Die 80er
Veteranen erheben sich wie ein Phönix aus der Asche.
Nicht alles, was das Metal-Universum bisher hervor gebracht hat, ist
von Bedeutung, doch es kommt manchmal vor, dass selbst ein
alteingesessener Metaller wie ich positiv überrascht wird. Zum einen
gehören da Reunions von längst verschollenen Bands oder schlicht das
Wiederanhören einer älteren CD, die in der Sammlung inzwischen Staub
angesetzt hat. Und selten erhebt sich, so zu sagen aus dem Staub,
dem scheinbaren Nichts, ein Monument, dessen wahre Grösse noch gar
nicht erreicht wurde. Die Rede ist von Hell, einer britischen
Metal-Band, die sich anschickte, Ende der 80er durch zus tarten, um
dann aber aufgrund mangelnder Unterstützung, respektive
karrierevernichtenden Umständen auf der Strecke zu bleiben. Doch es
kam noch schlimmer, denn einer der Gründer, Dave Halliday,
verkraftete dies alles nicht und nahm sich leider das Leben. So
traurig die Geschichte ist, so wertvoller ist der Umstand, dass
diese geniale Musik in die Gegenwart transportiert und zeitgemäss
arrangiert wurde. Diese Grosstat obliegt dem damaligen Fan und
Schüler von Dave: Andy Sneap! Dieser Name ist in der Szene
unbestritten und sein Palmares als Produzenten-Ass ist mittlerweile
unfassbar. Und mit eben diesem Andy Sneap konnte ich ein
Skype-Interview führen, das einem gut gelaunten Musiker einiges zu
Hell und anderen Themen wie seinem aktuellen Kurzhaarschnitt zu
entlocken vermochte.
MF: Hey Andy! Lass mich dir zuerst dafür danken, dass du die
sackstarke Reunion von Hell ermöglicht hast. Wie fühlt es bezüglich
des neuen Materials an, das bald veröffentlicht wird?
Andy: Sehr gut! Wir haben viel Zeit investiert, waren in den
vergangenen zwei Monaten ununterbrochen im Studio und haben jeden
Tag zwölf bis fünfzehn Stunden daran gearbeitet. Davor, also die
letzten sechs Monate über, waren wir mit dem Songwriting
beschäftigt. David, Kev und ich kamen zusammen, jammten und
arbeiteten Ideen aus. Die Hälfte davon ist altes, überarbeitetes
Material und die anderen 50% sind neue Songs, die von uns dreien
stammen. Yeah.., es fühlt sich gut an…, wir versuchten Vieles davon
live einzuspielen, um der Sache vor den Aufnahmen ein richtiges
Bandgefühl zu verleihen. Und nicht so, dass man einfach auf die
Schnelle ein Album macht und nach sechs Monaten sagt „so, jetzt
nehmen wir auf!“ Die Identifikation hierzu wäre deutlich geringer.
Wir erarbeiteten in den letzten gut eineinhalb Jahren zusammen «Harbringer
Of Death», «Deliver Us From Evil», «Something Wicked This Way Comes»,
«Darkhangel», «The Disposer Supreme», «Land Of The Living Dead»…,
vieles davon live. Die Vibes in der Band sind sehr gut, wir alle
fokussiert auf das was wir tun, und darüber sind wir erfreut.
MF: Wann hast du 2011 gefühlt, dass die Band Hell wirklich
funktioniert?
Andy: Eigentlich als ich Dave singen hörte…, als wir das erste Mal
zusammen gekommen sind, haben wir noch nicht daran gedacht, dass wir
zu einer full time Band werden. Zuerst war ich ja gar nicht dabei,
sondern Kev, Tim und Tony sahen sich zuerst wieder nach all der
Zeit. Es waren Freunde, die sich nach einer langen Zeit, über
zwanzig Jahre her, wieder getroffen hatten. Es war dann auch nicht
so, dass man zusammen nur ein paar Bierchen trank und über die alten
Zeiten sprach. Dann kam die verrückte Idee auf, diese alten Songs
neu aufzunehmen, die so viele Jahre in der Versenkung lagen. Da wir
das Studio in der Nähe und auch die Zeit hatten…, ich meine, die
Arbeit daran dauerte schliesslich drei Jahre…, und wir wussten vorab
nicht, wen wir als Sänger nehmen könnten. Wir suchten dann jemanden,
der die hohen Sachen so in der Art wie Geddy Lee von Rush
beherrscht. Eben so, wie es früher bei Dave Halliday klang. Dann kam
David (der Bruder von Kev), um einen Part in der Mitte von «Plague
And Fyre» einzusingen. Der machte vorher, ob du es glaubst oder
nicht, TV-Werbung für Lebensmittel! Ich mochte ihn von Anfang an und
dann sang er zu diesem Lied, das er von früher her schon kannte, als
er die Band noch live sah. Und dann war alles da…, die hohen
Schreie, die Melodien und Harmonien…, genau das, was wir suchten. So
führten wir ihn an die anderen Songs heran und es wurde immer
besser. Er ist voll dabei und grossartiger Frontmann und erinnert
vom theatralischen Element her an Freddie Mercury. Er hat das
Publikum an der Hand, ist brillant und perfekt für die Band.
MF: «Human Remains» ist ein ausserordentliches Musikwerk und absolut
unentbehrlich für die Metal-Szene. War es für dich als erfahrenen
Produzenten, ausgehend vom Demo-Material von 1987, einfach, das alte
Material wieder zu beleben?
Andy: Nun, ich hatte die Songs stets in der Live-Fassung um mich
herum. Als ich sie das erste Mal überhaupt gehört hatte, war das
live. Ich erkannte das Potenzial damals schon als sie spielen sah.
Sie kamen ja unweit von mir her, hier in den Midlands (Andy wohnt in
Darbyshire). 120 bis 130 Meilen von London weg, gab es hier keine
Journalisten oder Plattenfirmen und dafür in die Hauptstadt zu
gehen, lag einfach nicht drin damals. Was ja eigentlich nötig
gewesen wäre, um voran zu kommen, aber das war viel zu teuer für sie
und sie mussten hart um alles kämpfen. Alles, was die Leute hier zu
Gehör bekamen, waren Singles oder Kassetten. Mit den Singles
repräsentierten sie sich noch am besten. Ich wusste noch, wie gut
die Songs tönten, die ich laut in einem Raum gehört hatte. So konnte
ich mir vorstellen, wie das Ganze daher kommen muss. Die
Arrangements mussten entsprechend angepasst werden, aber sonst war
es eigentlich nicht wirklich schwierig.
MF: In den letzten zwei Jahren habt ihr eine Menge Shows und
Festivals gespielt. Welches der Konzerte war das Beste bisher?
Andy: Ahhmm…, da war eines, das hiess «Metal Magic» in Dänemark,
ein ziemlich kleines Festival. Als wir das zuerst sahen, also die
kleine Bühne, kaum Abschrankungen und eine eher bescheidene PA ,
fragten wir uns noch, ob das was werden wird. Aber es war genial und
die Fans gingen direkt vor der Bühne voll ab. An grösseren Events
sind die Leute so viel weiter weg und man kriegt gar nicht richtig
den Draht zu ihnen. «Bloodstock» war auch sehr gut, wo wir das erste
Mal gespielte hatten und…, das «Bang Your Head»! Es war zwar sehr
heiss dort, aber klasse.
MF: Lass uns nun zum neuen Album kommen. Die neuen Songs von «Curse
& Chapter» scheinen mir, nachdem ich das Album nun etwa dreimal
angehört habe, ziemlich ähnlich wie die älteren zu sein,
gleichzeitig aber doch anders. Wie siehst du das?
Andy: Für mich klingt es zusammenhängender als zuvor, mehr nach
einer Band. Tim und Kev lernten ausserdem zusammen auf ihren
Instrumenten dazu in einer gewissen Weise, weil sie ja zwanzig Jahre
nicht mehr spielten. Auf der ersten Platte habe ich, um ehrlich zu
sein, ausser den Soli von Dave, einigen Overdubs und kürzeren Parts
gar nicht so viel eingespielt. Bei der neuen Scheibe war ich viel
mehr involviert und darum kommt für mich nun deutlich mehr
Bandfeeling auf. Dass wir jetzt schon zweieinhalb Jahre zusammen
spielen, macht das auch aus und wird von aussen stehenden Leuten
bestätigt. Darüber hinaus hat sich der Gesang von David weiter
verbessert und ist jetzt noch stärker als vorher. Überhaupt
definieren sich Hell über seinen exzellenten Gesang und die Chose
kommt riffbetont wie bei Maiden oder Priest daher. Man kann auch
sagen, dass die Gruppe einer Art Eisstarre entstiegen ist und wir
mit der Musik von damals in einem neuen Zeitabschnitt weiter machen.
MF: Was war schwieriger: die alten Songs zu erneuern oder ganz neues
Material zu schreiben?
Andy: Ich glaube, die neuen Songs, da wir viele Ideen im Kopf
hatten. Letztlich haben wir uns aber jeweils in der Mitte treffen
und einigen können. Dies taten wir eben als richtige Band, was
natürlich toll war. Es dauerte zwar schon eine Weile, bis wir den
richtigen Fluss fanden und wenn mal was nicht passte, warfen wir es
nicht gleich ganz über Bord.
MF: Die Stimme von David Bower ist wirklich einzigartig und ich
denke mal, dass es ohne ihn nicht funktionieren würde. Teilst du
diese Meinung?
Andy: Er ist in der Tat ein Volltreffer für uns. Er hat sich die
Stimme von Dave entsprechend angehört und bewegt sich vollends im
gleichen Range wie er. Hätten wir das Material zuerst mit Dave
aufgenommen und danach David gehört, würde es sich wie eine Kopie
von ihm anhören. Klar gibt es kleine Unterschiede, aber David zieht
nun sein eigenes Ding durch.
MF: Was magst du mehr: als Musiker auf der Bühne zu stehen oder als
der bekannte Produzent in deinem Studio zu arbeiten?
Andy: Zur Zeit stehe ich lieber auf der Bühne. Ich habe nun so
lange, ganze zwölf Jahre im Studio gearbeitet und bin nun bereit für
einen Wechsel. Wenn ich jedoch beides machen kann, werde ich im
Studio immer noch inspiriert. Während die Studioarbeit Geld
einbringt, kostet die Band entsprechend, aber ich bin aktuell
zufriedener als Musiker. Und es ist einfach geil, in so einer Band
sein zu können, die die Leute erreicht. Zuvor waren wir über einen
Zeitraum von 20, ja 25 Jahren einfach gute Freunde. Das ist etwas,
was ich bisher nicht erleben konnte, wir sind richtige Teamplayer
und es bereitet eine Menge Spass. Das Interesse an Hell nimmt
spürbar zu und wir befinden uns in einer aufregenden Phase des
Wachstums.
MF: Du hast unzählige Alben produziert, gemixed und aufge-nommen.
Welches ist das wichtigste für dich?
Andy: Ehmm…, ich würde sagen «Blood Of The Nations» von Accept! Als
Jugendlicher war ich ein Riesenfan von ihnen. Ich hatte praktisch
alle Platten und liess für «Restless And Wild» meine
Chemie-Abschlussprüfung sausen. Wir hatten zwar nicht viel mehr als
einen Aufnahmedeal, aber dass ich hier Teil der Reunion geworden
bin, ist schon was Spezielles.
MF: War es schwer, Nuclear Blast davon zu überzeugen, dass Hell die
richtige Wahl für die Zukunft sind?
Andy erzählte dazu, dass es zuerst, wie bei Accept, schon einen
Anstoss brauchte und unter anderem Century Media auch im Gespräch
waren. Als man dann aber die Köpfe zusammen hielt und sich Gedanken
darüber machte, was möglich ist, klappte es dann doch. Darüber
hinaus gab es noch eine Story im Rock Hard, die zusätzlichen
Auftrieb gab. Die Jungs von Nuclear Blast verstehen auf jeden Fall
ihren Job und bewiesen das bereits bei der ersten Scheibe.
MF: Ich gehe mal davon aus, dass Dave Halliday sehr stolz darüber
wäre, wenn er seine in die heutige Zeit transferierte Musik hören
könnte, oder?
Andy: Ich hoffe doch! Als er starb, gingen die Songrechte an mich
über, wie auch die Gitarren. Ich meine, es war immer schon das, was
ich machen wollte. Ich lernte auch seine Schwester kennen, die an
Multipler Sklerose leidet. Wir haben ihr finanziell unter die Arme
gegriffen, um die Not etwas lindern zu können. Ich tat das wirklich
gerne und konnte so der Familie von Dave etwas zurück geben.
Die Frage, ob er Vinyl mag, hatte Andy ja bereits kund getan und
bekräftige dies nochmals. Er erzählte mir, dass er jetzt gerade die
neue erste Single erhalten habe, diese aber noch nicht mal
ausgepackt hat. Er habe sich aber, und das sei keinen Monat her,
einen neuen Plattenspieler zugelegt, damit er das alte Zeug wieder
anhören kann. Darüber hinaus zeigte er sich sehr beeindruckt
bezüglich der Qualität der neuen schweren 180g Pressungen. Dann
hielt er eine Ode ans Vinyl, wo man halt jede Plattenseite einzeln
richtig geniessen kann. Er denke auch, dass viele Leute dies, trotz
den handlicheren CDs, wieder schätzen und es letztlich einfach eine
tolle Erfahrung ist. Er mag ausserdem das Geräusch, wenn die Nadel
aufgesetzt wird. Dass das Vinyl gemäss den Aussagen vieler Leute
besser klingen soll, könne er hingegen nicht ganz nachvollziehen.
Vielmehr verströme das Ganze eine Art Charme und trage einen
zurück in die Zeit, als man jung war.
MF: Ich weiss nun nicht recht, ob das eine doofe Frage ist, aber auf
den Bildern und Videos aus der «Human Remains»-Zeit trägst du lange
Haare. Warum sind sie nun so kurz?
Andy: (er streckt mir seinen Kopf der Webcam entgegen, zeigt auf die
kahle Stelle und sagt) Siehst du das? Deswegen…, weil es dünner und
dünner wird! Ich erzähle dir nun genau, wie das gegangen ist (lacht)
– Ich ging also in Nottingham zu einer Show von Opeth. Nach dem
Konzert ging ich raus und traf dort auf eine Freundin, die sich über
mein Resthaar lustig machte. Danach war es mir ein Leichtes, es
entsprechend zu stutzen. Mit dreissig war das noch eine andere
Sache, aber jetzt (mit 44) fühle ich mich so wohler.
MF: Was sind die nächsten Aktivitäten und Pläne von Hell?
Andy: Zuerst spielen wir nun die Tour mit Amon Amarth und Carcass.
In London haben wir einen Deal mit einer Agentur gemacht, bei der
Paul Ryan arbeitet, der auch die aktuelle Tour betreut. Er hat für
nächstes Jahr einige Sommer-Festivals gebucht, aber wir schauen
sonst mal, was auf uns zukommt.
MF: Fein! Andy, ich danke dir recht herzlich für das Gespräch und
was möchtest du zum Schluss unseren Lesern von Metal Factory noch
mitteilen?
Andy: Ich wünsche mir, das Ihr bald ein paar der neuen Platten von «Curse
& Chapter» abgreift, Freude daran habt und genau das bekommt, was
ihr Euch davon erhofft.
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