Auch wenn die aktuelle Formation von Kiss mit den Herren Simmons/Stanley/Thayer/Singer
beileibe keinen schlechten Eindruck hinterlässt, wird es immer Fans,
vornehmlich ältere, geben, die nur bei der echten Reunion von 1996
vor Freude Rotz und Wasser geheult haben. Danach wohl wieder, weil
man wusste, dass die Ur-Formation definitiv nie mehr zusammen kommen
würde. Damals gehörte natürlich auch der einzig echte "Space-Man"
Ace Frehley wieder zum alten Line-Up. Nach dem Split war es längere
Zeit eher ruhig um den ehemaligen Kiss-Gitarrero. Umso überraschter
war dann die Fan-Gemeinde, dass quasi als Vorreiter zu "Sonic Boom",
dem neuen Opus seiner Kollegen, mit «Anomaly» ein unerwartet gutes
Album auf den Markt kam. Der Umstand, dass Ace in den letzten Jahren
vereinzelt immer wieder mal auf einer Bühne anzutreffen war, nährte
die Gerüchte, dass es zum neuen Release vielleicht auch eine kleine
Tour geben wird. So kam es denn auch und darum war es nicht
verwunderlich, dass die Schüür heute Abend ziemlich voll war. 16
Second Star als Support hinterliessen einen zwiespältigen Eindruck. (rsl)
16 Second Stare
Die Band aus Tampa (FL) hatte auf der ohnehin nicht grossen Bühne
der Schüür vor dem bereits aufgebauten Equipment des Headliners
einen sehr eingeschränkten Aktionsradius. Als 5-Mann Gruppe ging es
jedoch gerade noch. Zu extrem schummrigem Licht legten die Amis,
namentlich Chris Davis (v), Diamond Dennis (g), Angry Tim (g),
Kurtis Todd (d) und ein aushelfender Bassist mit einer Art hartem
Indie-Rock los. Der etwas beleibte Herr Davis entpuppte sich dabei
vornehmlich als Brüllwürfel, während die Saitenfraktion recht
ordentlich ans Werk ging. Einer der Songs empfahl sich durch
ziemlich fette Beats und die Blues-Nummer «Better Man», gesungen von
einem etwas kräch-zenden Angry Tim bot dann einen will-kommenen
Kontrast. Dass der Rhythmus derart Arsch trat, war der alleinige
Verdienst von Schlagzeuger Kurtis Todd, der eine mördermässige
Performance hinlegte und nebst dem harten Spiel zudem sehr filigran
ans Werk ging. Ich erwähne das speziell, denn ich habe schon lange
keinen Drummer mehr gesehen, der sein Instrument auf diese Weise
bearbeitete. Schon nach kurzer Zeit war Kurtis pitschnass und dürfte
ob der kurzen Spielzeit von 30 Minuten sicher nicht erfreut gewesen
sein. Kaum warm gespielt, war es
dann jeweils auch schon wieder
vorbei. Wer sich die Studio-Mucke von 16 Second Stare zu Gemüte
führt, wird erstaunt feststellen, dass die Jungs ihre Bandbreite vom
Album «Red Carpet Material» mehr schlecht als recht präsentieren
konnten. Vor allem die melodischeren wie ruhigeren Tunes kamen viel
zu kurz und darum war das Fazit für mich und das nur auf
Höflichkeitapplaus bedachte Publikum ziemlich ernüchternd. Warum
schliesslich als auch noch irgendein Cover von Pantera (!!) zu Ehren
kam, bleibt wohl das Geheimnis der Gäste aus Übersee. Ich behaupte
jetzt mal, dass genau dadurch potenzielle Käufer eines Tonträgers
zusätzlich abgeschreckt wurden. Dennoch dürfte der erste Euro-Trip,
der insgesamt 12 Konzerte in Finnland, Schweden, Deutschland,
Schweiz, Holland und England umfasste, als Erfolg abgebucht worden
sein. Allerdings ist dieser Sound in Europa kaum angesagt, darum
wird es interessant sein, wann und ob man die Jungs überhaupt
nochmals in unseren Breitengraden sichten wird. (rsl)
Ace Frehley
Hat man als Musiker sein halbes Leben lang in der selben legendären
Band gespielt, dann wollen die Fans natürlich vor allem Eines hören:
Songs aus dieser Zeit. Dass Ace Frehley an diesem Abend einige
Kiss-Hits aus dem Handgelenk schütteln würde, war so klar wie
Klosbrühe. Mit «Frehley's Comet» von 1987 und dem über 20 Jahren
jüngeren, letztes Jahr erschie-nenen «Anomaly» hatte der Mann aus dem
Weltall aber auch zwei starke Solo-Rundlinge im Gepäck. Ergo musste
man sich um die Setlist an diesem Abend keine Sorgen machen. Ganz
anders sah es da mit der Live-Verfassung des doch schon stramm auf
die 60 zugehenden Gitarren-Ass aus. "In Würde gealtert oder nur noch
ein Abklatsch seiner selbst?" war die Frage, die an diesem Abend
beantwortet werden musste. Die Antwort kam in Windeseile, denn mit
dem Kiss-Dreier «Rocket Ride», «Parasite» und «Snow Blind» schaffte
der «Spaceman» nicht nur liedtechnisch eine 10-Punkte-Landung,
sondern überzeugte auch performance-technisch schon vom ersten Riff
und der ersten Text-Zeile hinweg. Die Sonnenbrille auf der Nase, das
glitzernde Kreuz um den Hals und die Lederjacke umgeworfen, poste
und sang er, als wären die letzten Jahre, in welchen er sich nicht
nur mit seinen Ex-Kollegen Gene Simmons und Paul Stanley, sondern
obendrein auch noch mit seiner Alkoholsucht herumplagen musste, nie
gewesen. Das gefällt natürlich und so feierte die gesamte Schüür
gleich von Beginn weg. Dass der Herr dabei auf der Bühne nicht mehr
allzu agil zu Werke geht, versteht sich von selbst, doch wettgemacht
wurde das allemal einerseits von seiner Coolness und andererseits
von einer um einige Jahrzehnte jüngeren Backing-Band, bestehend aus
Derrek Hawkins an der zweiten Gitarre, Antony Esposito am Tieftöner
und Scot Coogan (u.a. Brides Of Destruction). Spiel- und
bewegungsfreudig verliehen sie den alten Hits den nötigen Wumms, so dass diese auch ohne Feuerwerk, Kunstblut und hochfahrbarem Drum-Podest überzeugten. Welche Klasse Ace's neuer Silberling
besitzt, bewiesen darauf «Sister» und «Outer Space», die ohne
weiteres neben lange nicht mehr live gehörten Kiss-Perlen wie etwa
das von «Satisfaction» Klängen eingeleitete Stones Cover «2000 Man»,
«Speedin' Back To My Baby» oder das von Coogan überzeugend
intonierte «Love Her All I Can» bestehen können, wenn diese nicht
sogar überflügeln. Schade also, dass daneben einzig noch das
Sweet-Cover «Fox On The Run» von «Anomaly» zum Zug kam.
Dass Frehley ein erstklassiger Gitarrist ist, davon musste er
eigentlich niemand mehr überzeugen und auch die unzähligen Soli
untermauerten das an diesem Abend wieder, dass er aber auch zu
unterhalten weiss und während seiner Kiss-Zeit zu Unrecht von
Simmons und Stanley an den Rand gedrängt wurde. Dies zeigte er mit
selbstironischen Ansagen und überraschend gut funktionierenden Singalong-Spielchen. Dafür eignet sich das fulminante «Rock Soldiers»
von seinem ersten Solo-Streich natürlich hervorragend, genauso wie
das gute Laune in Massen verbreitende «New York Groove», dem
vielleicht coolsten Track der legendären Kiss-Solo-Reihe von 1978.
Danach hiess es (bildlich, nicht wörtlich) Plateau-Schuhe schnüren
und weiss-silbernes Make-up auftragen, denn «Shock Me» (inklusive
ausgedehntem Solo und kultig leuchtender und rauchender Gitarre)
eröffnete zusammen mit «Shout It Out Loud» und «Deuce» einen
erneuten Reigen an Kiss-Klassikern, welche die Anwesenden
erwartungsgemäss zum Johlen brachten. Wohl diese Reaktionen
geniessend, liess Ace dann ein Weilchen auf sich warten, bevor er
für das vom Publikum eher verhalten aufgenommene «Rip It Out» (vom
selbstbetitelten Kiss-Debüt von 1974) und den darauf aber umso
frenetischer gefeierten «Love Gun» (wiederum von Coogan stark
gesungen) und «Cold Gin» auf die Bühne zurückkehrte. Ein mehr als
würdiges Ende für eine mehr als die Erwartungen befriedigende Show,
welche zwei Dinge deutlicher als deutlich machte: 1. dass Ace
Frehley bei Kiss mehr war als ein austauschbarer Sidekick und 2.
Rock'n'Roll dieser Sorte nicht notwendigerweise von millionenteuren
Pyros und Kostümen aufgepeppt werden muss, um zu funktionieren, und
wenn auch nicht in einer Zehntausenderhalle, so doch vor ein paar
hundert Leuten in einem ziemlich gefüllten Club wie der Schüür, die
mit klarem Sound und Charme an diesem Abend genauso punktete wie Ace
Frehley. (kis)
Setliste: «Rocket Ride» - «Parasite» - «Snow Blind» - «Sister» - «Outer
Space» - «Speedin' Back To My Baby» - «Rock Soldiers» - «Love Her
All I Can» - «2000 Man» - «Fox On The Run» - «New York Groove» - «Foxy
And Free» (gestrichen) - «Shock Me» - «Shout It Out Loud» - «Deuce»
-- «Rip It Out» - «Love Gun» - «Cold Gin».
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