ist, ist mein Kopf wieder leer und offen
für neue Impulse. Als ich «Epicloud» fertig gestellt hatte, sagte man
mir „Oh wow kannst du das wiederholen, noch so ein Album wäre cool“.
Das funktioniert aber nicht so einfach. Daher ist auch jedes Album
komplett anders. Es ist abhängig von meiner Stimmung und von den
Impulsen, die ich bekomme. Ich kann Musik nicht auf Bestellung
produzieren.
MF: Das neue Album ist tatsächlich ein gelungenes Werk. Es gibt den
Titel «Lessons» zum Beispiel, der knapp eine Minute lang geht. Man
liest "Perhaps what we want in life, is not what we need" als
Statement.
Devin: Nun ja, «Lessons» - so ist das Leben! (schmunzelt) Für
mich ist es wichtig, dass der letzte Ton eines Songs mit dem ersten
Ton des Folgesongs harmoniert. Das muss stimmig sein. Es muss sich
natürlich anhören und die Tonfolge muss für mich stimmen. Daher habe
ich diesen Song zwischen «More!» und «Hold On» gepackt.
MF: Für mich sind deine Erklärungen sehr stimmig, und das verleiht
der Musik mehr Substanz. Ich denke auch, dass aufgrund der Art und
Weise wie deine Musik entsteht, sie so besonders und eigenständig
klingt.
Devin: Oh..., danke für das Kompliment! Das ist cool. Es ist für
mich wichtig, meine Musik erklären zu dürfen und ich diskutiere
gerne darüber. Diese Sache ist sehr wichtig für mich. Daher rede ich
auch so unglaublich viel. Die Musik kann zwar grundsätzlich jeder
individuell für sich interpretieren, das ist natürlich erlaubt. Aber
ich finde, es ist nicht notwendig, denn es ist wie es ist, und es sagt
aus, was es aussagen soll. Ein Song ist entstanden aus bestimmtem
Grund. Früher war das ein wenig anders. Ich war ständig voll von
Drogen und total verpeilt. Ich hatte keinen Plan, was ich da warum
produziere.
MF: Ist es manchmal schwierig, Songs aus alten schwierigen Zeiten auf
der Bühne zu performen, weil dann wieder alte Themen hoch kommen?
Devin: Sicher kommen alte Themen hoch, aber ich möchte nicht
dieses Leiden auf der Bühne ausleben und den Leuten zeigen, wie sehr
ich darunter leide oder gelitten habe. Das ist nicht der Punkt. Wenn
ich auf der Bühne bin, möchte ich Spass und ich möchte, dass die
Leute Spass haben. Da muss man die alten Themen einfach versuchen
auszublenden. Wenn ich emotional werden würde, würde sich meine
Stimme verfremden, und ich würde nur noch heulen wie ein Wolf. Das
will doch niemand hören!
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