Nick Beggs ist auffällig und facettenreich, nicht nur durch sein
Bass-Spiel, sondern auch durch den Einsatz des Chapman Stick und der
Art und Weise, wie er sich auf der Bühne präsentiert. In
Musikerkreisen wird er mittlerweile sehr geschätzt und konnte sich
vom Image des „Milchgesichts“ der in den 80ern besonders bei Mädchen
beliebten Pop-Band Kajagoogoo lösen und beweisen, dass er ein
hervorragender Musiker und Künstler ist.
Neben der Musik widmet er sich auch dem Zeichnen/Schreiben und
brachte neben dem Comic «Steven Wilson's Day Off» auch den
Kinder-Comic «Dangerous Potatoes» heraus. Neben zahlreichen Solo
Alben die er veröffentlichte, spielte er bei Steve Hackett (Ex-Genesis)
und Steve Howe (Yes) mit. Diese Liste lässt sich endlos fortsetzen.
Steven Wilson – Mastermind von Porcupine Tree – roch den Braten zum
richtigen Zeitpunkt und schnappte sich Nick für sein grossartiges
Solo-Projekt. Aktuell ist er auf der soeben veröffentlichten Steven
Wilson Live-DVD «Get All You Deserve» zu bestaunen. Die
Zusammenarbeit war dermassen bereichernd für beide Parteien, dass
Nick auch beim Folgealbum zu «Grace For Drowning» dabei sein wird,
welches im Frühjahr 2013 erscheint und die Aufnahmen gerade in Los
Angeles abgeschlossen wurden. Ich traf den Bassisten im Z7 vor der
Show und lernte einen Rock-Gentleman der besonderen Klasse
kennen....
Nick: Hallo Liane, schön dich zu treffen. Darf ich dir etwas
zu trinken anbieten?
Er wusste genau, mit wem er es zu tun haben wird, erkundigte
sich - wie ich der Unterhaltung entnehmen konnte - vorab über das
Medium Metal Factory und inspizierte mit mir erst mal den kompletten
Backstage Bereich, um einen gemütlichen und ruhigen Ort zu
finden...
MF: Fantastisch! Hier ist es perfekt, dann lass uns mal loslegen.
Ich verfolge deine Karriere schon über 20 Jahre lang und es freut
mich, dich im Zuge des Steven Wilson Projekts nun endlich einmal
persönlich zu treffen. Wie bist du auf das Projekt aufmerksam
geworden?
Nick: Nun, ich denke Steven Wilson war auf der Suche nach
Individuen die es verstehen, sich in das Projekt einzugliedern, aber
trotzdem ihren eigenen Stil mit einbringen. Ihm war es wichtig, Leute
mit einzubeziehen, die eine starke musikalische Persönlichkeit
bieten. Jeder, der in dieses Projekt involviert wurde, ist quasi
handverlesen. Das ist auch, was mir bei dieser Band besonders gut
gefällt. Jeder hat eine starke Persönlichkeit. Es ist unglaublich
spannend mit Marco Minnemann (Schlagzeug) zu arbeiten, er spielt
jedes Konzert individuell und kein Abend gleicht dem anderen.
MF: Du handhabst dies ja ähnlich. Bereitest du dich dann überhaupt
noch vor für ein Konzert oder eine Tour? Wie bekommst du all deine
Projekte unter einen Hut? Du spielst ja auch in der Kim Wilde Band als
festes Mitglied.
Nick: Perfekte Vorbereitung ist hier das Schlüsselwort.
Ich hasse es, nicht genügend vorbereitet zu sein. Ich mache mir viele
Notizen, wie eine Art Skript. Zwar habe ich das «Grace For Drowning»
Album mit eingespielt und bin mit der Musik recht vertraut, es gibt
aber viele kleine charakteristische Details die mir wichtig sind und
die ich in keinem Fall vergessen möchte mit einzubringen. Ich habe
eine riesige Sammlung von skizzierten Musikstücken von all den
Künstlern, mit denen ich zusammen gearbeitet habe. Und wenn ich dann
zum Beispiel eine Anfrage von Steve Hackett (Ex-Genesis) für eine Tour
oder einen Auftritt erhalte, dann blättere ich in meiner Bibliothek
und gehe all die Notizen durch, die ich gesammelt habe. So bereite
ich mich vor. Weisst du, ich bin jetzt 50 Jahre alt, ich kann mich
nicht mehr so gut an alles erinnern wie früher. Für mich ist das ein
gutes Training für mein Gehirn. So ähnlich wie Soduko, dieses
Logikrätsel, kennst du das? Ich brauche das nicht (lacht). All diese
unter-schiedlichen musikalischen Projekte und Einflüsse regen mein
Gehirn genug an.
MF: Bekommst du alles gut koordiniert mit all den Terminen zu all
den unterschiedlichen Projekten? Wie setzt du Prioritäten?
Nick: Nun, ich versuche immer vorausschauend zu handeln
und zu koordinieren. Man weiss ja ungefähr, wenn eine Tour angesetzt
wird. Das bedeutet, ich halte stetig Kontakt mit den verantwortlichen
Leuten und hake immer nach, wenn ich keine Informationen oder
Bestätigungen erhalte. Zum Glück arbeite ich mit professionellen
Leuten zusammen, und die haben viel Verständnis für meinen vollen
Terminkalender. Das klappt eigentlich alles sehr gut. Aktuell habe
ich 4 Projekte, bei denen ich permanent involviert bin. Das verlangt
eine sehr gute Organisation und man muss aufpassen, dass man dabei
niemanden vernachlässigt oder hängen lässt. Leider musste daher
dieses Jahr Steve Hackett etwas zurück stecken, aber ich werde zu
einem späteren Zeitpunkt wieder dabei sein. Lee Pomeroy (It Bites)
füllt die Lücke aktuell bei Steve Hackett.
MF: Was war bis anhin das schwierigste Projekt deiner Karriere?
Nick: Ich denke, die Zusammenarbeit mit dem John Paul Jones
Trio (Led Zeppelin) war das Projekt, was mich am meisten gefordert
hat. Vor circa 12 Jahren hat mich Robert Fripp (King Crimson)
angerufen und gefragt, ob ich Lust hätte, mit ihm und John Paul Jones
zusammen zu arbeiten und ich habe natürlich sofort ja gesagt. Dies
war unglaublich anspruchsvoll und hochkompli-ziert zu spielen. Das
war fast schon wie ein Studium für mich, ich habe extrem viel
gelernt in dieser Zeit. John Paul Jones ist ein unglaublich guter
Lehrmeister. Ich habe grossen Respekt vor ihm. In diesem
Zusammenhang konnte ich auch das Spielen auf meinem Chapman Stick
voran treiben.
MF: Wann hast du eigentlich dieses besondere Instrument für dich
entdeckt?
Nick: Das erste Mal als ich den Chapman Stick sah, war 1978
bei einem Peter Gabriel Auftritt, als Tony Levin diesen spielte. Ich
war total irritiert und fragte mich „Was geht denn hier ab?“. Ich
wusste erst gar nicht was das ist und dachte es sei ein Synthi. Mich
lies das Instrument nicht mehr los und ich fing an, mich damit zu
befassen. Und als dann 1981 das «Discipline» Album von King Crimson
veröffentlicht wurde, konnte ich dies anhand dessen üben und war
total begeistert davon. Ich hatte gelernt, das Instrument zu
verstehen und als dann Limahl Kajagoogoo verlassen hatte und ich
seinen Part als Leadsänger übernommen hatte, sollte ich auch
parallel dazu auf dem neuen Album den Chapman Stick spielen. Und ich
war unglaublich aufgeregt und begeistert von dieser Idee.
MF: Oh ja, da kann ich mich erinnern, zum Beispiel beim Song «The
Lion's Mouth». Es gab ja kürzlich eine Reunion von Kajagoogoo...
Nick: Ja genau! Wir kamen 2009 wieder zusammen und es hat
sehr viel Spass bereitet, und wir haben es geschafft, ein paar alte
Ungereimtheiten zu begraben, und das war für mich sehr wichtig. Wir
haben eine EP produziert und einen Video-Clip und EMI hat den
kompletten Back-Katalog wieder veröffentlicht. Wir haben einige
Konzerte gespielt, aber ich denke es ist nun an der Zeit, diese Sache
ruhen zu lassen. Die Jungs würden gerne noch weiter fahren, aber ich
denke es ist für mich die Zeit gekommen, damit abzuschliessen. Ich
bin sehr mit anderen Dingen beschäftigt und um ehrlich zu sein sind
das Dinge, die mich weit aus mehr ansprechen und auch mehr
herausfordern als Kajagoogoo. Ich mag die Jungs wirklich sehr gerne,
aber musikalisch fordern mich Kajagoogoo einfach nicht heraus und
mir wird es schnell langweilig.
MF: Ich verstehe, du brauchst also die Abwechslung. Was wäre jedoch,
wenn du ein äusserst lukratives Angebot bekommen würdest? Die
Bedingung wäre jedoch, nur noch exklusiv für diesen Künstler spielen
zu müssen. Was wäre deine Antwort?
Nick: Nun, wenn es eine interessante und anspruchsvolle
Konstellation wäre, müsste man darüber nachdenken. Weisst du, es ist
recht hart, den Lebensunterhalt mit der Musik zu bestreiten. Ich habe
mein eigenes Studio und kann dort viel machen. Um ehrlich zu sein,
die Sache mit Kajagoogoo war die, ich wollte schnell so viel Geld
damit verdienen wie nur möglich. Kajagoogoo ist Pop Musik und nicht
die Musik, die ich von Herzen gerne höre. Es gab auch interne
persönliche Probleme, was recht anstrengend gewesen ist. Meine Liebe
gehört dem Progressive Rock und meine Lieblingsband ist Yes. Ich
mag all diese Musik aus der Zeit, also ich spreche von Led Zepplin,
John Paul Jones, Rush, Geddy Lee, Chris Squire, oh Gott! Das sind
meine Vorbilder, Musiker von denen ich sehr viel gelernt habe und
die ich unheimlich schätze. Und jetzt ist es mir möglich, die Musik
zu spielen, die ich wirklich schätze, jetzt wo ich 50 bin (lacht).
MF: Um bei dem Thema „Herausforderung“ zu bleiben, was war die
grösste private Herausforderung für dich persönlich?
Nick: Das war sicherlich der Tod meiner Mutter und ich
werde immer wieder damit konfrontiert. Das Thema kommt wieder und
wieder hoch. Sie ist verstorben, als ich 17 Jahre alt gewesen bin.
Ich konnte das nie richtig verarbeiten, war damals auf mich selbst
gestellt und musste mich noch um meine jüngere Schwester kümmern.
Meine Frau sagte mir mal, dass der Tod irgendwie wie ein Schatten
über unserer Partnerschaft hängen würde. Ich habe eine sehr gute
Partnerschaft, eine wunderbare Frau und tolle Kinder. Aber es kommen
immer wieder Themen auf, wie zum Beispiel, dass es mich völlig
fertig macht, wenn jemand in unserer Familie krank wird. Das macht mir
unheimlich Angst, und wenn ich krank werde, nehme ich das sehr
persönlich und will es auch nicht akzeptieren. Ich habe das Gefühl,
dass mich mein Körper einfach im Stich lässt. Ich habe jedoch daran
gearbeitet und ich bin sicher, dass mich dies auch enorm antreibt,
erfolgreich zu sein. Ich denke, dies zu verarbeiten war für mich
persönlich die grösste Herausforderung in meinem Leben.
MF: Neben der Musik verwirklichst du dich auch anderweitig, nämlich
mit Zeichnen. Zur aktuellen Steven Wilson Tour hast du einen Comic
kreiert.
Nick: (Lacht) Ja, «Steven Wilson's Day Off». Ich habe ja
immer ein Zeichenbüchlein dabei, und in den Pausen zeichne ich immer mal
ein paar Sachen..., warte mal, ich zeige es dir (steht auf und holt sein
Büchlein aus dem Koffer). Schau, ich habe extrem viele davon und die
sind alle voll mit Ideen. Ich hatte Kunst studiert und wollte
eigentlich Illustrator werden. Als meine Mutter gestorben ist, habe
ich die Universität verlassen und entschied mich dazu, Musiker zu
werden. Nun ich hatte auf Tour begonnen, Steven in seiner Welt zu
zeichnen und irgendwann hat der Tourmanager dies mitbekommen und
sagte zu mir „Hey du solltest einen Comic daraus machen und den am
Merchandising-Stand verkaufen“. Ich fand das eine tolle Idee und so
kam dies zu Stande. Ich habe die Bilder gezeichnet, dann im
Photoshop bearbeitet und mit Farbe aufgefüllt.
MF: Gibt es noch Projekte für die Zukunft, an denen du arbeitest?
Nick: Oh ja, da gibt es eine ganz grosse Sache, auf die ich
mich riesig freue. Es wird ein ganz grosses Prog-Album werden,
leider darf ich noch nicht mehr darüber erzählen. Dann gibt es noch
eine neue Band „Lifesigns“ wo ich ebenfalls involviert bin. Es ist
ein Trio und Steve Hackett wird ebenfalls mit dabei sein.
Progressive Rock. Wir wollten recht alt klingen, so im Stil von 1974.
Ich hoffe es klappt mit dem Release im Frühjahr 2013. Wir wollten es
eigentlich schon früher veröffentlichen, aber das Mixing dauert noch
etwas und das Artwork ist noch nicht fertig.
MF: Danke Nick, es hat mich gefreut dich zu treffen, und ich freue
mich schon auf alles, was noch kommen wird.
Nick: Danke, es hat mir wirklich Spass gemacht, bis bald
mal wieder.
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