Livereview: Angra

20. Juni 2014, Pratteln – Z7
By Tinu
 
Wenn Angra rufen, dann bin ich zu Stelle. Und dies nicht nur, weil ich immer wieder mit den Worten «…my brother from Switzerland…» von Rafael Bittencourt empfangen werde. Die Brasilianer lassen sich in kein Muster stecken und gehen ihren ureigenen Weg. Dabei verbinden sie musikalisch harte und schnelle Teile, mit Klassik beeinflusste Parts und sudamerikanische Folkelemente, und wechseln innerhalb der Lieder immer wieder das Tempo. So abwechslungsreich dies auch ist, für die meisten Musikliebhaber scheint das, trotz des immer hörbaren roten Fadens, zu viel zu sein. Alleine an dem kann es nicht gelegen sein, dass Angra am 20. Juni 2014 nur im Mini-Z7 spielten. Das lag (leider) auch an Black Sabbath, die am gleichen Abend nach sehr langer Zeit wieder mal in der Schweiz spielten und am Fussball-WM-Spiel Schweiz – Frankreich. Diese Konstellation kostete Angra diverse Konzertbesucher. Insbesondere da Angra speziell in Frankreich sehr viele Fans haben. Der angebliche Special Guest machte sich einen Tag vor dem Pratteler Gig auch noch aus dem Staub und so stand das Quintett an diesem Freitagabend alleine auf der Bühne. Dies noch mit einem frischen Trommler (Bruno Valverde anstelle von Ricardo Confessori) und dem Aushilfssänger Fabio Lione (Rhapsody Of Fire).

Die Ausgangslage für Rafael, seinen gitarrentechnischen Partner Kiko Loureiro und Bassist Felipe Andreoli war somit alles andere als gut. Bruno am Schlagzeug hinterliess einen guten Eindruck. Man merkte dem jungen Mann aber an, dass dies erst sein zweites Konzert mit Angra war. Somit konnte Mister Valverde keine Akzente setzen und hatte ab und an kleine Schwankungen und leichte Aussetzer in seinem Spiel («The Voice Commanding You»). Felipe stand wie immer sehr unflexibel auf seinem Platz und erinnerte an eine noch unbeweglichere Version von Ian Hill (Judas Priest). Sein Bassspiel war sicherlich druckvoll und virtuos. Zum aktiven Teil auf der Bühne war sein Beitrag aber nicht vorhanden. - Das kann vielleicht auch an den minimalen Platzverhältnissen auf der Mini-Bühne gelegen haben… - Somit mussten die beiden Gitarrenhelden, Kiko und Rafael, für Bewegung auf der Stage sorgen. Doch auch das begnadete Gitarrenduo hatte schon beweglichere Tage gesehen. Da konnte die agile und spielfreudige Art von Mister Bittencourt nicht darüber hinweg täuschen, dass dieser Abend nicht zu den Besten von Angra gehörte. Musikalisch und spielerisch darf man Kiko und Rafael nichts vorwerfen. Was die Beiden wieder aus ihren sechs Saiten zauberten, an Riffs, Harmonien und Solos, ist und bleibt von einem anderen Stern. Aber Musik lebt nicht nur alleine von handwerklichen Fähigkeiten, sondern auch von Entertainerqualitäten. Das ganz grosse Manko war in meinen Ohren der absolut unpassende Gesang von Aushilfssänger Fabio. Zu keiner Zeit konnte er seinen Vorgängern, Andre Matos und Eduardo Falaschi, das Wasser reichen. Mister Liones Gesang ist sicherlich sehr gut und hat mit seinen leichten opernhaften Vibes schon vielen Bands seinen Stempel aufgedrückt (Rhapsody Of Fire, Labyrinth, Vision Divine). Doch zu den Tracks von Angra klingt seine Stimme völlig deplatziert, da sie zu wenig kernig ist. Sprich, für den Angra-Sound zu lieb. Dies kommt bei den grossen Angra-Hits «Nova Era», «Gentle Change», «Lisbon», oder «Carry On» klar zum Vorschein. Da hilft auch eine gewisse gesangliche Schubladennähe zu Mister Matos nichts.

Als die knapp 90 Minuten lange Show startete, verweigerte zuerst das Mikro von Fabio den Dienst und dann quälten Rafael auch noch technische Probleme. Es dauerte knapp zwei Songs, bis er problemlos in die Show einsteigen konnte. Ein Start nach Mass sieht wirklich anders aus. Den Anwesenden tat dies stimmungsmässig aber keinen Abbruch, im Gegenteil. Sangen sie doch von der ersten Sekunde an begeistert mit. Fabio animierte die kleine Fanschar immer wieder, was ihm problemlos gelang. Dass er jeden Track als seinen Lieblingssong ankündete, verleitete den Songs ab der Hälfte der Spielzeit einen gewissen «running gag». Genau so wie die von Mister Lione geschilderte Niederlage der Italiener gegen Costa Rica. Die nahm er mit Humor und dem Bewusstsein, dass die Helvetier an diesem Abend gegen die Franzosen mit wehenden Fahnen untergingen. Zitat: «Ich weiss, wir Italiener haben nicht geglänzt. Aber wir haben wenigstens nur 1:0 verloren…». Man konnte ihm nicht böse sein, denn einerseits kam dies mit einem untrüglichen italienischen Charme rüber und andererseits bedankte sich der Sänger immer wieder bei den Anwesenden, dass diese ihre Passion zur Musik dem Fussball vorgezogen haben. Eine Passion, welche der Sänger auch Rafael attestierte: «He's the soul oft the band. A great guitar player, composer and songwriter!» Ja, es schien an diesem Abend wirklich so zu sein, dass ohne Mister Bittencourt hier eine Truppe von Einzelkämpfern auf der Bühne gestanden hätte…

Trotzdem! Es war ein gutes, abwechslungsreiches Konzert. Für Angra aber eher eine enttäuschende Vorstellung. Leider blieb das Percussion-Solo aller Musiker wieder im Tourbus stecken. Von einer Truppe wie Angra darf man locker eine zwei Stunden lange Show erwarten. Alleine «Millennium Sun», welches zu Beginn mit Kiko am Klavier und einem kleinen Solo von Rafael eingeläutet wurde, oder die Leadvocals von Rafael bei «The Voice Commanding You» (sein Gesang passt besser zu Angra, als jener von Fabio) reichten nicht aus, um die vergangenen, sagenumwobenen Angra-Konzerte im Z7 zu konkurrenzieren. Es blieb die Frage offen, wohin dass Angra künftig steuern. Eine Truppe, die einst mal dabei war, den Metal-Olymp für sich zu gewinnen. Eine Band, welche den schmerzvollen Abgang von Andre Matos fast problemlos mit Eduardo Falaschi kompensieren konnte. Mit einer Stimme, die sicherlich anders war, als die des Vorgängers, aber einer, die der Band einen deutlichen Stempel aufdrückte und Angra auf das nächsthöhere Level hievte. Steuern Angra mit Fabio auf das gleiche Loch zu, wie damals Viciuos Rumors, als Carl Albert viel zu früh starb? Kann die Combo im Studio einen würdigen Nachfolger der ansonsten tadellosen Diskografie komponieren? Kann Fabio im Studio dem Quintett einen positiven Schub verleihen, wie damals Eduardo bei «Rebirth»? Kann sich Angra aus dem momentanen Mauerblümchen-Dasein wieder freischwimmen und wie die Phoenix aus der Asche aufsteigen? Dieser 20. Juni 2014 stand für Angra auf jeden Fall unter keinem guten Stern. Da haben mich die Südamerikaner an gleicher Stelle mit einem offenen Mund und verzauberter Seele zurück gelassen… Trotzdem gehört diese Kultband zwingend auf die Bühne, damit sie weiterhin mit ihrem unverkennbaren Sound die Fans beglücken kann. Andere Truppen wären froh, sie hätten nur im Ansatz diesen Status. Was für Angra an diesem Abend bloss ein mittelklassiges Niveau darstellte, wäre bei anderen Combos weltklasse…

Setliste: «Intro» - «Angels Cry»» - «Nothing To Say» - «Waiting Silence» - «Time» - «Lisbon» - «Millennium Sun» - «Winds Of Destination» - «Gentle Change» - «The Voice Commanding You» - «Deus Le Volt!» - «Spread Your Fire»» - «Rebirth» - «Unfinished Allegro» - «Carry On» - «Nova Era».