Weniger soziale
Medien.
Liv Jagrell wurde bekannt als Leadsängerin bei
Sister Sin. Eine Truppe, die besonders durch ihre "kick
ass" Attitüde bekannt wurde, und dank der energievollen
Bühnenpräsentation von Liv, sich schnell einen sehr
guten Namen erspielen konnte. Was sich als Band für die
Zukunft anpries, fiel leider 2015 für viele völlig
unerwartet auseinander. Liv rappelte sich allerdings
wieder auf und gründete ihre eigene Truppe Liv Sin, die
mit mehr "Heavyness" um die Ecke bog. Wie es zu Liv Sin
kam und wie Liv zu Tieren steht, erzählte die schon fast
scheu erklingende Schwedin im folgenden Interview.
MF: Liv, wieso habt ihr damals Sister Sin aufgelöst?
Liv: Zwei Bandmitglieder wollten mit der
Band nicht weiter machen. Dave Sundberg (Drums) war
"tourmüde", hatte von der ganzen Reiserei die Schnauze voll
und dazu kamen noch private Probleme. Ich wollte
unbedingt weiter machen, aber wenn schon nicht mehr mit
Sister Sin, dann sollte das Neue auch nicht eine Kopie
davon sein. So war klar, dass wir uns besser trennen und
alle ihre Wege gehen. Ich wünschte, ich hätte einen
Masterplan für Liv Sin gehabt (lacht). Es benötigte
einige Zeit, um die Traurigkeit und die Frustration zu
verdauen, dass Sister Sin nicht mehr existieren sollten.
Als ich wieder an Musik denken konnte, formte ich die
neue Truppe um mich.
MF: Wie bist du heute mit deinem Debütalbum
«Follow Me» zufrieden?
Liv: Ich bin sehr glücklich mit der Scheibe. Es brauchte
seine Zeit, aber dank meinem Schlagzeuger Per Bjelovuk
und Gitarrist Patrick Ankermark schrieben wir alle Songs
in knapp sechs Wochen. Es war ein bisschen stressig die
ganze Arbeit. In Anbetracht dessen, dass wir kaum Zeit
hatten, bin ich sehr glücklich mit «Follow Me». Für
unser neues Werk hatten wir einiges mehr an Zeit. Es war
schon fast eine komfortable Situation für meine
Songschreiber oder für mich, welche die Texte und
Melodien komponierte. Im Vergleich zur ersten Scheibe,
welche eine sehr nervöse Arbeitsweise war, entpuppte
sich «Burning Sermons» schon fast als eine entspannte
Angelegenheit. Ich bin mir auch sicher, dass wir einen
Schritt weiter gekommen sind mit dem neuen Album. Der
grösste Unterschied zwischen den beiden CDs liegt in
meinen Augen im Sound. «Burning Sermons» weist diese
industrial-artigen Keyboard-Parts auf. Produzent Erik
brachte diese Teile mit rein. Das führte dazu, dass sich
meine Gesangslinien oft auch an den Keyboards und nicht
wie sonst immer, an der Gitarre orientierten.
MF: In meinen Ohren war der erste Streich
ein sehr rohes und brutales Werk…
Liv:
…ja, absolut!
MF: Das zweite Album geht
in meinen Augen ein paar Schritte zurück zu den Sister
Sin Songs, das würde dann aber nicht zu deinen soeben
gesagten Ausführungen passen…
Liv: …du
bist nicht der Erste der mir das sagt (lacht). Ich
verstehe, was du meinst. Vieles ist wieder auf einem Riff
aufgebaut, wie damals bei Sister Sin. Aber! Bei Sister
Sin haben wir nie mit diesen Keyboard-Parts gearbeitet.
Ich kanns als Gesamtes nicht nachvollziehen, verstehe
aber im Einzelnen, dass die Melodien wieder vermehrt an
meine alte Truppe erinnern. Auch in Bezug auf die Texte,
genauer gesagt auf die Verse, wie ich sie singe. Darum
(lacht), kann ich absolut verstehen, warum du das Gefühl
hast, dass die Tracks wieder mehr bei Sister Sin sind.
Auf der anderen Seite hat es aber überhaupt nichts mehr
damit zu tun! Wie schon gesagt, war ich beim ersten Album
extrem nervös, auch wie «Follow Me» bei den Fans Anklang
finden wird. Es war um einiges einfacher die neuen Songs
zu schreiben, auch wenn es NIE einfach ist, neues
Material zu komponieren. Irgendwann bremst du die Phase
des Schreibens ab, weil du genügend Material hast und
alles was noch kommen würde, die Entscheidung was man
verwenden will, nur noch erschwert und hinaus zögert
(grinst). Zehn oder elf Lieder sind in meinen Augen das
absolute Maximum. Mehr braucht es nicht (lacht).
MF: Sind die Texte auf «Burning Sermons» persönliche
Statements?
Liv: Ja, absolut. Schon bei
«Follow Me» habe ich über Dinge geschrieben, die mich
bewegen oder mein Herz berühren. Oder über meine
Sichtweise, was in der Welt passiert. Der letzte Track
auf dem Album, «Dead Winter Intermezzo», ist einer der
positivsten, die ich je geschrieben habe (lacht). Es ist
ein Liebessong, den ich für meinen Freund schrieb. Auch
wenn man dies nicht vermutet wenn man den Titel liest,
aber wenn du den Text verstehst, weisst du, was ich meine
(lacht). Die Lyrics wiederspiegeln meine persönliche
Sicht der Dinge. Dabei kann es durchaus auch meine politische
Meinung sein, die zu hören ist. Ich bin der Meinung,
dass Texte auch eine Aussage haben müssen, ansonsten
wirken sie für mich langweilig.
MF: Bist du denn ein «Slave To The
Machine»?
Liv: Ich hoffe nicht (lacht)
und versuche… Ich denke, dass ich mehr und mehr… Ich
versuche vermehrt wieder mit den Leuten zu sprechen und
dabei nicht die sozialen Medien zu verwenden. Ich will
wieder mit den Menschen kommunizieren und die Emotionen
spüren und sehen. Diese Integration, dieser Austausch
ging in den letzten Jahren mehr und mehr verloren. Auch
wenn sich Vieles geöffnet hat und man mit der ganzen
Welt sprechen kann, haben wir verlernt auf Dinge zu
achten. Wir präsentieren uns und schauen, wie sich andere
preis geben. Am Ende des Tages haben wir kaum mehr
Energie, uns um uns selber zu kümmern und uns weiter zu
entwickeln. Für mich hat Facebook an Bedeutung verloren.
Klar benötige ich diese Plattform für meine Band, aber
was in meinem Leben passiert, findet nicht mehr dort
statt. Ich versuche bewusster mit meinen Mitmenschen zu
kommunizieren und halte mich fern von diesen sozialen
Plattformen. Oder schaue aus dem Fenster des Tourbusses
und geniesse, was ich sehe. Sei es ein Wald, den Himmel
oder eine Stadt. Die Zeit um meine E-Mails zu
beantworten, nutze ich zu bestimmten Zeiten. Ich
versuche auch mein Mobilphone nicht mehr immer in die
Hände zu nehmen und zu schauen was alles passiert. Bin
ich mit meinen Freunden unterwegs, bleibt das Handy in
meiner Tasche, auch wenn ich beim Essen bin. Ich denke,
dass es sehr wichtig ist, wenn du mit Leuten zusammen
bist, dass du dich nicht von diesem kleinen Gerät
ablenken lässt.
MF: Welche «Hope Begins
To Fade»?
Liv: Ich denke, dass es jedem
schon mal passiert ist oder immer wieder passiert, dass
die Hoffnung beginnt zu verblassen (lacht). Ich versuche
positiv zu denken und positiv zu sein. Habe ich
Probleme, schaue ich den Ursprung an und versuche das
Gute darin zu erkennen und nach vorne zu blicken. Klar
kommt es vor, dass mich Dinge runter ziehen. Viele Leute
sonnen sich aber auch in den Problemen und sind
unglücklich, wenn sie keine haben. Der Song behandelt
aber mehr den Moment, in welchem du an der Situation
verzweifelst und hoffnungslos bist. Das Ziel soll sein
aus diesem Loch zu finden und am besten selber da raus
zu kommen.
MF: Nimmst du dir aus solchen
Situationen auch deine Aggressivität für die Bühne?
Liv: Keine Ahnung woher die kommt (lacht).
In meinem privaten Leben und neben der Stage bin ich
eine sehr, sehr nette, fast scheue Person…
MF: …absolut…
Liv: …eigentlich
könnte ich gar nicht so aggressiv sein (lacht). Ich bin
keine Frau die voller Hass ist. Aber betrete ich die
Bühne, kommt etwas aus mir heraus, das einer positiven,
wilden Reaktion gleich kommt. Das ist keine Frustration,
sondern etwas, das sich zusammen mit dem Publikum
aufbäumt und entlädt.
MF: Du verdienst dein Geld als Personaltrainer?
Liv: Das tat ich, aber im Moment arbeite ich als
medizinische Assistentin für Tiere. Mein Arbeitsplatz
ist ein Tierspital. Ich habe noch ein paar Kunden, die
ich betreffend ihrer Fitness berate, aber richtiges Geld
verdiene ich in dieser Tierklinik. Seit ich ein Kind
bin, habe ich mich für Tiere interessiert und liebe sie.
Durch meine Arbeit als Personaltrainer wurde ich so…
müde (lacht), da es ein Geschäft mit Menschen war
(lacht). Es hat mich echt fertig gemacht und runter
gezogen, die Arbeit mit Menschen. Darum habe ich mich
entschieden, mit Tieren zu arbeiten. Es ist perfekt und
macht mir riesigen Spass.
MF: Bleibt dir dabei genügend Zeit zum
Singen?
Liv: Eigentlich habe ich
als Gitarristin begonnen. Na ja, ich war nicht besonders
gut (lacht), es war okay. Im Gymnasium war ich in der
musikalischen Klasse und lernte dort das Gitarrenspiel.
Schnell wurde klar, dass ich kein Solist bin, sondern
eher ein Rhythmusgitarrist (lacht). Darum wechselte ich
zum Gesang, weil die eh die Coolsten sind (lacht). So
begann alles mit achtzehn Jahren. Mein Vater sang und spielte
Gitarre. Meine Eltern sind sehr kreative Menschen. Beide
malen, aber für mich war schnell klar, dass ich meine
Zukunft in der Musik sah (grinst).
MF: Was machst du in deiner Freizeit, um
deine Batterien wieder aufzufüllen?
Liv: Ich
treffe mich gerne mit meinen Freunden und trinke dazu
sehr gerne eine gutes Glas Rotwein (grinst). Ich spreche
viel mit meinem Freund, aber auch mit meinen Katzen. Das
ist ein richtig gutes Auffüllen meiner Batterie.
MF: Was sind die Pläne für die Zukunft?
Liv: Im Oktober werden wir in Spanien
spielen. Das sind aber leider die einzigen Pläne im
Moment. Für die Booking-Agentur ist es sehr schwer
geworden, Shows zu buchen. Es wird schwieriger und
schwieriger, für Truppen unseres Status, eine Tour zu
finden. Es sind zu viele Bands auf Tour. Das ganze
Business hat sich verändert. Man kann kaum mehr
Tonträger verkaufen, alles geht über die Plattformen wie
Spotify, und wir Künstler verdienen kaum mehr Geld damit.
Aus diesem Grund gehen viele Bands nur noch auf Tour und
versuchen dort auch ihr Merchandising zu verkaufen. Aber
um auf Tour gehen zu können, musst du als kleine Band,
wie wir es sind, dafür bezahlen. Da fehlt oftmals das Geld
dazu, und somit wird es immer schwieriger, dass wir auftreten
können. Als Sister Sin hatten wir einen gewissen Namen.
Mit Liv Sin beginnt alles wieder von vorne. Es ist
frustrierend, dass man als kleine Truppe zahlen muss, um
auf Tour gehen zu können. Aber die grösseren Bands
wollen auch ihre Unkosten gedeckt haben. Wir wollen mit
dem neuen Album touren, unbedingt! Aber es ist nicht
einfacher geworden, und so haben wir im Moment nur die
Konzerte in Spanien.
MF: Dann hoffe ich für euch, dass sich
bald die Möglichkeit bietet auf Tour zu gehen und dass
man euch dann auch wieder in der Schweiz sehen kann.
Liv: Das wäre super Martin! Danke dir für die Zeit und
das Gespräch. Pass auf dich auf, und hoffentlich sehen
wir uns bald wieder.
|
|
|