Auf dem neusten Stand
der Wissenschaft.
Eines der ersten grösseren Festivals der Saison ist
immer das Greenfield Festival im Berner Oberland. Voll
motiviert und mit neuer Platte am Start, durfte der wohl
momentan bekannteste Live-Act der Schweiz – Eluveitie –
nicht fehlen. Bevor aber zu später Stunde die Band ihren
Auftritt hatte und der heftige Gewittersturm das
Festival künstlich lahm legte, stand mir Bandleader und
Frontmann Chrigel Glanzmann Rede und Antwort. Spontan
und locker neben den VIP WC-Anlagen kam das Gespräch
zustande, das aus meiner Sicht locker noch länger hätte
ausfallen dürfen. Mit Wasser, Kaffee und Zigaretten nahm
das Interview folgenden Verlauf.
MF: Erst mal
Gratulation zum neuen Album..., sehr stimmig geworden.
Bestimmt bist du das schon oft gefragt worden aber wie
spricht man den Titel «Ategnatos» eigentlich korrekt
aus?
Chrigel: (lacht) Ja, das bin ich
wirklich schon oft gefragt worden. «Atechnatos» wird es
ausgesprochen...
MF: Was ist denn die
Bedeutung hinter diesem Wort?
Chrigel:
Es ist einfach ein gallisches Wort und bedeutet
Wiedergeburt.
MF: Nicht zu verwechseln
mit gälisch oder wo liegt da der Unterschied?
Chrigel: Gälisch ist die keltische Sprache, die heute in
Irland gesprochen wird, und gallisch ist die keltische
Urform, die die Helvetier gesprochen haben. Es liegen
einfach 2000 Jahre dazwischen. Es ist in etwa
gleich zu setzen mit dem Althochdeutsch, das heute auch
nichts mehr mit dem Hochdeutsch von heute gemein hat.
MF: Wie muss ich mir das genau vorstellen? Beherrschst
du oder jemand von der Band diese Sprache?
Chrigel: Ähm..., jein. Wir haben ja immer nur zwischendurch
einzelne Songs, die in gallisch gesungen sind. Für mich
ist es eher künstlerisches Schaffen oder künstlerischer
Ausdruck. Was wir als Band betreiben, ist eigentlich
nichts anderes als musikalisch Geschichten zu erzählen. Es
dreht sich alles um die keltische Kultur, die keltische
Geschichte und um diesen Geschichten etwas Leben
einzuhauchen, singen wir immer wieder gerne Lieder, die
in dieser alten Sprache gesungen werden. Ich arbeite
aber auch mit diversen Wissenschaftlern von
verschiedenen Universitäten Europas, die für die
gallische Sprache zuständig sind, zusammen.
MF: Ah wirklich?
Chrigel: Ja, und dadurch ist also bei uns alles total
fundiert und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft.
Jedes Eluveitie-Album ist also in diesem Sinne auch ein
Wissenschaftsprojekt. Es sind wirklich immer Keltologen
und Historiker involviert. Ich mache dies jetzt seit siebzehn
Jahren, wirklich fliessend gallisch sprechen ohne
Wörterbuch kann ich nicht, aber wenn du mir jetzt einen
gallischen Text gibst, dann kann ich schon der Spur nach
entnehmen, um was es sich im Text etwa handelt.
MF: Spannend! Um vielleicht nochmals auf die
Wiedergeburt zurück zu kommen. Welche Bedeutung hat das
Wort für dich, und ist es allenfalls ein Symbol für die
neue Bandkonstellation?
Chrigel: Nein,
überhaupt nicht! Ich wurde dies zwar schon oft gefragt
und es ist ehrlich gesagt ja auch nicht abwegig, aber es
hat für mich wirklich nichts mit der alten und neuen
Besetzung zu tun. Es ist eigentlich das erste Mal in
unserer Geschichte ein Album, das ein Stück weit
philosophisch ist, auch eine Message hat und etwas
über das reine Geschichtenerzählen hinaus geht. Das Album
an sich beschäftigt sich mit antiken Sagen und den
archetypischen Bildern, die in der keltischen Mythologie
vorkommen. Es handelt sich dabei zwar nur noch um
Fragmente aus zweiter und dritter Hand, aber sie lassen
sich dennoch recht gut rekonstruieren. In all diesen
Bildern ist eben im Kern immer die Symbolik der
Wiedergeburt zu finden.
Zwar nicht im
hinduistischen Sinn von Reinkarnation, sondern mehr
metaphorisch für Erlebnisse, die wir in unserem Leben
machen können, an die wir herangeführt werden. Manchmal
hat man eine Wahl, manchmal hat man keinen Einfluss auf
das, was einen erwartet. Es geht um den Teil, der in
diesem Fall von einem Menschen abfällt, der stirbt, aber
dadurch die Chance erhält, wieder Neues zu erfahren.
Meistens sind dies nie einfache Dinge, was aber
die Sache vermutlich auch ausmacht. Dieser Kerngedanke
ist in ganz vielen keltischen Bildern wiederzufinden.
Das Album macht eigentlich nichts anderes, als diese
Bilder aus heutiger Sicht zu transportieren. Für
«Ategnatos» haben wir viel meditiert und es war eine
sehr intensive Erfahrung als Band. Falls das Album doch
etwas Persönliches haben sollte, dann ist das vermutlich
das, was uns während der letzten Wochen geprägt hat. Für
mich persönlich waren die letzten vier Jahre nicht sehr
einfach und ich habe mich darin oft selbst
wiedergefunden. Mit der Bandgeschichte hat es aber
nichts zu tun.
MF: Es war einfach irgendwie ein neuer
"Vibe" spürbar gegenüber den letzten beiden Alben. Hat
Bandintern ein Reifeprozess stattgefunden oder sind die
„neuen“ Members mehr hervor getreten?
Chrigel: Ja..., vielleicht etwas von allem. Jeder Musiker
hat seinen eigenen Stil und seine Art sich auszudrücken.
Die „Neuen“ die ja nun auch schon drei Jahre bei uns
sind mussten sich sicher erst etwas finden und klar
tragen sie nun einen wesentlichen Beitrag zum Sound bei.
Hauptsächlich hängt die Musik von Eluveitie aber von den
Texten ab. Unser Songwritingprozess ist immer sehr
organisch und die haupttreibende Kraft ist eigentlich
immer Intuition. Es ist nie so, dass wir irgendwelche
Lieder schreiben, sondern bevor wir überhaupt anfangen
an neuem Material zu arbeiten, mache ich ein Konzept
fürs ganze Album, das ich bereits vor meinem inneren
Auge habe. Deshalb ist auch klar, dass jeder Song des
Albums mehr oder weniger so geplant ist, wie er dann zu
hören ist. Auch von der Art und Weise her, wie ein Song
ist und welchen lyrischen Inhalt er hat ist eigentlich
klar. Natürlich sind die Worte dazu noch nicht
geschrieben, aber was der Song ausdrücken soll, ist
bereits definiert. Aufgrund des Inhalts wird dann
schliesslich die Musik geschrieben.
MF:
Bei anderen Bands steht ja oft „nur“ die Musik im
Zentrum. Könnte dies auch eine Erklärung dafür sein, warum
sich die Eluveitie-Alben teilweise musikalisch
unterscheiden?
Chrigel: Das ist sicher
richtig. Unsere Musik soll auch immer das wiedergeben,
was der Text ausdrückt. Das Album ist auch
unterschiedlich. Mit «Worship» findet sich einer der
härtesten und schnellsten Songs, den wir je geschrieben
haben auf dem Album, und der ist so wie er ist – wegen
dem Text. Im Gegenzug dazu «Ambiramus», der poppig ist
irgendwie, aber auch das ausdrückt, was der Text
inhaltlich bringt.
MF: Jetzt ein Wechsel
in eine etwas andere Richtung. Euer Musikvideo zu
«Ategnatos» habt ihr ja noch vor der Veröffentlichung
des Albums online gestellt und dieses hat eingeschlagen wie
eine Bombe! Wie stehst du eigentlich zu den digitalen
Medien und den allseits beliebten Download-Plattformen?
Chrigel: Die ganze Musikindustrie hat sich natürlich in
den letzten Jahren brutal verändert und wird sich auch
noch weiter verändern. Also meine Welt ist es nicht
(lacht). Ich trauere den alten Zeiten schon noch nach,
in der ein Album wirklich ein Album war, das man in den
Händen halten konnte, das Artwork bestaunen und die
Texte mitlesen konnte. Ich vermisse auch die Zeiten, als
man in den Plattenläden einfach durch die Regale stöbern
konnte und sich bloss anhand eines geilen Covers die Platte angehört
hat. Unter dem Strich ist es aber so wie es ist, und es
wird sich wohl auch nicht mehr zurück verändern. Ich
finde die Diskussion darüber irgendwie müssig. Erst
recht das Genörgel, dass dies die Musikindustrie kaputt
macht. Man kann nörgeln, aber es ändert sich dadurch
nichts, denn es ist jetzt nun mal so. Entweder du
findest es scheisse und jammerst dauernd darüber oder du
machst eben mit und machst das Beste daraus.
MF: Um noch kurz bei den Medien zu bleiben. Man hat
ja viel darüber gelesen oder gehört, dass du als „Galionsfigur“...
Chrigel: Galionsfigur? Echt jetzt? (lacht
und schüttelt den Kopf)..., jesses Gott...
MF:
Ja, das habe ich gelesen und gehört..., dass du über die
Band bestimmst und eigentlich alles mit dir steht oder
fällt. Wie kommt das bei dir an, wenn du Dinge dieser
Art hörst oder liest?
Chrigel: Ja..., immer
mal wieder lese ich sowas, aber wie gesagt, ich mache
diesen Job jetzt schon siebzehn Jahre. Was definitiv der
Fall ist und was ich wirklich lernen musste, ist, dass
egal ob du Musiker, Autor oder Filmschaffender bist,
wenn du ein Stück weit in der Öffentlichkeit stehst, du
dir ein verdammt dickes Fell zulegen musst. Je länger
man es aber macht, desto besser kann man damit umgehen.
Klar gibt es immer wieder Dinge, bei denen man sich
denkt: „Erzähl doch nicht so einen Scheiss!“ aber
grundsätzlich kann man daran nicht viel ändern. Es muss
einem egal sein.
MF: Grundsätzlich finde ich es auch nicht
verwerflich, wenn jemand die Fäden in der Hand hält und
etwas den Takt vorgibt. Man kennt ja genügend Beispiele,
wo zu viel Freiheit im Chaos mündet.
Chrigel: Wenn wir in der Band ein Problem haben, dann
ist eigentlich genau das das Problem. Also nicht, dass
wir im Chaos enden, aber was wir wirklich in dem Sinne
nie gehabt haben, ist ein Chef. Ich möchte nie Chef sein,
und ich kann es tatsächlich auch gar nicht. Es ist aber
immer wieder mal Thema, dass Leute der Band wirklich
sagen: „Hey, du musst mehr Chef sein, sonst fehlen uns
Infos und sonst vieles anderes.“ Wir hatten schon viele
Diskussionen zu diesem Thema. Ich sage ihnen dann immer,
dass ich mir Mühe gebe, aber ich bin einfach wie ich bin.
Es ist also wirklich ein Thema, aber gerade umgekehrt,
als es den Anschein macht.
MF: Es ist spannend, einmal von dir
persönlich ein Statement dazu zu hören, danke! Momentan
gehört ihr wohl unbestritten zu den bekanntesten
Live-Acts aus Schweizer Sicht gesehen. Spürst du das als
Musiker?
Chrigel: Was heisst spüren?
Man weiss es, ganz blöd gesagt. Als Musiker hast du
einen bestimmten Marktwert, und du weisst wo du stehst.
Man bekommt das als Musiker schon mit.
MF: Wird dieser Wert denn aus deiner
Sicht auch genug gewürdigt?
Chrigel: Ja
schon! Es ist zum Beispiel eine Ehre, dass wir an einem
Greenfield-Festival spielen dürfen.
MF:
Du schlägst gerade den Bogen zu meiner nächsten Frage. Ihr
seid ja bereits das fünfte Mal am Greenfield. Müsst ihr
noch anfragen oder werdet ihr mittlerweile angefragt?
Chrigel: Ich muss dir ehrlicherweise sagen,
dass ich das gar nicht weiss (lacht). Im Normalfall ist
es schon so, dass ein Festival bei der Band eine Anfrage
macht und nicht umgekehrt.
MF: Gibt es
sonst noch was, was du loswerden möchtest?
Chrigel: Nein..., es bleibt mir nichts weiter zu sagen als
danke für das nette Interview.
MF: Ok,
ich habe ebenfalls zu danken. Merci!
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