Von Gene Simmons gecastet.
Es gibt Interviews, die nehmen plötzlich einen völlig anderen
Verlauf, als dass man dies geplant hat. Das heisst, plötzlich rückt
ein Thema in den Mittelpunkt, welches das Gespräch völlig auf den
Kopf stellt. So passierte dies auch beim Interview mit James
Christian von House Of Lords. Eigentlich wollte ich ihn löchern
bezüglich der Frühphase der Truppe, die damals als Superband das
Tageslicht erblickte. Hervor gegangen aus der Combo Giuffria und dem
damaligen Namensgeber und Bandleader Gregg Giuffria, stellte
Kiss-Bassist Gene Simmons für seine eigene Plattenfirma eine
Supertruppe zusammen. Was damals alles passierte, wie die erste Tour
verlief und wie die Zusammenarbeit mit Gene war, dies sollte James
nochmals Revue passieren lassen. Somit den Start einer Truppe
reflektieren, die in die späten 80er-Jahren an den Egos der
Musiker scheiterte und heute seit 2006 in der gleichen Besetzung
(James, Jimi Bell, Chris Mc Carvill, B.J. Zampa) sehr familiär
funktioniert.
MF: Stimmt es, dass Gene darauf bestand, dass
du der neue Sänger von House Of Lords sein solltest?
James Christian: Ja, aber Gene wollte grundsätzlich einfach
den perfekten Sänger für die Band. Es fanden Auditions mit 500
Shoutern statt. Aus diesen wurde der Kreis auf 50 Bewerbern
geschrumpft, daraus wurden 20, dann 5… Das war eine sehr stressvolle
Zeit. Schlussendlich standen noch zwei Sänger zur Auswahl. Das waren
ich und ein Typ, der wie ein Model aussah. Mit langen, blonden
Haaren und ähnlich wie Bret Michael (Poison). Der einzige
Unterschied zwischen ihm und mir war, dass ich singen konnte und er
nicht (grinst). Für Gene war das ein ganz wichtiger Punkt. So hat er
entschieden, dass ich der Sänger von House Of Lords werden sollte,
was mich absolut glücklich machte! Alles im Leben ist Schicksal,
aber das lag damals auf meiner Seite (grinst). Du wirst aber nie
wissen, wie sich alles entwickelt oder wo es endet.
MF: Was hast du von Gene gelernt?
James Christian: Bei Gene war eine Sache ganz wichtig! Wenn
du auf der Bühne bist, musst du explodieren. Jeden Moment, jeden Tag
bei jedem Konzert! «Das Gefühl des Erfolges bekommst du mit dem
Geld, welches du verdienst», war ein Leitmotto von ihm. Ich verstand
nie, was Gene damit meinte. Erst zehn bis fünfzehn Jahre später, als
ich Belege für mein Honorar von meinen ersten Alben und für die
Songcredits zugeschickt bekam. An gewisse Dinge konnte ich mich schon
nicht mehr erinnern, was ich alles komponierte (lacht). Gene hatte
damit absolut recht, sobald ein Name irgendwie verankert ist, wirst
du merken, was du damit verdienen kannst und welcher Erfolg damit
zusammenhängt. Das führt auch dazu, dass die Leute wissen, dass du
noch immer aktiv bist.
MF: Wie hat es sich angefühlt, zusammen mit Gene zu
arbeiten?
James Christian: Gene war der Mentor für mich, als ich ein
professioneller Musiker wurde. Damals war ich ein absolutes
Greenhorn. Über das Business machte ich mir nie Gedanken, bis mich
Gene auf die erste Promo-Tour mitnahm und unterstützte. Während zwei
Wochen bereisten wir alle wichtigen Städte in den USA. Ich gab
Interviews, auch mit Gene zusammen und lernte so, wie ich mich zu
verhalten habe. Er glaubte immer an mich und darum vertraute ich
ihm. So wurde ich Tag für Tag sicherer.
MF: Wieso
hast du dich dann getrennt von Gene?
James Christian: Gut, das war keine Trennung, die ich
wollte. Ich trennte mich von Simmons Records. Das war Genes Label.
Als ich den Vertrag mit Frontiers Records unterschrieb, wusste ich,
dass die direkte Zusammenarbeit mit ihm beendet ist, da Gene bei
Frontiers nicht involviert ist. Aber wir pflegen noch immer einen
sehr guten Kontakt und dies über all die Jahre. Zum letzten Studioalbum
hat er mich angerufen und gesagt, wie sehr er das Album liebt. Es
gab aber auch Momente, in denen er mir mitteilte, dass er meine
Arbeit nicht so toll findet und begründete dies. Bei «Indestructible»
hob er jedoch seinen Daumen und war mit der Scheibe absolut
zufrieden. Das hat mich sehr glücklich gemacht, und das ist alles was ich
mit meiner Arbeit erreichen will. Dass die Tracks, die ich
komponiere, anderen Leute gefallen.
MF: Nach dem Release des ersten Albums, ging es
mit den Scorpions auf Tour. Wie sind deine Erinnerung an diese Zeit?
James Christian: Das war unglaublich! Meine Erinnerungen?
Ich war ein kleiner Junge, der vorher nie was anderes tat, als in
kleinen, verrauchten Clubs zu spielen und dann in den kommenden
Monaten zusammen mit den Scorpions auf Tour ging. Ich wusste nicht,
wie mir geschah, stand plötzlich auf diesen Riesenbühnen und spielte
vor 5'000 bis 10'000 Leuten. Vorher war ich froh, wenn überhaupt 50
Nasen zu meinen Konzerten kamen (grinst). Ich realisierte und ich
genoss, was da abging. Gerade weil ich dies erleben durfte, wusste
ich immer woher ich kam und blieb auf dem Boden, weil es ein Segen
für mich war.
MF: Was hat sich für dich nach den ersten Erfolgen mit
House Of Lords alles verändert?
James Christian: Es war mir möglich ein eigenes Haus zu
haben, an nichts anderes zu denken, als an Musik und davon leben
konnte. Das ist heute noch möglich, mit dem Unterschied, dass ich
mir um Geld keine Sorgen mehr machen muss. Für mich ist es
wichtiger, neue Musik zu kreieren. Als Musiker habe ich verstanden,
dass Geld nie der Mittelpunkt sein darf, sondern die Art, wie du dich
kreativ ausleben kannst. Gibt es Leute die meine Musik mögen, ist
dies die positive Antwort auf das, was ich produziere. Dies ist meine
Welt, alles andere interessiert mich nicht. Ich kümmere mich darum,
weiterhin gute Musik zu schreiben…
MF: … und
«Indestructible» ist wahrscheinlich auch das beste Album, das ihr
jemals veröffentlicht habt…
James Christian: …herzlichen Dank, das bedeutet mir sehr
viel, wenn du das sagst. Weisst du, es ist immer sehr schwierig
heraus zu finden, wie das neue Material bei den Fans ankommt. Ich
versuche Lieder zu schreiben… Eine Band, die alle fünf oder zehn
Jahre ein neues Album veröffentlicht, ist nicht nach meinem Sinn.
Nach meinem Dafürhalten muss eine Truppe jedes Jahr etwas Neues
heraus geben. Ich habe ein Erbe, sollte ich einmal gehen, das mich
für die Menschen in Erinnerung hält. «Was hat James in den letzten
zwanzig Jahren alles veröffentlicht?» Logisch, sind die neuen Nummern
nicht gut genug, werden sie auch nicht auf ein Album gepresst.
Qualität steht bei mir nach wie vor sehr hoch im Kurs. Ich versuche
mich stetig zu verbessern und nicht von der Vergangenheit zu leben.
Klar könnte ich nur Lieder der ersten drei House Of Lords-Alben auf
Tour spielen, aber zwischenzeitlich haben wir acht weitere Scheiben
veröffentlicht, die auch ihre Berechtigung haben. Die Inspirationen
für neue Lieder oder Texte erhalte ich von den Tourneen. Eine Woche
nach dieser Tour starten wir mit den Songwriting und erinnern uns an
die vergangenen Konzerte, was wir taten und was sich um uns herum
alles abspielte. Wir schreiben über Erlebtes, davon handelt auch
«Indestructible». Die Melodien und die Texte schreibe ich alle zu
Hause. Jimi, unser Gitarrist, gibt mir eine Grundidee. Höre ich seine
Riffs, weiss ich, ob sich die zu einem guten Track entwickeln lassen
oder nicht. Gefällt mir seine Idee nicht, sage ich ihm dies auch.
Ist die Musik nicht gut genug, liegt das meistens an der Melodie. Ab
und zu kotzt ihn dies auch an (grinst).
MF: Was ist die Basis, dass ihr nun schon so lange
im gleichen Line-Up zusammen spielt?
James Christian: Jimi, Chris und B.J. sind für mich wie
eine Familie. Nach einer so langen Zeit, sind die Drei die Leute
geworden, welchen ich vertraue. Schreiben wir an neuen Songs passt
dies meistens perfekt zusammen. Für mich ist es ein grosser Segen
mit solchen Leuten zusammen arbeiten zu dürfen. Menschen, die dies
was sie machen von Herzen mögen und leben. Das ist ehrlich und nicht
aufgesetzt. Wir verbringen viel Zeit, treffen uns zum Abendessen und
feiern zusammen, wie in einer Familie. Die meisten Truppen sind
froh, wenn sie sich nach der Tour aus dem Weg gehen können und
sprechen für eine lange Zeit nicht mehr miteinander.
MF: Wieso gab es dann bei den ersten drei HOL-Alben
so viele Line-Up Wechsel?
James Christian: Das lag an Gregg, der immer alles
kontrollieren wollte. Spielten Musiker etwas, das nicht seinen
Vorstellungen entsprach, wurden sie ersetzt. Das Glückliche für mich
war, dass ich der Sänger war (grinst). Nach dem ersten Album war es
für ihn sehr schwer, mich zu ersetzen. Da meine Stimme von vielen
Leuten mit House Of Lords in Verbindung gebracht wurde. Als Lanny
Cordola, Ken Mary und Chuck Wright gehen mussten, sagte ich zu Gregg:
«Was zum Teufel geht hier ab. So können wir uns als Band nicht
etablieren!» Das sieht alles wie eine Zusammenarbeit einzelner Leute
aus, in der Musiker gemietet und gefeuert werden und Gregg wie der
Chef des Ganzen aussah. Das entsprach nicht meiner Vorstellung! Als
ich die Zusammenarbeit mit Gregg beendete und nach einigen Jahren
wieder mit «World Upside Down» einen Neuanfang wagte, suchte ich mir
Musiker, mit denen ich mich auch persönlich gut verstehen konnte.
Ich liebe meine Jungs!
MF: In der Vergangenheit
besiegtest du den Kampf gegen den Krebs…
James Christian: …aber ich habe ihn bis heute nicht
gewonnen. Momentan gibt es viele Spekulationen, wie es mit meiner
Gesundheit weiter geht. Darum möchte ich schnellstmöglich ein neues
Album veröffentlichen, bei dem ich nicht weiss, ob ich die Kraft
aufbringe, es noch beenden zu können. Meine Konzentration liegt im
Moment voll auf den neuen Tracks. Dabei will ich ein positives
Feeling mit den neuen Songs verbreiten. Aber meine gesundheitlichen
Prognosen sehen nicht gut aus. Meine Erwartungen für eine Besserung gehen
nicht in eine positive Richtung. Damit muss ich leben können. Denke
ich zu viel darüber nach, werde ich depressiv. Gehe ich auf die
Bühne, denke ich nicht über diesen ganzen Scheiss nach, sondern,
dass ich es noch immer tun kann. Aber die Zeit wird kommen, da werde
ich nicht mehr singen können. Alles was ich will, ist ein weiteres
Album zu veröffentlichen und hoffe, dass sich die Leute irgendwann
an das erinnern, was ich tat. Krebs ist ein «fuck up thing»! Etwas,
das mich verrückt macht, weil ich nie dachte, dass ich mich mit
diesem Scheiss rumschlagen muss. Das macht mich wütend und ich
versuche, damit klar zu kommen. Es ist ein stetiges «up and down».
Wut, Enttäuschung, positives Denken…
MF: …ab und zu
bist du aber auch glücklich…
James Christian: …ja, aber «it's fucked up!»
MF: Was hat sich für dich mit dieser Krankheit alles
verändert?
James Christian: Es ist eine unheimliche Situation, weil
ich dabei an meine Familie denke und wie es ihnen dabei geht. Dabei
frage ich mich, was passieren wird, wenn ich nicht mehr hier bin.
Robin (Beck die Frau von James) ist eine… Ich versuche sie zu
schützen. Robin ist sehr abhängig von mir. Rein emotional gesehen.
Sollte ich nicht mehr hier sein, wird sie sehr wahrscheinlich
zusammenbrechen. Genau gleich wie meine Tochter. Aber wir denken
alle positiv über die Dinge, die passieren könnten. Auch wenn ich
versuche nicht darüber nachzudenken, weil mich dies verrückt macht.
MF: Hatte der Krebs einen Einfluss auf das
Songwriting?
James Christian: Ja! Meine Soloscheibe «Lay It All On Me»
war eine spirituelle Geschichte. Manchmal wirkt diese Spiritualität
und manchmal nicht. Kann mir dieses Spirituelle wirklich helfen? Es
kann eine Annäherung zu etwas Befreiendem sein. Aber es beantwortet
meine Fragen nicht. Ich kann dir darum nicht sagen, wie meine
nächste Scheibe ausfallen wird (lacht). Da bin ich echt gespannt,
wie sich meine Attitüde verändert hat, als ich mit diesem Scheiss
die Welt betourte (lacht). Ich weiss, dass mein Ärger ein Teil sein
wird, aber ich will damit die Welt nicht zu einem schlechten Ort
machen. All die Angst und all die Behandlungen kann ich nicht aus
meinem Kopf bringen. Es soll möglich sein, dass ich Musik kreiere,
die rein von den Melodien und meinem Gesang etwas Positives
versprüht. All das Negative darf da keinen Platz haben! Aber das
ist verdammt nochmal nicht so ganz einfach (grinst). Ab und zu
trinke ich zu viel, um zu vergessen, was meine Gedanken momentan
dominiert.
MF: Lebst du heute intensiver?
James Christian: Ich lebe heute eher defensiver durch meine
Ängste. Meine Hoffnung ist, dass ich nicht gehen muss, sondern hier
bleiben darf. Aber ich realisiere was passiert und welche
Konsequenzen dies mit sich bringt. Ich will ein Kämpfer sein, aber
es gibt Kämpfe, die du manchmal gar nicht gewinnen kannst. Diese
Einsicht deprimiert mich ab und zu ein bisschen. Kürzlich habe ich
meiner Plattenfirma geschrieben: «Don't fucking wait! Do not wait.
If you had the new record, put it out NOW!» Wartet nicht zwei Jahre
mit dem Release, wenn ihr das neue Material habt, weil ich nicht,
sicher bin, ob ich dann noch hier sein werde. Vor zwei Wochen war
ich in Japan. Dieses Land tut meinen Emotionen sehr gut. Die
japanischen Fans reagierten so herzlich auf unsere Show, dass ich
Tränen in meinen Augen hatte. Dafür lebe ich! Darum habe ich
Frontiers geschrieben, dass sie meine neue Scheibe schnellstmöglich
veröffentlichen, sobald das Material bei ihnen ist..., da es mein
letztes Album sein kann. Ich habe viele Freunde verloren, wie Jimi
Jamison (Sänger von Survivor). Das war einer meiner besten Kumpels.
Ich flippte aus… Er hatte keinen Krebs, sondern starb an
ungewöhnlichen Dingen. Damit konnte ich lange nicht umgehen. Man
weiss nie, was einen ereilt.
MF: James, herzlichen Dank für dieses sehr
persönliche Interview und ich wünsche dir viel Kraft für deine
Zukunft!
James Christian: Danke dir, auch dafür, dass du so lange
auf dieses Gespräch warten musstest (das Interview wurde immer
wieder verschoben), das war sehr lieb von dir. Ich hoffe wir sehen
uns bald wieder und können nochmals ein so nettes Gespräch führen.
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