Bohemian Rhapsody von
Mama.
Die englischen Tokyo Blade gehörten zu Beginn der
achtziger Jahre zu den herausragendsten Truppen der «New
Wave Of British Heavy Metal». Leider stand der Fünfer
immer im Schatten der grossen Vier (Judas Priest, Saxon,
Def Leppard, Iron Maiden) und dank schlechten
Businesskonstellationen schmiss Bandleader Andy Boulton
sogar das Handtuch. Das Lebenswerk von Tokyo Blade ist
betreffend dem Verlauf garantiert keine Ausnahme. Als
Hoffnungsträger des Metals kam der schnelle Fall, der
sich heute darin zeigt, dass die Band noch immer am
Musizieren ist und mit dem neusten Streich «Dark
Revolution» beweist, dass sie noch immer zu den Besten
ihres Faches zählt. Auch wenn dies leider nur von ein
paar wenigen Fans quittiert wird. Aber Andy Boulton (g),
Alan Marsh (v), John Wiggins (g), Andy Wrighton (b) und
Steve Pierce (d) beweisen Grösse und spielten genau für
diese Anhänger ein Album ein, das an die guten alten
Zeiten erinnert und die TB-Fans garantiert nicht
enttäuschen wird.
Andy Boulton entpuppte sich
beim Gespräch als lockerer, sehr sympathischer und
äusserst auskunftsfreudiger Interviewpartner. Einer, der
nicht mit der Vergangenheit hadert, sondern mit dem Hier
und Jetzt und sich selber sehr glücklich ist.
MF:
Andy, Gratulation zum neuen Album, wer hat die Songs
geschrieben?
Andy: Oh, danke! Das waren
Alan und ich. Wie es schon bei den ersten beiden Alben
von uns der Fall war. Bei «Unbroken» haben auch wir die
Tracks komponiert. Ich glaube mit «Dark Revolution» sind
wir ein bisschen aggressiver geworden. Das hat sich aber
schon bei den letzten Veröffentlichungen abgezeichnet,
dass wir die Härtegrade hochgeschraubt haben.
MF: Wenn du zurückschaust, war es für
dich früher einfacher Lieder zu schreiben als heute?
Andy (überlegt kurz und antwortet dann
lachend): NEIN! Früher war das um einiges schwieriger.
Alan und ich haben alle Ideen auf einen alten
Kassettenrekorder aufgenommen (lacht). Mein Gott war das
Teil in einem schlechten Zustand. Wenn mich Alan dann
auf einen aufgenommenen Part ansprach. "Erinnerst du
dich an das?", war meine lapidare Antwort: "Nein"
(lacht). Damals war es eine grössere Herausforderung,
als heute (lacht). Heute habe ich mein eigenes Studio
bei mir zu Hause, das vereinfacht einiges. Auch die
Technologien heute erleichtern vieles. Weisst du, heute
kann doch jeder mit dem einfachsten Equipment ein
eigenes "Home-Studio" haben. Das hat das ganze
Produzieren für viele Leute verändert. Ein grosses
Studio mit einem bekannten und erfahrenen Produzenten
können sich die meisten Musiker heute nicht mehr
leisten, weil ihr Budget dermassen klein ist. Oder das
Label unterstützt dich nicht finanziell. Wir haben das
Glück, dass wir alles in meinem Studio aufnehmen und
produzieren können. Weisst du, unsere
Fans, die Sammler wollen noch immer eine CD oder Vinyl
kaufen. Manche kaufen sogar beides, damit ihre Sammlung
komplett ist. Aber du hast recht, die Plattenverkäufe
sind weit, weit davon entfernt, wo sie mal lagen. Die
Motivation für die echten Musiker… Es ist eine
genetische Sache. Ale echter Musiker willst du deine
Kreativität ausleben. Wir wissen selber, dass wir nicht
mehr die Anzahl an Tonträgern verkaufen, um damit reich
zu werden oder unseren Lebensunter-halt zu verdienen.
Wir wollten immer mit der Musik reich werden, haben aber
nie Geld verdient (lacht). Von den ersten beiden
Scheiben haben wir einiges verkauft, sahen dafür aber
nie Moneten. "That's the way it is!" Du hast immer die
Möglichkeit alles hinzuschmeissen oder deiner
Leidenschaft zu folgen. Ich hatte eine grossartige Zeit,
als ich jung war. Wir erlebten tolle Konzerte und durften
auf grossartigen Festivals spielen. Auf der ganzen Welt!
Das hat vieles aufgewertet.
MF: Das neue Album heisst «Dark
Revolution», ist die Musik noch immer eine Revolution
für dich?
Andy: Das ist eine schwierige
Frage. Schaue ich zurück zu unseren Anfangstagen, so
hatten wir nie einen Masterplan. Wir machten uns keine
Gedanken, ob die Musik heavy genug ist oder nicht. Ich
habe die Songs geliebt. Dabei habe ich mich immer mit
Alan ausgetauscht und fragte ihn, was meinst du zu diesem
Vers oder diesem Chorus? Passt die Gitarrenharmonie
hier? Wir haben Teile gelassen, andere ausgetauscht.
Noch heute haben wir eine Grundidee im Kopf. «Warrior Of
The Rising Sun», das auf unserem zweiten Album «Night Of
The Blade» ist, war eine Art Nachfolger von «If Heaven
Is Hell», von unserem Debütalbum. Es war nicht so
geplant, auch heute nicht und fast vierzig Jahre später. Ich
hoffe, wir haben uns in dieser Zeit als Musiker
weiterentwickelt (grinst). Klar geht heute vieles
einfacher, speziell mit einem eigenen Studio. Nichts ist
jemals geplant, sondern ergibt sich beim Songschreiben.
Für «Dark Revolution» haben wir sechzehn Tracks aufgenommen.
Schlussendlich sind elf auf das neue Werk gekommen. Mit
diesen Titeln versuchten wir das Album interessant zu
gestalten.
MF: Verspürst du noch Druck mit Tokyo
Blade, ist die Band ein grösseres Hobby geworden oder
kannst du damit Geld verdienen?
Andy:
Ein kontrolliertes Hobby (lacht). Wir alle haben
nebenbei noch einen Fulltime-Job. Wir würden nicht
genügend Geld verdienen mit der Band, um unser Leben zu
finanzieren oder unsere Rechnungen zu zahlen. Dabei
investieren wir aber so viel Zeit für die Band, wie es
möglich ist. Es macht noch immer Spass neue Lieder zu
komponieren und zu veröffentlichen, wie auch auf der
Bühne zu stehen. Wir können die Fans bitten: "Please,
please buy the album" (lacht). Vielleicht würde sich so
die eine oder andere Scheibe zusätzlich verkaufen
lassen (lacht). Der finanzielle Aspekt war nie die
Antriebsfeder für die Musik. Viele haben mit der Musik
sehr viel Geld verdient, konnten sich Häuser kaufen und
teure Autos zulegen. Es mag aber auch daran liegen, dass
wir von einer anderen Ära kommen. Ich bin in einer armen
Familie gross geworden. Meine Eltern waren nicht reich,
aber sie lernten uns was gut und was schlecht ist. Das
war ein grosser Bonus für mich. Denn ich wusste immer
was es bedeutet sich was zu kaufen und welcher Aufwand,
welche Arbeit damit verbunden ist. Ich erlebte einen
anderen Luxus, da meine Mutter eine fantastische
Klavierspielerin war.
Sie war die unglaublichste
Musikerin, die ich jemals traf. Sie war gesegnet und
konnte ein Lied hören, setzte sich ans Piano und spielte
es fehlerfrei nach (mit grossen Respekt in der Stimme).
Das hat mich echt umgehauen! Mein Gott (stolzes Lachen),
sie war unglaublich! Was geht da ab? Es war ein Segen!
Eine Geschichte werde ich mein Leben lang nicht
vergessen. Sofern es die Leute interessiert, sie zu
hören (grinst)? Meine Mutter war ein grosser Fan von
Operetten. Ich erinnere mich, da war ich noch sehr jung
(grinst), so sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ich schaute Queen im TV
mit «Bohemian Rhapsody». Ich erinnere mich, wie Freddie am
Piano sass und war völlig fasziniert, wie die Jungs die
klassische Musik mit dem Rock verschmelzen liessen. Als
der Song fertig war… Meine Mutter sass in ihrem Sessel
in der Ecke, wie immer (lacht). "Das nenne ich Piano
spielen, das ist grossartig!", sagte ich zu meiner
Mutter, die aufstand, sich ans Klavier setzte und die
Nummer fehlerfrei spielte, nachdem sie «Bohemian
Rhapsody» zum ersten Mal hörte! Ich war völlig sprachlos
(lacht). Ich würde niemals behaupten, dass mein Gehör
perfekt ist. Ich denke, es ist sehr gut ausgebildet.
Etwas, das mir als Gitarrenlehrer zugute kommt. Ich
kann etwas Neues hören und es nachspielen. Viele Leute
fragen mich immer: "Wie zum Geier machst du das?"
(lacht). Ich habe keine Ahnung, aber das habe ich auch
immer meine Mam gefragt (lacht). Ich bin nicht perfekt,
aber sie hatte das perfekte Gehör. Was immer es ist, sie
hat mir etwas gegeben, das mit heute hilft meine Arbeit
zu verrichten. Habe ich um zwei Uhr morgens eine Idee,
muss ich diese gleich aufnehmen, sonst habe ich wieder
alles vergessen (lacht). Geld war nie meine
Antriebsfeder, aber die Musik!
MF: Bist du oder warst du frustriert, dass
du nie den gleichen Erfolg wie Judas Priest,
Saxon, Def Leppard oder Iron Maiden hattest?
Andy (überlegt): Ja und nein (lacht). Das ist wieder
eine schwierige Frage… Wie hätte sich dann mein Leben
verändert mit einem solchen Erfolg? Ich weiss nicht, was
passiert wäre. Hätten wir das Geld gehabt, wären wir in
die Drogen abgestürzt? Mann, das ist eine gute Frage…
Ja, klar… Auch ich hätte mir gerne mit dem Geld eine
Villa gekauft und mich finanziell absichern wollen, dies
mit Musikspielen. Das war immer meine Leidenschaft. Aber
es gibt viele Leute, die zu mir in den
Gitarrenunterricht kommen und sagen: "Wie machst du das
bloss. Du bist immer so richtig glücklich mit deinem
Leben. Du musst geniessen, was du machst!" Klar geniesse
ich, was ich mache, denn es ist ein kreativer Prozess.
Wenn ich den Leuten zeigen kann, wie man diesen
verdammten Song «Smells Like Teen Spirit» spielt und ich
die Leute glücklich mache (lacht), dann ist dies doch
wunderbar! Das andere Problem ist, wenn du dies machst,
musst du es machen, weil es dein Job ist und du sonst
nichts anders machen kannst. Es gab da einen Punkt in
meinem Leben mit Tokyo Blade. Das muss 1986 oder 1987
gewesen sein. Ich verkaufte alle meine Gitarren und was
mit Musik zu tun hatte. Ich war dermassen angepisst vom
Musikbusiness, dass ich niemals mehr etwas damit zu tun
haben wollte. Ich wollte nie mehr eine Gitarre in die
Hand nehmen und sicher nicht mehr Songs schreiben. Es
waren die schlimmsten sechs Monate in meinem Leben
(lautes Lachen). Das ist schwierig zu erklären, für
jemanden, der keine Musik macht. Da ist "Etwas" in dir,
das man nicht beschreiben kann. Um auf deine Frage
zurück zu kommen (grinst), klar wären wir gerne
erfolgreicher gewesen, aber heute sind wir stolz darauf,
dass Tokyo Blade noch immer existieren. Ganz ehrlich… Ich
bin nicht gerne zu lange auf Tour. Ich liebe mein
Zuhause und wenn ich dort meiner Kreativität freien Lauf
lassen kann. Auf Tour weisst du oftmals nicht, welcher
Tag und welche Uhrzeit ist. Das macht mich verrückt und
ist doch völlig seltsam.
MF: Ganz ehrlich! Du hast doch immer die
Härte von Judas Priest mit den Songstrukturen von Iron
Maiden, den Melodien von Def Leppard und der Rohheit von
Saxon gemischt. Besser gehts nicht!?
Andy (lachend): Es sollte doch so sein! Wir alle,
Maiden, Tokyo Blade, Saxon oder UFO, sind mit den
gleichen Bands aufgewachsen und sind von ihnen
beeinflusst worden. Mein grösster Einfluss waren Thin
Lizzy. Dieses Twin-Guitar-Ding hat mich förmlich
umgehauen. John und Andy waren sehr von Accept und Judas
Priest angetan. Alle waren doch von irgendwem angefixt.
Dabei hat jede Truppe versucht ihren eigenen Sound und
die eigene Identität zu kreieren, um damit zu überleben.
Wir haben aber nie ein Lied gehört und gesagt: "Das
klingt gut, lass uns auch so was schreiben!" Tokyo Blade
haben den eigenen Sound. Alan und ich haben immer
versucht neue Elemente einzufügen, aber es sollte sich
immer nach Tokyo Blade anhören. Es gibt einen Song auf
«Unbroken», der sehr kommerziell ist. Alan und ich waren
uns nicht sicher, ob er zu uns passen würde. Aber wir
wollten mal was anderes ausprobieren, und weil wir ihn
mochten, haben wir ihn aufs Album gepackt.
Wohlwissentlich, dass er anders klingt als die anderen
Tracks. Manchmal muss man solche Dinge ausprobieren, um
nicht stehen zu bleiben. Oft führen auch aktuelle
Umstände dazu, etwas zu komponieren. Sind Alan und ich
angepisst, dann kommen Songs wie auf «Dark Revolution»
zu Stande (lachend). Es gibt vieles auf der Welt, das
uns nachdenklich stimmt, und manchmal fliessen diese
Gedanken in unsere Lieder ein. So eine Art Reflektion
dessen, was uns bewegt und worüber wir uns den Kopf
zerbrechen (grinsend).
MF: War Japan ein grosser Einfluss für
euch? Ihr habt Tracks wie «Sunrise In Tokyo», einen
Samurai auf dem zweiten Albumcover und im Bandnamen ist
die Hauptstadt von Japan.
Andy (lachend): Das war alles ein grosser Unfall. Nicht
die Lieder, die sind klasse, aber wie es dazu kam. Es
war unglaublich schwierig, dass wir uns auf einen
Bandnamen einigen konnten. Alan kam von der Truppe
Genghis Khan. Ich wollte die Truppe Tokyo nennen. Alan
wollte aber einen Namen mit zwei Wörtern. Wie Black
Sabbath oder Led Zeppelin. Wir überlegten und ich
brachte "Blade Runner" ins Spiel. Aber da ein
gleichnamiger Film existierte, dachten wir, dass dies zu
konfus sei und zu Verwirrungen führen könnte. Wir hatten
einzelne Wörter auf dem Tisch liegen und schoben diese
hin und her. Irgendwann sagte ich "Hmmm... Tokyo Blade!".
Alle schauten auf, sahen mich an und meinten: "Das ist
ein verdammt geiler Bandname". Damals schossen die Bands
wie Pilze aus dem Boden und da es keine andere Truppe
mit diesem Namen gab, nannten wir uns Tokyo Blade. Da
wir Titel wie «Sunrise In Tokyo» hatten, passte dies
bestens zusammen. Lustigerweise zog unser damaliger
Bassist sich immer ein Bandana an und sah somit wie ein
Samuraikrieger aus (lacht). Wir werden immer wieder
gefragt, ob wir nicht planen wieder zu diesen
japanischen Dingen zurück zu kehren? Auf «Unbroken» gingen
wir diesen Weg mit «The Last Samurai». Auf «Dark
Revolution» hat es sich aber nicht ergeben. Es gibt
immer wieder viele sehr komische Interviews (lachend).
Da werde ich gefragt, wieso wir den Bandnamen nicht
ändern, wenn all diese japanischen Dinge nicht mehr
genutzt werden (lacht). Vielleicht werden wir beim
nächsten Werk wieder vermehrt auf die Japaner setzen.
MF: Was war für dich wichtig in der
Vergangenheit, und was ist für dich heute wichtig?
Andy: Gott, was für eine Frage (überlegt)…
Was war für mich früher wichtig? Ich denke… Es war die
Band und die Musik. Die Truppe am Leben zu erhalten und
immer weiter zu machen war ein Kampf. Mit all den
Desasters, den Besetzungswechseln (lacht) und den miesen
Plattenverträgen, die uns zum Verzweifeln brachten.
Heute, sind es die Dinge, welche jedem wichtig sind.
Jeden Tag gesund aufzustehen, zu sehen wie alles am
Körper funktioniert und sich von diesem Scheiss-Virus
fern zu halten (lacht). Andere Dinge beschäftigen mich,
wie das Klima auf der Welt oder das Scheissverhalten
von Trump im Weissen Haus. "Oh Jesus, no please! This
fucking idiot!" (lacht). Ich lebe den Moment und nicht in
der Vergangenheit, da die nicht mehr existiert. Es ist
nur der Moment, der zählt. Ich habe keinen Langzeitplan
für die Zukunft. Die Dinge, die wichtig sind für mich,
sind sicherlich die gleichen, die für alle wichtig sind.
MF: Herzlichen Dank für dieses offene,
ehrliche und tolle Interview. Ich wünsche dir alles Gute
für die Zukunft, und hoffentlich sehe ich dich und Tokyo
Blade bald mal in der Schweiz auf der Bühne!
Andy: "It's an absolute pleasure Martin!" Herzlichen
Dank, dass du dir die Zeit für mich und das Gespräch
genommen hast. Was kann ich sagen? DANKE! Ja, wir würden
uns freuen bald wieder in der Schweiz spielen zu können,
und dann genehmigen wir uns zusammen ein Bier mein
Freund.
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