Am 25. Februar, als die Fasnacht in vollem Schwung war, gaben die
Bands Alcest, Les Discrets und Soror Dolorosa ein Konzert im Klub
Sounddock 14 (letzte Show im Rahmen der Europa-Tour). Alle diese
Bands stammen aus derselben Kompanie in Südfrankreich, in deren
Mittelpunkt Stéphane „Neige“ Paut steht. Das ist ein talentierter
Multi-Instrumentalist und Sänger, welcher der geistige Anreger vom
Projekt Alcest geworden ist und der den Shoegaze-Klang mit Elementen
von Black Metal im Rahmen von diesem Projekt erfolgreich vereinigt
hat. Im Großen und Ganzen war der Auftritt dieser Bands einer Party
im engen Freundeskreis ähnlich. Neige selbst trat nicht nur als
Frontmann von Alcest auf, sondern spielte auch Bass bei Les Discrets.
In den zwei Bands spielt derselbe Schlagzeuger namens Winterhalter.
Der exzentrische Andy Julia, Frontman von Soror Dolorosa, war vorher
Schlagzeuger der Band Peste Noire, zu der auch Neige früher gehörte.
Indria, der im Rahmen von dieser Tournee Bassspieler von Alcest war,
spielt Bass in Peste Noire. Deswegen war die Atmosphäre in der Halle
von Anfang an sehr warm und freundlich. Das Konzert verlief wie im
Fluge, als ob es keine Pause gäbe.
Soror Dolorosa
Die erste Band, die die Bühne betrat, war Soror Dolorosa. Der
Mensch, der seinen Platz am Mikrophon auf einmal einnahm, zog die
ganze Aufmerksamkeit des Publikums sofort auf sich. Das war der
Dekadent Andy Julia, der sein erstes vollständiges Solo-Album „Blind Scenes“ im Stil Post Punk/Gothic Rock im Jahre 2011 herausgeben
ließ. Er trug die für Motorradfahrer traditionelle Lederjacke mit
zahlreichen Abzeichen an den Reversen, und sein Aussehen erinnerte
an die Mode der 1980er Jahre. Sein Gesicht war mit weißer Schminke
bedeckt, und seine Augen verbargen sich hinter einer altmodischen,
eckigen Sonnenbrille in einer dicken Brillenfassung. Die Band begann
ihren Auftritt nicht sofort. Zuerst bat Andy den Stagemanager um ein
Messer! Es stellte sich heraus, dass er es brauchte, um das
Klebeband wegzumachen, mit welchem das Mikrophon an den Boden
festgeklebt war, und deswegen war es unbeweglich. Erst nachdem das
Mikrophon schließlich in Andys Hände geraten war, erklang das Lied „Autumn
Wounds“ und die ersten Bassriffs, die für derartige Musik typisch
sind. Zuerst schien Andy etwas zerstreut zu sein, jedoch wurde er
mit jedem nächsten Lied immer lockerer. Und das zeigte sich nicht
nur, indem Andys Stimme sinnlicher und emotioneller wurde, sondern
auch, indem sein Benehmen immer legerer wurde. Nach einer Weile nahm
er seine Jacke ab und zeigte sein breit ausgeschnittenes T-Shirt,
das von seinen Schultern ständig runterfiel. Dann nahm er auch seine
Brille ab, und jetzt konnte er sich endlich ans Mikrophon völlig
anschmiegen! Auf der Bühne erlebte Andy Leidenschaft, Zweifel,
Schmerz und Leiden, während sich die anderen Band-Teilnehmer
absichtlich ruhig benahmen, wodurch das durchdringende
Seelengeschrei des Frontmans nur noch verstärkt wurde. Leider war
das Mikrophon nicht besonders gut abgestimmt und ließ den Musiker
die emotionellen Nuancen nicht ausdrücken, die Andy bei der Arbeit
im Studio so gut zu zeigen weiß. Schließlich versuchte er, das
Mikrophon von selbst abzustimmen, um mehr Raumklang zu schaffen. Bei
solch einem Genre wie Post Punk/Gothic Rock steht die Stimme des
Sängers immer im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit,
deswegen muss auch das Mikrophon ideal abgestimmt sein. Während
dieses 40-minütigen Auftrittes erklangen nicht nur die besten Lieder
aus dem neuen Album „Blind Scenes“, wie zum Beispiel „Autumn Wounds“,
„In A Glance“, „Soror Dolorosa“ und natürlich das langsame und
romantische „Low End“, sondern auch einige Kompositionen aus dem
Demo-Album „Severance“, wie zum Beispiel „Beau Suicide“ und „43°“.
Les Discrets
Dann trat die Band Les Discrets auf. Eigentlich spielen drei Musiker
aus dieser Band auch bei Alcest (Neige, Winterhalter und Zero, der
als Gitarrenspieler und Hintergrundsänger bei den Tourneen dieser
Band auftritt). Jedoch ist es der Sänger, Gitarrenspieler und dazu
auch Maler Fursy Teyssier, der für die Band komponiert und der
Band-Frontmann ist. Er begeistert die Zuschauer nicht nur durch sein
originelles Herangehen an das Schaffen der Atmosphäre, sondern auch
durch die Bilder, die er für das Design der CD-Umschläge von Les Discrets gebraucht. Aber nicht alle Musiker aus dieser Band nahmen
am Konzert teil – die Sängerin und Liederverfasserin von Les
Discrets, Audrey Hadorn, war nicht da. Dieses Jahr liessen Les Discrets ihr zweites vollständiges Album „Ariettes oubliées... “
herausgeben, was darin resultierte, dass die halbe Set-Liste aus
neuen Liedern bestand. Aus den früheren Kompositionen wurden die
trüberen und traurigeren „Les Feuilles de L’olivier“ und „Song For
Mountains“ gespielt. Fursy hat auch seine Post Punk-Wurzeln nicht
vergessen. Es erklang das Lied „Gas In Veins“ von der Band Amesoeurs,
zu der dieser talentierte Musiker auch gehörte. Die Musik von Les
Discrets hat sicherlich viel Gemeinsames mit der von Alcest, jedoch
schaffen Les Discrets sehr interessante atmosphärische Landschaften,
die realistisch und vom Post Metal eingeprägt sind, während Alcest
eine fantastische Welt darstellen, die mit Realität wenig zu tun
hat. Fursy Teyssier hat eine angenehme, warme Stimmklangfarbe und
strahlt Intelligenz aus. In seinem Einreiher im englischen Stil, mit
seinen kurz geschnittenen Haaren und dem stilvollen Stoppelbart sah
er sehr kreativ und zugleich elegant aus. Stéphane „Neige“ Paul, der
Frontmann von Alcest, löste für diesen Auftritt seine Haare (während
er als Bassist bei Les Discrets spielte hatte er einen hoch am
Hinterkopf zusammengehaltenen Pferdeschwanz), und an seiner Brust
war eine schöne Pfauenfeder zu sehen.
Alcest
Die Band Alcest begann ihren Auftritt mit dem Lied „Autre temps“,
das auch die erste Komposition in ihrem neuen Album „Les voyages de
l'Âme“ ist, das Anfang 2012 erschien. Die warme blaugrüne
Beleuchtung ließ die Zuschauer in eine geheimnisvolle, jedoch
zugleich recht behagliche Welt von fantastischen Reminiszenzen
eintauchen. Neige ist nicht nur Multi-Instrumentalist, sondern auch
ein talentierter Sänger. In diesem Konzert konnte man sich
vergewissern, dass sich seine Gesangfertigkeiten wesentlich
verbessert haben. Mit jedem neuen Album wird sein klarer Gesang
immer profilierter und sicherer. Obwohl Neige es bevorzugt, bei
Alcest eben mit solcher Stimme zu singen, ist sein Blackened
Shriek-Gesang genauso toll, wie zum Beispiel in der Komposition „Percées
de Lumière“ aus einem früheren Album. Während des Auftrittes von Les
Discrets bewegte sich Neige auf der Bühne recht aktiv, aber vor dem
Mikrophon stand er ruhig, lächelte oft und war dem Publikum für die
Unterstützung sehr dankbar. Neige ist ein toller Gitarrenspieler,
der solche Gitarrentechnik wie Tapping wunderbar beherrscht. Das
demonstrierte er, als das Lied „Les Iris“ gespielt wurde, die wohl
die beste Komposition im letzten Album dieser Band ist. Und als „Sur
L’Océan Couleur de Fer“ gespielt wurde, war sein Duo mit Zero zu
hören. Es sei betont, dass die Idee, Shoegaze mit einigen Elementen
von Black Metal zu vereinigen, sehr gut zu gefallen wussten, weil
die Blast Beat-Partien dadurch noch ausdrucksvoller und
unterschiedlicher geworden sind. Alle Anwesenden hatten die
Möglichkeit, die meisterhaft gespielten, mannigfaltigen Blast
Beat-Kaskaden zu genießen, zum Beispiel in einem der schönsten
Lieder „Là où Naissent les Couleurs Nouvelles“. Der Schlagzeuger
Winterhalter, der für zwei Bands nacheinander spielte, hat das
höchste Lob verdient! Das war ein Abend voller schöner und
großartiger Melodien, prachtvoller Gitarren und märchenhafter
Atmosphäre! Bravo!
Set-Liste Alcest: „Autre temps“, „Les Iris“, „Là où naissent les
couleurs nouvelles“, „Les Voyages de L'âme“, „Printemps émeraude“, „Écailles
de lune (Part II)“, „Sur l'océan couleur de fer“, „Ciel errant“, „Percées
de lumière“, Encore: „Souvenirs d'un autre monde“
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