Schandmaul sind zurück! Nach längerer Pause verwöhnen
uns die deutschen Folk-Rock-Metaller mit dem neuen Album
„Traumtänzer“. Dazu gehört natürlich auch eine
ausgiebige Tournee, die wiederum Gelegenheit bot, mit
Sänger Thomas Lindner (TL) zu quatschen. Dabei
erläuterte der sympathische Barde nicht nur, wieso die
Band mit Fantasy-Autor Wolfang Hohlbein zusammen
arbeitet, sondern liess auch die letzten eineinhalb
Jahre ohne Konzert-Stress Revue passieren.
MF: Ihr habt wieder in der Schweiz die Tour gestartet.
Wie war es in Bern?
TL: Aufregend. Es war die erste Show nach 17 Monaten und
ebenfalls die erste mit neuen Liedern. Das ist eine
spannende Sache. Die Leute waren glücklich und wir waren
gut drauf, auch wenn einiges noch schief gegangen ist.
Aber das gehört bei den ersten Malen dazu.
MF: Das wird in diesem Falle auch heute noch ein
Ausprobieren sein?
TL: Ja, ausprobieren beziehungsausweise erstmals Sachen
erfinden. Weil so Sachen wie Ansagen ergeben sich erst
während der Shows und das muss sich noch einspielen.
Aber das ist lustig und kreativ.
MF: Wie sehr hattet ihr denn Mühe alte Songs
zugunsten von neuen rauszuschmeissen?
TL: Wir haben jetzt halt in erster Linie den
Traumtänzer. Sprich wir spielen neun Stücke vom
Traumtänzer-Album. Und den Rest mit alten Knallern und
Klassikern aufzufüllen, das war kein Problem.
MF: Kommen wir zur Auszeit, die ihr vor dem neuen
Album hattet: Ihr schreibt ja, dass sich bei euch
Ermüdungserscheinungen nach der Sinnfonie-Tour bemerkbar
gemacht haben. Wie haben sich diese geäussert?
TL: Es war so, dass wir tatsächlich körperlich durch
waren. Man kam gar nicht mehr runter. Und es war auch
einfach zu viel. Egal was. Egal wie viel Spass etwas
macht. Wenn man etwas zu viel macht, fährt man
irgendwann mal an die Wand. Und bevor das passieren
konnte, haben wir gesagt: „Stachel rein, Auszeit!“ Und
Auszeit ist ja relativ gemeint. Wir haben einfach keine
Konzerte gespielt. Es war so in etwa wie Semesterferien.
Man hatte viele Hausaufgaben, aber keine Vorlesungen.
Wir haben uns halt voll auf das Album konzentriert. Und
das war dann einfach mal gut und nötig. Man konnte mal
wieder im eigenen Bett schlafen, diesen elenden
Reisekoffer in den Keller stellen und auch mal da
lassen. Es war einfach gut für alle.
MF: Du hast es angesprochen, dass es ja nicht
wirklich eine Pause war. Ihr seid ca. zwei Monate nach
dem Auftritt auf dem Summer Breeze-Festival bereits
wieder im Studio am Aufnehmen gewesen.
TL: Ja. Nach unserem letzten Konzert, in Hanau in
Deutschland, sind wir ein paar Tage später gleich
losgefahren in eine Hütte, haben uns da eingesperrt und
am neuen Liedgut gearbeitet. Und bereits im Winter
standen wir wieder im Proberaum und haben die
Vorproduktionen gemacht. Das ging in einem durch bis
Mai, Juni.
MF: Die Pause habt ihr dann ab Juni gemacht?
TL: Ja, das ist es eben so eine Sache. Denn so richtig
Pause gab es nicht. Es gab immer wieder mal eine Woche
frei, wo man auch wegfahren konnte und man Urlaub machen
konnte. Aber es war ein stetiges Arbeiten. Man hat sich
immer alle paar Tage getroffen und intensiv am Album
geschraubt. Also Pause… Wir waren halt mal zuhause.
MF: Das heisst, ihr habt in dieser Zeit auch keine
musikalischen oder privaten Projekte umgesetzt?
TL: Also die beiden Mädchen haben ihre Soloprojekte
weiter getrieben. Die Birgit mit Sava und die Anna mit
Anna-Katharina, ihrem Geigenprojekt. Das haben sie auf
jeden Fall gemacht. Wir Jungs, haben in dieser Zeit
nicht Veto weiter gespielt. Wir sind aber momentan im
Studio. Wir werden nach dieser Tour direkt wieder im
Studio sein und bis August ein neues Album machen.
MF: Ist das denn kein Stress für euch. Oder ist das
einfach so der Lauf der Dinge. Also wie andere Arbeiten
gehen?
TL: Das ist ein ganz normaler Job. Und jetzt haben wir
auch wieder aufgetankt. Also es ist echt erschreckend,
wie viel Kraft man tanken kann, wenn man nicht jeder
Wochenende in einem Bus sitzt und Abends eine Show
spielt. Und jetzt sind wir wieder richtig geil aufs
Spielen. MF: Ihr betont, dass ihr mit dem neuen Album
Mütter und Väter in mehrerer Hinsicht geworden seid. Bei
wem hat es noch Nachwuchs gegeben? TL: Der Ducky ist
Ende letzten Jahres Papa geworden und die Birgit ist
frische Mama. Das ist jetzt auf der Tour relativ
spannend, mit so einem Säugling dabei. Der hat so seinen
eigenen Willen.
MF: Habt ihr beide Säuglinge dabei?
TL: Nein, nur die Birgit hat ihr Baby dabei. Der Ducky
hat es bei seiner Frau gelassen.
MF: Das heisst, ihr pflegt das Kind jetzt alle
zusammen?
TL: Nein, ich glaube da würde es durchdrehen. Das ist
schon in erster Linie bei der Birgit. Und der Vater ist
auch dabei. Also während der Zeit wo die Birgit auf der
Bühne steht, ist der Papa halt dran.
MF: Das ist eine ganz neue Situation für euch.
TL: Ja, es verändert sich. Es bleibt spannend.
MF: Kommen wir endgültig zum neuen Album. Die
Liedtexte erzählen wiederum Geschichten. Wo habt ihr
diesmal eure Inspiration geholt?
TL: Eigentlich wie immer. Es sind Geschichten die man
erlebt. Geschichten die man liest, die man im Kino
sieht. Und das halt an verschiedenen Orten. Das
inspirierendste ist das Leben an sich. Man muss einfach
nur mit offenen Augen durch die Gegend gehen. Da
passieren die besten Geschichten.
MF: Ihr habt ein Lied über den Piraten Störtebeker.
Zumindest die Geburtszahl im Lied stimmt mit Störtebeker
überein.
TL: Ja, so ungefähr. In Wirklichkeit weiss man es ja
selber nicht so genau, woher der Mann kam. Aber genauso
nebulös und geheimnisvoll ist dann der Liedtext. Es
fällt nie der Name Störtebeker, aber das Jahr stimmt
ungefähr. MF: Geht es für dich in diesem Lied um
Störtebeker oder behandelt das Lied für dich mehr die
Sehnsucht zur See? TL: Es ist mehr diese Sehnsucht nach
der See. Die Anna hat den Text geschrieben und hatte am
Anfang des Textes eine Jahreszahl. Wir haben uns dann
angeschaut und gesagt: „Also wenn du schon eine
Jahreszahl nimmst, dann nimm doch eine, wo auch
tatsächlich so ein Pirat geboren worden sein könnte.
Also haben wir ein bisschen gegoogelt und tatsächlich:
„1360 ist er gekommen“. Also wenn schon, dann gleich der
grosse deutsche Pirat.
MF: Welche Bedeutung hat denn Störtebeker in
Deutschland. In Norddeutschland gibt es ja eine Art Kult
mit Theater über ihn und so…
TL: Absolut. Ich bin ja Bremer und habe damit auch eine
gewisse Affinität für den Norden. Und Störtebeker ist
einer der grossen Deutschen Räuber. Und dann auch noch
ein Pirat. Wer braucht Fluch der Karibik? Wir haben
Störtebeker!
MF: Ihr habt dieses Mal mit Wolfang Hohlbein zusammen
gearbeitet. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
TL: Das war sehr witzig. Wir haben mit unserem
Nebenprojekt Veto schon vor Jahren Hohlbein–Bücher
vertont. Und der Stefan, der Schlagzeuger und Manager
von uns, der hat einfach diese Veto-Lieder genommen und
stumpf dem Wolfgang Hohlbein geschickt. Und der fand das
super und hat dann gemerkt, dass Veto eigentlich
Schandmaul ist. Er hat dann gesehen, dass in seinem
CD-Regal Schandmaul-CDs stehen. Er findet unsere Musik
also super. Etwa so, wie unsere Bücherregale voll mit
Hohlbein-Büchern sind. Und so haben wir zusammen
gefunden. Vor einem Jahr hat er das Manuskript von einem
Buch ausgepackt, welches jetzt erschienen ist. Und er
hat gesagt: „Wenn ihr Bock habt, dann macht doch da mal
was!“ Wir hatten Bock, haben es gemacht und es hat ihm
gefallen und jetzt läuft es.
MF: Behandelt „Geas Traum“ die Hauptfigur in diesem
Buch?
TL: Das Lied nimmt eine Hauptfigur auf und erzählt so
ein Bisschen das drum herum. Wenn man das Lied hört,
ohne das Buch zu kennen, dann ist das für einen einfach
eine Liebesrock-Nummer. Und wenn man das Buch gelesen
hat, dann erkennt man in den ganzen Zwischennoten und
Zwischenzeilen die ganzen versteckten Geheimnisse des
Buches. Man braucht also beides; Buch und Lied.
MF: Gibt es Pläne, dass ihr das mit Wolfgang Hohlbein
zusammen aufführen werden? Also eine Art Vorlesung mit
Konzert?
TL: Es gibt konkret Ende April eine Vorlesung, wo der
Wolfgang Hohlbein liest und wir auch ein kleines
Showcase machen werden. Und dann läuft noch das Video
ein Bisschen im Hintergrund. Das wird so eine Art
Autogrammstunde für Hohlbeinfans, wo wir als
Specialguest auftreten werden. Da freue ich mich drauf.
Und in solcher Art und Weise wird es mit Sicherheit noch
was geben. Da sind wir alle beide offen dafür. MF: Ich
habe ein Interview entdeckt, in dem besonders du dich
als Hohlbeinfan geoutet hast. TL: Ich habe locker 60
Bücher von ihm im Schrank. Ich lese ihn seit meiner
frühesten Jugend. Das ist ein ganz feiner Mann.
MF: Ist Hohlbein also eine Art literarischer Held für
dich?
TL: Ich sage es mal so: Ich bin halt einfach ein
Fantasy-Freak. Und mag auch unheimliche Geschichten. Und
wenn ich den Vergleich wagen darf: Wolfgang Hohlbein ist
der deutsche Steven King. Und auch den fresse ich. Also
her damit! Und das inspiriert natürlich auch immer
wieder.
MF: Ein anderer Name der im Booklet auftaucht ist
Dieter Winkler.
TL: Dieter Winkler ist der Manager von Wolfgang Hohlbein
und selber auch ein Schriftsteller.
MF: Schreibt der auch Fantasy-Romane?
TL: Querbeet. Wenn ich mich jetzt nicht irre, hat der
die Enwor-Reihe weitergeführt. Hohlbein hatte die mal
angefangen und die ersten neun Bücher geschrieben. Und
dann hat der Dieter Winkler diese übernommen und führt
sie jetzt weiter. Die spielen sich also auch die Bälle
zu.
MF: Die inspirieren sich also auch gegenseitig?
TL: Genau. Dieter ist auch Hohlbeins erste Lektor, der
als erster das lesen darf, was der Hohlbein schreibt.
Hohlbein ist ja unfassbar schnell. Der hat bereits 200
Bücher geschrieben und insgesamt über 35 Millionen
Bücher verkauft. Da geht was. Der Kopf hat noch was zu
bieten.
MF: Gleich drei Gastmusiker von euch spielen bei der
Band Orange Fits. Ist das eine lokale Band aus eurer
Umgebung? Oder woher kennt ihr die?
TL: Die kennt unser Bassist. Die kommt aus der Dachauer
Ecke, wo Matthias auch wohnt. Und wir hatten uns einen
Bläsersatz am Ende des Liedes Assassin vorgestellt. Und
da lag das einfach nahe. Die kannte man, die waren super
drauf die Jungs. Und es war kein grosser
organisatorischer Aufwand, die zusammen zu trommeln. Und
so haben sie uns das rein getrötet.
MF: Die restlichen Gastmusiker sind also auch so
spontane Aktionen oder solche Freundschaftsaktionen?
TL: Der Trompeter, der beim spanischen „Bis zum
Morgengrauen“ zu hören ist, war bei der Band, bei der
Stephan früher Schlagzeug gespielt hatte, bevor es
Schandmaul gab. Das ist also auch ein Kumpel. Der kam
dann einfach vorbei und hat dann so ein Bisschen
rumprobiert. Und das hat es dann auf die Platte
geschafft.
MF: Ihr wurdet 2009 für den Echo nominiert, musstet
euch dann aber den Ärzten geschlagen geben. Wie sehr hat
euch das getroffen? Oder wie wichtig sind euch solche
Preise?
TL: Die eigentliche Ehrung da ist eigentlich die
Nominierung. Weil sich da ein Gremium aussucht, wer
nominiert wird. Ob man dann gewinnt oder nicht, ist ein
ganz normales Rechen-Exempel. Wer die meisten verkauft
hat, hat gewonnen. Von daher wussten wir, dass wir das
gar nicht gewinnen können, sobald wir gesehen haben, wer
ist unserer Kategorie nominiert ist. Weil wie kannst du
gegen die Ärzte anstinken oder gegen In Extremo? Es war
einfach mal schön, diesen Affenzirkus zu sehen. Diese
Bombastshow und dieses ganze Küsschen hier und Küsschen
da. Das haben wir mal gesehen, gut! Weiter im Text!
MF: Es war also nicht oder noch nicht eure Welt?
TL: Ich brauche das auf jeden Fall nicht täglich. Das
ist auf jeden Fall nur Schickimicki.
MF: Die wahren Rocker sind also bei den Konzerten?
TL: Genau. Hier ist Rock’n’Roll. Und da oben ist
Schickimicki.
MF: Ich habe euch im 2009 am Summer Breeze-Konzert
gesehen. Ihr habt da „Dein Anblick“ diesem Mädchen
gewidmet, welches beim Amoklauf in Winnenden getötet
wurde. Diese Schweigeminute war sehr eindrücklich und
ich hatte Gänsehaut ohne Ende. Wie war es für euch?
TL: Ja, ähnlich natürlich. Das war ein wahnsinnig
krasser Moment. Ich war auch ultra nervös davor. Es ist
halt so, dass dieses Mädchen Fan von uns war, und
bereits Karten für das Summer Breeze-Festival hatte.
Dann ist das passiert und es hat uns dann die Mutter
angeschrieben, dass auf ihrem Grabstein ein Textauszug
von „Dein Anblick“ steht. Sie hat uns gefragt, ob wir
diese Schweigeminute machen könnten. Die Mutter stand da
quasi irgendwo unter euch. Ich habe gezittert ohne Ende.
Weil ich auch nicht wusste, wie jetzt die Fans reagieren
würden. Werfen die uns jetzt Becher auf die Bühne oder
kann da jetzt einer sein Maul nicht halten? Aber als da
dann plötzlich die 10‘000 oder 20‘000 Leute plötzlich
still waren, hatte ich auch Gänsehaut. Also es war ein
krasser Moment. Man muss dann auch mal leer schlucken,
wenn man sich kurz Revue passieren lässt, was da
wirklich passiert ist. Die Tat, die zum Tod des Mädchens
geführt hat, war einfach nur ekelhaft und fürchterlich.
MF: Ich kann mich nur noch erinnern, dass derjenige,
der seine Klappe nicht halten konnte, ziemlich harsch
mit „Halts Maul!“ zu Recht gewiesen wurde.
TL: Denn habe ich gar nicht wahr genommen.
MF: Solche Fanpost kriegt ihr noch öfters? Also nicht
solche krassen, aber…
TL: Klar. Das meiste läuft mittlerweile per E-Mail. Aber
wir haben auch wunderschöne handschriftliche Briefe, wo
man sich fragt, wie man nur so schreiben kann. Das rahmt
man sich ein. Und dann erhalten wir Postkarten von
überall her. Es sammelt sich schon einiges an.
MF: Wir sind bereits am Ende des Interview. Was
möchtest du deinen Fans noch sagen?
TL: Jeder der das liest, soll gucken wo wir sind. Steigt
ins Auto und auf geht’s. Wir warten auf euch!
MF: Spielt ihr dieses Jahr denn wieder auf den
Festivals?
TL: Wir haben einige geplant. In der Schweiz gibt es auf
jeden Fall ein Festival, auf dem wir spielen werden. Ich
weiss jetzt aber nicht wann und wo. Aber sobald wir es
wissen, wird es auf unserer Webseite stehen. (Fr.01.Juli
am Openair, Zell LU. Anmd.Red.)
MF: Wann werdet ihr denn mit dem nächsten Album zu
schreiben beginnen?
TL: Wir haben jetzt Baby-Alarm. Das heisst, dass wir uns
jetzt im ersten Jahr noch ein Bisschen zurücknehmen
müssen, bis das Kind halbwegs auf der Spur ist. Das
heisst wir werden jetzt auf einigen Festivals spielen,
so knapp 20 Stück in Deutschland, Österreich und der
Schweiz und dann im Winter wieder pausieren und das Kind
wachsen lassen. Und dann gehen wir im nächsten Frühling
nochmals ausgiebig auf Tournee und spielen nochmals
ausführlich die Sommer-Festivals. Wann das nächste Album
kommt, ist jetzt noch nicht ganz klar, aber vielleicht
Ende 2013 oder Anfang 2014. Gute Dinge will Weile haben.
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