Bands aus L.A. an die
Wand klatschen.
Joakim «Jocke» Berg hat sich in den letzten Jahren
zu einem meiner Lieblingsinterviewpartner entwickelt.
Der Schwede hat eine sehr ehrliche und bodenständige Art
und versucht nicht rockstarmässig auf cool zu
antworten. Seit dem letzten Interview in Balingen, mit
einem eisgekühlten Rücken und einem frischen
Gerstensaft, kennt man sich. Der Vorturner von Hardcore
Superstar gehört zu den besten Shoutern seines Faches
und geht immer mit sehr stilvollen Shirts (Venom,
Mercyful Fate) auf die Bühne. Er hat die Rezeptur der
alten Helden, wie man sich aktiv und attraktiv auf der
Bühne präsentiert, mit der Muttermilch aufgesogen und
weiss seit 20 Jahren, wie man sich auf positive Art und
Weise im Geschäft hält. Da die letzte Scheibe («HCSS»)
bei einigen Fans in Ungnade fiel, versucht der Vierer,
das heisst Jocke, zusammen mit Gitarrist Vic Zino, Bassist Martin
Sandvick und Trommler Adde, auf dem kommenden Werk den
Kurs zu korrigieren. Ob dies gelang und wie Jocke das
neue Werk einstuft, lässt uns der Sänger im folgenden
Interview begeistert wissen.
MF: Jocke, was habt
ihr in den letzten Monaten gemacht?
Jocke: Wir waren auf Tour, und ich habe die Gesangsspuren
für das kommende Album eingesungen. Glaub mir, das Zeugs
klingt wirklich gut! Wenn alles klappt, werden wir die
neue Platte kommenden März oder April veröffentlichen.
Wir werden drei Singles raus bringen, bevor die neue
Scheibe in den Läden steht. Wenn du das neue Material
mit dem letzten Album vergleichst… Es gab da einen Fan,
der alte Demos aus der Zeit um 1994 von uns fand. Uns
gefiel, was wir damals komponierten und wollten wieder
in die Richtung komponieren. Das letzte Werk war nicht
sehr erfolgreich. 50% der Fans waren der Meinung:
«FUCK, was soll das» (verdreht die Augen) und die andere
Hälfte war sich einig, dass es etwas Neues und Tolles
war. Als nun die Leute unsere erste Single «Have Mercy
On Me» hörten, strahlten ihre Augen und sie sagten: «Ja,
die Jungs sind wieder zurück!» Diese Nummer beschreibt
den Stil des neuen Werkes sehr gut, denn wir gehen
zurück zum klassischen Hardcore Superstar-Sound. Für die
neuen Leider brauchten wir ungefähr ein Jahr, bis alle
Tracks geschrieben waren. Am Schluss hatten wir ungefähr
60 Songs, aus denen wir auswählten. Es war ein langer
Prozess (grinst). Wir versuchten immer mit dem
Nachfolgewerk noch besser zu werden, als wir mit dem
Vorgänger waren. Genau das ist aber die Schwierigkeit.
Mit etwas Neuem besser zu sein als mit dem Vorherigen
und sich dabei nicht zu wiederholen (grinst). Die
Platten mussten sich beweisen und zeitlos sein. Ich
glaube wirklich, auch wenn dir dies jeder Musiker sagen
wird (lacht), dass wir es hinbekommen haben, mit den
neuen Liedern etwas ganz Tolles zu kreieren.
MF: Welches ist der beste Song, den du jemals
geschrieben hast?
Jocke (überlegt
lange): Wow… Gute Frage…
MF: …der
nächste…
Jocke (lautes Lachen): …danke,
genau! Du hast die richtige Antwort. Ich denke… Den Song
habe nicht ich geschrieben, sondern Adde (Trommler
Magnus Andreasson), da müsste die nächste Single sein.
Adde ist ein unglaublicher Songwriter.
MF: Eure Shows sind unglaublich, habt
ihr diese Energie jemals auf ein Album gebracht?
Jocke: Ich glaube, das ist uns auf dem neuen geglückt.
Lustig, dass du dies ansprichst, denn wir haben
tatsächlich oft darüber gesprochen, dass wir nie im
Stande waren, diese Live-Energie auf eine Studioscheibe
zu bringen. Bei «Split Your Lip» waren wir sehr nahe
dran. Dann verloren wir aber ein bisschen diesen Groove.
Mit dem neuen Album sind wir wieder da angekommen, wo
wir hinwollen.
MF: Wann war für dich klar, dass du
Sänger werden willst?
Jocke: Ich
startete als Gitarrist. Okay, nicht ein sonderlich Guter
(grinst), aber ich versuchte es (lacht). Die Jungs aus
meiner damaligen Band meinten: «Wir haben dich singen
gehört. Wieso singst du eigentlich nicht?» Wir spielten
einen Song und als der Vers kam, stoppten die anderen
mit dem Spielen und ich sang. Da realisierte ich, dass
meine Stimme gar nicht so übel war. Das erste Mal, als
ich meine Gitarre losliess, war 1980 an einem Festival in
Schweden. Da standen 10'000 Leute und mitten im Set
dachte ich: «No, fuck the shit now!» «This is the last
time you gonna see me on guitar» verkündete ich von der
Bühne, stellte den Sechssaiter in die Ecke und hatte von
diesem Moment an nie mehr auf der Bühne eine Gitarre in
meinen Händen (grinst). Weisst du, ich sang Operette.
Das war in Göteborg. Ich bekam Privatstunden. Mein
Lehrer sang wie ein Lautsprecher, so richtig laut. Er
hat mich gelernt, dass die Stimme aus dem Innern kommen
muss und zeigte mir, wie ich mit Power singen kann. Ich
bin ihm dafür sehr dankbar, er ist grossartig.
MF: Hattest du Idole?
Jocke:
Natürlich. Mich (lautes Lachen)! Ich mach doch nur Spass
(grinst noch immer)…
MF: …«me, and
myself»...
Jocke: …genau, «me, myself
and I». Das Lustige daran ist, dass alle, die mich das
fragen, davon ausgehen, dass ich Steven Tyler und
Freddie Mercury als Antwort gebe. Rede ich über Idole,
dann nenne ich lieber den Sänger von The Last Band
(Chris Blood). Er ist ein verdammter Schreihals. Ich bin
ein richtiger Fan von ihm geworden, weil ich mich frage,
wie zum Teufel kann der jeden Abend so rumschreien!
Natürlich liebe ich Steven Tyler und all die anderen
Ikonen.
MF: Was ist wichtiger für dich? Ein
guter Sänger oder ein guter Entertainer zu sein?
Jocke (überlegt sehr lange): «To entertain
is very important for me!» Aber ohne guten Gesang… Frag
dies mal David Lee Roth (Van Halen)! Er wird dir
garantiert sagen, Entertainer (grinst).
MF: Du bist ein extrem geiler Entertainer, aber wie
fühlt es sich für dich an, im Studio zu sein?
Jocke: Ich lebe für die Bühne und hasse das Studio
(grinst). Du bist so alleine im Aufnahmetempel. Du musst
dort immer 150% abliefern und ich versuche immer diese
150% abzurufen. NEIN, das Studio ist nicht meine Welt!
Leider musst du im Studio stehen, wenn du eine neue
Scheibe aufnehmen willst. Die Motivation ein neues Werk
einzusingen ist, dass ich wieder auf die Bühne gehen
kann. Nächstes Jahr feiern wir 20 Jahre Hardcore
Superstar. Für eine Band ist dies eine sehr lange Zeit.
Noch immer gehen wir raus und spielen energiegeladene
Shows. Siehst du andere Truppen, die auch seit zwei
Jahrzehnten auf der Bühne stehen… Sie werden mich dort
nicht einholen. Ich renne allen davon
(grinst). Sollte dies nicht mehr der Fall sein, werde
ich die Bühne verlassen.
MF: Wie wichtig ist die Balance zwischen
der Band und deinem Privatleben. Du hast vorhin erwähnt,
dass du drei Kinder hast.
Jocke:
Unglaublich wichtig! Extrem wichtig! Ich könnte dies
alles nicht ohne meine Familie tun. Ich werde nächstes
Jahr heiraten. Wir sind nun elf Jahre zusammen. Meine
zukünftige Frau ist so wichtig für mich, weil sie smart
und «tough» ist. Heute habe ich mit ihr über Facetime
telefoniert. Neuerdings habe ich diesen Schnurrbart.
«She don't like it» (grinst). Ich sprach mit meiner
Jüngsten und sie sagte: «Hey Mama, schau mal, Dad sieht
so hübsch aus mit seinen Schnurrbart». «Nein, das tut er
nicht», war ihre kurze Antwort. «Schau mich an», sagte
ich zu ihr und sie erwiderte: «Ich schau dich wieder an,
wenn du dieses Ding abrasiert hast». «She's a really
tough girl. You don't fuck with her» (grinst).
MF: Wie hast du dich über all die Jahre
verändert?
Jocke: Ich bin älter
geworden, aber ich bin immer mich selbst geblieben…
MF: …älter und weiser…
Jocke:
…genau! Ich bin heute 43 Jahre alt, war nie eine Diva,
oder ein verkokster Rockstar. Ich habe die Leute immer
so behandelt, wie ich behandelt werden möchte, und ich
denke, das ist der Grund, wieso die Leute mich noch
immer lieben.
MF: Sex, Drugs and Rock'n'Roll. Ein
Klischee oder das Wahre im Musikbusiness?
Jocke: Ich habe gekifft, als ich 24 Jahre alt war. Das
war vor 19 Jahren. Seit diesem Zeitpunkt habe ich nie
mehr Drogen angerührt. Aber ich liebe, ich LIEBE Bier
(grinst)! Mein Sohn ist 6 Jahre alt. Ich habe dir vorhin
gesagt, dass ich mit meiner Familie heute über Facetime
sprach. Ich hatte eine Flasche Mineralwasser in der
Hand, aber mein Sohn sah nur den geöffneten Kühlschrank
und meinte: «Dad, da hat's Bier! Du liebst Bier». Kurz
darauf trank ich eins (lacht).
MF: Was war für dich früher wichtig, und
was ist es heute?
Jocke: Heute ist es
(überlegt lange)… Ich bin in der glücklichen Lage noch
immer Musik zu machen und eine so tolle Familie um mich
zu haben. Ich trainiere jeden Tag. Ich bin eine sehr
empfindliche Person. Aus dem einfachen Grund, weil ich
Sänger bin (lautes Lachen). Darum ist es für mich
wichtig, dass ich mich gut fühle und tolle Leute um mich
herum habe.
MF: Was macht dich glücklich und was traurig?
Jocke: Hmm… Wenn ich auf der Bühne bin, bin ich
glücklich! Dies würde ich für nichts im Leben aufgeben.
Was mich traurig macht, ist «this fucking waiting» auf
Tour! Warten, warten, warten, was haben wir für Zeit,
warten und warten.
MF: Welches war die erfolgreichste Zeit
für dich?
Jocke: Es gab viele
erfolgreiche Momente in der Geschichte von Hardcore
Superstar. Aber eine lustige Geschichte war, als wir
letztes Jahr in den USA spielten. Das Whisky Go Go haben
wir gleich zwei Tage nacheinander ausverkauft. Der
Besitzer kam zu mir, als ich meine Aufwärmübungen
machte. «Sorry wenn ich dich störe, aber es ist so
lustig. Ihr kommt den weiten Weg von Schweden her und
habt diesen Schuppen zwei aufeinander folgende Tage
ausverkauft. Verstehe mich nicht falsch, aber wir sind
in diesem verdammten L.A., hier gibt es hunderte von
tollen Truppen, wie den L.A. Guns. Aber die bringen den
Laden gerade halbvoll.» Ich witterte meine Chance und
sagte: «Somebody have it, somebody don't.» Er schaute
mich an und sagte: «Ja, ich verstehe, was du meinst!»
Das war ein mächtiger Moment für mich. Ich wuchs mit
Mötley Crüe und all diesen Bands auf und sah unzählige
Videos aus dem Whisky. Da kommen wir Nordeuropäer und
lassen zwei Mal das «Sold Out»-Schild an die Türe
hängen.
MF: Was waren die schwierigsten Momente
für dich?
Jocke: Das war die Zeit
zwischen «No Regrets» und unserem selbstbetitelten
Album. Ich hatte völlig mit dem Business abgeschlossen.
«It suck!» Wir hatten einen «Day off», und ich war richtig
angepisst. Aber durch viele Treffen mit der Plattenfirma
und der Band, bog ich gerade noch auf den richtigen Pfad
ein. Dank unserem schwarzen Album kriegte ich die Kurve.
Die Scheibe war eine heilende Unterbrechung meiner
miesen Stimmung.
MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?
Jocke: Die neue Platte veröffentlichen und
hoffentlich wieder bei euch auf einer längeren Europa-Tour
spielen zu können. Eine richtige Headliner-Geschichte,
denn dies hier mit Fozzy ist eine Co-Headliner-Tour.
Wenn alles klappt, sind wir im Mai in
den Staaten und dann folgen Festivals. Japan und
Australien sind im Gespräch. Es könnte ein
arbeitsreiches Jahr werden (grinst).
MF:
Dann danke ich dir für das Interview und wünsche alles
Gute für die Zukunft!
Jocke: Danke
dir Martin..., es hat, wie immer, Spass gemacht mit dir!
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