Sehr untypischer Rockstar.
Die Jungs aus Seattle haben ihr Desaster mit dem ehemaligen
Sänger Geoff Tate gemeistert. Wie der berüchtigte Phoenix aus der
Asche sind die Herren Scott Rockenfield (Schlagzeug), Eddie Jackson
(Bass), Michael Wilton (Gitarre), Parker Lundgren (Gitarre) und
Neusänger Todd La Torre auferstanden. Mit den Alben «Queensr˙che»
und «Condition Hüman» hat das Quintett zwei gute Alben
veröffentlicht, welche zwar nicht an die ersten vier Scheiben
heran reichen, die Herren aber von einer bedeutend stärkeren
Rückbesinnung auf alte Tugenden zeigt. Was Queensr˙che aber seit
dem Einstieg von Todd auszeichnete, waren die unglaublich
geilen Konzerte, bei denen endlich wieder die Hits gespielt wurden,
welche die Fans von der Combo hören wollten. Das lag zu einem
erheblichen Teil an Mister La Torre, der zuvor schon Crimson Glory
ein neues Leben einhauchte und der auch dort seinem Vorgänger
ebenbürtig in die Augen sehen könnte.
Es ist nicht leicht
einen Midnight (Crimson Glory) oder einen Geoff (Queensr˙che) zu
ersetzen. Aber Todd hat sich beiden Aufgaben gestellt und diese
mit Auszeichnung erledigt. So gab es genügend Gesprächsstoff, welchen
ich zusammen mit Scott Rockenfield besprechen wollte, aber es kam
anders als erwartet. Der Schlagzeuger begrüsste mich mit einer
dermassen ansteckenden Freundlichkeit, dass der Fragekatalog schnell
auf die Seite gestellt wurde und man sich unterhielt, als würde man
sich schon seit Jahren kennen. Scott entpuppte sich als herzlicher,
offener, ehrlicher und mit viel Humor versehener Interviewpartner.
Einer, bei dem man sich wünscht, ihn bald wieder zu treffen und über
anderes plaudern zu können. Wirkt der Drummer auf der Bühne eher
kühl und völlig auf sein Instrument fixiert, so trifft man hinter
oder neben der Stage einen äusserst interessanten und liebevollen
Menschen!
MF: Scott, wann und wie hat deine musikalische
Karriere begonnen?
Scott: Oh mein Gott…
MF: …das müsste vor
ungefähr fünf Jahren gewesen sein…
Scott (lachend): …das Blut unter der Brücke lässt erahnen,
dass es vor fünf Jahren gewesen sein muss. Ein einfache Antwort und
ich versuche sie kurz und knapp zu halten (grinst). Mit zwölf Jahren
habe ich begonnen Schlagzeug zu spielen. Das Instru-ment hat mich
immer fasziniert. Auch wenn ich die Jungs in meiner Schule sah, wie
sie auf die Trommeln und die Cymbals drauf gehauen haben. Meine
Eltern unterstützen mich immer, auch wenn ich Krach zu Hause
fabrizierte (grinst). Zu Weihnachten bekam ich mein erstes Drumkit.
Ab diesem Zeitpunkt sass ich jede Minute hinter meinem Schlagzeug
und spielte die Lieblingssongs meiner Lieblingsbands nach. Judas
Priest, Iron Maiden, Boston, Van Halen, Rush und das ganze Zeugs. So
interessierte ich mich mehr und mehr für Musik, und sie wurde zu
meinem Leben. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren traf ich die anderen Jungs und
wir gründeten Queensr˙che. Ab diesem Zeitpunkt startete eine
Achterbahn, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte
ausdenken können (lacht). Während dieser Karriere lernte ich
unglaublich viel, nicht nur über die Musik, noch heute. Ich bin
gerade dabei einen Film zu machen. Bald werden auch einige Trailers
von mir erscheinen. Zum Beispiel für Jason Bourne. So bin ich immer
beschäftigt, auch wenn ich nicht mit Queensr˙che zu tun habe und
spiele Schlagzeug, auch wenn es nur mit dem Computer ist (grinst).
Alles hat sich verändert, aber man muss sich diesen Veränderungen
stellen und das Beste für sich raus nehmen. Es hat alles wie ein
Traum und als Hobby angefangen. Heute habe ich noch immer Spass und
dabei weiss ich nie, was noch alles passieren wird (lacht). Können
wir noch einige Zeit mit Queensr˙che erfolgreich sein, was kann es
Schöneres geben? Irgendwie ist es noch immer ein Hobby, aber eines,
das meine Rechnungen zahlt und mir ein Haus beschert. Ich habe
meinen Spass, lerne neue und nette Leute kennen, wie dich. Auch wenn
es viel Arbeit ist… Sei ehrlich, was immer du tust, du machst es
gerne, sonst würdest du es nicht tun, oder? Ich kann alles
zusätzlich noch geniessen. Ich bin… 53 Jahre alt und habe während 41
Jahren nichts anderes gemacht, als mit dem was ich tue, Spass zu
haben.
MF: Komm schon, du siehst höchstens wie 35 aus…
Scott: …oh das ist sehr nett (lautes Lachen), ich denke das
Schlagzeugspielen hält mich jung. Meine Kinder halten mich auch
jung…
MF: …du hast Kinder?
Scott: Ja, zwei. Meine Tochter ist zwanzig Jahre alt und macht
eine medizinische Ausbildung, und mein Sohn ist siebzehn Jahre alt und geht
noch zur High-School. Es läuft alles bestens mit ihnen, es geht
ihnen gut, sie sind erfolgreich und machen keinen Scheiss… Klopf auf
Holz (klopft dreimal auf den Holztisch), ich hoffe, das wird auch
noch so sein, wenn ich wieder zu Hause bin (grinst). Kinder halten
dich auf dem Boden, mit ihnen wirst du niemals abheben. Hast du auch
Kinder?
MF: Ja, drei Mädels…
Scott: …oh mein Gott, dann bist du der einzige Mann im
Haus? Ach mein Lieber (lautes Lachen). Da gibt es viel Testosteron,
wenn du nach Haus kommst. Da kannst du froh sein, wenn dein Hund
dich glücklich begrüsst und mit dem Schwanz wedelt (lacht)…
MF: …der ist auch weiblich…
Scott: …oh mein Gott, nein (lautes Lachen). Aber im Ernst,
Kinder verbreiten einen unglaublichen Spass. Sie sind aber auch eine
Herausforderung.
MF: Wie schwer ist es für dich auf Tour zu sein und
deine Familie zu Hause zu lassen?
Scott: Das ist der Supergau und geht überhaupt nicht! Es
war und wird nie einfach sein. Wir waren oft weg von zu Hause und
haben eine Menge Zeit in diesen Tourbussen verbracht. In den
letzten mehr als 35 Jahren haben Michael, Eddie und ich oftmals
nur die Wände eines Busses gesehen. Wenn du mit siebzehn Jahren beginnst
auf Tour zu gehen, nonstop unterwegs bist, nur von A nach B reist
und sechs bis acht Monate im Jahr andere Länder siehst… Kennst du
nichts anderes als deine Kabine im Bus (lacht). Kürzlich habe ich
mich mit meiner Freundin unterhalten und mich über das Leben auf
Tour beschwert. Darauf antwortete sie: Und wieso machst du diesen
Scheiss immer noch mit? Es spielt keine Rolle, ob ich auf Tour oder
zu Hause bin, da ich morgens immer früh aufstehe und arbeite. Mit
den Kindern verändert sich vieles. Kaum sind sie in der Schule,
gehen sie aufs College oder erlernen einen Beruf und verdienen ihr
eigenes Geld. Wie alt sind deine Kinder?
MF: Zwischen
elf und sechzehn…
Scott (lachend): Oh mein Gott, richtige Teenager und einige
schon in der Pubertät. Das macht am meisten Spass (schlägt sich
lachend auf die Oberschenkel).
MF: Es ist eine lernreiche Zeit um zu erfahren, wie das
Leben sein und was es mit sich bringen kann…
Scott: …genau, und irgendwann sind die Jungs da und
klingeln oder fahren mit den schicken Autos vor (lacht). Der eigene
Beruf verändert vieles, wenn sie ihr eigenes Geld verdienen und
lernen müssen, damit umzugehen. Darum sind meine Kinder eine gute
Balance zu meinen Reisen mit Queensr˙che. Das Schöne ist, dass wir
heute mit sehr komfortablen Bussen unterwegs sind. Das zaubert uns
ein grosses Lächeln ins Gesicht (lacht). Sind wir unterwegs und
besucht mich meine Familie, haben wir genügend Komfort, dass es
ihnen gut geht und sie sich wohlfühlen. Darum sehen wir unsere
Familien sehr oft und sind mit allem sehr zufrieden (grinst).
MF: Welches waren deine Gefühle, als du zum ersten
Mal eine Queensr˙che-Platte in deinen Händen gehalten hast?
Scott: Oh mein Gott, gerade eben habe ich wieder unsere EP
in den Händen gehalten. Der Typ vorne am Backstageeingang, er muss
in meinem Alter sein, der hatte die komplette Sammlung von uns dabei
zum Signieren. Meine Güte, ich überlegte mir, als ich vorsichtig
eines der Exemplare zum Trocknen auf den Boden stellte, das alles
ist von uns? Das alles habe nicht einmal ich zu Hause (grinst). Die
EP, «Rage For Order» oder «The Warning», das ist alles Zeugs aus
den frühen 80er-Jahren. Ich liebe dieses Material. Heute finde
ich es fast interessanter, die alten Scheiben in den Händen zu
halten. Oder ich gehe zu eBay und finde meine eigenen Scheiben (lacht).
Denke ich aber daran zurück, wie ich damals in den frühen 80er-Jahren
die erste EP in den Händen hielt… Die ersten paar Exemplare
pressten wir nur für die Industrie und hofften, dass unsere Musik
jemandem gefallen würde. Dass wir dann gleich bei EMI unter Vertrag
kamen, war unglaublich. Als wir dann im Verkaufsladen unsere Scheiben
zum ersten Mal sahen, war es der gleiche Effekt, als wir unsere
Songs zum ersten Mal im Radio hörten. Das war in Seattle, als ein
lokaler Rock-Sender «Queen Of The Reich» spielte. Das war eine sehr
grosse Überraschung. Zusammen mit Michael und Eddie sassen wir da
und arbeiteten, als wir im Radio unseren Song hörten. Wir waren
geschockt, positiv und fanden es super cool! Und heute… Ach
(lachend) wir spielen diesen verdammten Track jeden Abend (lacht).
Es ist schön zu sehen, wie unsere Musik noch immer die Leute
begeistern kann und sie dabei zu kleinen Kindern werden (grinst).
«Kannst du mir bitte die Scheiben unterschreiben?» «Nee, das will
ich nicht» (lautes Lachen), sicher unterschreiben wir alles, was uns
unter die Nase gehalten wird, denn ohne diese Fans könnten wir heute
nicht mehr musizieren!
MF: Was war für dich wichtig
in der Vergangenheit, und was ist es heute?
Scott: Das hängt mit deiner Frage von vorhin zusammen.
Diese Balance, dieser Lebensstil, ich versuche alles im
Gleichgewicht zu halten, mit der Reiserei und meiner Familie. Dabei
möchte ich so viel Zeit wie nur möglich zu Hause verbringen. Klar
macht es Spass, in den Staaten zusammen mit den Scorpions zu touren.
Aber an den freien Tagen bin ich nach Hause geflogen. Das
verschlingt viel Geld, aber ich musste dies tun. Dieses ganze
Herumsitzen würde mich verrückt machen. Auch wenn ich lieber mit
meinen Kindern sprechen und mit meinem Hund spielen würde, dies hier
(der Tourbus) ist mein Zuhause für eine sehr lange Zeit. Räumt den
Dreck weg, damit ich mich wie zu Hause fühlen kann (grinst). So, als
ob ich mit meinem Nachbarn sprechen könnte. Ein supernetter Mensch,
der oft auf mein Haus aufgepasst hat, als ich auf Tour war. Ich
liebe die Band, ich liebe es, an anderen Dingen zu arbeiten… Wie an
diesem supertollen Film aus China, an dem ich arbeite. Harry Potter
in China. Ein toller Film mit einem unglaublichen Budget, bei dem
ich mitarbeiten konnte und an vielen Abenden bis früh am Morgen
meine Zeit investierte. Ich liebte es, und es hat unglaublich Spass
gemacht. Das Schöne ist, dass ich alles kontrollieren kann. Meine
Arbeit, Queensr˙che, meine Familie… Okay, ich kann nicht immer
kontrollieren, was im Bus abgeht (lacht), du verstehst was ich
meine…
MF: Du bist ein sehr erfolgreicher Musiker,
hast du dich jemals als Rockstar gefühlt?
Scott: Das ist eine lustige Frage. Ich muss da kurz was von
meinen Kindern erzählen (grinst). Oftmals verstehen deine Kinder nicht,
was für ein Leben du führst oder geführt hast. Das kann zu lustigen
Momenten führen, wenn die Kinder deine Vergangenheit reflektieren.
So, als ob dein Opa über seine Jungend erzählt. Meine Tochter ist zwanzig
Jahre alt. «She's super smart!» Sie erzählte mir, dass Schulkollegen
ihr mitteilten, dass sie die grössten Fans von mir seien. Für meine
Tochter war das völlig seltsam. Dass Freunde von ihr von ihrem Vater
schwärmten (lacht). Sie versteht dies nicht. Sie findet auch, dass
ich der untypischste Rockstar bin, den es geben kann. Ich war nie
ein Teil dieser Rockstargeschichte. Für mich ist dies ein ganz
normaler Job. Einer, der mir Spass macht und meine Kinder mir dabei
helfen, dass ich niemals abheben werde. Dass ich mich nicht von der
Welt isoliere und abkapsle. In dieser Welt von Ruhm und Ehre fallen
viele in ein Loch und verlassen uns früher als geplant, weil sie mit
diesem ganzen Zirkus, der um sie gemacht wird, nicht umgehen können.
Da benötigst du wirklich Kinder oder eine starke Person an deiner
Seite, welche dich auf dem Boden hält.
MF: Die Zeit ist leider vorbei, besten Dank für das
Interview und alles Gute für die Zukunft.
Scott: Besten Dank, es hat Spass gemacht mit dir und war
mir ein Vergnügen. Auch dir alles Gute!
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