Livereview: Avatarium - The Vintage Caravan - Honeymoon Disease

24. November 2015, Pratteln – Mini-Z7
By Rockslave
Von den schwedischen Retro-Doomstern mit Bassist Leif Edling im (Studio-) und Kollege Anders Iwers (von Tiamat) im Live-Lineup hatte ich schon einiges gelesen, mich aber bisher noch nie wirklich mit deren Musik auseinander gesetzt. Wären nicht noch die Labelmates The Vintage Caravan mit auf dem Billing gestanden, wäre ich unter Umständen nicht mal nach Pratteln gefahren. Nur gut wurde ich dennoch von der Neugierde bezüglich des Headliners gepackt, wohl wissend, dass auch das isländische Rock-Trio auf der Mini-Z7 bestens zur Geltung kommen würde. Die persönliche Überraschung des Abends war aber eindeutig der Opener Honeymoon Disease! Die LandskollegenInnen von Avatarium stammen aus Göteborg und zelebrierten natürlich nicht den Sound, den man sonst aus diese Ecke gewohnt ist. Vielmehr war es einfach simpler, herrlich frisch von der Leber weg gespielter Rock’n‘Roll, der wohltuend überraschte. Interessanterweise sind auf einer älteren Tour-Anzeige die Spiders als erster Support aufgeführt, die auch über eine Frontfrau in der Band verfügen und ebenso aus Göteborg stammen. Stockholm ist derweil die Heimat von Avatarium, um die Geographie abzuschliessen.

Honeymoon Disease

Was gibt es Schöneres als langjähriger Konzertgänger, wenn man eine tolle junge Band bei ihrem allerersten Auftritt in der Schweiz erleben darf? So geschehen an diesem Abend im wie immer lauschig hergerichteten Mini-Z7. Bevor Jenna (v & g), Acid (g), Nick (b) und Jimi (d) in Aktion zu sehen und zu hören waren, fiel mir zuerst mal das Backdrop mit dem fetten Muscle-Car auf. Als Honeymoon Disease dann auf die Bühne kamen und sich entsprechend einrichteten, liess die reine Optik auf retromässigen Hippie-Sound schliessen. Dem war dann aber nicht so. Vielmehr erklang ein lockerer oldschool Rock’n’Roll, der mich teilweise an die frühen Girlschool erinnerte. Im Zentrum des Geschehens standen dabei eindeutig die beiden Klampfen-Girls Jenna und Acid. Letztere legte sich von den Soli her mehrmals mächtig ins Zeug und schmiss sich, zusammen mit der Frontfrau, immer wieder in die geilsten Posen. Auch wenn nicht alle Läufe immer ganz sauber daher kamen und es deutlich filigraneres E-Guitar Spiel zu hören gibt, überzeugte die Band als Ganzes mit viel Ausstrahlung, Herzblut und vor allem einem Mordsspass bei der Sache. Nach eigener Definition soll ihre Musik Fans von KISS, Rainbow, Thin Lizzy, Led Zeppelin und Deep Purple ansprechen. Je länger man sich den Sound der SchwedenInnen rein zieht, desto mehr lichten sich die musikalischen Nebelschwaden und für mich kristallisieren sich schliesslich überwiegend die alten KISS heraus. Sobald jedoch die (live ab Band kommende) Hammond-Orgel, wie bei «Keep Me Spinning», erklingt, sind zumindest die Reminiszenzen an Deep Purple durchaus auch nachvollziehbar. Jennas klare, aber zu keiner Zeit schrille Leadvocals setzen da natürlich etwas andere gesangliche Akzente, und die kongenialen Backing-Vocals von Acid sorgten letztlich für die Trademarks dieser total erfrischenden Rockband. In der viel zu kurzen halben Stunde wurden nicht weniger als neun der insgesamt elf kurzweiligen neuen Songs vorgestellt. Das Debüt-Album «The Transcendence» kam erst vier Tage zuvor weltweit heraus, und zu meiner grossen Freude gab es am Merchandise-Stand neben den obligaten Shirts sowie der CD (als Digipak) auch limitiertes Vinyl und sogar farbige Singles zu kaufen. Fan-Herz, was willst Du mehr?!!

Setliste: «Higher» - «Bellevue Groove» - «Stargazer» - «Rock'n'Roll Shock» - «Brand New Ending» - «Fast Love» - «Imperial Mind» - «Keep Me Spinning» - «Gotta Move».

The Vintage Caravan
Nun war klar, dass in Sachen Härte eine gehörige Schippe drauf gelegt wird. Seit meinem ersten erlebten Konzert (Aarau, 22.03.2014) der ziemlich talentierten Youngsters aus Island sind inzwischen gut zwanzig Monate vergangen. In der Zeit haben sich The Vintage Caravan regelrecht den Arsch abgespielt und gehören mittlerweile zu den angesagtesten Kapellen der ganzen Retro-Rockszene. Dass dabei das bandmässige Sein mit einem komfortablen Platten-Deal von Nuclear Blast deutlich angenehmer, also ohne Promo-Lücken gestaltet werden kann, versteht sich somit von selber. Am heutigen Abend standen der zweiten Band des Abends 45 Minuten zu, und diese wussten Óskar Logi Ágústsson (g/v), Alexander Örn Númason (b/v) und Neuzugang Stefán Ari (d), der Guðjón Reynisson im vergangenen Frühling ersetzte, optimal zu nutzen. Dazu kam, dass die kleine Mini-Z7 Bühne natürlich genau das richtige Umfeld für das lärmige Trio aus Álftanes war. Óskar, Alexander und Stefán sind ja bekannt für ihre schweisstreibenden Auftritte, und so dauerte es nicht lange, bis alle drei Musiker ihren Groove-Rock schweissgebadet zelebrierten. Vor allem Bassist Alexander, der mittlerweile einen ordentlichen Bartwuchs auffährt, zuckte unentwegt wie ein Irrer auf der Bühne rum. Die Songs stammten vom aktuellen Album «Arrival» und dem Vorgänger «Voyage», das (als zweites Album des Diskographie) den Deal mit und die weltweite Wiederveröffentlichung über Nuclear Blast einbrachte. Der heutige Opener «Craving» stammt von eben diesem türschlossöffnenden Meister-stück ging abermals ohne Rücksicht auf Gefangene sofort von null auf hundert. Beeindruckend war einmal mehr, was für ein cooler Hund dieser Óskar Logi Ágústsson ist. Musiker durch und durch wie Energiebündel mit unendlichen Energie-reserven. Auch der zweite Kracher «Babylon», der zwischen brachial und lieblich aufbauend ebenso voll rein knallte, untermauerte treffend, was The Vintage Caravan sind, nämlich nichts anderes als eine verdammte Hammer-Band. Darüber hinaus verfügt das Trio überwiegend über sackstarke Songs, wie mitunter das Groove-Monster «Let Me Be», zu dem man kaum still an Ort und Stelle stehen kann. Es geht aber auch anders und darin sind die Isländer ebenso spitze, nachzuhören beim zu Beginn ruhigen Track «Winterland», wo Óskars prägnante Gesangsstimme eigentlich noch besser als sonst zur Geltung kommt und das Guitar-Solo mit leiseren Tunes perfekt dazu passt. Zu psychedelischem Rock gehören oft auch Überlängen bei den Songs und so dauerten die abschliessenden Rockepen «Last Day Of Light» sowie «Expand Your Mind» nicht weniger als eine Viertelstunde und sorgten nach 45 intensiven Minuten für die richtige Betriebstemperatur des gut animierten Publikums. Mag auch sein, dass ein Konzert des lärmigen Trios über die Gesamtdistanz etwas an Spannung einbüsst, aber diese Frage kann erst bei der ersten eigenen Headliner-Tour abschliessend beantwortet werden, und diese wird 2016 ziemlich sicher abgehalten, wetten?

Setliste: «Craving» - «Babylon» - «Let Me Be» - «Winterland» - «Last Day Of Light» - «Expand Your Mind».

Avatarium
Da ich mich zuvor praktisch noch nicht mit dieser Band aus Stockholm beschäftigt hatte, war der heutige Auftritt insofern wichtig, als dass ich danach ja die allererste Live-Begegnung zu kommentieren habe. Das birgt gewisse Gefahren in sich, aber es passierte genau das Gegenteil, sprich ich wurde nach diesem Auftritt klar zum Fan, doch alles schön der Reihe nach. Als Erstes müssen drei Namen ins Spiel gebracht werden, und dies sind zunächst Marcus Jidell und Leif Edling. Während Letzterer natürlich untrennbar mit der Geschichte von Candlemass zusammen hängt und Avatarium mitunter als sein neues Band-Ding ins Leben gerufen hat, ist Evergrey und Ex-Royal Hunt Klampfer derjenige, der mit seinem eigenen Studio die ersten Aufnahmen erst möglich machte. Dritter im Bunde ist (Tour-) Bassist Anders Iwers, der sonst in Diensten von In Flames und Dark Tranquillity steht und temporär den Posten von Leif Edling einnimmt, der aus gesundheitlichen Gründen nicht auf Reisen gehen kann und deshalb passen musste. Und dann ist da natürlich noch die bezaubernde Frontlady Jennie-Ann Smith, die ich bis anhin von Bildern und Interviews her nur schwer einschätzen konnte. Doch kaum trat sie, einer Fee gleich, auf die Bühne und mit ihrer wunderbaren Gesangsstimme zu singen begann, war er es schon um mich geschehen. Die Vorschusslorbeeren waren demnach mehr als nur berechtigt und das neue Album «The Girl With The Raven Mask» nicht überbewertet. Der Opener «Ghostlight» gab auf jeden Fall schon einiges davon preis, was diese Band in der Tat zu etwas Besonderem macht. Die schwermütige Musik in der Schnittmenge von Candlemass, Evergrey und Black Sabbath, ergänzt um die glasklare Stimme von Jennie und eher unvorhersehbare Arrangements der Songs sorgen für einen ausladenden wie gleichzeitig interessanten Klangkosmos. Dazu trug Miss Smith eine Art Umhang mit Flügeln, die durch entsprechende Armbewegungen in Szene gesetzt wurden.

Der treibende wie gleichnamige Opener der aktuellen Scheibe schlug danach einer Bombe gleich ein! Was für ein hammergeiler Groover mit fetten Riffs und prägnanten Hammond-Orgelsound. Dass man sich hier locker auch den Candlemass Ur-Shouter Messiah Marcolin gut am Mikro hätte vorstellen können, lässt unweigerlich die Handschrift von Leif Edling erkennen. Die gesangliche und weibliche Facette mit Jennie-Ann Smith kann indes als absoluter Glücksfall für Avatarium bezeichnet werden, zumal die sympathische Schwedin hierbei ihre ganze stimmliche Spannweite auffahren kann. Dazu gehören auch all die getragenen Parts, die einerseits als Bridges oder wie bei «The January Sea», wo der düstere und zähe Beginn hinten raus deutlich getragener ausfällt. Ebenso auffällig ist das töfte Gitarren-Spiel von Marcus Jidell, den ich eigentlich immer noch von seiner Zeit bei Royal Hunt in bester Erinnerung habe und der musikalisch nun eine andere Seite auslebt. Dass die Band heute Abend mit der gut besuchten Mini-Z7 Bühne Vorlieb nehmen musste, war keinesfalls ein Nachteil, im Gegenteil. Einerseits blies einem der Sound fett um die Ohren und andererseits war die Tuchfühlung zur Band aus gegebenem Anlass viel intimer als auf der grossen Bühne. Nach diesem Hammerauftritt dürfte eine kommende Tour als Headliner deutlich mehr Leute anziehen. Wie saumässig gut das neue Studio-Album ist, offenbarte auch «Run Killer Run». Was für ein Knaller nach dem schon fast episch anmutenden «The Master Thief»! Mit «Avatarium» als Zugabe, also dem Titel, der der Band den Namen verlieh, wurde ein 90-minütiger Soundkoloss edelster Güte eigentlich zu früh zu Ende gebracht. Kurz danach war die ganze Band am Merchstand anzutreffen und gab sich unkompliziert wie absolut fannah. Sowas macht natürlich mächtig Freude und lässt die Bilanz des heutigen Konzertereignisses in einem noch positiveren Licht als sonst schon erscheinen.

Setliste: «Ghostlight» - «Girl With The Raven Mask» - «Bird Of Prey» - «The January Sea» - «All I Want» - «Pearls And Coffins» - «The Master Thief» - «Run Killer Run» - «Deep Well» - «Moonhorse» -- «Avatarium».