Sie werden oft im gleichen Atemzug wie ihre Landsleute In Flames, Arch
Enemy und The Haunted erwähnt und haben es im Verlauf des letzten
Jahrzehnts geschafft, sich aus dem kargen, südschwedischen Boden eine
starke Präsenz in der internationalen Metalszene aufzubauen. Die Rede
ist von Soilwork. Sie spielen irgendwo zwischen Death und Melodic
Metal, doch wer genau hinhört, erkennt genug andere Einflüsse, so
dass es schwierig wird, eine Schublade für die Jungs aus Göteborg zu
finden. Björn „Speed“ Strid bezeichnet seine Musik als „epischen Metal
mit dieser typisch Skandinavischen Melancholie“. Im Interview gab uns
ein entspannter, ganz und gar bodenständiger Björn bereitwillig
Auskunft über das Aufnehmen von Doppel-Alben, die wöchentlichen
Schwierigkeiten einer international verstreuten Band und über das
Kämpfen gegen pferdegrosse Enten.
MF: Hi Björn, wie geht es dir?
Björn: Bestens. Danke! Es schneit zwar
gerade etwas viel in Schweden, aber was will man machen? In der Schweiz
seid ihr ja auch nicht viel besser dran.
MF: Das ist wahr, nur gerade heute hatten wir Glück. Ich habe heute
mindestens zwei Minuten Sonne erwischt.
Björn: Lacht.
MF: Small-Talk beiseite: Du hast ein neues Album heraus gebracht, nein,
gleich deren zwei. Das Album «The Living Infinite» ist ein Doppel-Album
mit
zwanzig Songs. Wie habt ihr euch dazu entschieden, und was für
Schwierigkeiten musstet ihr dafür überwinden?
Björn: Wir sind alle zusammengekommen und
haben beschlossen: Es ist an der Zeit, ein episches Metal-Album zu
produzieren. Ein echtes Doppel-Album, weisst du!? Mit allen Tracks in
einer sorgfältig ausgewählten Reihenfolge. Warum? Nun, hin und wieder
muss man sich selbst herausfordern um wieder zu wissen, was in einem
steckt. Natürlich war es streckenweise schwierig für mich und die
Jungs, zwanzig brandneue Songs zu produzieren, aber wir waren für etwa
acht
Monate offstage, das heisst, wir hatten genug Zeit, um es zu unserer
Zufriedenheit aufzunehmen. Und mehr Songs bedeuten auch mehr
Möglichkeiten zu experimentieren…
MF: Ist es eure Absicht, euren Stil aktiv zu ändern, oder sind die
neuen
Einflüsse eher ein Produkt eurer Entwicklung als Band?
Björn: Ich glaube, dieses Mal war es
wirklich wichtig für uns, die Grenzen unserer Musik zu strapazieren.
Weisst du, als Musiker wirst du schnell in eine Schublade gesteckt, die
recht starre Grenzen kennt, und manchmal muss man aus diesen Grenzen
ausbrechen. Ich meine, das Ganze soll ja interessant bleiben. Es macht
keinen Sinn, zweimal das gleiche Album zu produzieren. «Figure Number
Five» oder «Stabbing The Drama» waren zum Beispiel wirklich gute und
erfolgreiche Alben. Aber diese zu kopieren, wäre nichts für mich, weil
das einfach langweilig wird, vor allem, wenn wir es auf die
Langzeitentwicklung unserer Band beziehen. Wenn wir etwas Neues machen,
wollen wir dabei selbst was dazu lernen. Ansonsten macht die Produktion
eines neuen Albums für mich keinen Sinn. Für das neue Album wollten wir
ein neues, unverbrauchtes Grundfeeling und ich glaube, das haben wir
hinbekommen.
MF: Ich fand «Stabbing The Drama» wirklich gut.
Björn: Ich auch! Aber eben, wir alle
entwickeln uns weiter und «Stabbing The Drama» ist nicht einmal halb so
kreativ wie «The Living Infinite». Wenn wir keine neuen Richtungen
einschlagen, wird die ganze Angelegenheit zur Routine.
MF: Gab es einen speziell erinnerungswürdigen Moment bei der Aufnahme
des Albums?
Björn: Tja, lass mich überlegen. Ja, am
Anfang, als wir begonnen haben die neuen Songs zu schreiben, das war
noch im Herbst 2011, da waren die meisten ziemlich skeptisch, was das
neue Album angeht. „Wirklich? Zwanzig neue Songs? Wie wollen wir das
machen?“ Das war der Tenor. Viele hatten Zweifel, ob wir es schaffen,
genug gute Songs zu kreieren, wollten sich nicht übermässig lange für
die Produktion verpflichten oder sonst wie kompromittieren. Aber dann,
als wir die ersten acht Songs aufgenommen hatten, was ziemlich flott
ging,
geschah es. Du sitzt da mit der Band und hörst dir den Song an, den du
kurz vorher aufgenommen hast und bekommst Gänsehaut. Du hörst, dass
dieses melancholische, dieses typisch skandinavische Lebensgefühl
wirklich rüber kommt und weisst, das wird episch. Danach war jeder von
uns überzeugt, dass die neuen Scheiben ein Erfolg werden.
MF: Alles was ihr aufnehmt, hört sich sehr präzise an. Ihr startet
beispielsweise mit einem langsamen, gefühlsvollen Gitarren-Intro und
dann, beim Übergang, ist, wie aus dem Nichts, die ganze Band mit
wuchtigen Riffs, schnellen Basslines, und der Double-Bass Drum da. Wenn
es dann
wieder zurück zum Refrain geht, hört der ganze Spuk präzise auf die
Sekunde wieder auf. Seid ihr Perfektionisten, oder ist das einfach gute
Studionachbearbeitung?
Björn: Nun, wir haben schon eine Menge
Übung und kennen uns recht gut. Meist müssen wir es nicht einmal
aussprechen, um zu wissen, wohin sich ein Song entwickeln wird, welche
die schnellen Parts sein werden und was wir betonen wollen. Die Band
ist wirklich „tight“, das heisst, es kommt kein Ton aus den
Lautsprechern, der ungewollt gewesen wäre. Das ist, wenn du willst,
schon Perfektionismus, aber wir würden es nicht als solchen bezeichnen.
Uns ist wichtig, dass die Leute wissen, dass alles wirklich so
aufgenommen wurde. Bei jeder unserer Aufnahmen steckt eine echte Band
dahinter und nicht irgendein Kerl an einem Computerprogramm, der alle
Fehler ausmerzt. Bei uns gibt es keine Tricks und nur minimes Editing.
MF: Wie oft musst du etwas aufnehmen, damit es auf die CD gepresst
werden kann?
Björn: Es kommt unglaublich darauf an,
welchen Vocal-Style wir aufnehmen wollen, welche Laune an diesem Tag
herrscht, was für ein Tage es ist, wie schwierig oder schnell der Part
gestaltet ist. Manchmal müssen wir jeden Song zwanzigmal und mehr
einspielen, bis alle zufrieden sind und manchmal klappt's schon bei der
ersten Aufnahme. Und manchmal nehmen wir etwas zigfach auf, nur um dann
zur ersten Aufnahme zurück zu kehren, die uns dann am besten erscheint.
Verrückt, manchmal.
MF. Wie wirst du eher genannt, Björn oder Speed?
Björn: Ha ha. Manche nennen mich Björn,
manche Speed. Mir ist das persönlich völlig egal. Viele Leute, die mich
aus dem Umfeld der Band kennen, nennen mich Speed. Ich glaube, dass es
so etwas wie mein Stage-Name geworden ist. Speed kommt von der Zeit,
als ich noch ein Teenager war. Die in der Klasse haben angefangen mich
Speed zu nennen, weil ich den ganzen Tag lang schnellen Thrash und
Death
Metal gehört habe. Irgendwann ist es geblieben und ich habe es
akzeptiert.
Es ist jetzt aber nicht so, dass mich jemand von meiner Familie oder
dem näheren Umkreis Speed nennen würde. Definitiv mehr ein
Soilwork-Ding.
MF: Ich glaube, ich werde dich Björn nennen. Doch trotzdem, wie wichtig
ist Geschwindigkeit in der Musik für dich? Ist es etwas absolut
Notwendiges, oder eher wie ein Gewürz, das der Musik ihren Geschmack
verleiht?
Björn: Am Anfang habe ich wirklich nur das
schnelle Zeugs gehört und bin voll drauf abgefahren, aber mittlerweile
bin ich älter geworden und mag es, auch langsamer anzugehen. „Speed“
(sowohl Künstlername als auch „Geschwindigkeit“) ist ein Bestandteil
von mir, es gehört zu Soilwork, gehört zu Metal und wird wahrscheinlich
immer ein Bestandteil davon sein.
MF: Was denkst du von der Metal-Szene? Was würdest du ändern, wenn du
könntest?
Björn: Wie ich bereits erwähnt habe: Mit
dem Aufkommen immer neuer Programme, leistungsfähigeren Prozessoren und
höherem Leistungsdruck entwickelt sich die Metalszene zusehends zu
einem Studio-Ding. Die Songs werden roboterhaft und seelenlos, wenn der
Hang zur digitalen Überarbeitung zu stark wird. Ich glaube auch nicht,
dass dies den Fans am Ende gefällt. Ich finde, es muss Platz haben für
kleinere Fehler, für Grenzen, dessen was möglich ist. Schliesslich sind
wir alle ja nur menschlich. Manchmal machen genau diese kleinen
unperfekten Details eine Band aus, manchmal muss man improvisieren,
weil ein Part zu schwierig ist und etwas Anderes daraus machen. Es gibt
viele Bands, die, sich aber an prätentiösen Riffs und Beats wagen, die
sie dann live nicht erreichen können. Ich bin kein Fan davon und hoffe,
dass es ein Umschwenken gibt, auf natürlicheren, realeren Sound.
Persönlich glaube ich, dass sich die Szene in Richtung Progressiv
bewegt und wir noch viel mehr in dieser Richtung hören werden.
MF: Würdest du sagen, ihr hört euch live gleich wie auf der Scheibe an?
Björn: Live hört sich immer anders an.
Manchmal bist du im Adrenalin Fieber, manchmal triffst du den Ton
nicht, manchmal fucktst du auf der Bühne ab. So what? Das geschieht,
irren ist nur menschlich. Beim Live-Spielen geht es um die Show, um das
Erlebnis, es soll nicht dasselbe sein, wie wenn du daheim vor deiner
Anlage sitzt und aufdrehst, es soll rüberkommen, real sein und darf
natürlich abweichen. Aber die Essenz der Lieder ist dieselbe.
MF: Was ist deine Haltung zur Online-Piraterie?
Björn: Schwer zu sagen. Viele Leute haben
in den letzten Jahren den Schwenk gemacht. Sie laden zwar immer noch
gerne meine Songs vom Internet runter, mit dem Unterschied, dass viele
nun dafür bezahlen. Speziell mit diesen ganzen Smartphones. Zum
Beispiel mit dem iPhone ist es so einfach geworden, Sound in bester
Qualität und zu einem geringeren Preis zu kaufen. Da kannst du mit ein
paar Klicks die ganze Diskographie laden. Und das haben wir gemerkt.
Die Verkäufe aus diesen Kanälen sind viel höher geworden. Aber wir
setzen immer noch auf die bewährte CD. Natürlich gibt es immer noch
viele illegale Downloads. Aber nichts kann das Feeling ersetzen, das
entsteht, wenn du dir deine CD holen gehst, speziell wenn sie mit
Extras kommt. Wenn du in den Laden gehst, das ganze Artwork vor dir
ausbreiten kannst, die Lyrics, vielleicht noch andere Goodies. Das ist
schon was Spezielles. Es ist ein Sammelobjekt und nicht dasselbe, wie
wenn man ein Terabyte an mp3-Files auf einer Harddisk liegen hat.
MF: Was ist eine typische Woche für Soilwork?
Björn: Das ist schwierig. Es gibt keine
typische Woche für Soilwork, da wir alle in ganz unterschiedlichen
Weltregionen leben. Es gibt keine spontanen Jam-Sessions am Abend. Dirk
lebt in Los Angeles, Flink lebt in Portland, ich lebe meist in
Schweden, Silvayn in Paris und David in Stockholm. Wir versuchen jede
Woche über Skype miteinander zu reden, aber das geschieht längst nicht
jede Woche. Ich wünschte, wir könnten öfter zusammentreffen, aber
meistens geschieht das kurz vor Beginn einer neuen Tour oder wenn wir
an einem neuen Album arbeiten.
MF: Wie oft trainierst du deinen Gesang, täglich?
Björn: Ich würde es nicht täglich nennen.
Aber die Stimmbänder müssen warm bleiben, weisst du!? Oft singe ich
nebenbei, nachdem ich aufgestanden bin, zu meinen Lieblingssounds und
zu meinem eigenen Vergnügen. Oder ich begleite mich mit der Gitarre
selbst und versuche, etwas nachzusingen, das in meinem Kopf herumspukt.
MF: Wie ist dein Bezug zu Exzessen, zum Beispiel Alkohol, Drogen. Als
erfoglreicher Rockstar hast du sicher ein paar Tipps für uns parat.
Björn: Es kommt darauf an, wie gut du dich
selbst kennst. Und das braucht seine Zeit. Am Anfang bist du in einer
Art Dauerhigh, beflügelt vom Erfolg und von all den neuen Erfahrungen.
Alles ist super, cool, einfach. Es macht Spass. Du tourst und trinkst.
Und nach einiger Zeit, fängt es an dich immer mehr „runter zu ziehen“.
Einige Jahre her, bin ich sinnbildlich gegen eine Wand gefahren. Nicht,
dass ich ein Alkoholiker wurde, aber mein Konsum wurde zuviel, hat mich
fertig gemacht und mich immer mehr Energie gekostet. Ich habe dann
gemerkt, dass es vielleicht an der Zeit wäre, etwas besser aufzupassen
und zu schauen, was ich da eigentlich mache. Man wird auch nicht jünger
und ich brauche immer länger, um mich von einem Kater zu erholen. Du
bleibst nicht das ganze Leben lang 18 und so Vieles verändert sich auf
diesem Weg. Ich glaube, es kommt darauf an, ein Gleichgewicht zu
finden.
Du musst bestimmen können. Die Kontrolle muss bei dir sein, nicht bei
irgendeiner Substanz.
MF: Wie bist du zum Sänger geworden?
Björn: Mehr durch Zufall. Ich war
Gitarrist, von Anfang an. Ich wollte nur ein bisschen Songs schreiben
und spielen, aber hatte keine Ambitionen, eine Band zu gründen, mit der
ich dann durch die Welt touren würde. Klar, es war ein Traum, aber
damals hörte sich das Ganze so weit weg an. In der Highschool traf ich
dann auf Peter. Ich war ein Metalhead, er war ein Metalhead. Er fragte
mich, ob ich singen wollte in der neuen Band, die er gründen wollte.
Ich
sagte, dass ich eigentlich ein Gitarrenspieler sei, aber „fuck it“,
lass
es mich versuchen. Und so hat alles seinen Anfang genommen. Ich habe
diese Entscheidung nie bereut.
MF: Singst du lieber cleane Parts?
Björn: Ob clean oder screamy Vocals, es
geht mir mehr darum, sich selbst auszudrücken. Natürlich geben „screamy
Vocals“ den besonderen Kick, vor allem live, aber ich habe gemerkt,
dass es viele verschiedene Arten gibt, sich selbst auszudrücken. Es ist
für mich wichtig, eine gewisse Präsenz in meine Vocals hineinzulegen.
Wenn du nur genügend Intensität in die cleanen Parts hinein legst, dann
können auch diese viel Druck aufbauen. Das ist wohl das Wichtigste.
MF: Falls ich Schweden besuchen gehe, was darf ich auf keinen Fall
verpassen?
Björn: Nun, das, was mich in Stockholm am
meisten beeindruckt hat, ist das Vasa Museum und insbesondere das
restaurierte Schiff aus dem 17. Jahrhundert darin. Einfach unglaublich,
was die damals schon gebaut haben. Die haben das ganze Schiff in
Einzelteilen geborgen und dann von Grund auf zusammengebaut. Und wenn
du mehr auf Party stehst, da gibt es eine Bar in Stockholm, eine Art
Skybar. Da kannst du über ganz Stockholm schauen, während du Drinks
schlürfst. Aber ich komme von Südschweden, und da darfst du vor allem
die Küste nicht verpassen. Wunderbare Naturlandschaften gibt es dort.
MF: Würdest du lieber gegen eine pferdegrosse Ente kämpfen oder gegen
hundert entengrosse Pferde?
Björn: (lacht) Das ist wirklich eine
abgefuckte Frage. Gegen was ich lieber kämpfen würde? Ich glaube, ich
würde lieber gegen eine pferdegrosse Ente kämpfen. Ich würde
wahrscheinlich verlieren, aber das wärs mir wert, mal eine so grosse
Ente zu sehen und gegen sie zu kämpfen.
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