Von den schwedischen Retro-Doomstern mit Bassist Leif Edling
im (Studio-) und Kollege Anders Iwers (von Tiamat) im Live-Lineup
hatte ich schon einiges gelesen, mich aber bisher noch nie wirklich
mit deren Musik auseinander gesetzt. Wären nicht noch die Labelmates
The Vintage Caravan mit auf dem Billing gestanden, wäre ich unter
Umständen nicht mal nach Pratteln gefahren. Nur gut wurde ich
dennoch von der Neugierde bezüglich des Headliners gepackt, wohl
wissend, dass auch das isländische Rock-Trio auf der Mini-Z7 bestens
zur Geltung kommen würde. Die persönliche Überraschung des Abends
war aber eindeutig der Opener Honeymoon Disease! Die
LandskollegenInnen von Avatarium stammen aus Göteborg und
zelebrierten natürlich nicht den Sound, den man sonst aus diese Ecke
gewohnt ist. Vielmehr war es einfach simpler, herrlich frisch von
der Leber weg gespielter Rock’n‘Roll, der wohltuend überraschte.
Interessanterweise sind auf einer älteren Tour-Anzeige die Spiders
als erster Support aufgeführt, die auch über eine Frontfrau in der
Band verfügen und ebenso aus Göteborg stammen. Stockholm ist derweil
die Heimat von Avatarium, um die Geographie abzuschliessen.
Honeymoon Disease
Was gibt es Schöneres als langjähriger Konzertgänger, wenn man eine
tolle junge Band bei ihrem allerersten Auftritt in der Schweiz
erleben darf? So geschehen an diesem Abend im wie immer lauschig
hergerichteten Mini-Z7. Bevor Jenna (v & g), Acid (g), Nick (b) und
Jimi (d) in Aktion zu sehen und zu hören waren, fiel mir zuerst mal
das Backdrop mit dem fetten Muscle-Car auf. Als Honeymoon Disease
dann auf die Bühne kamen und sich entsprechend einrichteten, liess
die reine Optik auf retromässigen Hippie-Sound schliessen. Dem war
dann aber nicht so. Vielmehr erklang ein lockerer oldschool
Rock’n’Roll, der mich teilweise an die frühen Girlschool erinnerte.
Im Zentrum des Geschehens standen dabei eindeutig die beiden
Klampfen-Girls Jenna und Acid. Letztere legte sich von den Soli her
mehrmals mächtig ins Zeug und schmiss sich, zusammen mit der
Frontfrau, immer wieder in die geilsten Posen. Auch wenn nicht alle
Läufe immer ganz sauber daher kamen und es deutlich filigraneres
E-Guitar Spiel zu hören gibt, überzeugte die Band als Ganzes mit
viel Ausstrahlung, Herzblut und vor allem einem Mordsspass bei
der
Sache. Nach eigener Definition soll ihre Musik Fans von KISS,
Rainbow, Thin Lizzy, Led Zeppelin und Deep Purple ansprechen. Je
länger man sich den Sound der SchwedenInnen rein zieht, desto mehr
lichten sich die musikalischen Nebelschwaden und für mich
kristallisieren sich schliesslich überwiegend die alten KISS heraus.
Sobald jedoch die (live ab Band kommende) Hammond-Orgel, wie bei
«Keep Me Spinning», erklingt, sind zumindest die Reminiszenzen an
Deep Purple durchaus auch nachvollziehbar. Jennas klare, aber zu
keiner Zeit schrille Leadvocals setzen da natürlich etwas andere
gesangliche Akzente, und die kongenialen Backing-Vocals von Acid
sorgten letztlich für die Trademarks dieser total erfrischenden
Rockband. In der viel zu kurzen halben Stunde wurden nicht weniger
als neun der insgesamt elf kurzweiligen neuen Songs vorgestellt. Das
Debüt-Album «The Transcendence» kam erst vier Tage zuvor weltweit
heraus, und zu meiner grossen Freude gab es am Merchandise-Stand
neben den obligaten Shirts sowie der CD (als Digipak) auch
limitiertes Vinyl und sogar farbige Singles zu kaufen. Fan-Herz, was
willst Du mehr?!!
Setliste: «Higher» - «Bellevue Groove» -
«Stargazer» - «Rock'n'Roll Shock» - «Brand New Ending» - «Fast Love»
- «Imperial Mind» - «Keep Me Spinning» - «Gotta Move».
The Vintage Caravan
Nun war klar, dass in Sachen Härte eine gehörige Schippe drauf
gelegt wird. Seit meinem ersten erlebten Konzert (Aarau, 22.03.2014)
der ziemlich talentierten Youngsters aus Island sind inzwischen gut
zwanzig Monate vergangen. In der Zeit haben sich The Vintage Caravan
regelrecht den Arsch abgespielt und gehören mittlerweile zu den
angesagtesten Kapellen der ganzen Retro-Rockszene. Dass dabei das
bandmässige Sein mit einem komfortablen Platten-Deal von Nuclear
Blast deutlich angenehmer, also ohne Promo-Lücken gestaltet werden
kann, versteht sich somit von selber. Am heutigen Abend standen der
zweiten Band des Abends 45 Minuten zu, und diese wussten Óskar Logi
Ágústsson (g/v), Alexander Örn Númason (b/v) und Neuzugang Stefán
Ari (d), der Guðjón Reynisson im vergangenen Frühling ersetzte,
optimal zu nutzen. Dazu kam, dass die kleine Mini-Z7 Bühne natürlich
genau das richtige Umfeld für das lärmige Trio aus Álftanes war.
Óskar, Alexander und Stefán sind ja bekannt für ihre schweisstreibenden
Auftritte, und so dauerte es nicht lange, bis alle drei Musiker ihren
Groove-Rock schweissgebadet zelebrierten. Vor allem Bassist Alexander,
der mittlerweile einen ordentlichen Bartwuchs auffährt, zuckte unentwegt
wie ein Irrer auf der Bühne rum. Die Songs stammten vom aktuellen
Album «Arrival» und dem Vorgänger «Voyage», das (als zweites Album
des Diskographie) den Deal mit und die weltweite
Wiederveröffentlichung über
Nuclear
Blast einbrachte. Der heutige Opener «Craving» stammt von eben
diesem türschlossöffnenden Meister-stück ging abermals ohne Rücksicht
auf Gefangene sofort von null auf hundert. Beeindruckend war einmal
mehr, was für ein cooler Hund dieser Óskar Logi Ágústsson ist.
Musiker durch und durch wie Energiebündel mit unendlichen
Energie-reserven. Auch der zweite Kracher «Babylon», der zwischen
brachial und lieblich aufbauend ebenso voll rein knallte,
untermauerte treffend, was The Vintage Caravan sind, nämlich nichts
anderes als eine verdammte Hammer-Band. Darüber hinaus verfügt das
Trio überwiegend über sackstarke Songs, wie mitunter das
Groove-Monster «Let Me Be», zu dem man kaum still an Ort und Stelle
stehen kann. Es geht aber auch anders und darin sind die Isländer
ebenso spitze, nachzuhören beim zu Beginn ruhigen Track
«Winterland», wo Óskars prägnante Gesangsstimme eigentlich noch
besser als sonst zur Geltung kommt und das Guitar-Solo mit leiseren
Tunes perfekt dazu passt. Zu psychedelischem Rock gehören oft auch
Überlängen bei den Songs und so dauerten die abschliessenden
Rockepen «Last Day Of Light» sowie «Expand Your Mind» nicht weniger
als eine Viertelstunde und sorgten nach 45 intensiven Minuten für
die richtige Betriebstemperatur des gut animierten Publikums. Mag
auch sein, dass ein Konzert des lärmigen Trios über die
Gesamtdistanz etwas an Spannung einbüsst, aber diese Frage kann erst
bei der ersten eigenen Headliner-Tour abschliessend beantwortet
werden, und diese wird 2016 ziemlich sicher abgehalten, wetten?
Setliste: «Craving» - «Babylon» - «Let Me Be» - «Winterland» -
«Last Day Of Light» - «Expand Your Mind».
Avatarium
Da ich mich zuvor praktisch noch nicht mit dieser Band aus Stockholm
beschäftigt hatte, war der heutige Auftritt insofern wichtig, als
dass ich danach ja die allererste Live-Begegnung zu kommentieren
habe. Das birgt gewisse Gefahren in sich, aber es passierte genau
das Gegenteil, sprich ich wurde nach diesem Auftritt klar zum Fan,
doch alles schön der Reihe nach. Als Erstes müssen drei Namen ins
Spiel gebracht werden, und dies sind zunächst Marcus Jidell und Leif
Edling. Während Letzterer natürlich untrennbar mit der Geschichte
von Candlemass zusammen hängt und Avatarium mitunter als sein neues
Band-Ding ins Leben gerufen hat, ist Evergrey und Ex-Royal Hunt
Klampfer derjenige, der mit seinem eigenen Studio die ersten
Aufnahmen erst möglich machte. Dritter im Bunde ist (Tour-) Bassist
Anders Iwers, der sonst in Diensten von In Flames und Dark
Tranquillity steht und temporär den Posten von Leif Edling einnimmt,
der aus gesundheitlichen Gründen nicht auf Reisen gehen kann und
deshalb passen musste. Und dann ist da natürlich noch die
bezaubernde Frontlady Jennie-Ann Smith, die ich bis anhin von
Bildern und Interviews her nur schwer einschätzen konnte. Doch kaum
trat sie, einer Fee gleich, auf die Bühne und mit ihrer wunderbaren
Gesangsstimme zu singen begann, war er es schon um mich geschehen.
Die Vorschusslorbeeren waren demnach mehr als nur berechtigt und das
neue Album «The Girl With The
Raven
Mask» nicht überbewertet. Der Opener «Ghostlight» gab auf jeden Fall
schon einiges davon preis, was diese Band in der Tat zu etwas
Besonderem macht. Die schwermütige Musik in der Schnittmenge von
Candlemass, Evergrey und Black Sabbath, ergänzt um die glasklare
Stimme von Jennie und eher unvorhersehbare Arrangements der Songs
sorgen für einen ausladenden wie gleichzeitig interessanten
Klangkosmos. Dazu trug Miss Smith eine Art Umhang mit Flügeln, die
durch entsprechende Armbewegungen in Szene gesetzt wurden.
Der treibende wie gleichnamige Opener der aktuellen Scheibe schlug
danach einer Bombe gleich ein! Was für ein hammergeiler Groover mit
fetten Riffs und prägnanten Hammond-Orgelsound. Dass man sich hier
locker auch den Candlemass Ur-Shouter Messiah Marcolin gut am Mikro
hätte vorstellen können, lässt unweigerlich die Handschrift von Leif
Edling erkennen. Die gesangliche und weibliche Facette mit
Jennie-Ann Smith kann indes als absoluter Glücksfall für Avatarium
bezeichnet werden, zumal die sympathische Schwedin hierbei ihre
ganze stimmliche Spannweite auffahren kann. Dazu gehören auch all
die getragenen Parts, die einerseits als Bridges oder wie
bei «The January Sea», wo der düstere und zähe Beginn hinten raus
deutlich getragener ausfällt. Ebenso auffällig ist das töfte
Gitarren-Spiel von Marcus Jidell, den ich eigentlich immer noch von
seiner Zeit bei Royal Hunt in bester Erinnerung habe und der
musikalisch nun eine andere Seite auslebt. Dass die Band heute Abend
mit der gut besuchten Mini-Z7 Bühne Vorlieb nehmen musste, war
keinesfalls ein Nachteil, im Gegenteil. Einerseits blies einem der
Sound fett um die Ohren und andererseits war die Tuchfühlung zur
Band aus gegebenem Anlass viel intimer als auf der grossen Bühne.
Nach diesem Hammerauftritt dürfte eine kommende Tour als Headliner
deutlich mehr Leute anziehen. Wie saumässig gut das neue
Studio-Album ist, offenbarte auch «Run Killer Run». Was für ein
Knaller nach dem schon fast episch anmutenden «The Master Thief»!
Mit «Avatarium» als Zugabe, also dem Titel, der der Band den Namen
verlieh, wurde ein 90-minütiger Soundkoloss edelster Güte eigentlich
zu früh zu Ende gebracht. Kurz danach war die ganze Band am
Merchstand anzutreffen und gab sich unkompliziert wie absolut
fannah. Sowas macht natürlich mächtig Freude und lässt die Bilanz
des heutigen Konzertereignisses in einem noch positiveren Licht als
sonst schon erscheinen.
Setliste: «Ghostlight» - «Girl With
The Raven Mask» - «Bird Of Prey» - «The January Sea» - «All I Want»
- «Pearls And Coffins» - «The Master Thief» - «Run Killer Run» -
«Deep Well» - «Moonhorse» -- «Avatarium».
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