Beruhigt habe ich mich noch nicht so wirklich. Die Hysterie sitzt
mir noch wie der Teufel im Nacken, aber ich versuche objektiv zu
bleiben. Es fällt mir sehr schwer, aber ich werde es zumindest
versuchen. Es war einfach zu grossartig! Nur: Wenn ich zwanghaft bei
einem Konzert ruhig stehen und meine Emotionen unterdrücken muss,
weil mal wieder 80% der Besucher die «Musiker-Denker-Pose» einnehmen
und wie versteinert auf die Bühne glotzen, bleibt mir mal wieder
nichts anderes übrig, als aufs Klo zu gehen um zu schreien.
Anstrengend!
Blackfield haben mich wie eine übergrosse Dampfwalze überrollt und
bieten mir den passenden Ausgleich zu den härteren Klängen denen ich
normalerweise lausche. Hauptsächlich sind es die Texte, die einem in
Gedanken versinken lassen und hauptsächlich ist es auch die Wortwahl,
die Steven Wilson und Aviv Geffen verwenden, um Traurigkeit,
Enttäuschung und die dunklen Momente des Lebens beschreiben zu
wollen. Sicher möchte ich nicht die Musik auf die Texte reduzieren.
Es bestehen keine Zweifel, dass auch musikalisch bei Blackfield viel
geboten wird. Musik, die man wirken lassen muss, mit der man wächst
und bei der man immer wieder neue Details entdeckt, wenn man sich
intensiv damit auseinander setzen möchte.
Steven Wilson, der hauptsächlich durch Porcupine Tree bekannt wurde,
aber auch bei vielen anderen Projekten (u. a. No-Man, Bass Communion,
I.E.M., Produzent für Opeth) mitwirkte und Aviv Geffen, der Sohn
eines Dichters, der in Israel normalerweise vor bis zu 40.000
Zuschauern spielt und dort aufgrund seiner politischen Haltung nicht
selten mit Morddrohungen zu kämpfen hat, bilden das Herz von
Blackfield. Steven Wilson ist ein musikalisches Genie und seine
Offenheit für unterschiedliche Stilrichtungen machen ihn so
vielfältig und interessant. Ein Musiker, der viel zu sagen hat und
über einen besonders ausgewählten Wortschatz verfügt. Aviv Geffens
Leben wurde durch diverse Erlebnisse geprägt, was er wiederum in
seinen Songtexten zu verarbeiten versucht. Im November 1995 trat er
auf der Friedenskundgebung in Tel Aviv auf, die unter dem Motto "Ja
zum Frieden, Nein zur Gewalt" stand. Er war nur 4 Meter davon
entfernt, als Jitzchak Rabin (u.a. Ministerpräsident von Israel) nach
seiner Rede ermordet wurde... - Welcome to the world of Blackfield!
North Atlantic Oscillation
Der Support passt grundsätzlich vom Stil her gesehen ganz gut:
Post-Progressive-Rock mit Elektro Einflüssen. Schon früher konnte
die Band bereits bei Porcupine Tree im Vorprogramm auftreten.
Wirklich überzeugen konnten sie
sie
mich an diesem Abend aber nicht so ganz. Auch der Rest in der Halle
schien mehr aus Höflichkeit zu klatschen, war mein Eindruck.
Avantgardistischer Kunst Rock, der durch Synthesizer, Keyboards und
allerlei Programming erzeugt wird. Eine Begegnung voller Kontraste,
was eigentlich ganz interessant wirkt, mich aber einfach nicht in
den Bann ziehen wollte. Musikalisch sicher sehr hochwertig und
komplex. Vielleicht war es aber von allem einfach too much. Der
schottische Opener North Atlantic Oscillation war an diesem Abend
für mich leider nur Nebensache. Soll aber nicht heissen, dass diese
Band es nicht verdient hat, nochmals genauer betrachtet zu werden. Da
ich doch eine Gegnerin der Schnelllebigkeit in der heuten
Gesellschaft bin, werde ich mir die Musik zu gegebenem Zeitpunkt
nochmals in Ruhe anhören.
Blackfield
Ganze 80 Leute kamen im Zuge des Debüt Releases zum ersten
Blackfield Konzert. Bei der folgenden Tour waren es schon ca. 400
und beim aktuellen Konzert zählte man bereits 700 Besucher in der
schweizweiten Nummer 1 Top Destination für Livedarbietungen. Die
Herren gewinnen also an Popularität. Das Publikum bestand
hauptsächlich aus männlichen Besuchern, die entspannt und ohne gross
zu drängeln das Z7 füllten. Sehr angenehm! Viele Alt-Hippies mit
Porcupine Tree Shirts und: Musiker eben! Die erkennt man an den
dauerhaft verschränkten Armen, den hochgezogenen Augenbrauen und dem
ewig skeptischen Blick. Die Art von Spezies, die man auch bei Dream
Theater Konzerten wieder findet. Nach der regulären Hintergrundmusik
wurden die Hörer ganz sanft mit gedämpftem Licht und instrumentalen
Klängen auf das bevorstehende Ereignis hingeführt. Dieses zog sich
gefühlte 15 Minuten lang hin und brachte zum Glück meinen Puls
wieder zurück in einen mehr der weniger normalen Schlag. Das Licht
wurde nochmals dunkler und der Einstieg mit dem Titel «Blood» der
nur aus der Textzeile «Here comes the blood» besteht und irgendwie
recht orientalisch klingt, war perfekt gelungen. Auch die folgenden
Songs wurden geschickt gewählt und bildeten einen wunderbaren
Querschnitt durch alle drei Werke der Band. Die aktuelle Scheibe mit
allen elf Liedern wurde sogar fast komplett durchgespielt.
Neben Wilson/Geffen kam man in den Genuss der restlichen Blackfield
Band. Steven Wilson verstand es schon immer,
hochrangige,
qualitativ herausragende Musiker um sich zu horten. Ein Sound der
sogar direkt vor dem Boxenturm glasklar klang, rundete das Ganze ab.
Ohne grosses Theater und "optische Nebengeräusche" schaffte man es
eine Energie und Emotion rüber zu bringen, dass einem jedes feinste wie
kleinste Nackenhaar zu Berge stand. Besonders Aviv Geffen, von dem
übrigens ein Grossteil der Songtexte stammt, sang, als wäre es sein
letztes Konzert. "An epidemic in my heart /Takes hold and slowly
poisons me/ Her will won't let me be/ It comes in waves and bleeds
me dry/This love is slowly killing me/ For me, there's noone else!"
Im Wechsel, auch während den Liedern selbst, singt mal Wilson und
mal Geffen. Die beiden Vocals harmonieren perfekt, wobei Geffen noch
zusätzlich durch sein nasales Zittern in der Stimme den Liedern die
passende Melancholie einhaucht. Leiden kann so schön sein! «Got To
Hell» mit den drei unverkennbaren Textzeilen widmete er seinen Eltern.
Zu «End Of The World» zog sich Geffen sein schwarzes T-Shirt über
den Kopf um demonstrativ zu zeigen, dass die Welt tatsächlich ein
dunkler Planet geworden ist. Es ist eben nicht immer alles "happy"
und das verstehen Blackfield auf eine Art und Weise darzustellen,
ohne dass man gleich am Leben verzweifeln mag. Und weil es so schön
gewesen ist, ging es danach noch zusätzlich ab nach Karlsruhe,
Deutschland. Muss man einfach nochmal gesehen haben. Mir bedeutet
die Musik sehr sehr viel, aber das ist eine andere Geschichte...
Setliste: «Blood» - «Blackfield» - «Glass House» - «Go To Hell» - «On The Plane» -
«Pain» - «DNA» - «Waving» - «Rising Of The Tide» - «Once, The Hole In Me» - «1'000
People» - «Miss U» - «Zigota» - «Epidemic» - «Oxygen» - «Where Is My Love?» -
«Dissolving With The Night» -- «Hello» - «End Of The World» - «Cloudy Now».
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