Voll auf Vinyl gesetzt.
Progressiven Post-Thrash-Metal zelebrieren die Freiburger The
Burden Remains seit einigen Jahren. «Fragments» heisst das zweite
Album, welches die vier Jungs 2014 raus gebracht haben. Das
Spezielle: Die Lieder gibt es nur LP-Format und als Download. Aber
auch abseits der eigentlichen Musik gehen die Prog-Thrasher ihren
eigenen Weg. Im Interview verraten Sänger/Bassist Tommy
Schweizer und Schlagzeuger Silvan Mangold, wieso sie keine
ausgetretenen Pfade beschreiten und was das Konzept hinter «Fragments»
ist.
MF: Beginnen wir das Interview mit etwas Aktuellem. Ihr
bringt in diesen Tagen einen neuen Video-Clip raus.
Tommy: Das ist in der nächsten Woche, am Montag.
Silvan: Ja,
der kommt Anfang nächste Woche raus. Es ist nicht nur unser neuer
Videoclip, sondern eigentlich auch unser erster. Also der erste
wirkliche Videoclip, sonst waren es bisher nur Live-Clips, von
welchen wir unzählige auf unserer Webseite haben.
MF: Ihr habt diesen Clip auf dem Sustenpass gedreht.
Auf den Vorabfotos sieht es ziemlich kalt aus. War es wirklich so
kalt?
Tommy: Ja, das war so.
Silvan: Das
war extrem kalt.
Tommy: Das war wirklich krass, und wir sind
da wie die grössten Idioten hingefahren. Wir hatten Turnschuhe
und als Jacken bloss normale Lederjacken mit dabei.
Silvan: Das Problem war nicht nur die Kälte, sondern diese
kombiniert mit der Nässe.
Tommy: Wir haben uns wirklich den
Arsch abgefroren.
Silvan: Nach dem Umhertragen des Materials
hatten wir auch nasse Füsse. Es ging dann schon irgendwie. Aber…
Tommy: Es schneite auch immer wieder ein wenig. Es gab immer
wieder Phasen, in denen wir die Dreharbeiten unterbrechen mussten,
weil es zu schneien begann und wir das Material schützen mussten.
MF: Wann habt ihr das gedreht? Im Sommer?
Tommy: Ende
August.
Silvan: Ja, das war Ende August. Wir dachten, es
wäre dann warm. Wir dachten, wir können jetzt kurz in die Berge die
Sonne geniessen und Sonnencreme einstreichen.
MF: Ihr hattet die Instrumente auf den Susten
geschleppt. Habt ihr dafür eine Bewilligung benötigt?
Silvan: Die nötigen Bewilligungen waren Sache des Regisseurs. Das
wissen wir nicht, ob er was beantragen musste. Er sagte uns aber,
dass er das abgeklärt hatte. Da müsstest du ihn fragen.
Tommy: Uns war das gar nicht so wichtig (lacht).
MF:
Ihr wart da einen Tag am Drehen?
Tommy: Ja, aber es
war noch gut. Es gab neben dem Drehort gleich ein Schiess- oder
ein Jägerfest.
Silvan: Das war ein Jägerfest.
Tommy: Und die waren ebenfalls ständig am Umherschiessen. Unsere
Instrumente hört man sowieso nicht, also die beiden Gitarren und den
Bass. Silvans Schlagzeug hört man zwar, aber das ist bei der
Schiesserei untergegangen. Ein paar Ziegen hat es wohl gestört, aber
sonst…
Silvan: Ja, es gab da ein paar Ziegen und Schafe. Die
haben sich ein wenig gewundert, zusammen mit ein paar Leuten, die
vorbei gelaufen sind. Da mussten wir teilweise kurz unterbrechen und
warten, bis diese wieder aus dem Bild verschwunden sind. Und dann
konnten wir wieder weiter machen.
MF: Wie finanziert ihr diesen Video-Clip?
Tommy: Das ist die grosse Frage. Wir haben noch ein wenig Geld übrig
von einem Pott, welchen wir für die Albumproduktion aufgebaut
hatten. Und da hatten wir ebenfalls einen Videoclip eingeplant.
Diejenigen von der Band, welche dem Pott noch ein wenig Geld
geschuldet haben, mussten jetzt einfach den Video-Clip bezahlen –
egal wie (lacht).
Silvan: Das wurde also aus dem
Privatvermögen bezahlt.
MF: Ihr habt am 28.
November an der Plattentaufe von Hellvetica gespielt. Kanntet ihr die Band
bereits?
Tommy: Ja, schon. Als wir zum ersten Mal mit ihnen
gespielt hatten, war das super. War das bisher das einzige Mal?
Silvan: Ja, ich denke schon.
Tommy: Wir hatten
zusammen ein Konzert im Rock City in Uster. Als wir gespielt hatten,
waren da vier Leute vor der Bühne. Und das waren ausschliesslich die
Jungs von Hellvetica. Und als diese danach gespielt hatten, waren
ebenfalls nur vier Leute vor der Bühne – und das waren wir!
Silvan: Plus noch zwei drei im Hintergrund.
Tommy: Genau.
Diejenigen welche an der Bar gearbeitet haben. Es kam da einfach
schlicht niemand, wieso auch immer. Aber das war fantastisch,
wie eine lustige Bandprobe.
Silvan: Im Grunde
entwickelte es sich zu einer öffentlichen Bandprobe. Einer von
Hellvetica hat sogar das Stagediving gewagt.
Tommy: Wir
haben nur Blödsinn gemacht. Man durfte auf die Bühne gehen oder sich
abschiessen lassen. Wir konnten perverse Sprüche bringen, und das störte
da ja kein Mensch. Wir sassen ja alle im gleichen Boot und es wurde
ein ziemlich lustiger Abend. Wir freuen uns, wieder einmal mit
Hellvetica zusammen spielen zu können.
Silvan: Ich glaube,
wir haben mit ihnen noch ein zweites Mal zusammen gespielt.
Tommy: Ja, das kann sein.
Silvan: Das war am "Open Circle" in
Zürich oder Spreitenbach. Da spielten am Schluss Rage. Sie waren
ganz am Anfang und wir hatten sie grandios verpasst. Wir haben da
dann irgendwann am Nachmittag um 16.00 oder 17.00 Uhr gespielt und um
22.00 Uhr kamen dann Rage.
Tommy: Du darfst doch nicht sagen, dass
wir sie verpasst hatten!
Silvan: Nein, wir hatten sie nicht
verpasst. (lacht)
Tommy: Wir waren an der vordersten Front
mit dabei.
MF: Kommen wir zurück zu den Videoclips. Es gibt
einen Clip von eurer Plattentaufe, wo ihr „A Thousand Lives“
zusammen mit Tambouren gespielt habt. Der ist ziemlich cool
geworden.
Tommy: Danke, den hat Silvan geschnitten.
Silvan: Ja, das ist einer der unzähligen bisherigen Live-Clips.
MF: Ist die da unterlegte Musik ebenfalls live?
Silvan: Ja, die ist ebenfalls live. Das hat alles
Christoph Noth aufgenommen und gemixt. Das macht er meistens. Wir
haben mittlerweile sicher sechs Live-Clips mit mehreren Kameras
aufgenommen. Das Bild ist von mir, der Ton von Christoph Noth.
Tommy: Wir haben das im Vorfeld auch bereits geübt. Wir konnten
da schon ein paar Tage vorher in den Konzertsaal rein, und hatten
dementsprechend auch Zeit, alles richtig einzustellen und auszuprobieren.
Wir haben auch die Proben aufgenommen um zu schauen, wie es wirkt.
MF: Speziell an eurer Plattentaufe war, dass ihr auf
vier verschiedenen Bühnen gespielt habt.
Silvan:
Das war extrem geil.
MF: Das sieht auch toll aus.
Tommy: Das war super.
MS: Kommt das rüber im Clip?
Weil, wir haben lange darüber diskutiert, ob die Leute merken, dass das vier
Bühnen sind.
MF: Ich bin da vom Wissen her
vorbelastet, weil ich es bereits wusste. Von daher kann ich das
nicht sagen. Ein wenig verwirrend ist, dass das Publikum im Clip
nicht recht weiss, wohin es schauen sollte.
Tommy:
Das war auch eine super Erfahrung für uns. Wir wollten einfach mal
etwas völlig anderes machen. Unser Artwork ist anders, unsere Banner
sind anders, die Tambouren sind speziell. Am Konzert hatten wir sogar
ein fünftes Mitglied. Der Mann kam aus Lausanne und ist ein
Multiinstrumentalist. Er hat zwischendurch Synthesizer oder Gitarren
gespielt.
MS: Das mit dem leicht überforderten Publikum, das
nicht recht weiss, wohin es schauen sollte, war bei uns bereits bei
der Planung ein Thema. Wir fanden das eine supertolle Idee, wussten
aber, dass das Publikum grandios überfordert sein wird. Wir haben es
dann trotzdem gemacht, weil es eine einmalige Sache war –darum
nahmen wir uns diese Freiheit heraus. Wir rechneten nie damit, dass
das Publikum eine riesige Party haben wird oder es abgehen würde,
weil es eben verwirrt sein wird. Schlussendlich waren wir aber
ziemlich überrascht, denn im Verlauf des Konzerts sagten sich viele
wohl „Ach, scheiss drauf. Ich schaue einfach dorthin, wo
normalerweise die Bühne ist“. Es haben dann alle zu mir geguckt oder
gegen den Backgroundmusiker. Und so kam dann auch Stimmung auf. Es
kommt bald ein zweiter Videoclip davon. Da sieht man, dass es
plötzlich auch abging.
Tommy: Es entwickelten sich gar
Moshpits, aber bei den ersten paar Liedern waren sie wirklich
überfordert. Wir hatten allerdings weniger Leute erwartet. Wir
dachten, dass das eine coole Idee ist, und auch, dass
die Leute dann herum laufen könnten, was auch sehr spannend ist. Da
stehst du also mal hier, dann wieder mal dort. Aber es hatte so viele
Leute, dass sich niemand wirklich fortbewegen konnte.
MF: Ihr habt mir mal erzählt, dass die Bühnen circa zwanzig
Meter voneinander weg standen.
Silvan: Das kann
sein, vielleicht waren es auch nur fünfzehn Meter. Wir hatten fast den ganzen
Fri-Son-Saal. Wir hatten für dreiviertel des Fri-Son-Saals die Wände
aufgestellt, mit welchen man den Raum trennen kann. Das war einmalig
und auch die grosse Videoproduktion kam gut an. Wir dachten uns,
dass man so etwas nur einmal im Leben macht, und dann musst du es auch
auf Video festhalten.
MF: Ich habe den Eindruck, dass
ihr eine Band seid, die immer wieder versucht, eigene Wege zu gehen.
Ist das ein bewusstes Konzept oder ergibt sich das einfach aus der
Zusammensetzung der Bandmitglieder?
Tommy: Es liegt
ein bisschen an Beidem. Wir hören alle sehr verschiedene Musik, und
der grösste Teil von uns hört heute wesentlich weniger Metal als
früher. Aber dadurch, dass wir bereits so lange Metal spielen,
kommen wir nicht davon weg. Du könntest uns den Auftrag geben, einen
Pop-Song zu schreiben und es würde ein Metalsong daraus werden. Das
ist irgendwie intus. Aber momentan hören die beiden Gitarristen
extrem oft Post-Rock, ein anderer wiederum liebt die Stones. Ich höre
irgendwelchen abgefahrenen Devin Townsend. Irgendeinmal hörst du es
so oft, dass diese Einflüsse einfach mehr zur Geltung kommen. Wir
sind auch keine Klischee-Band im Sinne von, dass wir nur Musik in
einem bestimmten Genre machen. Es gibt Bands die sagen sich, dass
sie nur Thrash Metal machen möchten – und dann machen sie nur
Thrash Metal. Da klingt dann jeder Song und jedes Album gleich. Wir
entwickeln uns definitiv gerne selber weiter. Wir merken, dass diese
Entwicklung von innen heraus kommt. Aber wir sind auch sehr froh
darüber, dass es diese gibt, und diese fördern wir dann auch
bewusst. Es gibt beim Songwriting bei fast jedem Lied irgendetwas,
was wir bisher noch nie hatten, also machen wir es. Ob es dann
gut raus kommt, ist eine andere Sache. Uns macht es einfach Spass,
neue Ideen zu entwickeln.
Silvan: Das mit dem „etwas anders
machen“ geschieht bewusst. Wir möchten uns damit auch ein wenig von
der Masse abheben. Ich bin der erste, der es toll fände, 08/15-Thrash
Metal zu spielen, absolut. Ich bin auch ein riesiger Fan von Slayer.
Aber ich sehe das Konzept und den Gedanken dahinter genauso, wie du
es gesagt hast. Diesen Gedanken sehe ich sofort. Ich habe das
Gefühl, dass wenn du als Band ein wenig weiter kommen willst, dann
musst du auch diesen Weg gehen. Ansonsten wirst du irgendwann stehen
bleiben. Dann stagnierst du und kommst ab einem gewissen Punkt nicht
mehr weiter.
MF: Spannend finde ich, dass sich die Entwicklung bei
euch nicht nur musikalisch im Songwriting zeigt, sondern in allem,
was ihr zumindest gegen aussen trägt. Dazu zählt die Plattentaufe,
das Artwork.
Tommy: Das kommt bei uns alles Hand
in Hand zusammen. Das zeigt sich auch in diversen Projekten. Wir
hatten zum Beispiel unsere Bikini-Blues-Sessions. Das war auch eine
solche Aktion. Wir haben schlicht grossen Spass daran, vor allem
auch Freude daran, nicht einfach nur 08/15 zu sein. Das ist
vielleicht unsere Linie. Unser Trend ist, nicht dem Trend zu folgen.
Silvan: Wenn du dir ein Ziel gesetzt hast, nicht einfach nur
etwas 08/15 zu machen, dann kannst du es auf alles übertragen.
Letztendlich sind wir schon fast so weit, aber noch nicht ganz, dass
wir sagen können, dass wir es sowieso anders als alle anderen
machen. Soweit sind wir aber noch nicht ganz. Wir würden jetzt nicht
irgendwie eine Jazzband als Vorband engagieren, aber es geht schon
in diese Richtung.
Tommy: Also, also..., wir hatten gerade vor
ein paar Wochen ein Konzert, an welchem wir ein Saxophon-Quartett
als Vorband hatten.
Silvan: Okay, das stimmt.
Tommy:
So viel zum Thema.
Silvan: Das war aber mehr aus Zufall.
Tommy: Ja, aber das habe ich geil gefunden. Die haben «Scenes From
A Memory» von Dream Theater gespielt.
Silvan: Das war
richtig geil!
Tommy: Aber das wurde uns vorgeschlagen, und
unsere Reaktion war „auf alle Fälle machen wir da mit“. Es ist genau
so etwas, was wir suchen. Ein Metalabend, an welchem drei Metalbands
spielen, ist langweilig, weil viele Bands einfach gleich klingen. Viele
Bands spielen genau gleich, und das ist wirklich langsam langweilig.
Silvan: Kommt dazu, dass wir nichts zu verlieren haben. Ich
meine, uns kennt man noch nicht. Also haben wir auch nichts zu
verlieren. Im schlimmsten Fall kommen wir nicht weiter.
MF: Wie sieht das bei den CD-Kritiken aus, welche ihr
jetzt zum neuen Album erhalten habt? Wird dieser innovative Ansatz
verstanden oder sind die Kritiker überfordert?
Tommy: (überlegt) Die Kritiken waren bisher mehrheitlich ziemlich
gut, was uns selber überrascht hat. Bei den meisten Kritiken hiess
es aber, dass man sich diese CD wirklich ein paar Mal anhören sollte. Am
Anfang flashte es viele Leute noch nicht und anschliessend kamen sie
erst rein. Und wir hören auch vom Publikum Leute, welche wir nicht
kennen, welche uns dann mitteilen, dass man unsere Musik einfach
mehrmals hören muss, bis sie einfährt. Wenn sie es dann ein paar Mal
gehört haben, verstehen sie auch ein wenig die Ideen, welche wir
vermitteln möchten.
Silvan: Das stimmt schon. Man hört aber
auch in fast jeder CD-Kritik die Vergleiche. Es klingt wie Nevermore
oder andere. Die Vergleiche sind dann trotzdem drin. Inwiefern diese
Kritiker unser Album als etwas Spezielles auffassen, weiss ich
nicht. Was ich aber ebenfalls oft gelesen habe, ist‘ dass man uns
schlecht schubladisieren kann. Ich habe noch nie eine CD-Kritik von
Battalion gelesen. Aber da würde wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit
drin stehen, dass es Thrash Metal oder Old School Thrash Metal ist,
und so ist es.
Tommy: Die meisten schreiben, dass sie uns
nicht mal beschreiben können. Es hat ein wenig von dem, und ein
wenig von etwas anderem, und das ist für uns ein Kompliment. Ob es
dann den Leuten gefällt oder nicht, voilà! Aber für uns ist es ein
Kompliment. Das gibt uns das Gefühl, doch etwas erreicht zu haben.
MF: Bei einem früheren Gespräch konntet ihr mir noch
nicht sagen, wie ihr eure Musik selber bezeichnet. Habt ihr
mittlerweile eine Antwort darauf?
Tommy: Nein!
Aber das müsste im Bereich von Post-Thrash sein.
Silvan:
Mittlerweile wird Prog-Thrash geschrieben.
MF: Das trifft es schon ein wenig.
Tommy: Ja, wobei es immer weniger Thrash-Elemente drin
hat, sondern mehr dieses Proggige. Aber nicht prog in einem
technischen Sinne, sondern einfach vom Arrangement her. Wir spielen
keine unmöglichen Riffs und Leads. Aber wir wagen einfach vom
Arrangement her mehr als eine normale Thrash Metal Band.
MF: Kommen wir noch zum neuen Album. Das besitzt
nicht nur ein spezielles Art-Work, sondern auch ein textliches
Konzept. Um was geht es dabei?
Tommy: Es geht um
ein Individuum, welches verschiedene Phasen durchlebt. Das
Individuum hat bei den ersten Liedern das Gefühl, dass es sich
selber ist oder dass es eine eigene Persönlichkeit ist. Also dass es
sein eigener Chef ist und dass es das denken kann, was es will und
das machen kann, was es will. Mit der Zeit, also je nach Lied oder
je nach Phase, merkt diese Person, dass sie mehr das Produkt ihres
Umfeldes ist. Das sind wir ja schlussendlich alle. Die Medien sagen
uns, was wir denken sollen. Und klar können wir sagen: „Nein, ich
bin klar gegen diese Partei.“ Aber schlussendlich sind es immer die
Medien, die ständig davon berichten und uns beeinflussen, auch die
Musik und alles oder deine Kollegen. Das Individuum merkt mit der
Zeit, dass es eigentlich nur das macht, was sein Umfeld ihm befiehlt.
Silvan: Also, dass es nur ein Fragment der Gesellschaft ist.
Es ist einfach nur ein Zahnrädchen dieser ganzen Maschinerie
Tommy: Das Album begleitet dieses Individuum durch diese Phasen.
Am Anfang ist es zufrieden. Es hat das Gefühl, dass es sich selber
ist. Danach kommt diese Trotzreaktion im Stile von „Fickt euch! Ihr
könnt mir nichts sagen! Ich mache das, was ich will!“ Anschliessend
kommt die erste Phase des Verständnisses mit der Einsicht, dass es halt
so ist wie es ist und dass das Individuum es halt so macht, wie es
ihm gesagt wird. Und ganz am Schluss kommt das Lied, welches wir
jetzt auch als Video veröffentlicht haben. Hier entwickelt das
Individuum ein tiefes Einverständnis, in dem es denkt: „Doch, so ist
es! Und so muss es sein! Und ich gebe mich voll und ganz dieser
Sache hin!“
Silvan: Es ist vielleicht zum Schluss nicht
wirklich eine Einsicht, sondern mehr „ein sich einfach damit
Abfinden“. Unser Konzept ist an sich ja wirklich nichts Neues.
Bereits seit Jahrhunderten schreiben Dichter, Poeten und andere
Autoren über solche Dinge. Aber durch das, dass es nichts Neues
ist, kann man von diesen Leuten auch Gedanken aufgreifen. Unser
Gitarrist Thomas Jenny hat das Konzept entwickelt. Er hat
Germanistik studiert und sich auch den Gedanken früherer Autoren und
Dichter bedient, welche teilweise bereits seit Jahrhunderten tot
sind. Beim Lied „Keep To The Script“ haben wir auch Passagen von
Friedrich Dürrenmatt aus dem Jahr 1990 drin. Wo am Schluss, etwa
eineinhalb Minuten lang auf Deutsch, eine von ihm selber gelesene und
aufgenommene Passage vorgelesen wird. Es ist einfach eine weitere
Umsetzung von Gedanken, welche die Menschheit seit Jahrhunderten
oder gar Jahrtausenden beschäftigen.
MF: Das Konzept erinnert mich an Prog-Rock-Bands.
Also in dem Sinne, dass ihr wirklich ein Konzept durchzieht.
Silvan: Das stimmt bis zu einem gewissen Grad. Was man sicher auch
betonen muss, ist, dass wir natürlich kein Musical machen. Das haben
wir bisher immer geantwortet, wenn diese Frage kam. Und diese ist
jetzt schon ein paarmal gestellt worden. Wir machen also kein
Musical. Dieses Konzept bezieht sich hauptsächlich auf die Texte. Es
gibt einmal das Textkonzept, genau so wie wir es ansatzweise auch
bereits beim ersten Album hatten. Diesmal ist das ein bisschen
stärker. Was wir uns aber immer gesagt haben, beziehungsweise ich
immer darauf gepocht hatte, ist, dass wir die Musik, also das
Instrumentale, nicht zu fest durch das Konzept beeinflussen lassen.
Also zum Beispiel beim Stadium der Einsicht kommen bei uns keine
melancholische Lieder. Das wäre für mich persönlich dann zu weit
gegangen. Und das haben wir uns dann auch als Band gesagt, dass wir
nicht stimmungsabhängig dann plötzlich traurige Sachen spielen
möchten – also etwas, was dann auch nicht unserem eigenen Stil
entspricht. Für mich ist das ultimative Konzeptalbum Dream Theater's
«Scenes From A Memory». Sie haben auf diesem Album ihre erzählte
Geschichte auch musikalisch extrem geil umgesetzt, und da gibt es
von rockig zu melancholisch und depressiv wirklich alles. Das
finde ich extrem geil. Aber das wäre nicht unser Ding. Trotz allem
muss bei uns der Rock’n’roll bleiben. Du musst trotzdem zur Musik
noch abgehen können und dich da nicht zu fest einschränken.
Vielleicht hebt uns das ebenfalls noch ein wenig von anderen
Prog-Bands ab.
Tommy: Es ist eine tolle Herausforderung, wenn
du weisst, dass du ein Konzept umsetzt. Sei es sowohl textlich wie
auch musikalisch.
MF: Schlussendlich wird es ja sowieso
zusammenpassen.
Silvan: Ja, man kann es dann auch
zusammenbiegen, dass es passt. Wir haben auch dementsprechend die
Songreihenfolge gewählt, dass es passt. Und haben die Texte
dementsprechend angepasst, dass es wirklich noch zum Konzept und
der Groove der Lieder zu den verschiedenen Stadien des
Konzepts passt. Diese Überlegung war schon dahinter.
Tommy:
Kommst du jetzt bei unserem Konzept draus oder haben wir dich
verwirrt?
MF: Nein, für mich ist es stimmig.
Tommy: Das ist gut.
MF: Die Frage ist immer, wie stark will man sich
musikalisch den Texten unterordnen. Themenwechsel: Ihr habt das neue
Album nicht als CD veröffentlicht, sondern als LP und Download. Auch
in diesem Bereich geht ihr eigene Wege.
Tommy: Das
liegt daran, dass wir alle sehr gerne Platten haben. Und wir wollten
schon lange mal eine Platte machen.
Silvan: Das haben wir
bereits beim ersten Album diskutiert.
Tommy: Genau. Sprich,
das genoss bei uns schon immer Priorität, bevor wir überhaupt die
Lieder zusammen hatten. Um ehrlich zu sein, war unser Vorgehen
schliesslich auch eine finanzielle Frage.
Silvan: Ja, daran
lag es schliesslich.
Tommy: Ja, das war es. Die Kosten tragen
wir alle selbst. Und jede Band, die mal in einem anständigen Studio
ihre Lieder aufgenommen hat, weiss, dass eine ganze Produktion schnell
mal zwischen 20‘000 und 25‘000 Franken kostet. Hätten wir jetzt
Platten und CDs gemacht, wäre das gleich nochmals ein paar tausend
Franken teurer geworden. Darum haben wir uns gedacht, dass wir
besser den LPs einen Download-Code beilegen. Weil die meisten Leute,
welche CDs kaufen- schön, kaufen sie CDs – aber sie kaufen CDs,
schauen das Booklet vielleicht einmal an und stellen sie ins Regal
und rippen die CD auf mp3. Also brauchen sie die CD eigentlich gar
nicht. Und wenn wir schon so viel Geld für das Artwork ausgeben,
wollen wir dem huldigen, in Ehren halten und das wirklich schön
zeigen. Dann können sie es anschauen. Es ist ein schönes grosses
Bild. Sie schauen es wahrscheinlich ein wenig öfters an, als wenn es
nur eine CD wäre. Aber sie können es trotzdem noch für den
mp3-Player runterladen.
Silvan: Auf den Platten kommt einfach
das Artwork am besten zur Geltung. Das ist einfach das CD-Format in
vierfacher Grösse. Es ist fast ein Poster, welches du an die Wand
hängen kannst.
MF: Man kann eure beiden Alben als Gratis-Downloads
legal runterladen. Wieso habt ihr diesen Schritt gewählt?
Silvan: Wir haben lange darüber diskutiert.
Tommy: Ja, das
ist so. Es gibt den Spruch: „Was nichts kostet, ist nichts wert.“
Und das stimmt auch meistens. Das haben wir auch vermehrt von Leuten
gehört, welche uns kritisiert und gesagt haben: „Macht das nicht!“
Im Grossen gesehen schadet unser Vorgehen der Industrie. Wenn wir
das tun, muss es die nächste Band ebenfalls tun, weil sie sonst
nichts verkaufen. Die Sache ist halt einfach, dass wir dadurch sehr
viel öfters gehört wurden, als wenn wir die Alben nicht gratis
anbieten würden. Und wir haben die IP-Adressen der Downloads
gesehen. Da sind Leute aus Südamerika, Russland, der Ukraine und
z.B. von Nordamerika, welche uns runter geladen haben. Wir haben
sogar CDs nach Amerika geschickt. Dies, weil sie es runtergeladen
hatten, es cool gefunden und dann bei uns die CD bestellt haben. Das
war der Grund für die Gratisdownloads. Unser aktuelles Album bieten
wir nicht direkt gratis an. Aber wir haben es auf bandcamp.com. Auf
Bandcamp kannst du sagen, dass du z.B. zwei Franken für ein ganzes
Album gibst. Und dann erhältst du das Album für zwei Franken. Du
kannst aber auch sagen, dass du null Franken dafür gibst.
Silvan: Und dann hast du es trotzdem gratis.
Tommy: Ja, du
erhältst es auch für null Franken. Also indirekt ist es immer noch
gratis.
Silvan: Man kann lange darüber streiten. Es gibt
Argumente dafür und Argumente dagegen. Es hält sich aber
schlussendlich die Waage. Wir haben gerade beim neuen Album darüber
diskutiert und waren nicht einer Meinung, was das anbelangt. Aber
schlussendlich sagten wir uns, dass wir diese Linie weiterfahren
möchten, und bringen es ebenfalls gratis, respektive über
bandcamp.com raus.
MF: Ihr habt euch also
irgendeinmal für einen Weg entschieden, als es ewig tot zu
diskutieren.
Tommy: Ja. Ich glaube wir haben
schliesslich demokratisch abgestimmt.
Silvan: Es muss
schlussendlich ein demokratischer Entscheid sein. Man kann
eigentlich alles vertreten. Am Schluss hatten wir darüber diskutiert
und uns entschieden.
Tommy: Wir wussten auch von Anfang her,
dass es nur schon eine Furzidee war, das Album nur auf Platte
rauszubringen, selbst wenn es noch einen Downloadcode zu jeder
Platte gibt. Wir verkaufen davon jetzt wesentlich weniger Platten
als CDs.
MF: Von den Platten?
Tommy: Ja. Und
das wussten wir auch im Vorfeld. Aber – Wir verdienen damit sowieso
kein Geld. Wir sind froh, wenn uns Leute runterladen, hören, uns
cool finden und dann vielleicht noch ein T-Shirt kaufen oder später
mal an ein Konzert kommen. Wir verdienen eher Geld so, als mit den
CDs oder LPs, und das ist cool.
Silvan: Die Downloads laufen
gut, das muss man dazu ergänzen.
Tommy: Ja, die laufen gut.
Silvan: Das erste Album ist bisher über 1‘000 Mal runter geladen
worden und das nur schon direkt auf unserem Server. Und dann hatten
wir es noch auf anderen Plattformen. Gerade wenn man es mit den CD-
und Plattenverkäufen vergleicht, laufen die Downloads sehr gut.
MF: Mit bandcamp.com funktioniert es also, dass euch
Leute für die Alben Geld geben?
Tommy: Das
funktioniert. Ich wüsste die Zahlen gerade nicht, aber das
funktioniert.
Silvan: Die Leute sind sehr grosszügig. Das
haben wir auch gemerkt, als wir das Artwork via wemakeit.com
finanziert haben. Ich weiss nicht, ob du davon gehört hast?
MF: Ich weiss, dass ihr damit Geld gesammelt habt.
Silvan: Genau. Und da haben wir gemerkt, wie grosszügig die Leute
offensichtlich sind. Wir hatten da ebenfalls ewig diskutiert und
waren nicht gleicher Meinung, ob wir das machen sollten oder nicht.
Einerseits ist es okay, aber anderseits kriegst du gar nichts, wenn
du das gesteckte Ziel nicht erreichst und es ist für dich nur
peinlich. Wir haben unsere Grenze bei CHF 4'000.- gesteckt. Wir
haben uns dann auch gedacht, dass CHF 4'000.- extrem viel Geld ist.
Wer gibt uns dieses Geld schon? Schlussendlich haben wir in diesen
30 oder 40 Tagen ca. CHF 5'500.- erhalten. Da waren wir alle extrem
überrascht, und sogar die Befürworter dieses Projektes hätten diesen
Erfolg nicht erwartet. Das war genial. Es ist eine super Methode,
das einmal auszuprobieren. Ich weiss nicht, ob das auch ein zweites
Mal funktionieren würde.
Tommy: Durch das Crowdfunding haben die Leute das Album quasi im
Voraus bezahlt. Bei den tieferen Spenden haben sie teilweise auch
weniger bezahlt, als schlussendlich an den Konzerten. Aber wir
brauchten die Kohle zur Zeit des Crowdfunding. Jetzt ist die Platte
gemacht, die Taufe ist vorbei, der Video-Clip ist aufgenommen. Jetzt
brauchen wir nicht mehr unbedingt so viel Geld. Aber damals hatten
wir dieses Geld gebraucht.
MF: Du musst also sehr
viel Geld vorschiessen, ohne dass du weisst, ob du das jemals wieder
rein holst?
Silvan: Ja schon. Aber wir rechnen
damit, dass wir dieses Geld nie mehr sehen werden. Ganz klar.
Tommy: Und irgendeinmal muss man sich auch folgendes sagen: „Wir
haben alle kein Auto, wir wohnen in WGs, wir sind mit ÖV unterwegs,
wir leben von Budget-Essen - Dafür haben wir geile CDS oder coole
Platten!“ Wir sind jedenfalls selber zufrieden, sogar sehr
zufrieden.
MF: Wie geht es bei euch weiter?
Silvan: Am 28. November ist die Plattentaufe von Hellvetica. Es
spielen da noch Exit und wir im Flösserplatz Aarau. Am 19. Dezember
spielen wir in der Metbar in Lenzburg. Am 17. Januar spielen wir in
Martigny. Es sind andere Konzerte noch in der Pipeline, welche
bereits fix, aber noch nicht öffentlich sind.
Tommy: Es
werden immer wieder Konzerte gebucht. Wir hoffen, dass es mit dem
Videoclip noch ein paar mehr geben wird. Uns wurde gesagt, dass
dieser Clip promotechnisch sehr wichtig ist. Darum sind wir jetzt
äusserst gespannt darauf.
Silvan: Das nächste Projekt ist bereits geplant. Es steckt zwar im
Moment noch ganz in Kinderschuhen, aber das nächste Projekt
ist definitiv in Planung. Wir haben auch bereits Gelder dafür
beantragt und es entstehen die Konzepte dazu. Da lassen wir uns
einmal überraschen. Ich habe mir das heute nochmals überlegt und
finde unser Vorgehen der letzten Jahre ziemlich cool. Wir hatten
zweieinhalb Jahre für die erste CD gearbeitet. Nach diesem Album
war die Einstellung: „Wow, jetzt habe ich erstmals die Schnauze voll
von dem Ganzen!“ Also haben wir ein Nebenprojekt auf die Beine
gestellt. Das war die Bikini-Blues-Session. Für diese waren wir eine
Woche lang in einem Konzertsaal und haben dort Lieder geschrieben
und diese aufgenommen. Das war extrem geil. Das nächste Projekt war
das neue Album. Von mir aus kann es genau so weiter gehen. Das
nächste Projekt ist wieder etwas Spezielles, und danach sollte dann
wieder ein neues Album kommen. Also so um 201? was weiss ich was.
MF: Ihr haltet euch also immer gegenseitig frisch, in dem ihre
neue Projekte umsetzt?
Silvan: Klar, das musst du
auch. Es ist genau so, wie unser Manager, der Chrigu, immer sagt: „Man
muss Aktualität generieren. Wenn du mal ein halbes Jahr nicht mehr
auf dem Schirm bist, dann wird es je nachdem bereits wieder
schwierig.“ Also wenn du mal Aktualität generiert hast und als Band
nicht mehr bei null anfangen willst, dann muss du immer etwas bieten
können. Und mit den Projekten sind wir da auf dem richtigen Weg.
Tommy: Und es macht auch Spass. Du bist immer gefordert. Wenn du
jetzt nicht gerade am Schreiben eines Konzept-Albums bist, hast du
trotzdem ein Projekt, welches du am Umsetzen bist. Weil das Problem
merken wir jetzt ein bisschen. Konzerte spielst du super und es macht
auch riesigen Spass. Aber für Konzerte zu proben, macht mit der Zeit
weniger Spass. Weil am Schluss läuft es darauf hinaus, dass du deine
Sets durchspielst. Aber du hast dann trotzdem zu wenig Energie, um
neue Lieder zu schreiben.
Silvan: Vor allem findest du auch zu
wenig Zeit dafür.
Tommy: Und dann hast du mal eine Phase, wo
du mal keine Konzerte hast, sondern nur Songwriting. Aber das ist
dann auch langweilig, weil du ja dann keine Konzerte spielst. Das
ist ein wenig scheisse. Und darum setzten wir gerne Projekte um, damit
dieses Manko überbrückt werden kann. So macht auch alles andere
Spass, wie auch neue Konzerte zu spielen, Projekte
umzusetzen oder Lieder zu schreiben.
Silvan: Das bringt ein
wenig Abwechslung.
MF: Dann wünsche ich euch bei euren Projekten viel
Ausdauer und Spass.
Silvan: Vielen Dank dafür.
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