Livereview: Alcest - Les Discrets - Soror Dolorosa
25. Februar 2012, Dietikon (ZH) - Sounddock14
By Natalia N.
Am 25. Februar, als die Fasnacht in vollem Schwung war, gaben die Bands Alcest, Les Discrets und Soror Dolorosa ein Konzert im Klub Sounddock 14 (letzte Show im Rahmen der Europa-Tour). Alle diese Bands stammen aus derselben Kompanie in Südfrankreich, in deren Mittelpunkt Stéphane „Neige“ Paut steht. Das ist ein talentierter Multi-Instrumentalist und Sänger, welcher der geistige Anreger vom Projekt Alcest geworden ist und der den Shoegaze-Klang mit Elementen von Black Metal im Rahmen von diesem Projekt erfolgreich vereinigt hat. Im Großen und Ganzen war der Auftritt dieser Bands einer Party im engen Freundeskreis ähnlich. Neige selbst trat nicht nur als Frontmann von Alcest auf, sondern spielte auch Bass bei Les Discrets. In den zwei Bands spielt derselbe Schlagzeuger namens Winterhalter. Der exzentrische Andy Julia, Frontman von Soror Dolorosa, war vorher Schlagzeuger der Band Peste Noire, zu der auch Neige früher gehörte. Indria, der im Rahmen von dieser Tournee Bassspieler von Alcest war, spielt Bass in Peste Noire. Deswegen war die Atmosphäre in der Halle von Anfang an sehr warm und freundlich. Das Konzert verlief wie im Fluge, als ob es keine Pause gäbe.

Soror Dolorosa
Die erste Band, die die Bühne betrat, war Soror Dolorosa. Der Mensch, der seinen Platz am Mikrophon auf einmal einnahm, zog die ganze Aufmerksamkeit des Publikums sofort auf sich. Das war der Dekadent Andy Julia, der sein erstes vollständiges Solo-Album „Blind Scenes“ im Stil Post Punk/Gothic Rock im Jahre 2011 herausgeben ließ. Er trug die für Motorradfahrer traditionelle Lederjacke mit zahlreichen Abzeichen an den Reversen, und sein Aussehen erinnerte an die Mode der 1980er Jahre. Sein Gesicht war mit weißer Schminke bedeckt, und seine Augen verbargen sich hinter einer altmodischen, eckigen Sonnenbrille in einer dicken Brillenfassung. Die Band begann ihren Auftritt nicht sofort. Zuerst bat Andy den Stagemanager um ein Messer! Es stellte sich heraus, dass er es brauchte, um das Klebeband wegzumachen, mit welchem das Mikrophon an den Boden festgeklebt war, und deswegen war es unbeweglich. Erst nachdem das Mikrophon schließlich in Andys Hände geraten war, erklang das Lied „Autumn Wounds“ und die ersten Bassriffs, die für derartige Musik typisch sind. Zuerst schien Andy etwas zerstreut zu sein, jedoch wurde er mit jedem nächsten Lied immer lockerer. Und das zeigte sich nicht nur, indem Andys Stimme sinnlicher und emotioneller wurde, sondern auch, indem sein Benehmen immer legerer wurde. Nach einer Weile nahm er seine Jacke ab und zeigte sein breit ausgeschnittenes T-Shirt, das von seinen Schultern ständig runterfiel. Dann nahm er auch seine Brille ab, und jetzt konnte er sich endlich ans Mikrophon völlig anschmiegen! Auf der Bühne erlebte Andy Leidenschaft, Zweifel, Schmerz und Leiden, während sich die anderen Band-Teilnehmer absichtlich ruhig benahmen, wodurch das durchdringende Seelengeschrei des Frontmans nur noch verstärkt wurde. Leider war das Mikrophon nicht besonders gut abgestimmt und ließ den Musiker die emotionellen Nuancen nicht ausdrücken, die Andy bei der Arbeit im Studio so gut zu zeigen weiß. Schließlich versuchte er, das Mikrophon von selbst abzustimmen, um mehr Raumklang zu schaffen. Bei solch einem Genre wie Post Punk/Gothic Rock steht die Stimme des Sängers immer im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit, deswegen muss auch das Mikrophon ideal abgestimmt sein. Während dieses 40-minütigen Auftrittes erklangen nicht nur die besten Lieder aus dem neuen Album „Blind Scenes“, wie zum Beispiel „Autumn Wounds“, „In A Glance“, „Soror Dolorosa“ und natürlich das langsame und romantische „Low End“, sondern auch einige Kompositionen aus dem Demo-Album „Severance“, wie zum Beispiel „Beau Suicide“ und „43°“.

Les Discrets
Dann trat die Band Les Discrets auf. Eigentlich spielen drei Musiker aus dieser Band auch bei Alcest (Neige, Winterhalter und Zero, der als Gitarrenspieler und Hintergrundsänger bei den Tourneen dieser Band auftritt). Jedoch ist es der Sänger, Gitarrenspieler und dazu auch Maler Fursy Teyssier, der für die Band komponiert und der Band-Frontmann ist. Er begeistert die Zuschauer nicht nur durch sein originelles Herangehen an das Schaffen der Atmosphäre, sondern auch durch die Bilder, die er für das Design der CD-Umschläge von Les Discrets gebraucht. Aber nicht alle Musiker aus dieser Band nahmen am Konzert teil – die Sängerin und Liederverfasserin von Les Discrets, Audrey Hadorn, war nicht da. Dieses Jahr liessen Les Discrets ihr zweites vollständiges Album „Ariettes oubliées... “ herausgeben, was darin resultierte, dass die halbe Set-Liste aus neuen Liedern bestand. Aus den früheren Kompositionen wurden die trüberen und traurigeren „Les Feuilles de L’olivier“ und „Song For Mountains“ gespielt. Fursy hat auch seine Post Punk-Wurzeln nicht vergessen. Es erklang das Lied „Gas In Veins“ von der Band Amesoeurs, zu der dieser talentierte Musiker auch gehörte. Die Musik von Les Discrets hat sicherlich viel Gemeinsames mit der von Alcest, jedoch schaffen Les Discrets sehr interessante atmosphärische Landschaften, die realistisch und vom Post Metal eingeprägt sind, während Alcest eine fantastische Welt darstellen, die mit Realität wenig zu tun hat. Fursy Teyssier hat eine angenehme, warme Stimmklangfarbe und strahlt Intelligenz aus. In seinem Einreiher im englischen Stil, mit seinen kurz geschnittenen Haaren und dem stilvollen Stoppelbart sah er sehr kreativ und zugleich elegant aus. Stéphane „Neige“ Paul, der Frontmann von Alcest, löste für diesen Auftritt seine Haare (während er als Bassist bei Les Discrets spielte hatte er einen hoch am Hinterkopf zusammengehaltenen Pferdeschwanz), und an seiner Brust war eine schöne Pfauenfeder zu sehen.

Alcest
Die Band Alcest begann ihren Auftritt mit dem Lied „Autre temps“, das auch die erste Komposition in ihrem neuen Album „Les voyages de l'Âme“ ist, das Anfang 2012 erschien. Die warme blaugrüne Beleuchtung ließ die Zuschauer in eine geheimnisvolle, jedoch zugleich recht behagliche Welt von fantastischen Reminiszenzen eintauchen. Neige ist nicht nur Multi-Instrumentalist, sondern auch ein talentierter Sänger. In diesem Konzert konnte man sich vergewissern, dass sich seine Gesangfertigkeiten wesentlich verbessert haben. Mit jedem neuen Album wird sein klarer Gesang immer profilierter und sicherer. Obwohl Neige es bevorzugt, bei Alcest eben mit solcher Stimme zu singen, ist sein Blackened Shriek-Gesang genauso toll, wie zum Beispiel in der Komposition „Percées de Lumière“ aus einem früheren Album. Während des Auftrittes von Les Discrets bewegte sich Neige auf der Bühne recht aktiv, aber vor dem Mikrophon stand er ruhig, lächelte oft und war dem Publikum für die Unterstützung sehr dankbar. Neige ist ein toller Gitarrenspieler, der solche Gitarrentechnik wie Tapping wunderbar beherrscht. Das demonstrierte er, als das Lied „Les Iris“ gespielt wurde, die wohl die beste Komposition im letzten Album dieser Band ist. Und als „Sur L’Océan Couleur de Fer“ gespielt wurde, war sein Duo mit Zero zu hören. Es sei betont, dass die Idee, Shoegaze mit einigen Elementen von Black Metal zu vereinigen, sehr gut zu gefallen wussten, weil die Blast Beat-Partien dadurch noch ausdrucksvoller und unterschiedlicher geworden sind. Alle Anwesenden hatten die Möglichkeit, die meisterhaft gespielten, mannigfaltigen Blast Beat-Kaskaden zu genießen, zum Beispiel in einem der schönsten Lieder „Là où Naissent les Couleurs Nouvelles“. Der Schlagzeuger Winterhalter, der für zwei Bands nacheinander spielte, hat das höchste Lob verdient! Das war ein Abend voller schöner und großartiger Melodien, prachtvoller Gitarren und märchenhafter Atmosphäre! Bravo!

Set-Liste Alcest: „Autre temps“, „Les Iris“, „Là où naissent les couleurs nouvelles“, „Les Voyages de L'âme“, „Printemps émeraude“, „Écailles de lune (Part II)“, „Sur l'océan couleur de fer“, „Ciel errant“, „Percées de lumière“, Encore: „Souvenirs d'un autre monde“