Bobby «Blitz» Ellsworth ist eine Frohnatur. Eine
Person, die mit ihrem durch Mark und Bein gehenden Lachen dich
erschreckt und zugleich mitreisst. Einer, der sich selber auf den
Arm nimmt, dabei aber immer nett und zuvorkommend bleibt. Einer, der
mit seinem Leben, dem Tod schon ein paar Mal den Mittelfinger
gezeigt hat und gestärkt aus den Situationen hervorgegangen ist. Und
wenn er in «Old Wounds, New Scars» von seinem Gesicht erzählt, das
wie eine Landkarte mit vielen Tälern aussieht, dann sind dies die
Lebensgeschichten von Bobby. Lassen wir das neue Meisterwerk «The
Electric Age» aber für einmal aussen vor und konzentrieren uns nur
auf die letzten 30 Jahre Overkill. Drei Jahrzehnte lang pure Energie
und schnörkelloser Power-Thrash-Metal, der mit Hits wie «In Union We
Stand», «Rotten To The Core», «Hello From The Gutter» oder «Fuck You»
die Musikwelt nachhaltig geprägt hat. Bobby hat in den ganzen Jahren
zusammen mit D.D. Verni (Bass) die Truppe durch alle musikalischen
Trends manövriert und hat dabei nie Schiffbruch erlitten.
MF: Bobby, habt ihr den 30. Geburtstag von Overkill gefeiert?
Bobby: Als ich 1981 mit D.D. die Band gegründet habe hätte ich nie
gedacht, dass wir länger leben als «The Electric Age» (lachend)! Es
fühlt sich heute so viel positiver und befriedigender an, als in der
Vergangenheit. Der Punkt, dass wir noch immer musizieren ist
bedeutend wichtiger, als irgendwas zu feiern. Aus diesem Grund haben
wir auch keine spezielle Show gespielt. Dafür haben wir ein neues
Management. Zwischen der letzten US-Tour und dieser Konzertreise hat
sich das ergeben. Seit 1995 haben wir uns selber gemanagt. Das sind
die Dinge, die wir feiern, bis zum nächsten Geburtstag (lautes
Lachen).
MF: Welche Erinnerungen hast du an den Start mit Overkill?
Bobby: Oh Jesus!!! In dieser Zeit habe ich so vieles gelernt! Zu
Beginn kam ich eher aus dieser New-Yorker-Punkszene. Hörte viel
AC/DC, Ted Nugent und ein klein wenig Judas Priest. Es war viel
wichtiger, wie ein Sänger und ein Bassist zusammen abhingen und der
eine zum andern sagte: «Schauen wir uns heute Abend die Dead Boys
an?», und der andere antwortete: «Hör dir mal Riot an!» Daraus ergab
sich eine Truppe, die begann Songs zu covern und alles nur «fucking
great» fanden. Dabei tranken wir viel Bier. Du hast dir keine
Gedanken gemacht ein Teil der Szene zu sein, denn du warst der
Meinung du bist ein Teil davon. Je mehr du es versucht hast, desto
mehr warst du es auch. So wurde alles Tag für Tag realer und daraus
entstand bald die erste Platte.
MF: Würdest du denn heute nochmals mit Overkill starten, mit dem
Bewusstsein, dass sich alles im Geschäft verändert hat?
Bobby: Wegen den alten Zeiten oder grundsätzlich (lachend)? Keine
Ahnung! Ein ganz wichtiger Charakter dieser Band sind D.D. und ich.
Auch wenn es einige Line-up-Wechsel gegeben hat, gab es eine
Komponente, die sich nie veränderte. Das wiederum hat alles immer
sehr frisch gehalten. Auch wenn ich nicht immer so frisch aussehe
(grinsend)! Viele Leute sind noch immer der Meinung, dass das alte
Material das Beste von uns ist. Ich verstehe nicht warum. Vielleicht
waren wir früher wütender, als heute mit 53 Lenzen und da macht ein
gewisser Zorn keinen Sinn mehr (lautes Lachen). Trotzdem findet sich
diese Wut immer wieder in den Songs. Das hat sich nie verändert.
MF: Vermisst du den Spirit der alten Tage?
Bobby: Nicht unbedingt, da ich überzeugt bin, dass der Spirit von
damals, sehr nahe demjenigen von heute ist. Das kannst du auch in
den vielen jüngeren Bands sehen. Zum Beispiel... Als wir zusammen
mit Suicidal Angels auf Tour waren. Dieser verrückte Haufen stammt
aus Griechenland und wir kommen von New York/New Jersey. Da liegen
unzählige Meilen dazwischen, aber als ich die Jungs auf der Bühne
sah, stellte ich die genaugleiche Attitüde und den gleichen
verdammten Spirit fest, den wir damals zum Beginn unserer Karriere
hatten. Wie sollte ich da was vermissen? Man muss nur seine Augen
öffnen, und sich bewusst werden, dass viel Neues auch seine guten
Seiten hat. Nicht alles was neu ist, klingt scheisse! Dies
entspricht überhaupt nicht der Wahrheit. Truppen wie Suicidal Angels
oder Evile haben genügend eigene Personality um nicht als Kopie
einer alten Band dazustehen.
MF: Wie stolz warst du damals, als du euer Demo «Power In Black» in
den eigenen Finger gehalten hast?
Bobby: Ach, vergiss das, so was Unwichtiges (lautes Lachen)! Ich
habe mein Bier darauf gelegt (schallendes Gelächter). Zumindest
Eines davon (noch immer ein markerschütterndes Lachen). Nein, es war
ein grossartiges Gefühl. Vergiss nicht, wir sprachen da nicht von
einer Wahnsinnsproduktion, wie wir sie später oder heute in den
Studios umgesetzt haben. «Power In Black» entstand bei
unterschiedlichen Sessions an zwei unterschiedlichen Orten. Es war
für uns ein erster Schritt und wenn wir dies mit den heutigen
Mitteln vergleichen, war es ein äusserst bescheidener Schritt in
eine ungewisse Zukunft. Aber, es war fantastisch! Ich habe mir auf
göttliche Art und Weise meine Birne mit Bier weggeschossen und
verliess den Raum mit einem Steifen (schallendes Gelächter)!
MF: Und einem breiten Grinsen?
Bobby: Natürlich (lacht)!
MF: Wie gross wurde Freundschaft in der Band geschrieben?
Bobby: Das ist zwingend nötig! Zu Beginn... Wir waren Kinder und
Kinder bauen alles auf Freundschaft auf. «Er ist mein Freund und der
andere kann sich verpissen». Ist er mein Freund, denken wir absolut
das Gleiche. Tun wir dies nicht mehr, dann ist die Freundschaft
gestorben. Das ist wie in einem Boxring. Wir waren vier Typen in
einem solchen Ring! Alles lief uns locker von der Hand und wir waren
eine verdammt, unzertrennbare Einheit! Dieselbe Attitüde in den
Venen und bereit mit einem Schlag alles niederzumähen. Viele Sommer
zogen ins Land und wenn ich mir heute das Line-up zu «The Electric
Age» ansehe, besteht Overkill aus einem der besten Mannschaftsgefüge
in der ganze Geschichte der Band. In Bezug auf die Freundschaft.
Eine jugendliche Freundschaft ist etwas ganz anderes als eine
erwachsene Freundschaft. Darum ist das bestehende Line-up dermassen
nah beieinander.
MF: Wie wichtig ist die Familie für dich?
Bobby: Für eine ausgewogene Balance ist sie äussert notwendig. Hätte
ich nicht eine so tolle Unterstützung meiner Familie, hätte ich dies
nicht über all die Jahre machen können. Meine Frau kennt das
Business. Das ist etwas, das mir nie den Boden unter den Füssen
wegzieht und mich immer sehr erdet. Darum würde ich auch nie mit
nacktem Oberkörper im Supermarkt einkaufen gehen (lachend). Das
würde keinen Sinn machen. Wenn die Menschen um dich herum verstehen
was du machst, wirst du verstehen, welche Wichtigkeit deine Familie
für dich hat.
MF: Welches war deine schwierigste Zeit? Privat oder mit der Band.
Bobby: Oh, die schwierigste Zeit... Mit der Band gab es einige
Momente in den Neunzigern, die mit Problemen versehen waren. Ich
denke da an die Zeit zusammen mit Joe Comeau, als er bei Overkill
Gitarre spielen und zeitgleich bei Annihilator singen wollte. Es
gibt nicht viele Gesetze, die man bei Overkill einhalten muss. Hätte
er ein Sideprojekt mit Jeff Waters (Gitarrist von Annihilator)
angestrebt, wäre das kein Problem gewesen. Aber es kann nicht
funktionieren Gitarrist bei Overkill zu sein und zeitgleich bei
Annihilator zu singen. Darum haben wir uns von Joe getrennt. Dadurch
haben wir aber Derek Tailer kennengelernt. Was sich daraus ergeben
hat, ist grossartig! Die persönlichen Punkte... Die Krebserkrankung
meiner Nasenschleimhaut. Zum Glücke hatte ich meine Familie und die
Band um mich, die mir jederzeit die nötige Unterstützung gaben. Das
hat mich alles sehr geerdet. Dieser ganze Krebs-Scheiss kann dich
brutal aus der Bahn werfen, oder dich noch stärker machen und lässt
dich auf das Wichtigste fixieren. Allerdings machst du dir
logischerweise auch Gedanken darüber, dass alles vorbei sein kann.
Mir verlieh es für Einiges eine neue Perspektive.
MF: Gab es jemals eine Zeit in der du gesagt hat, das war’s mit der
Band, ich steige aus, das hat alles keinen Sinn mehr und ich kann
kein Geld damit verdienen?
Bobby: Der Beweggrund war niemals das Geld. Es war immer ein
Geschäft und dies nicht gerade ein einfaches. Was mich stoppen und
ausbremsen würde, wären schlechte Shows. Aber du siehst mich immer
mit einem breiten Grinsen auf der Bühne stehen. Ich kann nur
gewinnen (lacht). Dabei kann ich aber gar nichts gewinnen
(schallendes Gelächter)! Meine physikalische Fitness... Overkill war
immer eine sehr energievolle Truppe. Wir können nicht ruhig auf der
Bühne stehen und haben in all den Jahren den Spass daran nicht
verloren. Darauf sind wir unheimlich stolz! Wie sehr, das weiss ich
nicht (lacht)! In den letzten drei Jahrzehnten habe ich sehr viel
gelernt, bin Gott sei Dank nicht verrückt geworden und nicht vom Weg
abgekommen. Gehasst habe ich nie was. Sollte ich das Ganze physisch
nicht mehr durchstehen können, werde ich alles hinschmeissen.
MF: Woher nimmst du die Energie für deine Shows? Weil ich nie eine
schlechte Show von euch sah.
Bobby: Nun ja... Gute Drogen (schallendes Gelächter und die
Zimmerwand beginnt langsam zu vibrieren). Du bekommst, was du dafür
bezahlst! Ich kann da nur für mich sprechen. Bevor ich auf die Bühne
gehe, fühle ich mich wie neu geboren, will gewinnen und riskiere
alles dafür. Das hat sich über all die Jahre in mir verinnerlicht.
Sollte es auf der Bühne noch so verdammt kalt sein, ich werde meinen
kleinen Arsch zum schwitzen bringen, bevor ich überhaupt diesen auf
die Bühne bewege. Diese physische Reaktion, die sich in meinem Kopf
abspielt, ist der richtige Weg für eine Energie geladene Show. Und
ich weiss, sollte dies jemals enden, so kann ich abtreten. Aber
solange ich auf der Bühne rumspringe, mich dies alles innerlich
auflädt, ich meine Bandkumpels anstacheln kann und wir uns mit dem
Publikum vermischen, dann fühlt sich dies tatsächlich wie eine gute
Droge an! Meine Frau sagt mir immer nach einer Tournee, dass ich
drei Wochen brauche, bis ich wieder normal sei. «Sei nicht so
nervös!», sagt sie immer und ich antworte, «Das bin ich nicht!»
(lachend). «One, two, three, four... » (schallendes Gelächter).
MF: Welche Erinnerungen hast du an «I Hear Black», ein Album, das
von vielen Leuten sehr kritisch aufgenommen wurde?
Bobby: Das war ein unsicheres Album. Es war auch das erste Album,
das nur D.D. und ich alleine zusammen geschrieben haben. Mit zwei
neuen Gitarristen war dies nicht ganz einfach. Tim Mallare war
damals der Schlagzeuger in der Band und wollte einige Dinge nicht
eintrommeln. «Dreaming In Columbian» war der Opener des Werkes. D.D.
und ich haben den Song geschrieben und es ergab für uns noch kein
klares Bild wohin die Reise mit diesem Album gehen sollte. Trotzdem
bin ich der Meinung, dass dies kein schlechtes Album geworden ist.
Es brauchte nur mehr Zeit um sich reinzuhören. Als wir aus dem
Studio kamen, hat Tim seine Stöcke zerschlagen und ich klapperte
jede Bar in der Stadt ab (lacht). Vergleiche ich dies mit «The
Electric Age»... Da standen die anderen Jungs im Studio und haben
sich alles angehört. Daraus ergaben sich interessante Jamsessions,
unterschiedliche Parts, gute Resultate und eine gute Chemie
innerhalb der Truppe.
MF: Hast du jemals das Gefühl gehabt, einem Trend gefolgt zu sein?
Bobby: Grundsätzlich waren wir immer eine Thrash-Band. Somit sind
wir nie einem Trend gefolgt. Wenn dann nur einem Untergrund-Trend.
Ich denke nicht, dass wir irgendwann, irgendwem oder irgendwas
gefolgt sind. Einige Leute sind sogar der Meinung, dass wir die
erste Thrash-Band überhaupt gewesen sind. Aber seien wir ehrlich,
als «Kill’em All» erschienen ist, waren wir noch eine Coverband. Und
«Feel The Fire» unser Debütalbum erschien zwei Jahre danach.
Vielleicht sind wir unseren Einflüssen gefolgt, das ist gut möglich.
Wir waren aber immer eine East-Coast-Band, während der Grossteil der
anderen Truppen aus der West-Coast stammte und stark im Bay
Area-Sound verwurzelt war. Wir als East-Coast-Truppe hatten viel
mehr Punk-Einflüsse, als die anderen Combos. Darum hatten wir immer
unsere eigene Identität.
MF: Welche Erinnerung hast du an die Zusammenarbeit mit Atlantic
Records?
Bobby: Ich erzählte dir meine Lieblings-geschichte über Atlantic
Records.
MF: Eine von vielen?
Bobby: YES!!! Aber dies ist meine absolute Lieblingsgeschichte! Zu
«I Hear Black» gingen wir von Megaforce weg und nur noch Atlantic
waren für alles zuständig. Zuvor haben sich diese beiden Firmen
ergänzt. Als wir mit den Aufnahmen fertig waren sassen D.D. und ich
im Büro unseres Promotion-Verantwortlichen. Den Namen habe ich
vergessen, aber wir sassen da in einem unglaublichen Büro. Dicke
Zigarren lagen auf einem Riesentisch. Daneben stand eine grosse
Flasche Cognac. D.D. und Bobby marschierten nun in dieses Büro um
uns den neusten Promotionsplan erklären zu lassen. Als wir eintraten
sagte uns der nette Herr, dass er mit uns in den Nebenraum sprechen
will. Da schaute ich nur D.D. an und sagte: «We’re fucked!»
(schallendes Lachen). Der Typ wusste überhaupt nichts über uns! Wir
waren von Megaforce Records verwöhnt, weil die Jungs dort unsere
Musik liebten. Als wir dann zu Nuclear Blast wechselten sassen da in
den Büros Leute mit Metal-Shirts. Okay, als ich den Typen mit dem
Axxis-Shirt sah, war ich ein bisschen überrascht. Ich kann ihm bis
heute nicht vertrauen (lacht)!
MF: Bobby, ich danke dir für ein weiteres Interview, das meine
Bauchmuskeln stark beanspruchte.
Bobby: Ich danke dir für deinen jahrelangen Support! Erinnerst du
dich, als ich dich mal gefragt habe, wie dir die Setliste gefällt?
MF: No fillers, just killers!
Bobby: Yes, das werde ich nie vergessen (schallendes Gelächter).
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