Livereview: Ace Frehley - 16 Second Stare
15. Dezember 2009, Luzern - Schüür
By Rockslave & Kissi - All Pics by Rockslave
Auch wenn die aktuelle Formation von Kiss mit den Herren Simmons/Stanley/Thayer/Singer beileibe keinen schlechten Eindruck hinterlässt, wird es immer Fans, vornehmlich ältere, geben, die nur bei der echten Reunion von 1996 vor Freude Rotz und Wasser geheult haben. Danach wohl wieder, weil man wusste, dass die Ur-Formation definitiv nie mehr zusammen kommen würde. Damals gehörte natürlich auch der einzig echte "Space-Man" Ace Frehley wieder zum alten Line-Up. Nach dem Split war es längere Zeit eher ruhig um den ehemaligen Kiss-Gitarrero. Umso überraschter war dann die Fan-Gemeinde, dass quasi als Vorreiter zu "Sonic Boom", dem neuen Opus seiner Kollegen, mit «Anomaly» ein unerwartet gutes Album auf den Markt kam. Der Umstand, dass Ace in den letzten Jahren vereinzelt immer wieder mal auf einer Bühne anzutreffen war, nährte die Gerüchte, dass es zum neuen Release vielleicht auch eine kleine Tour geben wird. So kam es denn auch und darum war es nicht verwunderlich, dass die Schüür heute Abend ziemlich voll war. 16 Second Star als Support hinterliessen einen zwiespältigen Eindruck. (rsl)

16 Second Stare

Die Band aus Tampa (FL) hatte auf der ohnehin nicht grossen Bühne der Schüür vor dem bereits aufgebauten Equipment des Headliners einen sehr eingeschränkten Aktionsradius. Als 5-Mann Gruppe ging es jedoch gerade noch. Zu extrem schummrigem Licht legten die Amis, namentlich Chris Davis (v), Diamond Dennis (g), Angry Tim (g), Kurtis Todd (d) und ein aushelfender Bassist mit einer Art hartem Indie-Rock los. Der etwas beleibte Herr Davis entpuppte sich dabei vornehmlich als Brüllwürfel, während die Saitenfraktion recht ordentlich ans Werk ging. Einer der Songs empfahl sich durch ziemlich fette Beats und die Blues-Nummer «Better Man», gesungen von einem etwas kräch-zenden Angry Tim bot dann einen will-kommenen Kontrast. Dass der Rhythmus derart Arsch trat, war der alleinige Verdienst von Schlagzeuger Kurtis Todd, der eine mördermässige Performance hinlegte und nebst dem harten Spiel zudem sehr filigran ans Werk ging. Ich erwähne das speziell, denn ich habe schon lange keinen Drummer mehr gesehen, der sein Instrument auf diese Weise bearbeitete. Schon nach kurzer Zeit war Kurtis pitschnass und dürfte ob der kurzen Spielzeit von 30 Minuten sicher nicht erfreut gewesen sein. Kaum warm gespielt, war es dann jeweils auch schon wieder vorbei. Wer sich die Studio-Mucke von 16 Second Stare zu Gemüte führt, wird erstaunt feststellen, dass die Jungs ihre Bandbreite vom Album «Red Carpet Material» mehr schlecht als recht präsentieren konnten. Vor allem die melodischeren wie ruhigeren Tunes kamen viel zu kurz und darum war das Fazit für mich und das nur auf Höflichkeitapplaus bedachte Publikum ziemlich ernüchternd. Warum schliesslich als auch noch irgendein Cover von Pantera (!!) zu Ehren kam, bleibt wohl das Geheimnis der Gäste aus Übersee. Ich behaupte jetzt mal, dass genau dadurch potenzielle Käufer eines Tonträgers zusätzlich abgeschreckt wurden. Dennoch dürfte der erste Euro-Trip, der insgesamt 12 Konzerte in Finnland, Schweden, Deutschland, Schweiz, Holland und England umfasste, als Erfolg abgebucht worden sein. Allerdings ist dieser Sound in Europa kaum angesagt, darum wird es interessant sein, wann und ob man die Jungs überhaupt nochmals in unseren Breitengraden sichten wird. (rsl)

Ace Frehley
Hat man als Musiker sein halbes Leben lang in der selben legendären Band gespielt, dann wollen die Fans natürlich vor allem Eines hören: Songs aus dieser Zeit. Dass Ace Frehley an diesem Abend einige Kiss-Hits aus dem Handgelenk schütteln würde, war so klar wie Klosbrühe. Mit «Frehley's Comet» von 1987 und dem über 20 Jahren jüngeren, letztes Jahr erschie-nenen «Anomaly» hatte der Mann aus dem Weltall aber auch zwei starke Solo-Rundlinge im Gepäck. Ergo musste man sich um die Setlist an diesem Abend keine Sorgen machen. Ganz anders sah es da mit der Live-Verfassung des doch schon stramm auf die 60 zugehenden Gitarren-Ass aus. "In Würde gealtert oder nur noch ein Abklatsch seiner selbst?" war die Frage, die an diesem Abend beantwortet werden musste. Die Antwort kam in Windeseile, denn mit dem Kiss-Dreier «Rocket Ride», «Parasite» und «Snow Blind» schaffte der «Spaceman» nicht nur liedtechnisch eine 10-Punkte-Landung, sondern überzeugte auch performance-technisch schon vom ersten Riff und der ersten Text-Zeile hinweg. Die Sonnenbrille auf der Nase, das glitzernde Kreuz um den Hals und die Lederjacke umgeworfen, poste und sang er, als wären die letzten Jahre, in welchen er sich nicht nur mit seinen Ex-Kollegen Gene Simmons und Paul Stanley, sondern obendrein auch noch mit seiner Alkoholsucht herumplagen musste, nie gewesen. Das gefällt natürlich und so feierte die gesamte Schüür gleich von Beginn weg. Dass der Herr dabei auf der Bühne nicht mehr allzu agil zu Werke geht, versteht sich von selbst, doch wettgemacht wurde das allemal einerseits von seiner Coolness und andererseits von einer um einige Jahrzehnte jüngeren Backing-Band, bestehend aus Derrek Hawkins an der zweiten Gitarre, Antony Esposito am Tieftöner und Scot Coogan (u.a. Brides Of Destruction). Spiel- und bewegungsfreudig verliehen sie den alten Hits den nötigen Wumms, so dass diese auch ohne Feuerwerk, Kunstblut und hochfahrbarem Drum-Podest überzeugten. Welche Klasse Ace's neuer Silberling besitzt, bewiesen darauf «Sister» und «Outer Space», die ohne weiteres neben lange nicht mehr live gehörten Kiss-Perlen wie etwa das von «Satisfaction» Klängen eingeleitete Stones Cover «2000 Man», «Speedin' Back To My Baby» oder das von Coogan überzeugend intonierte «Love Her All I Can» bestehen können, wenn diese nicht sogar überflügeln. Schade also, dass daneben einzig noch das Sweet-Cover «Fox On The Run» von «Anomaly» zum Zug kam.


Dass Frehley ein erstklassiger Gitarrist ist, davon musste er eigentlich niemand mehr überzeugen und auch die unzähligen Soli untermauerten das an diesem Abend wieder, dass er aber auch zu unterhalten weiss und während seiner Kiss-Zeit zu Unrecht von Simmons und Stanley an den Rand gedrängt wurde. Dies zeigte er mit selbstironischen Ansagen und überraschend gut funktionierenden Singalong-Spielchen. Dafür eignet sich das fulminante «Rock Soldiers» von seinem ersten Solo-Streich natürlich hervorragend, genauso wie das gute Laune in Massen verbreitende «New York Groove», dem vielleicht coolsten Track der legendären Kiss-Solo-Reihe von 1978. Danach hiess es (bildlich, nicht wörtlich) Plateau-Schuhe schnüren und weiss-silbernes Make-up auftragen, denn «Shock Me» (inklusive ausgedehntem Solo und kultig leuchtender und rauchender Gitarre) eröffnete zusammen mit «Shout It Out Loud» und «Deuce» einen erneuten Reigen an Kiss-Klassikern, welche die Anwesenden erwartungsgemäss zum Johlen brachten. Wohl diese Reaktionen geniessend, liess Ace dann ein Weilchen auf sich warten, bevor er für das vom Publikum eher verhalten aufgenommene «Rip It Out» (vom selbstbetitelten Kiss-Debüt von 1974) und den darauf aber umso frenetischer gefeierten «Love Gun» (wiederum von Coogan stark gesungen) und «Cold Gin» auf die Bühne zurückkehrte. Ein mehr als würdiges Ende für eine mehr als die Erwartungen befriedigende Show, welche zwei Dinge deutlicher als deutlich machte: 1. dass Ace Frehley bei Kiss mehr war als ein austauschbarer Sidekick und 2. Rock'n'Roll dieser Sorte nicht notwendigerweise von millionenteuren Pyros und Kostümen aufgepeppt werden muss, um zu funktionieren, und wenn auch nicht in einer Zehntausenderhalle, so doch vor ein paar hundert Leuten in einem ziemlich gefüllten Club wie der Schüür, die mit klarem Sound und Charme an diesem Abend genauso punktete wie Ace Frehley. (kis)

Setliste: «Rocket Ride» - «Parasite» - «Snow Blind» - «Sister» - «Outer Space» - «Speedin' Back To My Baby» - «Rock Soldiers» - «Love Her All I Can» - «2000 Man» - «Fox On The Run» - «New York Groove» - «Foxy And Free» (gestrichen) - «Shock Me» - «Shout It Out Loud» - «Deuce» -- «Rip It Out» - «Love Gun» - «Cold Gin».