Unbeeindruckt über Kritiken zum
neuem Album.
Anlässlich der Veröffentlichung ihres elften Studioalbums «Siren
Charms» hatte Metal Factory die Ehre, mit den schwedischen
Melo-Deathern - oder mittlerweile vielleicht doch eher Alternative
Rockern - von In Flames ein Interview zu führen. In den
Räumlichkeiten ihres neuen Labels Sony Music in Zürich standen
Sänger Anders Fridén und Gitarrist Björn Gelotte Rede und Antwort.
MF: Hey Leute, schön euch zu sehen und herzlich willkommen
in der Schweiz! Was gefällt euch denn an unserem Land am besten? Und
sagt jetzt bloss nicht Schokoloade oder Käse, da wäre ich enttäuscht!
Anders und Björn wie aus einem Mund: "Oooh, wir
lieben alles an der Schweiz! Absolut alles!!!"
MF: Keine Angst, ich werde schon nicht böse, sofern ihr ehrlich seid.
Björn: Echt? Ja dann, eigentlich gibt es da dann doch nicht so viel,
was wir an der Schweiz mögen, ha ha! Nein ernsthaft, wir haben sehr
gute Erinnerungen, denn neben Deutschland war die Schweiz eines der
ersten Länder, in denen wir live gespielt haben. Auf unserer allerersten
Tour hatten wir eine Show in der Schweiz und es war toll - alles war
damals toll, denn wir waren so glücklich, überhaupt auf Tour zu
sein.
Anders: Wir hatten dreizehn Shows, zwölf davon waren in
Deutschland und eine in der Schweiz, ich glaube im Z7. Das war..., wann
war das nochmal?
Björn: Das ist lange her..., das muss...
Anders: ...1996 war das.
Björn: Genau!
MF: Das ist jetzt schon fast zwanzig Jahre her, ihr seid also
echt schon lange dabei. Und in dieser Zeit habt ihr auch viele Alben
heraus gebracht, aktuell ist gerade Studioalbum Nummer elf erschienen.
Herzliche Gratulation dazu! (Die Jungs bedanken sich artig). Das
Artwork ist wirklich klasse geworden, gefällt mir sehr gut!
Björn: Danke, aber die Musik ist scheisse, oder?
MF: Ja, total! Deshalb bin ich hier, einer muss es euch ja mal sagen.
Jetzt aber im Ernst: Der Titel des Albums ist «Siren Charms», und so
wie ich euch kenne, sollte man das nicht zu wörtlich nehmen und auf
Homers Odyssee beziehen, denn ein Konzeptalbum über die griechische
Mythologie wäre nicht so euer Ding.
Anders: Nein, tatsächlich wäre das gar nicht unser
Stil. «Siren Charms» symbolisiert die abenteuerliche, dunkle,
verführerische Macht im Leben, die wir alle einmal kennen lernen,
aber mit Vorsicht geniessen sollten. Denn wenn man nicht aufpasst,
kann man in ihren Sog geraten und in einen dunklen Abgrund gerissen
werden. Ich denke, dass es wichtig ist, sich mit dieser Macht
auseinander zu setzen. Jeder sollte verschiedene Erfahrungen im Leben
machen, denn das lässt uns reifen, aber gleichzeitig kann es auch
gefährlich sein. Ich habe mir viele Dokumentationen über
Drogenmissbrauch angeschaut, um mich inspirieren zu lassen. Meine
Texte handeln natürlich nicht direkt von den Drogen, aber davon, wie
man in etwas hinein gezogen werden kann, von dem man weiss, dass es
nicht gut für einem ist. Irgendwie braucht man wohl diesen Kick,
diesen kurzen Moment von Glück, und dann vergisst man, was es für
Konsequenzen dies hat, für einen selber und das Umfeld, die Familie. Ich
schreibe nicht über Drogen, aber ich nutze das als Inspiration. Ich
denke auch, dass man, wenn man ganz unten angelangt ist, die Chance
hat, wiedergeboren zu werden. Dann ist die Frage, wie man damit
umgeht und was man aus der Situation macht.
MF: Wie gehst du denn vor, wenn du deine Texte schreibst? Was inspiriert
dich?
Anders: Eigentlich inspiriert mich alles um mich herum, alles, was in
meinem Leben passiert. Meine Familie, meine Freunde, die Nachrichten,
meine Reisen - alles bietet Inspiration. Ich erzähle, wie ich die
Dinge erlebe und fühle. Ich möchte Emotionen mit meinen Texten rüber
bringen und erzeugen. Beim Schreiben passiert dann etwas, das ich
gar nicht erklären kann - plötzlich stimmt alles und der Text ist
genau richtig. Manchmal bin ich selbst ganz überrascht, wenn ich das
fertige Album in Händen halte und im Booklet die Texte lese.
Manchmal denke ich dann "Oh, habe ich das wirklich geschrieben,
kommt das von mir?", weil ich so erstaunt bin, dass alles Sinn
macht. Wenn ich am Texteschreiben bin, bin ich ganz in mich gekehrt.
Björn: Ich finde so gut an Anders Texten, dass sie niemals eine
einfache Geschichte erzählen, sondern immer Spielraum
für Interpretationen lassen. Für jeden können seine Texte etwas
anderes bedeuten, je nachdem, was für Erfahrungen man selbst gemacht
hat, und so kann man die Emotionen, die in den Texten stecken,
nachvollziehen.
MF: Deine Texte sind für dich persönlich also offensichtlich sehr
wichtig. Wie wichtig sind sie denn für euren Sound als Ganzes?
Björn: Die Texte sind ein wichtiger Teil - aber nicht das, was an
erster Stelle kommt, was den ersten Eindruck vermittelt. Als Erstes
kommt die Musik - aber die Texte sind indirekt ein Teil davon, denn
natürlich ist Anders Gesang ein wichtiger Teil der Musik. Es war
lange so, dass wir nicht so sehr über die Texte nachgedacht haben,
das war das, was zuletzt kam, wenn die Musik schon fertig war. Bei
den letzten paar Alben haben wir das aber nicht mehr so gemacht, die
Texte waren dort vielmehr ein integraler Bestandteil der Musik und
wurden schon viel früher in die Komposition miteingebracht. Je
länger wir das machen, je mehr Songs wir schreiben, je mehr wir live
spielen, je mehr wir unseren persönlichen Stil und Geschmack
entwickeln, umso wichtiger werden die Texte. Vielleicht nicht die
einzelnen Wörter aber die Vocal-Lines, denen versuchen wir mehr Raum
zu geben.
Anders: Für mich sind die Texte natürlich offensichtlich sehr
sehr wichtig, denn ich will etwas fühlen, wenn ich sie singe. Mir
ist aber auch klar, dass es für viele Leute völlig gleichgültig
ist, was ich da für Worte singe, für die ist es nur ein Klang,
keine Bedeutung. Deshalb versuche ich auch, so viel Emotionen
in die Texte zu packen, die dann die blosse Bedeutung verstärken
und durch den Gesamteindruck bei den Menschen ankommen.
MF: Ist das auch der Grund, warum die Stimme im Laufe eurer Diskographie
auch produktionstechnisch immer dominanter wurde? Auf «Siren Charms» ist
sie ja sehr stark im Vordergrund, stärker als auf jedem vorherigen Album.
Björn: Richtig, das ist sie. Das war eine natürliche Entwicklung, denn die
Erfahrung bringt es mit sich, dass jeder sein Instrument mit jedem
Album ein wenig besser beherrscht. Auf unseren frühen Alben war es
einfacher, den Sound dichter und weniger differenziert zu gestalten,
denn wir wussten teilweise auch noch nicht so recht, was wir taten.
Heute sind wir alle besser und Anders ist so gut geworden, dass es
keinen Grund gibt, seiner Stimme nicht viel mehr Platz in der
Gesamtproduktion einzuräumen.
MF: Anders, du singst auch wesentlich mehr cleane Parts als auf
euren früheren Scheiben. Ist das Teil derselben Entwicklung?
Anders: Es ist keine geplante Entwicklung. Als ich dieses Mal ins
Studio kam, wusste ich überhaupt nicht, was ich machen wollte.
Björn: Ja, wir hatten eigentlich noch gar nichts. Nur eine grosse
Tüte voller Riffs.
Anders: Ich hatte keine Melodie, kein Arrangement, gar nichts.
Die Songs fingen an zu entstehen, daran sind meistens vor allem
Björn und ich beteiligt, und dann war es plötzlich an der Zeit, zu
singen. Und ich hatte gar keinen Plan, was ich machen wollte.
Ausserdem sind Studioaufnahmen ja auch immer was ganz anderes als
live zu singen, die ganze Energie, die man sonst vom Publikum
bekommt, fehlt, du stehst vor diesem Mikrophon und denkst: Und was
jetzt? Sprich zu mir!
MF: Ihr habt ja dieses Mal auch gar nicht wie sonst in eurem eigenen
Studio aufgenommen, sondern in den legendären Hansa Studios in Berlin.
Was könnt ihr uns davon berichten?
Anders: Die Hansa Studios haben eine ganz
besondere Geschichte. Man muss sich nur mal anschauen, welche Bands
dort aufgenommen haben! Ich wollte Teil dieser Geschichte sein,
einfach nur für mein Ego. Wenn ich auf meine Karriere zurückschaue
und In Flames steht in einer Reihe mit U2, Depeche Mode, Iggy Pop
und David Bowie, dann weiss ich, dass ich etwas erreicht habe.
Björn: Anders hat mich von Berlin aus angerufen und meinte:
Kumpel, ich weiss ganz genau, wo wir unsere neue Scheibe aufnehmen
werden.
Anders: Mit dem Flugzeug sind es eineinhalb Stunden
von unserem Zuhause bis Berlin, wir konnten also sogar abends nach
Hause gehen wenn wir wollten. Was wir zwar nicht taten, denn wir
waren sehr konzentriert an den Aufnahmen. Die ersten Tage in Berlin
waren zwar scheisse, aber am Schluss war ich irgendwie traurig,
wieder nach Hause gehen zu müssen.
MF: Wie lange haben die Aufnahmen gedauert?
Björn: Sechs Wochen.
MF: Das war eine harte Zeit, oder?
Björn: Kommt drauf an, wen du fragst! (lacht und zeigt auf Anders)
Anders: Ja, für mich war es echt intensiv. Ich habe tagsüber im
Studio mit den anderen komponiert, arrangiert und aufgenommen und
Nachts meine Texte geschrieben. Das war wirklich anstrengend. Die
ersten zwei Wochen ging es ganz gut, da machten wir die einfachen
Sachen, nicht Björn? (grinst rüber zu Björn)
Björn: Dude, was soll das heissen? (lacht)
Anders: Na ja, für mich war das Arrangieren irgendwie der einfache
Teil des Ganzen, wir hatten viel Spass zusammen, gingen ab und zu aus
und lebten unsere Kreativität aus. Dann musste ich an die Texte ran
und war plötzlich auff mich alleine gestellt. Das war für mich der harte Teil,
gleichzeitig mit den Aufnahmen im Studio die Gesangslinien und Texte
zu schreiben. Ich habe da eben auch hohe Ansprüche an mich, ich will
mich nicht wiederholen und in jedem Song dasselbe machen, den jeder
Song spricht anders zu mir. Du hast ja schon gesagt, dass ich viel
mehr clean singe als auf den anderen Scheiben, aber das ist einfach,
weil diese Songs meinem Gefühl nach diese Vocals brauchten. Ich
hätte es nicht anders machen können. Ich konnte mir mich selbst
nicht vorstellen, wie ich zu diesen Songs schreie. Und dann muss ich
natürlich hoffen, dass die anderen Jungs dasselbe fühlen wie ich und
meine Meinung teilen.
Björn: Das ist auch bei der Musik so.
Alle Bandmitglieder müssen sich mit den Songs identifizieren können
und sie gut finden, sonst ist es kein In Flames-Album. Sie müssen
den Sound ja auch live gut rüberbringen und dahinter stehen. Denn
schlussendlich machen wir das alles für uns selbst. Natürlich ist es
toll, dass es Leute gibt, die unseren Sound mögen, aber wir machen
es eigentlich für uns, die Band. Wir versuchen nicht, irgendjemanden
speziell zu gefallen oder einen bestimmten Geschmack zu treffen.
Alles andere wäre auch nicht echt, nicht authentisch. Wir würden uns
selbst verkaufen und das wollen wir nicht - und ich bin auch sicher,
dass das nicht funktioniert. Für uns ist es auch sehr wichtig, dass
wir selbst über alles bestimmen können und nicht ein Label oder
Management und auch nicht unsere Fans - wir wollen selbst
entscheiden, wohin die Reise geht. Denn am Ende müssen wir die Songs
spielen und glücklich damit sein, denn wir gehen auf Tour und
repräsentieren unsere Musik.
MF: Seid ihr denn immer noch gerne auf Tour? Nach all den Jahren?
Björn: Ja, absolut! Diejenigen, die es nicht mögen, sind nicht mehr
in der Band - so einfach ist das. Man muss das mögen, es gehört zum
Job und ist ein Lebensstil.
MF: Du hast gerade das Stichwort "Label" erwähnt - ihr
seid ja nun neu mit diesem Album bei Sony Music. Die vorherigen
Alben kamen über Century Media heraus. Was hat euch bewogen, zu
einem Major zu wechseln?
Anders: Sie hörten unsere Musik, liebten sie und wollten uns
signen.
Björn: Das Album war ja schon fast fertig als Sony
uns den Deal anbot, wir mussten uns also keine Sorgen machen, dass
sie uns irgendwie reinreden wollen. Und Sony waren diejenigen, die
am meisten hinter der Idee standen, uns genauso weitermachen zu
lassen, wie wir wollten, und unsere Integrität zu bewahren. Wir
waren erst skeptisch, denn man hört ja so viel Schlechtes über Major
Labels, aber wir sind sehr zufrieden.
Anders: Ich glaube auch, dass es sehr genreabhängig ist, wie die
Labels mit einem umgehen.
Björn: Stimmt. Im Metal kannst du nicht ein künstliches Produkt
sein, das jemand anders geschaffen hat, das funktioniert nicht.
MF: Ihr wisst ja sicherlich, dass es viele Metaller gibt, die
euch der Hinwendung zum Mainstream hin beschuldigen und finden, dass
ihr nicht true seid und eigentlich gar keinen Metal mehr macht.
Einigen wäre es wohl lieber, wenn ihr noch gleich klingen würdet
wie auf euren ersten Platten. Was sagt ihr zu diesen Leuten?
Anders & Björn: Gar nichts. Es gibt nichts, was wir dazu sagen
könnten.
Björn: Es steht jedem frei die Musik zu hören, die er will. Ich respektiere
das zwar, aber diejenigen, die unsere neuen Alben nicht mögen,
sollen halt etwas anderen hören, da scheissen wir drauf. Das ist
eine der wenigen Freiheiten, die man heute noch hat: wenn man etwas
nicht mag, dann muss man sich das nicht anhören. Wie gesagt, ich
respektiere das, aber ich stehe auch nicht auf einen Berg und
schreie den anderen zu, was sie sich anhören sollen und was nicht.
Wenn Leute ihre Zeit damit verschwenden wollen, in Foren über uns zu
schimpfen und uns schlecht zu machen, dann ist das deren Problem,
wenn sie nichts besseres zu tun haben. Ausserdem haben wir über die
Jahre hinweg gemerkt, dass diese Metal-Puristen oder wie du sie
nennen willst, in einem gewissen Masse mit uns wachsen. Sie finden
dann immer alles bis zu auf die zwei neuesten Alben in Ordnung, und
dann wird das mit der Zeit immer ein Album mehr.
Anders: Und wir werden uns diesem Druck nicht beugen und den Sound
machen, den einige gerne hätten, der aber nicht uns entspricht.
MF: Anders, du arbeitest auch noch als A & R für
Razzia Records und hast dadurch viel mit Nachwuchs-bands zu tun. Was
denkst du, was eine junge Band braucht, um erfolgreich zu sein?
Anders: Auf jeden Fall braucht es viel harte Arbeit,
aber auch Integrität, Loyalität und Glück.
Björn: Und man sollte live spielen können, denn bei Aufnahmen kann
man viel tricksen, man sollte aber im Stande sein, die Songs auch live
hinzubekommen. Du kannst ein geiles Album abliefern und ein super
Video mit unzähligen Clicks auf Youtube - aber wenn man nicht live
spielen kann, bringt das alles nichts - vor allem im Metal.
Anders: Ich finde aber, dass es früher schwieriger war, einen
Label-Deal zu bekommen. Ich weiss noch, als wir in meiner früheren
Band... (wird unterbrochen von Björn)
Björn: Früher war es
einfacher, sich abzuheben, weil es viel weniger Bands gab. Die
Konkurrenz war nicht so gross wie heute.
Anders: ...jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte.
Björn: Du sagstest was im Stil von "Damals, als ich ein kleiner
Junge war..."
Anders: Ah ja, ich wollte sagen, dass es mit meiner ersten Band echt
schwierig war, einen Label-Deal zu bekommen. Wir spielten live,
live, live. So viele Gigs, wie wir bekommen konnten. Und dann
bekamen wir ein Fax von Nuclear Blast, dass sie uns signen möchten.
Für mich wurde ein Traum wahr! Und heute ist es viel einfacher,
seine Musik zu verbreiten, denn man kann so vieles selbst machen.
Aber es ist schwieriger, gehört zu werden, denn es gibt so viel
Konkurrenz. Leute wie ich können da filtern und den Bands helfen,
indem man ihnen sagt, wie viel harte Arbeit es eigentlich braucht.
Man kommt nicht einfach so nach oben, weil man super geile Musik
macht oder Gitarre spielt wie ein Superheld.
MF: Wenn es bei euch nicht geklappt hätte mit der Musik, was wärt ihr
denn geworden?
Anders: Gar nichts, ich kann mir nichts anderes vorstellen.
Björn: Langweilig wäre ich geworden.
MF: Nun noch zur letzten Frage: Ihr spielt auf eurer Tour zwei
Shows in der Schweiz, eine in Zürich im Komplex 457 und eine in
Lausanne im Les Docks. Was erwartet die Fans bei diesen Shows?
Björn: Das wird ein Riesenspass! Wir haben schon lange nicht mehr live
gespielt, und wir freuen uns sehr drauf, denn die ersten paar Shows
brauchen wir zum warm werden. Wenn wir in der Schweiz ankommen,
werden wir super eingespielt sein. Wir freuen uns, viele Metal
Factory-Leser an den Konzerten zu sehen!
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