Es klingelt. „Good evening Louise...“ Wow. Jetzt hat er mich
aber kalt erwischt. Diese Stimme. Unverkennbar. Jyrki spricht so wie
er singt. Tief und sonor. Mit dieser Stimme hat er mich sofort in
der Tasche. In der nächsten halben Stunde werde ich nur wenig sagen
und dafür einer der schönsten Männerstimmen des Gothic Rock
lauschen, wie er mir vom neuen Album erzählt, von persönlichen
Texten, vom pausenlosen Touren und davon wie es ist, in einem Land
Mainstream, in den meisten anderen aber nur szeneintern bekannt zu
sein. Anlass für unser Interview ist das zehnte Studioalbum der 69
Eyes, schlicht „X“ betitelt, was hier für die lateinische Ziffer 10
steht. Zehn melancholische Songs überraschen mit eingängigen
Melodien und erstaunlich intimen Texten.
MF: Guten Abend Jyrki! Wie geht es dir?
Jyrki: Sehr gut, danke! Ich bin sehr aufgeregt wegen des neuen
Albums und habe schon eine Reihe Interviews gegeben, ich freue mich
sehr über das rege Interesse.
MF: Gratuliere zu eurem zehnten Studioalbum, es hab mir sehr gut
gefallen! Ich finde, X tönt sehr smooth und melancholisch und viel
weniger rough und rock’n’rollig als Back in Blood, euer letztes
Album. Würdest du dem zustimmen?
Jyrki: Ja, genau, so sehe ich das auch. Back in Blood haben wir in
Hollywood aufgenommen und wir wollten, dass man diesen bestimmten
Vibe im Sound hören kann, diesen „Appetite for Destruction-Style“.
Für eine Band wir uns ist der absolute Rock’n’Roll-Traum, nach
Amerika zu gehen und ein solches Album aufzunehmen. Wenn man also
schon mit amerikanischen Produzenten zusammenarbeitet, dann will man
auch alles aufsaugen, was sich einem bietet, die ganze Energie. Die
erste Single von Back in Blood war Dead Girls Are Easy, ein totaler
Hard Rock-Song. Deshalb ist Back in Blood sehr kraftvoll und sogar
ein bisschen aggressiv. Es war eine tolle Erfahrung, dieses Album zu
machen. Danach waren wir einige Jahre auf Tour und spielten sehr
viele Shows mit zwei schwedischen Glamrock-Bands, Hardcore Superstar
und Crashdiet. Beim Zusammenstellen der Setlist haben wir uns aber
schon gefragt, ob das Publikum auch unsere melodischeren,
melancholischen Songs, zu denen auch unsere grössten Hits wie
Brandon Lee, The Chair oder Danse d’Amour gehören, akzeptieren wird.
Und genau das war der Fall!
Es hat mich überrascht, dass die Fans
nach den beiden sehr rockigen Vorbands so positiv auf uns reagiert
haben, auch wenn wir Material von unseren anderen Scheiben, nicht
von Back in Blood, gespielt haben. Es schien sogar, dass ihnen genau
diese Songs gefallen haben. Ich habe mir also überlegt, dass genau
in diesem Sound unsere Stärke liegt und wir uns wieder darauf
zurückbesinnen sollten. Als unser Gitarrist dann anfing, Songs für
das neue Album zu schreiben, habe ich dann mehr oder weniger bewusst
genau die melancholischen ausgesucht, obwohl er auch härtere Sachen
geschrieben hat, eher im Stil von Motörhead oder von Hard
Rock-Bands. Wir wussten auch schon, als wir die Songs fürs Album
aussuchten, dass wir in einem schwedischen Produzententeam in
Stockholm aufnehmen würden, die schon auf uns warteten. An dieser
Zusammenarbeit war vor allem sehr gut, dass wir genau wissen, wie
wir die melancholischen Stimmung in die Songs bringen, und die
Schweden verdammt gut sind, was Melodien anbelangt. Das hört man den
Songs wirklich an, sie sind sehr stark auf die Melodien konzentriert
und ich finde, es sind die schönsten Titel, die wir je geschrieben
haben.
MF: Das ist ja jetzt euer zweites Album, bei dem ihr bei Nuclear
Blast unter Vertrag seid. Hat euch diese Zusammenarbeit irgendwie
beeinflusst oder wart ihr komplett frei?
Jyrki: Wir arbeiten auch noch mit anderen Labels zusammen, aber
keiner wusste Bescheid darüber, was wir planen und aufnehmen, bevor
das Album komplett fertig war. Wir sind absolut frei in unseren
Entscheidungen, sie haben vorab nichts von dem Material gehört.
Ungefähr eineinhalb Monaten vor Veröffentlichung war die Scheibe
fertig. Wir hatten aber auch überhaupt keine Bedenken, dass unsere
Partner damit zufrieden sein werden, denn das Material ist so gut,
dass sie nur begeistert reagieren konnten.
MF: Die erste Singleauskopplung von „X“ ist der Song „Red“. Warum
ausgerechnet der?
Jyriki: Das war die Entscheidung der Plattenfirma, die haben den
Song gewählt, der sie für am radiotauglichsten hielten, denn wir
wollten auch in den grossen kommerziellen Radios gespielt werden.
Das hat hier in Finnland sehr gut funktioniert, wir werden hier zum
Beispiel auch bei Energy gespielt, was eine der wichtigsten
Radiostationen ist. Red gehört momentan zu den zwölf am meisten im
Radio gespielten Songs in Finnland. Der Song gibt vielleicht den
Spirit des kompletten Albums nicht optimal wieder, aber er ist für
das Radio optimal gewählt.
MF: Die berühmte Elvira präsentiert das Video zu "Red". Wie kam das zu
Stande?
Jyrki: Ja, das ist wirklich toll! Ich bin schon seit der 80ern ein
riesiger Fan von Elvira, ich hatte als Jugendlicher feuchte Träume
von dieser Frau! Es ist für mich also wirklich ein Traum der wahr
wird, mit ihr zusammen zu arbeiten.
MF: Sie sieht ja wirklich auch immer noch richtig super aus, sie
muss ja um die siebzig sein mittlerweile und sieht zwanzig Jahre
jünger aus!
Jyrki: Ja, das liegt eben daran, dass Vampire nicht altern (lacht)!
MF: Wenn du "X" in drei Worten beschreiben müsstest, welche wären das?
Jyrki: Sentimentales Meisterwerk (Sentimental Masterpiece)... (Ich
sage ihm jetzt nicht, dass das nur zwei Worte sind...)
MF: Welchen Song des Albums magst du am liebsten und warum?
Jyrki: Ich mag natürlich alle Songs sehr gerne, aber es ist
erstaunlich, dass die Leute, die das Album schon gehört haben, immer
wieder besonders von einem Song sprechen: "Borderline". Ich weiss
nicht genau, warum ausgerechnet dieses Stück bei vielen so einen
Eindruck hinterlässt, wahrscheinlich, weil es der persönlichste von
allen ist und man das auch spürt. Ich weiss nicht, wohin dieser Song
uns führen wird und wen er zu mir bringen wird, aber er scheint
etwas Besonderes zu sein.
MF: Borderline ist mir auch aufgefallen und hat mir auch am besten
gefallen. Ich musste an Hurt in der Version von Johnny Cash denken,
die Stimmung ist irgendwie ähnlich.
Jyrki: Ja, Johnny Cash hat halt auch eine sehr tiefe Stimme und ich
kann ein wenig wie er tönen, wenn ich das möchte. Der Song
Borderline ist ein ganz einfacher, simpler Song über mein Leben. In
der ersten Version war meine Stimme nur von einer akustischen
Gitarre unterlegt, sehr direkt und schnörkellos. Ich habe das ganz
alleine bei mir im Wohnzimmer aufgenommen. Diese Version wollte ich
eigentlich auf dem Album haben, das kam aber dann nicht zu Stande
und jetzt ist es ein bisschen aufwändiger instrumentalisiert. Der
Song ist aber trotzdem noch sehr persönlich und privat und zeigt
viel von mir als Mensch, vor allem eben durch den Text.
MF: Sind dir denn Texte im Allgemeinen wichtig, auch wenn du selbst
Musik von anderen anhörst?
Jyrki: Ja, natürlich, Texte sind mir sehr wichtig. Ich finde es
toll, wenn man sich in den Texten wiederfindet und sich davon direkt
angesprochen fühlt. Bei dieser Platte sind die Texte sehr viel
persönlicher und lebensnaher als bei unseren anderen Scheiben, wo
sich unsere Lyrics immer um diese Vampir-Fantasien und –Geschichten
drehen. Ich verarbeite dadurch auch meine persönliche Situation,
nämlich die Trennung von meiner Freundin, das hatte einen grossen
Einfluss auf meine Texte. Die Enttäuschung und Traurigkeit, der
Verlust, das hat mich inspiriert fürs Schreiben. Es ist für mich
etwas neues, mich so zu öffnen und so viel von mir preis zu geben.
Aber die Songs werden dadurch realer und echter und kommen noch mehr
vom Herzen als sonst.
MF: Das fühlt sich sicherlich dann auch auf der Bühne anders an.
Habt ihr denn schon Songs vom neuen Album live gespielt?
Jyrki: Nur wenige, Red natürlich, was ein toller Live-Song ist, und
Love Runs Away. Ich war aber vorhin grade noch in der Probe vor
diesem Interview und da merkt man schon, dass die Songs live auch
richtig gut rüberkommen.
MF: Tust du denn irgendwas bestimmtes, um deine Stimme zu trainieren
oder hast du einfach so viel Talent, dass das von selbst geht? Was
würdest du anderen Sängern raten?
Jyrki: Naja, wenn du dir unsere alten Alben von vor zwanzig Jahren
anhörst, oder zum Beispiel „Motor City Resurrection“ oder „Wrap Your
Troubles in Dreams“, dann merkt man, dass ich schon einige Zeit
brauchte, um meine Stimme zu finden. Ich singe dort noch viel höher
und rockiger, Glam Rock mässig eben, und das hört sich noch viel
flacher an. Mir der Zeit wurde das natürlich besser und ich
beherrschte meine Stimme immer besser. Das ganz tiefe fing
eigentlich mit einem Spass an so ungefähr vor zehn Jahren, als wir
noch bei Roadrunner waren. Ich versuchte möglichst tief runter zu
kommen und ich hab versucht so zu singen wie Pete Steele (Type
O’Negative), weil der auch so eine Stimme hat. Dann haben wir
gemerkt, dass das sehr gut zur Musik passt und sind dabei geblieben.
Jungen Sängern würde ich empfehlen, dass sie zuerst die Basics der
Gesangstechnik lernen und anwenden können sollten, also die Atmung
und das Stützen der Töne zum Beispiel. Es gibt aber einen ganz
wichtigen Faktor, den ich auch bei diesem Album benutzt habe, und
der heisst Jack Daniels! Das ist wirklich gut für die Stimme! Es ist
kein Zufall, dass grosse Sänger wie zum Beispiel Frank Sinatra oder
Dean Martin, bekannt dafür waren, gute Freunde von Jack Daniels zu
sein. Natürlich muss man aufpassen, dass man nicht zu viel davon
trinkt und es einem dann zu Kopfe steigt! Nur ein kleiner Schluck,
das ist wirklich gut für die Stimmbänder.
MF: Das ist mal ein guter Tipp! Ist wohl auch besser als heisse Milch
mit Honig?
Jyrki: Ja, wenn man heiser ist, dann sollte man nicht noch was
Warmes trinken, das verstärkt es nur noch, sondern besser was Kaltes
oder eben Jack.
MF: Das Cover Artwork von "X" sieht toll aus. Wer hatte die Idee dazu
und wer hat es gestaltet?
Jyrki: Das Cover stammt von einem alten Schulfreund von mir. Er hat
bis vor einigen Jahren einige Gothic Clubs hier in Helsinki
betrieben und macht mittlerweile vor allem Designs für Snowboards
und Naturfotografie. Das Artwork ist einfach ein Foto von
Tierknochen auf Steinen, das dann gespiegelt und bearbeitet wurde.
MF: Wenn wir schon über Cover reden, da muss ich dich doch noch nach
dem Cover von Angels fragen. Darauf ist nämlich Christine Dolce zu
sehen, die auch im Video von "Never Say Day" zu sehen ist. Wie kam es
zu dieser Zusammenarbeit?
Jyrki: Das war meine Idee, denn Christine Dolce war zu der Zeit das
Myspace-Idol und hatte am meisten Fans dort. Sie war total heiss und
verkörperte diesen Los Angeles-Style perfekt, den wir auf dem Album
wiedergeben wollten. Das war auch die Zeit, in der wir angefangen
haben, in Amerika zu touren, und das Album ist wie ein Tagebuch
dieser Zeit. Es hat viel Spass gemacht, mir ihr zusammen zu
arbeiten.
MF: Noch eine andere Frage zum Design: Ihr habt ja dieses Zeichen,
das ihr immer wieder benutzt und das einem altägyptischen Ankh
nachempfunden ist. Wie kommt das?
Jyrki: Wir haben vor ungefähr zehn Jahren angefangen, dieses Zeichen
immer wieder zu verwenden. Das Ankh ist ein Zeichen, das mich immer
schon fasziniert hat und das schon in den 70ern sehr präsent war.
Auch Elvis hat schon so einen Anhänger getragen. In der Gothic Szene
sind ägyptische und andere Symbole und Zeichen sehr beliebt. In
Italien haben mir dann mal zwei römische Gothic Girls ein solches
Amulett geschenkt. Viele Leute lassen sich unsere Form des Ankh
tätowieren, das finden wir ganz toll. Ich bin auch in einem Comic
auf dieses Zeichen gestossen, es ist von Neil Gaiman und heisst „Sandman“.
Die Hauptfigur Dream hat eine Schwester namens Death und sie trägt
auch dieses Zeichen.
MF: Dann lass uns noch über euch als Band sprechen. Euer letztes
Album kam 2009 raus, was habt ihr seither gemacht?
Jyrki: Wir waren die letzten drei Jahre eigentlich fast
ununterbrochen auf Tour und haben dann direkt mit dem neuen Album
begonnen.
MF: Hast du davon denn nie genug, dieses pausenlose Touren muss doch
auch sehr anstrengend sein, oder?
Jyrki: Naja, ich hatte vorhin noch ein Interview, da hat einer eine
Zusammenstellung gemacht, dass wir ausser während der Zeiten im
Studio seit 2004 permanent auf Tour sind. Ich habe bei der letzten
Tour auch selbst mitgezählt und wir hatten über 150 Gigs in 27
Ländern. Das gehört einfach zu unserem Job und es macht uns auch
immer noch Spass. Man sieht die ganze Welt und lernt unheimlich
viele Leute kennen, das ist toll. Wir sind ein bisschen wie der
Weihnachtsmann, der jeden einmal besuchen kommt und unsere Musik ist
unser Geschenk. Nur brauchen wir ein bisschen länger!
MF: An den Rentieren kanns nicht liegen, davon habt ihr ja genug in
Finnland!
Jyrki: Ja, das ist sicher nicht der Grund (lacht). Wir lassen uns
einfach gerne viel Zeit.
MF: Wie ist denn der Unterschied zwischen Shows in Finnland, wo ihr
ja wirklich grosse Stars seid, und dem Rest der Welt, wo ihr ein
bisschen weniger bekannt seid?
Jyrki: Beides ist super, aber es gibt natürlich schon Unterschiede.
In Finnland gehören wir wirklich zum Mainstream, wie gesagt, wir
werden in den grossen kommerziellen Radios gespielt und sind einem
sehr viel breiten Publikum bekannt. Deshalb kommen an die Shows sehr
viel unterschiedliche Leute, nicht nur Gothics oder Metaller,
sondern eben auch „ganz normale“ Leute. In den anderen Ländern sieht
man es den Menschen sofort an, wenn wir irgendwo spielen und sie auf
dem Weg zum Konzert sind.
MF: Bist du denn noch nervös oder aufgeregt vor einer Show, nachdem
du schon so viele Gigs in deinem Leben gespielt hast?
Jyrki: Oft bin ich „hangoverish“ (lacht). Nein im Ernst, ich glaube,
die besten Shows sind diejenigen, vor denen man ein bisschen
aufgeregt ist. Es muss so ein Vibe entstehen, die Energie, die man
mit allen den Menschen im Publikum teilt.
MF: Und werdet ihr bald zu uns kommen um einige Konzerte zu spielen?
Jyrki: Ja, wir werden im Januar unsere Tour starten und haben dann
auch in der Schweiz einen Gig, im Z7 in Pratteln. Das wird wohl Ende
Januar, Anfang Februar sein (Anm. LW: am 5.2.2012 spielen The 69
Eyes im Z7). Dieses Mal spielen wir die ersten Gigs der Tour hier in
Finnland, danach geht’s weiter in nach Europa. Aber was uns in der
Schweiz ein bisschen fehlt ist der Kontakt zu den Fans.
Normalerweise machen wir nach einem Gig Party mit unseren Fans, im
Z7 klappt das irgendwie nie. Hoffentlich wird das dieses Mal anders!
MF: Ja, da werden die Schweizer Fans schon dafür sorgen! Und was
möchtest du unseren Lesern zum Schluss noch sagen?
Jyrki: Ich würde ihnen gerne sagen, dass ich mir sehr wünsche, dass
sie das neue Album akzeptieren und gut finden, denn es kommt
wirklich von Herzen und ist uns sehr wichtig. Wir wissen, dass es
sehr anders ist als das vorherige Album und hoffen, dass es trotzdem
oder vielleicht gerade deshalb bei unseren Fans gut ankommt. Wir
sind die treuen Diener unserer Fans und machen alles nur für sie!
Wir hoffen, dass wir ganz viele an unseren Konzerten sehen werden!
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