Es war ein kalter Tag, dieser 9. November. Und es war Freitag und
viele waren wohl noch Müde von der anstrengenden Arbeits- oder
Schulwoche. So jedenfalls könnten Leute argumentieren, welche an den
Auftritten der Bands nichts zu kritisieren haben. Tatsache ist, dass
es Apocalyptica erst nach der Hälfte ihres Sets geschafft haben, so
was wie Stimmung im ausverkauften Volkshaus zu erzeugen. Und dann
kam er, der ganz spezielle Moment, wie von Zauberhand, und führte in
Sphären, welche man ohne giftige Substanzen nur an solchen Abenden
erreicht.
Sturm und Drang
Viel wurde bereits über die fünf 15-16-jährigen Finnen geschrieben,
und so waren auch meine Erwartungen an diesen Auftritt entsprechend
hoch. Und tatsächlich, was die Jungs im zarten Alter schon zu Stande
bringen, sollte viele langjährige Bands mächtig den Schweiss aus der
Stirn drücken. Die Songs sitzen, die Gitarrenduelle lassen einem
staunen, die Bewegungen stimmen und die Ansagen sind immer wieder
zum Schmunzeln. So als z.B. Sänger André Linman frech verkündete,
dass sie jetzt eigentlich in der Schule sein müssten. Das Publikum
reagierte trotzdem mit kollektivem Gähnen und kopierte damit die
Band, die insgesamt sehr müde wirkte. Die vergangenen 3 Wochen Tour
schienen an diesem Abend ihren Tribut zu fordern. Ausser
Schlagzeuger Calle Fahllund verbreiteten sämtliche Akteure eher die
Lust nach einem warmen Bett als an ein wildes Metal-Konzert. Diese
Tendenz konnten auch die kleinen Hits „Learning To Rock“ und „Rising“
ohne entsprechende optische Unterstützung nicht in die andere
Richtung reissen. Der Tiefpunkt war dann bei der Coverversion DER
Metalhymne „Fear Of The Dark“ erreicht, wo wirklich niemand
mitgesungen hat. Etwas, das ich bisher noch nie erlebt habe. Dass
Sturm und Drang auch anders könnten, bewiesen sie mit
pflichtbewusstem Headbangen und Positionswechseln. Nur, wo das Herz
fehlt oder lieben schlafen würde, kann auch ein selbstbewusstes
Stageacting nicht viel retten. Das Publikum bedankte die Bemühungen
mit einem stürmischen Schlussapplaus im Bewusstsein, dass Sturm Und
Drang hungriger sind, wenn sie sich nicht gerade 3 Wochen lang fett
gefressen haben.
Apocalyptica
War das Herzblut bei Sturm und Drang höchstens mit der Lupe zu
finden, so verspritzten anschliessend Apocalyptica so viel davon,
dass wohl das gesamte Volkhaus rot nach Hause gefahren wäre. Da rote
Scheinwerfer aber eher eine Seltenheit an diesem Abend darstellten,
lassen wir jetzt die komischen Vergleiche. Denn farbig war der
Einstieg ins Set überhaupt nicht. Zum ersten Song des neuen Albums
Worlds Collide wurden nacheinander weisse Scheinwerfer auf die auf
grossen Stühlen sitzenden Cellisten geworfen, was kombiniert mit den
klirrenden Celloklängen für eine schaurige Stimmung sorgte. Sobald
der Song anzog, stürmten auch die drei Hauptakteure Eicca Toppinen,
Paavo Lötjönen und Perttu Kivilaakso nach vorne an den Bühnenrand
und blieben ab da ständig in Bewegung. In der Mitte thronte
Schlagzeuger Mikko Sirén unter einem grossen Backdrop, welches
exzellent von der Lichtshow in Szene gesetzt wurde. Es folgte „I’m
Not Jesus“, welches im Original von Corey Tayloer (Slipknot und
Stone Sour) eingesungen ist, ohne Stimme aber völlig anders klingt.
Nach einem härteren Stück wurde es mit „SOS (Anything But Love)“ zum
ersten Mal ruhig und so dem Publikum gerecht, welches sich nach wie
vor eher passiv gab. Erst das Metallica-Cover „One“ erlöste das
Volkshaus aus dem Dornrösschenschlaf, um bei der grandiosen Version
von „Helden“ wieder einzudösen. Nach weiteren schnellen
Eigenkompositionen schaffte es dann „Seek And Destroy“, das Ruder
dauerhaft herum zureissen, so dass plötzlich auch eine sanfte
Version von „Bitter Sweet“ hörbar aufgenommen werden konnte. Jetzt
endlich wurden die bis dahin gesparten Kraftreserven ausgepackt und
in „Hall Of The Mountain King“ und „Enter Sandman“ investiert. Was
irgendwie schade war, handelt es sich bei diesen Songs doch
ausschliesslich um Covers und kam danach auch fast nichts eigenes
mehr. Denn die Zeit rief bereits nach dem Zugabeblock und dem
absoluten Highlight des Abends. Wenn „Stille Nacht, Heilige Nacht“
DER Weihnachts-Song ist, dann ist „Nothing Else Matters“ DIE
Metal-Ballade. Apocalyptica trugen sie langsam, würdevoll und fein
vor, das Publikum sang mit und verlieh so diesem Moment etwas
Ehrwürdiges, Heiliges. So, als ob man am Heiligen Abend zusammen mit
all seinen lieben Angehörigen in Glück taumelnd, hypnotisch die
Augen auf den Weihnachtsbaum starrend, die Weihnachtsklassiker
singen würde. Amen! „Life Burns“ sorgte danach wieder für Krach und
unheilige Momente. Zusammen mit „Inquistion Symphony“ provozierte es
nochmals mächtig Bewegung. Schluss war dann allerdings noch nicht.
Eicca Toppinen kündete das wiederum sanfte „Der Seeman“ als Song an,
welchen sie mit der schönsten Frau Europas aufgenommen hätten: Nina
Hagen. Ein toller Song, bei dem ich allerdings die markanten Vocals
dieser Frau vermisste. Apocalyptica haben an diesem Abend alles
richtig gemacht und das Publikum auf ihre Seite gerissen. Schade
nur, dass die Coverversionen besser ankamen als die eigenen Songs.
Und damit bleibt den Volkshaus-Besuchern die dringende Aufgabe, sich
sämtliche Apocalyptica-Alben zu besorgen, um sich bei einem nächsten
Konzert nicht mehr schämen zu müssen.
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