Heavy Metal-Bands werden nur selten in Romanen zitiert. Umso
erstaunlicher ist es, dass die Frutiger Medusa’s Child sogar in einer
Geschichte mit realem Hintergrund eingeflochten wurden. Das Buch heisst
Julischatten und stammt von der Thüringer Schriftstellerin Antje
Babendererde.
Es ist in diesem Frühling erschienen. Julischatten handelt von einem
jungen deutschen Mädchen, welches wegen Alkoholproblemen von seinen
Eltern zu seiner Tante ins Pine Ridge Indianer-Reservat geschickt wird.
In dieser Gegend ist der Alkohol vermeintlich verboten. Während ihrer
Ankunft lernt das Mädchen nicht nur zwei fesche junge Lakota-Indianer
kennen, sondern erlebt die aktuellen täglichen Probleme der
amerikanischen Ureinwohner hautnah. Die Musik vom aktuellen Medusas
Child Album Damnatio Memoriae helfen ihr dabei nicht nur in Deutschland,
sondern ebenfalls während ihre fünf Wochen in Amerika. Metal Factory hat
sowohl mit der Autorin Antje Babendererde wie auch mit Medusas‘
Child-Sänger Crow über ihre gemeinsame Zusammenarbeit und über die
aktuelle Situation der Indianer gesprochen.
Hier findet ihr die dazu gehörige Radio Sendung (gesendet über Radio
Kanal K und Rockstation) mit dem Interview, einer Vorlesung und Musik
von Saxon, Manowar, Crow’s Fligh und Medusas Child. Am besten hört ihr
aber während dem Interview lesen Medusa's Child’s Vierteiler um „Wounded
Knee“ und „The Old Man Say“ an.
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Interview mit der Autorin Antje Babendererde:
MF: Antje: Wie bist du auf Medusa's Child aufmerksam geworden?
Antje: Ich glaube das war Anfang Januar 2010. Da hat mir ihr Sänger Crow
ins Gästebuch reingeschrieben. Er hatte sich gerade auf seine USA-Reise
vorbereitet und ist dabei auf mich und meine Bücher gestossen. Er hat
mir ein paar so nette Zeilen geschrieben, und auch gleich noch einen
Link zu seinem Songs „Old Man Say“ angehängt. Ich habe mir das dann
angehört und es hat mir richtig gut gefallen. Ich habe ihm zurück
geschrieben und mich bedankt. Dabei hat sich herausgestellt, dass der
Crow aus Bald-Salzungen stammt. Wir sind also beide Thüringer und unser
Herz schlägt für die Ureinwohner Amerikas. Irgendwie haben wir beide
versucht mit unserer Kreativität auf die problematische Situation der
heutigen Indianer aufmerksam zu machen . Und das verbindet.
MF: Gibt es noch andere Hard Rock und Metalmusik, welche Einfluss auf
dieses Buch hatte? Zum Beispiel Blackfire (Indianische Punkband)?
Antje: Die Sache mit der Punkband Blackfire kommt daher, dass die jedes
Jahr in Deutschland auf Tournee gehen. Und die sind dann auch immer hier
bei mir in der Nähe. Ich habe die Bandmitglieder einmal persönlich
kennen gelernt und war derart überrascht wie offen die sind. Es ist
meistens nicht ganz so einfach mit den Indianern. Aber die Jungs sind
klug und sie setzen sich für ihr Volk ein. Sie polarisieren auch nicht
so unter dem Motto „Die Indianer sind bessere Menschen!“ Das machen die
nicht. Denn es geht ja wirklich nur gemeinsam und mit viel Verständnis.
Und das gefällt mir.
MF: Ich höre daraus, dass viele Indianer so oder so sind?
Antje: Naja. Ich habe es mit meinen Büchern auch nicht ganz einfach.
Indianer sind sehr vorsichtig, wenn andere aus anderen Kulturen, oder
Weisse überhaupt, über sie schreiben. Aber die Leute von Blackfire waren
einfach nur total interessiert und haben dann gesagt: „Oh, sie würden es
gerne lesen.“ Sie waren ganz offen und ganz anders als es mir sonst
manchmal begegnet ist.
MF: Welche Rolle spielt für dich die Musik von Medusa’s Child in dieser
Geschichte?
Antje: Da muss ich jetzt etwas ausholen. Crow war ja 2010 im
Indianerland unterwegs und speziell im Pine Rigde-Reservat, in dem auch
Julischatten spielt. Während dieser Zeit hatten wir E-Mail Kontakt. Und
ich habe dann schon gemerkt, dass er manchmal traurig und enttäuscht
war. Er war im März da, und in dieser Zeit ist es dort sehr unwirtlich
und die Menschen sind es dann möglicherweise auch. Ich glaube, er musste
mit einigen Enttäuschungen kämpfen. Ich habe versucht, ihn ein Bisschen
bei der Stange zu halten, um zu verhindern, dass er sich entmutigen liess
von dem was er da sieht und erlebt. Seine Reise hat dann Ausdruck in den
Texten und der Musik von Damnatio Memoriae gefunden. Ich mag die CD
sehr. Als ich dann Julischatten geschrieben habe – das für mich
schwierigstes Jugendbuch über die Lakota-Indianer in Pine Ridge Reservat
– da hat mich die Musik von Medusa's Child begleitet.
MF: Wieso war gerade Julischatten das schwierigste Buch für dich?
Antje: Ich habe ja bereits einige Bücher geschrieben, die im Pine
Ridge-Reservat spielen. Es ist auch das Reservat, in dem ich am
häufigsten und am längsten war. Aber 2010 bin ich zwei Monate dort
gewesen und habe noch sehr viel mehr erfahren. Ich habe einfach noch
tiefer hinein geschaut. Und auf einmal habe auch alles nur noch schwarz
gesehen. Julischatten ist ein Jugendbuch. Für mich ist es wichtig, dass
ich am Ende eines Buches einen positiven Gedanken oder Ausblick mitgeben
kann. Und in dem Moment als ich anfing, das Buch zu schreiben, war ich
mir nicht mehr so sicher, ob ich diesen Schluss überhaupt schreiben
könnte. Ich hatte dadurch auch eine schwere Schreibblockade. Nach
einiger Zeit ging es aber wieder. Es ist ein sehr langes Buch geworden.
MF: Der Roman erzählt ja die heutige Situation, zeigt aber auch, was in
der Vergangenheit passiert ist. Wie schlimm ist es denn heute wirklich?
Antje: Also in Pine Ridge ist es wirklich sehr schlimm. Das kann man in
Julischatten auch lesen. Ich könnte jetzt darüber einen Roman erzählen,
was natürlich nicht geht. Die schlimmsten Probleme kommen im Grunde
durch die Perspektivlosigkeit im Reservat zustande. Alkohol und Drogen
sollen die Leere in den Herzen der Leute füllen. Aber daran zerbrechen
die Familien, Frauen und Kinder sind häuslicher Gewalt ausgesetzt. Das
ist etwas, was es früher überhaupt nicht gegeben hat. Das ist etwas, was
völlig gegen den Ehrenkodex der Lakota-Indianer geht. Etwas vom
schlimmsten in Pine Ridge ist, dass eine immens hohe
Kinderselbstmordrate herrscht. Die Kinder sehen, wie ihre Eltern leben
und glauben einfach nicht daran, dass es noch anders werden könnte. Wenn
man keine Liebe bekommt, kann man auch keine weitergeben. Diese Apathie
hat mich sehr erschreckt. Wenn sich die Lakota nicht aus ihrer
Opferrolle befreien, dann weiss ich auch nicht, wo ihr Weg hinführen
wird. Im Augenblick sieht es so aus, als wäre ihre Zukunft wenig
vielversprechend.
MF: Das heisst, anstelle dass sie den Mut hätten aufzustehen und etwas
zu ändern, zermürben sie in ihrer Opferrolle?
Antje: Ja, das ist immer noch so. Es gibt ein paar, die versuchen, etwas
anderes zu machen. Die werden dann aber wieder vom Rest zurückgezogen.
Sie machen sich gegenseitig das Leben schwer.
MF: Julischatten ist ja nicht dein erster Roman, welcher sich mit der
aktuellen Situation der Indianer befasst. Was fasziniert dich an diesen
Menschen, Orten und Reservaten?
Antje: Ich bin als Kind bereits grosser Indianerfan gewesen. Wir hatten
hier im Osten auch unseren Film Indianer, den Gojko Mitic. Damals sah es
nicht so aus, als ob ich das Indianerland jemals persönlich bereisen
werden könnte. Als ich vor etlichen Jahren dann anfing zu schreiben,
habe ich mich wahrscheinlich aus Deutschlands Enge weggeschrieben.
Wildnis und Abenteuer – das war schon immer meine Welt. Nach der Wende
habe ich mir dann meinen Traum verwirklicht und bin in die USA geflogen.
Da hatte ich aber bereits zwei, drei dicke Romane geschrieben - aber
natürlich erstmals nur für die Schublade. Auf dieser Reise war ich dann
auf der Suche nach den Helden meiner Kindheit und habe sie in ihrer
total Problem beladenen Alltag gefunden. Warum es so schwer für
sämtliche Indianerstämme ist, dem zu entkommen, das ist eigentlich die
grosse Frage, die mich seither antreibt und mich auch immer wieder rüber
fliegen lässt. Auf meinen Reisen habe ich aber auch viel Schönes gesehen
und eine Menge Gutes erlebt. Zum Beispiel die lebendige Spiritualität,
welche die Menschen auffangen kann, wenn sie nur ihre Kraft erkennen und
anerkennen. Oder grossartige Gastfreundschaft und auch den herrlichen
Humor, den sich die Indianer trotz allen Widrigkeiten bewahrt haben.
Interview mit Crow:
MF: Antje Babendererde sagt, dass da durch deine Reise eine gewisse
Verbindung zwischen euch entstanden ist. Siehst du das genau so?
Crow: Das war genauso wie sie es beschrieben hat. Ich war wirklich im
Internet auf der Suche nach neuen Ideen. Ich beschäftige mich
regelmässig mit der Thematik der Indianer und überhaupt mit Urvölker.
Ich bin da über ihre Seite gestolpert und habe gedacht, dass ich mal
einen schönen Link liegen lasse und etwas nettes schreibe. Da kam auch
prompt eine ganz nette Antwort zurück. Eine riesen lange E-Mail, was
typisch für Schriftsteller ist. Es ging dann über zwei Jahre immer so
hin und her und plötzlich habe ich eine E-Mail von ihr gekriegt. Darin
beschrieb sie, dass sie gerade an einem neuen Buch arbeiten würden. Es
ginge da um eine Mädchen, welches auf seinem IPod die ganze Zeit eine
bestimmte Band hören würde. Antje fragte mich dann, ob diese Band
Medusa's Child sein könnte und ob sie auch Textzeilen verwenden dürfe?
Der Grund dafür war, dass sich unser letztes Album mit der Thematik der
Indianer im Allgemeinen und dem Wounded Knee im Pine Ridge-Reservat und
die jetzige Situation im Speziellen beschäftigt. Das war der Link zu
Antje und wieder zurück.
MF: In Julischatten wird zu Beginn diese Einöde des Reservates
beschrieben. Ist diese Einöde wirklich so gross?
Crow: Ja, das kannst du eigentlich gar nicht beschreiben – weder in
einem Buch noch in einem Hörbuch. Das musst du gesehen haben. Da ist
nichts. Da ist einfach eine grosse Wiese. Da stehen Blechhütten drauf –
und komischerweise ebenfalls ein nagelneues Casino. Und wenn du dann
weiter in ihre Welt eintauchst findest du eine neu gebaute Schule,
welche von der Kirche finanziert wurde. Aber grundsätzlich ist es
wirklich nicht besonders schön anzusehen. Gerade mit dem ganzen Müll der
da rum liegt und den Menschen, die da vor sich hin vegetieren. Das muss
man selber gesehen haben um zu begreifen, was aus diesen Menschen
geworden ist.
MF: Antje hat gesagt, dass du beim Besuch dieses Pine Ridge Rerervates
eine Krise hattest. Warum genau?
Crow: Wie Antje beschäftige ich mich auch seit meiner Kindheit mit den
Indianern. Das ging damals ebenfalls über Bücher und übers Fernsehen.
Ich war 2010 auch nicht zum ersten Mal dort, sondern habe bereits vorher
gezielt Besuche in den Reservaten abgestattet. Und eben dort im Pine
Ridge-Reservat habe ich einige Sachen gesehen, mit welchen ich in diesem
Ausmass nicht gerechnet hätte. Dinge, welche so konträr sind, dass es
einem ziemlich mitnimmt. In der Nähe der ziemlich grossen Stadt Rapid
City habe ich von weitem einen ziemlich grossen Laden gesehen, wo man
Kopfschmuck und Büffelfälle kaufen konnte. Draussen war eine grosse
Indianerstatue. Es sah von aussen aus wie ein Museum. Es stellte sich
dann aber heraus dass es eigentlich nur ein riesen grosses Geschäft war,
wo man quasi die ganze indianische Kultur kaufen konnte. Kunst für
unglaublich viel Geld. Das Zeugs ist brandschwarz teuer. Und
komischerweise direkt vor diesem Laden, bevor ich rein ging, sass ein
Indianer, der so was von besoffen war, dass er sich nicht mehr auf den
Beinen halten konnte. Der sass davor mit einer Flasche in der Hand.
Dieses Bild hat sich bei mir eingeprägt. Dieser Indianer so völlig
hoffnungslos betrunken, ein wirklich abhängiger Alkoholiker, und hinter
seinem Rücken wird augenscheinlich seine ganze Kultur verkauft. Also
praktisch seine Geschichte, was eigentlich seins ist. Und selbst das
haben jetzt andere, während er praktisch gar nichts mehr hat. Das war
eines von vielen Erlebnissen. Ein anderes war mein Besuch am Wounded
Knee, einem historischen Ort, wo du denkst, dass du an diesem
Geschichtsträchtigen Ort ein Monument finden würdest. Dann kommst du hin
und siehst einen Friedhof mit umgestossenen Grabsteinen und
Plastikblumen, mit schrägen Kreuzen drauf und einem völlig heillosem
Durcheinander. Das hat mich ziemlich erschüttert.
MF: Wie wird es denn deiner Meinung nach dort weitergehen? Wie lange
wird diese Hoffnungslosigkeit noch anhalten?
Crow: Das steht in den Sternen. Die Antje hat es ja bereits gesagt, dass
es nicht ganz so rosig aussieht. Wir sind zu weit weg davon, um da
irgendwie Einfluss darauf zu haben. Es ist tragisch, aber vielleicht ist
es schlicht der Verlauf der Geschichte. Ich weiss es nicht. Ich
wünschte, ich könnte voraussagen, dass es positiv wird. Aber das kann
niemand. Da haben ja nicht einmal die Indianer selber Einfluss darauf.
MF: Wie stark können da Musik und irgendwelche Bücher helfen, die
Situation zu verbessern? Im Buch von Antje merkt man, dass diese
Veränderung vor allem in den Köpfen der Leute geschehen muss.
Crow: Ich finde es gut, dass sich Menschen damit beschäftigen und auch
darauf hinweisen. Die Beschreibungen in Antjes Bücher basieren ja
wirklich auf Tatsachen-Berichte und nicht auf irgendwelchen erfundenen
Geschichten. Die Schlacht am Wounded Knee war eigentlich eher ein
Massaker. Es war nicht eine Schlacht sondern ein Hinrichten von
wehrlosen, unbewaffneten Frauen, Kindern und alten Männern. Es ist
wirklich so, dass du nur auf sowas hinweisen kannst, damit viele
Menschen damit konfrontiert oder berührt werden. Die einzige Art wie man
den Menschen helfen könnte ist nicht durch irgendwelche Kirchenbauten
oder durch die Kirche finanzierte Schulen, sondern durch das Schulen der
Leute überhaupt. Wissen! Die Menschen brauchen Bildung, damit sie sich
selber aus ihrem Elend befreien können. Denen kann niemanden helfen. Das
können sie nur selber. Und am besten befreist du dich durch Bildung. Das
ist meine Meinung. Man hilft ihnen auch nicht durch irgendwelche
Geldspenden, mit denen niemand was anfangen kann. Geldspenden helfen
vielleicht ein, zwei Jahre und dann ist es wieder wird für irgendwelche
Projekte verballert, welche kein Mensch braucht. Bildung ist das
einzige, was den Menschen wirklich helfen könnte.
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