Livereview: Apocalyptica - Van Canto
28. Juli 2010, KKL Luzern
By Roger W.
Es war ein Abend voller Heavy Metal, aber ohne Gitarren! Dass das kein Witz ist, sondern tatsächlich funktioniert, bewies ein Band-Päcklein, dass unter Kennern bereits vor dem Konzert Kultstatus hatte, nämlich Apocalyptica und Van Canto. Obwohl beide Gruppen auf den ersten Blick komplett verschiedenes tun, zeigen sich bei genaueren Betrachtung doch deutliche Parallelen. Da wären einerseits die Cello-Metaller Apocalyptica, die auf ihren Instrumenten dem harten Stahl frönen, anderseits aber auch Van Canto, die fast sämtliche Geräusche mit ihren Stimmen erzeugen. Gemeinsam ist ihnen die Unterstützung eines Schlagzeugers und das beide Gruppen in ihren Anfangstagen mehrheitlich auf Covers setzten. Deshalb und weil sich beide auf ähnliche Metal-Götter berufen, war auch eine Überschneidung der Setliste nicht zu vermeiden. Und so durfte man sich Metallicas Master Of Puppets gleich als A Cappella- und als Celloversion anhören. Eine spannende Sache also, die die beiden Gruppen mit zwei Headlinerwürdigen Auftritten gekonnt in Szene setzten.

Van Canto

Wer Van Canto bereits auf CD kannte, durfte gespannt sein, wie die A Cappella-Nummern Live umgesetzt werden. Nur mit Schlagzeuger Bastian Emig im Rücken, legte die vier Jungs und das Mädel gleich von Beginn ein ordentliches Brett hin. Mit „To Sing A Metal Song“ und Grave Diggers „Rebellion“ liessen sie jegliche Gedanken an Bass und Gitarre schnell vergessen. Und auch die technisch bedingten längeren Pausen zwischen den Liedern, wussten Van Canto charmant zu überbrücken. Denn nach dem ersten Song stellte Leadsänger Sly klar: „Wir Sänger müssen eine Menge trinken. Macht doch in den Pausen jeweils Lärm.“ Und tatsächlich befolgte das Publikum seinen Rat. Die Gesangsrollen schienen klar verteilt. Während sich Sly und Inga vornehmlich den Leadgesang teilten, war Steff für die Mundigitarrensoli zuständig, während Ross und Ingo den Rhythmus sangen. Mit grossen Gesten und einer Bühnenpräsents, die sonst oft nur der Bandleader hat, unterstützten die Gesangs-Metaller ihren stimmlichen und optischen Ausdruck. Da fiel es auch nicht so stark ins Gewicht, dass einzige Sänger Ingo nicht über den gleich intensiven Charme wie der Rest verfügte. Mit NIghtwish’s „Wishmaster“ packten die Deutschen erneut ein Cover aus, dem sie die einzige reine A Cappello-Nummer in der Gestalt/den Tönen von Blind Guardians „Bards Song“ folgen liessen. Denn extra für diesen Song sang auch Schlagzeuger Bastian mit. Leadsänger Sly erstaunte dabei erneut mit seiner Stimme, die sehr nahe an die von Hansi Kürsch kam. Spätestens bei der grandiosen Eigenkomposition „My Voice“ offenbarte sich aber die Schwäche des Publikums, dass zum Grossteil eher passiv mitmachte. Diese wurde mit der ersten Zugabe zur Gewissheit. Als bei Iron Maiden’s „Fear Of The Dark“ die obligatorischen „Ohos“ ausblieben. Umso mehr verdutzte danach der beachtliche Schlussapplaus, der Bewies, dass Van Canto vielleicht doch noch ein, zwei Nasen auf den Geschmack gebracht haben. Zu hoffen wäre es, denn in der gezeigten Form, werden Van Canto immer eine Reise wert sein.


Apocalyptica
Definitiv nichts bereut hatte das Publikum an diesem Abend mit dem Konzert von Apocalyptica. Verfügten Van Canto bereits über eine tolle Bühnenpräsenz, war diese bei den Finnen schlicht gigantisch. Für einmal nur mit drei anstelle von vier Cellos (Antero Manninen spielt sonst live noch mit) steigerten sie sich nach einem Intro ab Band in den Song Refuse. Dazu passend verwandelte sich die gänzlich abgedunkelte Bühne im Verlaufe des Songs in ein wildes Durcheinander aus Grell und Dunkel. Die Finnen unterstützten diese Lichtshow, in dem sie über die Bühne fegten, ihre Celli mal vom linken an den rechten Bühnenrand schleppten, und lächelten ins Publikum zufrieden, wenn sie nicht gerade am headbangen waren. Besonders Perttu mimte den verrückten, leicht hypernervösen Musiker, während Paavo immer wieder hämisch Grimassen schnitt. Da das neue Album „7th Symphony“ erst in einem halben Monat rauskam, hatten die Cellisten am Blue Balls-Festival bei der Songauswahl Narrenfreiheit. Und so gab es ein Programm zu hören, welches erstaunlich viele Coverversionen beinhaltete. Zudem überraschten Apocalyptica mit einem Tabubruch: Hiess es bis jetzt in Interviews der Band immer „Wir brauchen keinen Sänger für die Songs, die auf CD gesungen sind, weil wir mit dem Publikum über einen ganzen Chor verfügen“ bereicherte in Luzern eine unbekannte Goldkehle einzelne Lieder. „I’m Not Jesus“ und das neue „End Of Me“ eröffneten den Gesangsreigen. Im Verlaufe des Konzert sollte der besagte Sänger noch die Möglichkeit bekommen, auch „Life Burns“ und das ebenfalls neue „I Don’t Care“ zu veredeln. Bis dahin hiess es aber: „Do you love beautiful cello music?“ und klar tat dies das Publikum, welches die Finnen motivierter als bei Van Canto, aber weit weg von euphorisch, unterstützte. Mit „Seek And Destroy“ und „Inquisition Symphony“ lotsten die Cellisten die Härtegrenzen ihrer Instrumente aus, während das neue „Beautiful“ von Schlagzeuger Mikko am Kontrabass unterstützt wurde. Zusammen mit dem nachfolgenden akustischen „Bittersweet“ sorgte es für die kontrastreichen ruhigen Töne. Die Zeit verging bei dieser Abwechslung wie im Fluge. Und als das Dreierpacket „Enter Sandman“, Master Of Puppets und Edward Greags „Hall Of The Mountain King“ ausgeklungen war, hatte die imaginäre Auftritts-Stoppuhr bereits zwei Stunden überschritten. Fazit: Apocalyptica sind live eine Wucht und schlagen sogar die auf CD gezeigte Atmosphäre und Stimmung.

Setliste Apocalyptica: Cohkka, Refuse, Grace, Fight Fire With Fire, I’m Not Jesus (Vocals), End Of Me (Vocals), For Whom The Bell Tolls, Betrayal, Beautiful, Sacra, Bittersweet, Last Hope, Life Burns (Vocals), Seek and Destroy, Inquisition Symphony, I Don’t Care (Vocals), Enter Sandman, Master Of Puppets, Hall Of The Mountain King,