Die Festivallandschaft in Europa ist in den letzten zehn
Jahren riesig gewachsen. Als Fan kriegt man eine Auswahl immer
ähnlicher werdender Bandpakete und dazu Alternativprogramme, sollte
die Musik alleine nicht genügen. Auf der anderen Seite entstehen
Veranstaltungen, bei denen die Künstler spezifischer ausgewählt
werden. Zu einer von diesen zählt auch das Prophecy Fest, welches in
der nun zweiten Ausführung auf zwei Festivaltage und einen
Warm-Up-Abend ausgeweitet wurde. Trollmusic Konzertabend.
Balve liegt nicht gerade zentral, leicht südöstlich von Dortmund
im Sauerland. Auf dem einzigen Gleis angekommen, findet man die
ersten vollbepackten Festivalbesucher, die sich trotz relativ
kurzfristiger Ankündigung eines Warm-Up-Abends bereits am Donnerstag
einfinden. Nach einem kurzen Fussmarsch steht das Zelt und wir
machen uns mit dem Taxi auf den Weg in die lokale Schützenhalle, wo
das kleine niederländische Label Trollmusic heute drei seiner Bands
präsentiert.
The Good Hand
starten ihr Set bereits um 19 Uhr, während dem noch die letzten
scheuen Sonnenstrahlen durch die Hallenfenster dringen. Genauso
schüchtern zeigen sich die Jungs auf der hinter einem hölzernen
Gartenzaun stehenden Bühne bei den ersten Songs. Die an Billy Corgan
(Smashing Pumpkins) erinnernde Stimme von Arjan Hoekstra bekommt
sehr viel Platz, was dem harmonischen Sound die nötigen Akzente
gibt. Ein sachte eingesetztes Horn bringt eine Prise
Experimentierfreude mit, und so werden die Bewegungen auf der Bühne
ausgelassener. Natürlich kann man bei so fein gezeichnetem Sound
kaum einen Moshpit oder Headbangen erwarten, aber trotzdem spiegelt
sich das Mitgehen der Musiker auch im Publikum ab. Nach etwa einer
Stunde Spielzeit gibt Frontmann Arjan Hoekstra in einer kurzen
Ansage bekannt, dass Mirna's Fling nun nahtlos in ihr Set übergehen
werden.
Die zweite Band des Abends setzt sich tatsächlich aus
denselben Musikern zusammen, wie The Good Hand davor. Die
Instrumentierung sieht dennoch etwas anders aus. Das Keyboard wird
von der Bühne verbannt, womit der atmosphärische Teil der Musik
wegfällt. Im Gegenzug nehmen rockige Parts sowie Geschwindigkeit zu.
Auch die Musiker drehen auf, der Drummer steigt sogar von der Bühne
und lässt das Publikum auf einen Gong schlagen.
Für die zum Schluss
auftretende Band Alvenrad
werden noch einmal kurz die Instrumente und zumindest ein Teil der
Musiker getauscht und dann holzen die Jungs mit ihrem Folk Metal
los. Der Sänger steht an diesem Abend das erste Mal auf der Bühne,
lacht ins Publikum, und wirkt sehr charismatisch. Die Mitsingparts
werden von einigen Zuschauern erhört, auch bilden sich die ersten
tanzenden Grüppchen und Headbanger. Der zweite Sänger, vorher
Schlagzeuger, hat seinen Gong noch nicht weggelegt und kommt nun
wieder zum Einsatz. So endet der Abend mit ausgelassener, guter
Stimmung und die Besucher machen sich motorisiert, oder zu Fuss über
stille Feldwege auf den Heimweg.
Tag 1
Sehr zeremoniell, mit Weihrauch und Trommeln, eröffnen
Hekate am
Freitagnachmittag das Prophecy Fest. Einen besseren Start hätten
sich die Festivalverantwortlichen nicht aussuchen können. Die
intensive und sehr abwechslungsreiche Darbietung lockt die Zuschauer
in Scharen in die Höhle und bannt die Blicke von der ersten Minute
an. Die instrumentale Bandbreite ist riesig - ebenso die Zahl der im
Verlauf der Show erscheinenden Musiker. Ganz zum Ende des Sets
stehen alle gemeinsam auf der Bühne und sorgen für einen donnernden
Schlusspunkt. Das Publikum verabschiedet die Truppe mit einem langen
Schlussapplaus.
Germ
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haben sich zum Start ihres Sets die Unterstützung von Audrey Sylvain
geholt und erinnern damit natürlich ein wenig an Amesoeurs. Die
poppigen Strukturen, gepaart mit harten Gitarren und den depressiven
Schreien, bringen bereits bei ‚Butterfly‘ einige Köpfe zum Kreisen.
Aber auch bei den folgenden Liedern ist die Mischung aus den hohen,
typischen Schreien, repetitiven Gitarren und sphärischen
Synthesizern eine Garantie für ein sich bewegendes Publikum. Der
erste Auftritt des australischen Multifunktionalisten in Europa kann
man als äusserst gelungen bezeichnen.
Somit sind die
Zuschauer bestens vorbereitet auf
Les Discrets, die heute zu den absoluten
Publikumslieblingen gehören. Die Band um Fursy Teyssier, der an
diesem Wochenende auch Bilder ausstellt und verkauft, klingt weniger
suizidal und mehr melodisch, hat sich aber, wie Germ zuvor,
ebenfalls eine Dame ans Mikrophon geholt. Die Songs vom neuen Album
klingen sehr entspannt. Sie ziehen sich ein wenig in die Länge,
wobei man sich jedoch gut darin verlieren kann. Das abschliessende
‚Mouvement Perpétuel‘ wird vom Publikum gerne angenommen, da es,
anders als die neuen Lieder, bereits mit Emotionen verbunden wird.
Ein wunderschön verträumter Auftritt.
Vor deutlich
gelichteten Zuschauerreihen starten
Iron Mountain holprig in ihr Set - zumindest
was die Bühnenpräsenz angeht. Von Anfang an scheint die Band mit
Soundproblemen auf der Bühne zu kämpfen und die Musiker wechseln
immer wieder unsichere Blicke. Um den Auftritt trotzdem geniessen zu
können, schliesst man am besten die Augen.
Leider war es für
Secrets Of The Moon
nicht möglich, ihre Idee mit dem Akustikkonzert umzusetzen. Dafür
wird nun das komplette neue Album "Sun" dargebracht. Die Mischung
aus Black Metal mit einem Hauch von Wave Gothic ist sicherlich
nichts für Puristen. Dennoch passt gerade diese Mischung perfekt in
die Dramaturgie des ersten Tages. Natürlich sorgt alleine schon die
Höhle für ein bedrückendes Gefühl, die Intensität von Liedern wie
‚Dirty Black‘ oder ‚Man Behind The Sun‘ wird durch die perfekte
Lichtshow und die Videos auf den Bühnenhintergründen jedoch noch
gesteigert. Das Aufblitzen des Mediaplayers, nach dem Abschluss des
letzten Liedes, kann man bei dieser Wucht an Musik getrost
vergessen.
Helrunar
kommt die Aufgabe zuteil, den ersten Festivaltag zu beschliessen.
Mit ihrer Musik verbindet die Band aktuelles Geschehen mit
vergangener Geschichte. So zieht Marcel Dreckmann bei ‚Devils,
Devils Everywhere‘ Vergleiche zwischen der Situation in der
europäischen Gesellschaft und der Hexenverbrennung im Mittelalter.
Das Publikum zollt dieser Präsentation mit vollem Körpereinsatz
Respekt - in den vordersten Reihen ist kaum noch jemand ruhig. Das
gleiche gilt bei ‚Magdeburg brennt‘, bei welchem die Chöre im
Refrain durch die Höhle hallen. ‚Unter dem Gletscher‘ und
‚Nebelspinne‘ - beide vom Album "Sol" - schliessen das
abwechslungsreiche Set und somit auch den mit vielen Highlights
gespickten Festivaltag ab.
Tag 2 Eine
ganz besondere Möglichkeit bietet sich den Festivalbesuchern am
frühen Samstagmorgen. Austragungsort ist abermals die etwas mehr als
zwei Kilometer vom Festivalgelände entfernt liegende Schützenhalle.
Marcel Dreckmann (Helrunar), der das erste Album seines
Nebenprojekts Wöljager als Musiktheater geschrieben hat, bringt dies
nun in voller Länge auf die Bühne. Die bereitgestellten Stuhlreihen
reichen nicht aus, um dem grossen Publikumsandrang gerecht zu
werden, und so werden auch noch die zur Seite geschobenen Tische
erobert. Die tragische Geschichte aus vergangenen Zeiten spielt im
Münsterland, und wird teilweise im lokalen Mundart, dem
Münsterländer Platt, erzählt. Das Theaterstück wird von Themen wie
Tod, Mobbing und Vergewaltigung beherrscht. Die Schauspieler und die
Musiker zeigen viel Enthusiasmus, sodass die Wirkung beim Publikum
nicht ausbleibt. Die angespannten Gesichtsausdrücke lösen sich erst
mit dem letzten Satz. Es folgt ein langer und intensiver
Schlussapplaus.
In der Höhle beginnen
Völur pünktlich um
13.50 Uhr mit ihrem ersten Ritual in Europa. Rotes Licht und
Kapuzenmäntel sorgen für das nötige Aussehen der drei Kanadier. Der
Sound wirkt sehr experimentell und sperrig. Schräge Violinentöne
oder die immer wieder auftretenden Dissonanzen im Gesang zwischen
Lucas Gadke und Laura C. Bates machen den Sound spannend. Gerade der
zweistimmige Gesang wirkt stellenweise wie von einem vergessenen
Naturvolk, was natürlich perfekt in die einzigartige Lokalität
passt. So wirkt ihr Auftritt als Gesamtwerk einiges mehr als nur auf
CD.
In eine ganz andere Richtung bewegt sich Bohren und der
Club of Gore. Die
Halle wird total abgedunkelt, nicht einmal die Bar wird mehr
beleuchtet und auch der Ausgang wird bestmöglich abgedeckt. Dafür
erhellen einzelne Spots in wechselnden Farben die Bühne, während der
langsame Jazz der Deutschen vergessen lässt, dass man sich unter der
Erde befindet. Viel eher versetzt der Sound einen in einen
Schwarzweissfilm, in dem man an einem beinahe leeren Bartresen in
einer verregneten Grossstadt sitzt. Die trocken humorvollen Ansagen
würzen den Auftritt mit einem ganz eigenen Charme. Von den Musikern
selbst sieht man nur dann etwas, wenn sie sich in die Lichtkegel
bewegen, womit der Musik selbst viel Platz zum Wirken gegeben wird.
Ein absoluter Tipp, wenn man nicht zwingend reissende Gitarren
braucht.
Der Wechsel zu
Antimatter wirkte auf dem Papier unmöglicher, als er
sich tatsächlich anfühlt. Dennoch scheint der frühe Nachmittag
einigen Zuhörern falsch gewählt zu sein. Der progressive Rock, den
die Briten mit melancholischen Melodien ergänzen, wirkt sehr schwer.
Da draussen gerade seltener Sonnenschein anzutreffen ist, ist den
Leuten umso weniger zum Träumen zumute, und so leert sich die Höhle
im Verlauf des Konzertes merklich.
Nach der Ansage "We are
Glerakur and we
come from Island", erntet die auf dem Festland noch kaum bekannte
Truppe den ersten grossen Applaus, den Bandkopf Elvar Geir Sævarsson
sogleich vehement zurückweist. Vorschusslorbeeren, einzig aufgrund
der Herkunft, sind ihm merklich unangenehm. Ohne weiter Zeit zu
verlieren, dreht das Gitarrenensemble seine Verstärker auf. Eine
Gitarristin und drei Gitarristen, zusammen mit einem Bassisten und
zwei Schlagzeugern geben ein ungewohntes Bühnenbild ab. Ebenso
ungewohnt bewegen sich die Musiker zu ihren ausufernden
Klanglandschaften. Insbesondere die Dame sorgt mit ihren
Entspannungsübungen zwischen den Songs, dem abgedrehten Rumschrauben
an ihren Effekten und den markerschütternden Schreien zum Ende des
Sets für Aufsehen.
Zum ersten Mal scheint sich die Halle
direkt im Anschluss an einen Auftritt nicht zu leeren. Die
Zuschauerreihen nahe der Bühne stehen bereits beim Soundcheck so
dicht, dass kaum jemand mehr durchkommt.
Alcest wird heiss erwartet. Bereits im
Voraus wurde angekündigt, dass man das ganze Album "Écailles de
Lune" spielen wird. Passend dazu taucht das Licht die Höhlendecke
ein, als ob Wasser reflektiert würde. Leider sind die Vocals beim
ersten Song sehr leise, was aber schnell geändert wird. Wie so oft
öffnet die Musik ein Tor in eine andere Welt. Die verträumten
Gesichter der Anwesenden oder beinahe in Trance verfallende
Headbanger zeugen von grosser Zufriedenheit im Publikum. Mit ‚Autre
Temps‘ und ‚Là où naissent les coulerus nouvelle‘ gibt es noch zwei
Lieder vom vorletzten Album, bevor sich die Franzosen mit
‚Déliverance‘ einen bekannten, wunderschönen Abschluss hinlegen.
Beim Start von Sol Invictus
hat es merklich weniger Leute vor der Bühne. Es ist aber auch nicht
einfach, sich nach dem Auftritt von Alcest darauf einzulassen. Die
Stimme von Tony Wakeford klingt so viel weniger harmonisch, und die
mittelalterliche, teils irisch anmutende Musik ist auf ihre Art
ziemlich gewöhnungsbedürftig. Dazu kommt unbeabsichtigtes Quietschen
von den Geigen in den ersten Songs, was die vordersten Reihen aber
nicht stört und trotzdem laut applaudieren lässt. Die Musiker selbst
scheinen auch Spass zu haben, obwohl es auf der Bühne mit so vielen
Leuten fast etwas eng wird. Zum Abschluss präsentiert man eine
Coverversion von Agalloch.
Das letzte Konzert des Festivals
knüpft da an, wo der Tag begonnen hat: Schamanistische Vocals und
minimalistisches Licht. Doch dann brettern die ersten Gitarren los,
das Schlagzeug gibt Vollgas und ein letztes Mal für dieses
Wochenende wird die Höhle als Leinwand für die dargebotene Musik
gebraucht. Vemod,
die bereits letztes Jahr auf dem Festival gespielt haben, bringen
mit ihren eisigen Riffs im Dauerfeuer die vorderen Reihen in
Bewegung, wenngleich der lange Tag so langsam seinen Tribut fordert.
Die Musik der Norweger lebt vom Wechselspiel der atmosphärischen
Synthesizer und der rasenden Gitarrenriffs, welche von einem
elektronisch klingenden Schlagzeug unterstützt werden. Das Auftreten
mit den kurzen Haaren, ganz ohne Schminke, Leder und Nieten
verstärkt den modernen Eindruck der Musik. Dennoch verlangt die
Wucht der Songs nochmals alles von den Besuchern, die nach dem
Konzertende sichtlich erschöpft aus der Höhle kommen.
Das
Prophecy Fest ist ein ganz einzigartiges Festival, das schon wegen
der Bühne und dem meist sehr gut aufeinander abgestimmten Line-Up
punkten kann. Hinzu kommt die Tatsache, dass die Musiker ihre Kunst,
durch die von ihrem Label ermöglichten, besonderen
Rahmenbedingungen, auch spezieller darbieten können, was bei anderen
Konzerten nur selten der Fall ist. Das wunderschöne Programmbuch ist
dann noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Wer ein Ohr für
experimentellere Musik übrig hat und nicht nur Gitarrenleads oder
totgetriggerte Schlagzeugsalven braucht, sollte die Reise unbedingt
in Betracht ziehen. Die Hotels sind jeweils relativ schnell belegt
und erste Bands für die Ausgabe von 2017 sind bereits bekannt -
frühes Buchen lohnt sich also!
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