Immer wieder gibt es sie, diese Konzerte, an welche man einfach
gehen muss. Konzerte, einem gesellschaftlichen Ereignis gleich. Dass
der Gig von Black Sabbath, den Urvätern harter Gitarrenmusik, am 20.
Juni im Zürcher Hallenstadion ein ebensolcher werden würde, das war
der ganzen Rock- und Metal-Schweiz schon von Vornherein klar. Alles
andere als gesichert war dagegen die Qualität dieses historischen
Moments. Wie würden sich Tony Iommi, Geezer Butler und allen voran
Ozzy „the Prince of fucking Darkness“ Osbourne schlagen? Und würde
sich das Hallenstadion, Grillwetter und Schweizspiel schürten die
Befürchtung, überhaupt füllen? Geldgetriebene Demontage einer
Legende oder die ultimative Götterdämmerung, um nichts weniger ging
es. Doch lest selbst.
Soundgarden
Als Erstes beantwortete sich die Frage nach der Besucherzahl. Nicht
ganz, aber doch beinahe ausverkauft war das Zürcher Hallenstadion
und bereits um 18:30 Uhr, eine halbe Stunde vor offiziellem
Konzertbeginn, war die Halle überraschend gut gefüllt. Schön zu
sehen, dass sich trotz einiger vor dem Stadion hochgehaltener
überschüssiger Tickets wenige hatten von der an diesem Abend
stattfindenden WM-Partie Schweiz-Frankreich abhalten lassen. Das
fand auch Chris Cornell, Frontmann der an diesem Abend den Opener
gebenden Soundgarden. Dieser verwechselte bei seiner ersten Ansage
nach den grusslos runtergeschmetterten Grunge-Klassikern «Searching
with my good Eye Closed» und «Spoonman» die Schweizer Nati zwar mit
dem FC Zürich, seine gute Laune aber schien ehrlich. Ebenfalls
wiederbelebt, ebenfalls seit Jahrzehnten nicht mehr in der Schweiz
zu Gast (vom Auftritt am Greenfield-Festival eine
Woche vorher
abgesehen), verströmte auch deren Gastspiel rock-historische
Exklusivität. Zumindest galt dies für all jene Besucher, die Grunge
nicht als jenen Musikstil verteufeln, welcher den klassischen Heavy
Metal Mitte der 90er von den grossen Bühnen verdrängt hatte. Ob es
diese weitverbreitete Fehlinterpretation der Riff-Geschichte war
oder doch der eher matschige Sound, der das Publikum nicht wirklich
mit dem Quartett aus Seattle warmwerden liess, sei dahingestellt.
Jedenfalls konnte sich Cornell, stimmlich immer noch grandios, in
Sachen Sympathie-Bekundungen – er erinnerte u.a. an ihren ersten
Auftritt in der roten Fabrik und bezeichnete die CH-Alterno-Rocker
Young Gods als eine seiner Lieblingsbands – noch so ins Zeug legen:
Mehr als gut gelaunten Höflichkeits-Applaus gab es für Soundgarden
an diesem Abend nicht. Einzig beim balladesken Über-Hit «Black Hole
Sun», den auch Grunge-Hasser im Schlaf, ob sie wollen oder nicht,
mitsummen können, steigerte sich die Stimmung kurz, um danach wieder
gen Gleichgültigkeit zu fallen. Gut möglich, dass ein
traditionellerer, metallischerer Support-Act auf mehr Goodwill
gestossen wäre. Gut möglich aber auch, dass auch dieser aus einem
ganz einfachen Grund gescheitert wäre: nicht Black Sabbath zu sein.
Setliste: «Searching with my good Eye closed» - «Spoonman»
- «Rusty Cage» - «Outshined» - «Black Hole Sun» - «My Wave» - «The
Day I Tried To live» - «Jesus Christ Pose» - «Fell On Black Days» -
«4th Of July».
Black Sabbath
Als dann nämlich zum zweiten Mal an diesem Abend das Licht ausging,
hätte man meinen können, ein komplett ausgewechseltes Publikum vor
sich zu haben. Dass Ozzy noch vor dem ersten Ton unsichtbar das
Publikum anfeuerte, es wäre gar nicht nötig gewesen, denn als Tony
Iommi, Erfinder des Heavy Metals, das erste schleppende Riff von
«War Pigs» dröhnen liess, stand die Halle Kopf. Nun waren sie
endlich hier, nach Jahrzehnten der Live-Abstinenz auf Schweizer
Bühnen: Black Sabbath! Denn auch wenn Iommi mit anderen Frontern,
allen voran Ronnie James Dio (R.I.P.!) immer mal wieder hierzulande
gastierte, so schleckt es doch keine Geiss weg, dass es die
originale Formation aus den 70ern mit Ozzy am Mikro war, welche
alle, wohl wirklich alle Bands direkt und noch viel mehr indirekt
beeinflusst hatte, die auf diesem Planet verzerrte Gitarren lärmen
lassen.
Diesem Umstand schien sich das Gros der über 10'000 Anwesenden
bewusst zu sein und zwar noch mehr als ich erwartet hätte. Zwei
Wochen vorher schon hatte ich Sabbath am Sweden Rock Festival
gesehen, doch während dort einzig die grossen Hits wie «Iron Man»
oder das auch dieses Mal als Zugabe gebotene «Paranoid» richtig
bejubelt wurden, blieben im Hallenstadion auch während nicht ganz so
bekannten Nummern wie «Under the Sun / Every Day Comes and Goes»,
dem Rausschmeisser von «Vol. 4» (1972), oder Songs vom neuen Album
«13» die Hände in der Höhe. Wem diese überschäumende Euphorie
sichtlich am Besten gefiel: Ozzy Osbourne. Allen seiner zugegeben
etwas sehr häufigen Aufforderungen zum Mitklatschen, -singen,
-Händeschwingen wurde unumwunden Folge geleistet, was dieser nicht
nur mit debilem Dauergrinsen, sondern auch dem einen oder anderen
Kübel Wasser gen Publikum dankte.
Ein Leichtes wäre es, an dieser Stelle darüber herzuziehen, dass der
selbsternannte Fürst der Finsternis so finster nicht mehr wirkt, wie
er da über die Bühne tappt, mit manchmal schon fast apathischem
Blick. Und natürlich gilt es anzumerken, dass Ozzy bei Weitem nicht
mehr alle Töne sauber trifft. Doch gilt es auch zu bedenken: Dieser
Typ lebt seit fast einem halben Jahrhundert den Rock'n'Roll wie kein
anderer (ausser Lemmy vielleicht), hat sich alles reingepfiffen, was
es an Substanzen auf der Welt gibt und steht dennoch noch immer auf
der Bühne. Und macht dabei gar keine so schlechte Figur. Dabei ist
es vor allem neueres Material wie «Age of Reason» oder «End of the
Beginning», welche Ozzy stimmlich etwas überfordern, während er
Perlen wie «Into the Void» oder «Snowblind» ganz passabel intoniert.
Musikalisch gar keine Schwierigkeiten hatten hingegen die beiden
anderen Originalmitglieder, welche Ozzy auf der schlichten Bühne
(soll heissen: Verstärker-Wände), in deren Hintergrund ein riesiger
Screen das Geschehen angereichert mit passenden Video-Collagen bzw.
Animationen wie z.B. Regen während «Black Sabbath», flankierten:
links Geezer Butler, welcher noch immer eindrücklich energisch die
vier Saiten seines Basses beackerte und zwar ebenso flink wie
kraftvoll, was er wie zu erwarten im Einstieg zu «N.I.B.» zeigen
konnte, dessen Bass-Intro um einen kurzen Solo-Teil verlängert
wurde. Auf der anderen Seite: Tony Iommi, der Grossmeister des
Riffs. Abgeklärt und über alle Zweifel erhaben liess dieser seine
Gibson SG ein legendäres Lick nach dem anderen aus den Verstärkern
jaulen und zwar wie eh und je ohne dabei mit der Wimper zu zucken.
Schön übrigens auch, wie Ozzy seinen beiden Mitstreitern Tribut
zollte: Als das Publikum nach den ersten Songs spontan in «Ozzy!
Ozzy!»-Chöre ausbrach, antwortete dieser zuerst mit der Aufforderung
zu «Tony! Tony!»- und dann mit «Geezer! Geezer!»-Chören.
Bleibt noch Tony Clufetos. Der neue Mann in den Sabbath-Reihen,
nachdem sich die anderen mit Original-Drummer Bill Ward überworfen
hatten und Rage Against The Machine-Drummer Brad Wilk «13» hatten
eintrommeln lassen, haute wie ein Derwisch auf seine durchsichtige
Küche ein und liess Sticks, Haupt- und Barthaar gleichermassen durch
die Luft wirbeln. Das strotzte vor Kraft, war tight und souverän,
mehr aber nicht. Das mag allzu puristisch, allzu retro-versessen
klingen, doch meiner Meinung nach kommt das straighte Power-Drumming
Clufetos', der Ozzy auch auf seinen Solo-Tourneen begleitet, einfach
nicht an Bill Ward's verschliffenes, dennoch unglaublich hart
groovendes Rhythmusgefühl heran. Mit dieser Einschätzung schien ich
aber in der Minderheit zu sein, denn als Clufetos bei einer
ansonsten grandiosen Version von «Rat Salad» sein Drum-Solo
raushauen durfte (auch in der Original-Aufnahme gibt es eines), von
um ihn herum platzierten Scheinwerfern gekonnt in Szene gesetzt,
tobte die Halle.
«We Love You!», schrie Ozzy an diesem Abend mehr als einmal ins
Mikro und das Hallenstadion liebte ihn und die ganze Band zurück. So
standen spätestens bei «Iron Man» auch alle, die eigentlich auf
ihren Plätzen sitzen sollten, und mit dem einer
Mehrheit wohl doch
nicht wirklich bekannten und dennoch abgefeierten «Dirty Woman» vom
eher durchzogenen 76er-Album «Techical Ecstasy» und einem alles
niedermähenden Riffsturm namens «Children of the Grave» verschwanden
die Herren von der Bühne. Als es dann an die Zugabe ging traute ich
meinen Ohren nicht: Iommi liess wirklich das donnernde Anfangsriff
von «Sabbath Bloody Sabbath» aus den Boxen krachen! Ekstatisch liess
ich meine Birne kreisen, doch war meine Freude nur von kurzer Dauer,
brach Iommi durch gleich wieder ab, um dann doch mit «Paranoid» das
Ende zu bringen, das alle erwartet hatten.
Dass danach der Jubel und die «Sabbath»-Chöre noch eine gefühlte
Viertelstunde lang anhielten, nützte leider auch nichts mehr und
viele unsterbliche Hits wie eben «Sabbath Bloody Sabbath», «Electric
Funeral» oder «Sweet Leaf» blieben ungespielt. Doch wer will sich
schon beschweren. Rund zwei Stunden hatten Ozzy, Tony und Geezer
gezeigt, was Heavy Metal ist und woher er kommt. Eine
Götterdämmerung war das und ein unglaublicher Moment Rockgeschichte,
keine Frage. Oder, um eine andere Frage zu stellen: Wer hat's
erfunden? Black fucking Sabbath!
Setliste: «War Pigs» - «Into The Void» - «Under
The Sun / Every Day Comes And Goes» - «Snowblind» - «Age Of Reason»
- «Black Sabbath» - «Behind The Wall Of Sleep» - «N.I.B.» (Intro mit
Bass-Solo Geezer Butler) - «End Of The Beginning» - «Fairies Wear
Boots» - «Rat Salad» (mit Drum-Solo Tommy Clufetos) - «Iron Man» - «God
Is Dead?» - «Dirty Woman» - «Children Of The Grave»
Zugabe: «Paranoid» (mit dem Riff von «Sabbath Bloody Sabbath»
als Einleitung).
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