Livereview: Apocalyptica - Sturm und Drang
09. November 2007, Volkshaus Zürich
By Roger W.
Es war ein kalter Tag, dieser 9. November. Und es war Freitag und viele waren wohl noch Müde von der anstrengenden Arbeits- oder Schulwoche. So jedenfalls könnten Leute argumentieren, welche an den Auftritten der Bands nichts zu kritisieren haben. Tatsache ist, dass es Apocalyptica erst nach der Hälfte ihres Sets geschafft haben, so was wie Stimmung im ausverkauften Volkshaus zu erzeugen. Und dann kam er, der ganz spezielle Moment, wie von Zauberhand, und führte in Sphären, welche man ohne giftige Substanzen nur an solchen Abenden erreicht.

Sturm und Drang
Viel wurde bereits über die fünf 15-16-jährigen Finnen geschrieben, und so waren auch meine Erwartungen an diesen Auftritt entsprechend hoch. Und tatsächlich, was die Jungs im zarten Alter schon zu Stande bringen, sollte viele langjährige Bands mächtig den Schweiss aus der Stirn drücken. Die Songs sitzen, die Gitarrenduelle lassen einem staunen, die Bewegungen stimmen und die Ansagen sind immer wieder zum Schmunzeln. So als z.B. Sänger André Linman frech verkündete, dass sie jetzt eigentlich in der Schule sein müssten. Das Publikum reagierte trotzdem mit kollektivem Gähnen und kopierte damit die Band, die insgesamt sehr müde wirkte. Die vergangenen 3 Wochen Tour schienen an diesem Abend ihren Tribut zu fordern. Ausser Schlagzeuger Calle Fahllund verbreiteten sämtliche Akteure eher die Lust nach einem warmen Bett als an ein wildes Metal-Konzert. Diese Tendenz konnten auch die kleinen Hits „Learning To Rock“ und „Rising“ ohne entsprechende optische Unterstützung nicht in die andere Richtung reissen. Der Tiefpunkt war dann bei der Coverversion DER Metalhymne „Fear Of The Dark“ erreicht, wo wirklich niemand mitgesungen hat. Etwas, das ich bisher noch nie erlebt habe. Dass Sturm und Drang auch anders könnten, bewiesen sie mit pflichtbewusstem Headbangen und Positionswechseln. Nur, wo das Herz fehlt oder lieben schlafen würde, kann auch ein selbstbewusstes Stageacting nicht viel retten. Das Publikum bedankte die Bemühungen mit einem stürmischen Schlussapplaus im Bewusstsein, dass Sturm Und Drang hungriger sind, wenn sie sich nicht gerade 3 Wochen lang fett gefressen haben.

Apocalyptica
War das Herzblut bei Sturm und Drang höchstens mit der Lupe zu finden, so verspritzten anschliessend Apocalyptica so viel davon, dass wohl das gesamte Volkhaus rot nach Hause gefahren wäre. Da rote Scheinwerfer aber eher eine Seltenheit an diesem Abend darstellten, lassen wir jetzt die komischen Vergleiche. Denn farbig war der Einstieg ins Set überhaupt nicht. Zum ersten Song des neuen Albums Worlds Collide wurden nacheinander weisse Scheinwerfer auf die auf grossen Stühlen sitzenden Cellisten geworfen, was kombiniert mit den klirrenden Celloklängen für eine schaurige Stimmung sorgte. Sobald der Song anzog, stürmten auch die drei Hauptakteure Eicca Toppinen, Paavo Lötjönen und Perttu Kivilaakso nach vorne an den Bühnenrand und blieben ab da ständig in Bewegung. In der Mitte thronte Schlagzeuger Mikko Sirén unter einem grossen Backdrop, welches exzellent von der Lichtshow in Szene gesetzt wurde. Es folgte „I’m Not Jesus“, welches im Original von Corey Tayloer (Slipknot und Stone Sour) eingesungen ist, ohne Stimme aber völlig anders klingt. Nach einem härteren Stück wurde es mit „SOS (Anything But Love)“ zum ersten Mal ruhig und so dem Publikum gerecht, welches sich nach wie vor eher passiv gab. Erst das Metallica-Cover „One“ erlöste das Volkshaus aus dem Dornrösschenschlaf, um bei der grandiosen Version von „Helden“ wieder einzudösen. Nach weiteren schnellen Eigenkompositionen schaffte es dann „Seek And Destroy“, das Ruder dauerhaft herum zureissen, so dass plötzlich auch eine sanfte Version von „Bitter Sweet“ hörbar aufgenommen werden konnte. Jetzt endlich wurden die bis dahin gesparten Kraftreserven ausgepackt und in „Hall Of The Mountain King“ und „Enter Sandman“ investiert. Was irgendwie schade war, handelt es sich bei diesen Songs doch ausschliesslich um Covers und kam danach auch fast nichts eigenes mehr. Denn die Zeit rief bereits nach dem Zugabeblock und dem absoluten Highlight des Abends. Wenn „Stille Nacht, Heilige Nacht“ DER Weihnachts-Song ist, dann ist „Nothing Else Matters“ DIE Metal-Ballade. Apocalyptica trugen sie langsam, würdevoll und fein vor, das Publikum sang mit und verlieh so diesem Moment etwas Ehrwürdiges, Heiliges. So, als ob man am Heiligen Abend zusammen mit all seinen lieben Angehörigen in Glück taumelnd, hypnotisch die Augen auf den Weihnachtsbaum starrend, die Weihnachtsklassiker singen würde. Amen! „Life Burns“ sorgte danach wieder für Krach und unheilige Momente. Zusammen mit „Inquistion Symphony“ provozierte es nochmals mächtig Bewegung. Schluss war dann allerdings noch nicht. Eicca Toppinen kündete das wiederum sanfte „Der Seeman“ als Song an, welchen sie mit der schönsten Frau Europas aufgenommen hätten: Nina Hagen. Ein toller Song, bei dem ich allerdings die markanten Vocals dieser Frau vermisste. Apocalyptica haben an diesem Abend alles richtig gemacht und das Publikum auf ihre Seite gerissen. Schade nur, dass die Coverversionen besser ankamen als die eigenen Songs. Und damit bleibt den Volkshaus-Besuchern die dringende Aufgabe, sich sämtliche Apocalyptica-Alben zu besorgen, um sich bei einem nächsten Konzert nicht mehr schämen zu müssen.