Es gibt sie noch, diese Momente, die zählen. Im heutigen
Zeitalter des neurotischen Multitaskings gepaart mit der
multimedialen Dauerberieselung ist es schwerer denn je, den Fokus
auf die bestimmenden Faktoren zu richten. Musik bietet dabei schon
seit Jahrtausenden den Ausweg aus dem Dilemma – Ohne es konkret zu
realisieren, unterwerfen sich tagein, tagaus etliche Menschen dem
Bann der physikalischen Schallausbreitung, sei es per erworbenem
Medium oder Live-Erlebnis indiziert. Dabei hat vor allem die
zweitgenannte Situation das Potential, eine magische Dynamik zu
erschaffen: Die tragende Formel hinter dem Konstrukt wird wohl auf
ewig ein Rätsel bleiben – Aber es gibt Momente, in denen sich ein
universeller Puls von der Bühne über das Publikum ausbreitet, und
jeden einzelnen Besucher mit den auftretenden Musikern verbindet.
Zugegeben, sie machen sich rar, diese Momente. Es scheint, als
würden sich die Bands zu Massen der Gleichströmigkeit ergeben, und
im Schwindel des Tourtrotts ihre Ecken und Kanten abwerfen. Auf die
Bühne, Setliste runterhaspeln, in den Bus, auf zur nächsten Show -
Drei Monate am Stück, das Geld muss rein, zumal die Plattenfirmen
die Finger mittlerweile auch in den Konzert-Gagen drin haben… Dass
da der Geist auf der Strecke bleibt, erklärt sich von selbst. Aber
es gibt einige Orte in unserer wunderbaren Schweiz, da werden
bewusstseinserweiternde Shows zelebriert, als gäbe es keinen Morgen.
Musikalische Offenheit gepaart mit gutem Riecher ist hier die
Zauberformel – Funktioniert im Bad Bonn schon seit sensationellen 25
Jahren, und hat nun endlich auch Baroness angeschwemmt.
Fünfzig Minuten wollte das amerikanische Quartett ursprünglich
spielen, neunzig vom Schweiss triefende sind es schlussendlich
geworden - Das Publikum wollte die Band nicht mehr ziehen lassen,
und die Band wollte dem Publikum ihr Innerstes nach aussen kehren.
Schlussendlich haben beide Parteien ihre Wünsche erfüllt gekriegt,
während die Statistik eine Standing Ovation hinlegt: Aus der ganzen
Schweiz angereiste Gäste, proppenvolles Haus, gefühlte
fünfundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit bei sechzig Grad Celsius
Raumtemperatur, an eigenen und wildfremden Körpern klebende
Klamotten, breite
Grinsgesichter soweit das triefende Auge reicht –
Und obendrauf beim Merchandise ein Geschäft wie zum
Weihnachtsausverkauf. Sänger/Gitarrist John Baizley stimmt deswegen
vor der ungeplanten Zugabe zu einer ellenlangen und mindestens eben
so mitreissenden Ansprache an, die wohl in die Geschichtsbücher des
Clubs eingehen wird, und (Frei übersetzt) in folgendem Satz mündet:
«Wir haben Jahre lang sämtlichen Scheiss mitgemacht, nur um solche
Shows wie heute spielen zu können - Ihr seid es wert, ihr macht es
möglich».
Es gibt sie also definitiv noch, diese Momente. Man sollte einfach
nicht so bescheuert sein, sie nur bei den Grossen der Szene zu
suchen - Emotionen sind in erster Linie die Waffe des Individuums.
Baroness haben dies aus der Hüfte demonstriert, und schon allein
dafür lag ihnen das Publikum zu Füssen. Ach ja, Poissons Autistes
haben auch noch gespielt - Elektronischer Post-Rock, der angesichts
der mächtigen Konkurrenz spurlos verpuffte.
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