Es war die «Imaginations From The Other Side»-Tour, die ich
1995 als eines der ersten Konzerte im Z7 besuchte. Damals noch in
der Vierer-Besetzung unterwegs, hauten Hanis Kürsch (Gesang, Bass),
André Olbrich (Gitarre), Marcus Siepen (Gitarre) und Thomas Stauch
(Schlagzeug) einen sensationellen Gig raus, der Spass auf mehr
machte. Der damalige Speed Metal, mit vielen Breaks und technischen
Kabinettstücken versehene Sound, hatte gerade den Durchbruch
geschafft und schien nicht nur in Japan für volle Konzerthäuser zu
sorgen. Knappe 21 Jahre später, einige Alben schwerer und tausende
von Erfahrungen reicher, wurde ich von der Meldung angezogen, dass
die «Blinden Gardinen» das komplette «Imaginations»-Album spielen
werden. Ja, ich hatte die Truppe aus den Augen verloren, weil mir
der Sound zu vollgepackt war. Dieses Flair, Geschwindigkeit und
technische Raffinesse zu verbinden, wurde mit der Zeit mit zu vielen
Parts innerhalb eines Liedes überladen, und mein Interesse an der
Band ging auf Tauchstation. Was die Truppe um Sänger Hansi, der seit
einigen Jahren nur noch singt, nicht davon abhielt von Album zu
Album erfolgreicher zu werden. Dies sah man auch an diesem
Sonntagabend. Das sehr gut gefüllte Z7 erzitterte in seinen
Grundmauern. Die Verursacher waren die singkräftigen Fans, welche
der deutschen Truppe einen mehr als nur tollen Tourabschluss
bescherten.
Die Bühne war sehr schlicht gehalten.
Hinten waren von links nach rechts Keyboarder, Trommler Frederik
Ehmke und Bassist Barend Courbois zu sehen und vorne an der Front
standen André, Hansi und Marcus. Mit dem Opener «The Ninth Wave» des
letzten Studiowerkes «Beyond The Red Mirror» wurde der Abend von
BG um 19:30 Uhr, ohne Vorband, eingeläutet. Es war, wie schon am
Freitagabend zuvor verdammt heiss im Z7. Dies bemerkte auch Hansi,
der nach dem zweiten Song das Z7 bat, die Heizung doch ein bisschen
runter zu schrauben, ansonsten würde es schön kuschelig bleiben, was
ja auch irgendwie in die Adventszeit passt. "Ihr habt euch
fantastisch entschieden an diesem dritten Advent und seid zu Blind
Guardian gekommen." Hansi weiss, wie man auf einfache, aber sehr
nachhaltige Art das Publikum packt und es mitreissen kann. So, dass
schon bei der zweiten Nummer «Welcome To Dying» klar wurde, dass die
Fans wie eine Eins hinter der Band stehen und die Fanreaktionen von
Stück zu Stück enthusiastischer wurden. Es war aber auch ein anderes
Publikum als noch zwei Tage zuvor bei Saxon. Während bei den
Engländern eher das Rocker- und Metallerpublikum gekommen war, stand bei
Guardian ein breiter gemischteres Publikum im Z7. Ob nun Student,
Metaller oder Mittelalter-Verehrer, alle wollten die Deutschen
sehen. Vor dem Konzert wurde viel darüber diskutiert, dass die
Blinden heute Abend ein eher nostalgisches Set spielen. Etwas, was die
jüngeren Fans überraschte und die älteren wieder in die
Konzertsäle brachte. Unabhängig davon, wie sich die Krefelder in den
letzten Jahren entwickelt haben, neben den kultigen Ansagen von
Hansi und seinem sehr starken Gesang, waren es die Leads von André,
welche die Deutschen stark aus der Masse an Bands abhebt. Es ist
dieser singende Ton bei Mister Olbrich und der leicht orientalische
wie klassische Touch im Sound, welche diesen sofort erkennbar
machen.
Zusammen mit Marcus zauberte der Deutsche unglaublich tolle
Doppel-Leads aus den Gitarrensaiten.
Die Fans sangen, was
die Kehlen hergaben. Versagten sie, wurde nachgeölt. "So Freunde,
jetzt wird es ein bisschen ernster. Wir machen dies selten, aber
wenn wir es tun, kommt es meist gut», war die Einleitung zu «Time
What Is Time» vom «Somewhere Far Beyond»-Werk. Mit Geschwindigkeit,
einem extrem tighten Frederik, klatschend und somit glühenden Händen
des Publikums und dem sich zum ersten Mal heiser kreischenden
Fanchor ging es dann in den Höhepunkt des Abends über. Blind
Guardian spielten das komplette «Imaginations From The Other
Side»-Album. Welch mitreissender Sound auf dieser Scheibe zu hören
ist, zeigten die nächsten neun Lieder. "Es ist kein Geheimnis, dass
wir nochmals entschieden haben, uns auf die Reise zu begeben, um ein
Album in seiner vollen Länge und Schönheit zu spielen. Und ich
versuche nun wenig zu sprechen…", was dem Sänger nicht immer leicht
fiel. "Wir nehmen diesen Applaus als Kompliment auf", grinste Hansi
zufrieden und bedankte sich immer wieder für die extrem gute
Stimmung. "Jetzt gibt es Lagerfeuerromantik. Dieser Song handelt von
König Arthur und wir haben ihn «A Past And Future Secret» getauft».
Eine solche Nummer, mit einem stark an die alte Ritterzeit
erinnerndem Grundflair schreibt man im Leben einfach nur einmal! Die
beiden Gitarristen sassen auf einem Barhocker, zupften an ihren
Instrumenten und hinterliessen ein völlig entfesseltes Publikum. Die
Chorgesänge steuerten die Band zu und natürlich das siebte
Bandmitglied, die Fans. «Jetzt wird es ein bisschen sentimentaler und
dann depressiv», grinste Hansi ins Mikrofon und kündete «Mordred's
Song» an. Die Stimmung stieg von Song zu Song und dies lobte Mister
Kürsch mit folgenden Worten: «"as nenne ich Energie meine Freunde.
«No rest for the wicked», hier kommt «Bright Eyes»!" Mit diesen
Augen wurde einmal mehr klar, was für ein Album «Imaginations From
The Other Side» war und immer noch ist, für die Ewigkeit! Alleine die
Chorpassagen bei «Bright Eyes» suchen Ihresgleichen. Und so langsam
ertappte ich mich, wie meine alte, eingerostete Liebe zu Blind
Guardian wieder am Entflammen war. Es waren diese Chöre, die Dynamik
und dieses Einfache und trotzdem Komplexe, welches den Sound der
Guardians ausmachte. UND! Die einfach genialen Gitarrenparts der
Herren Olbrich und Siepen. Weit weg von tausenden von Tonspuren,
sondern auf den Punkt gebrachte Lieder die beweisen, welche Macht
die Truppe noch immer sein kann.
"Pratteln, ich traue es
kaum zu sagen, aber wir haben schon das Ende dieser wunderschönen
Weihnachts-Show erreicht. «And The Story Ends», Pratteln bis zum
nächsten Mal!" Tja, und auch hier wurde allen bewusst, welches Talent
damals schon gut verteilt und gebündelt in einen Song gepackt wurde
und mit seiner vielfältigen Art zu begeistern wusste. Es sind diese
hymnenhaften Parts, wie bei «And The Story Ends» (Doppel-Leads der
beiden Gitarristen!), «Bright Eyes» oder «Welcome To Dying», die
nach wie vor alles ausdrücken, was man mit einem Lied sagen muss und es
auf den Punkt bringt. Nach gut neunzig Minuten ging die Truppe zum ersten
Mal von der Bühne, um dann gleich mit je vier Tracks zwei Mal zurück
zu kommen. Die Band wurde von den Fans förmlich auf die Stage
zurück geschrien. Mit «Into The Storm» wurde der erste Zugabeblock
eröffnet und setzte die Besucher in einen kollektiven
Ausnahmezustand. Die Band konnte sich nach dieser Nummer
verdientermassen feiern lassen und genoss die lauten
«Guardian»-Rufe sichtlich. "Pratteln, ihr seid die Geilsten!". Mit «The Curse
Of Fenor» besass die Show aber auch ihren kleinen "Bremsklotz" und
mir wurde klar, was damals beim «Nightfall»-Album zum ersten Mal ans
Tageslicht kam. Den Liedern wurde zu viel aufgeladen und dadurch wurden sie
hörtechnisch schwer verdaulich. Die kleine "Verschnaufpause"
wendeten die Herren auf der Stage mit «Lord Of The Rings» jedoch postwendend
wieder ab. "Böse Zungen behaupten, wir seien Tolkien Nerds, und da ist was Wahres dran",
sprach Hansi, zufrieden grinsend, ins Mikrofon. Mit einem Flamenco liken Solo
von André versprüht eine solche Nummer einfach viel
mehr Flair, als es «The Curse Of Fenor» tut und packt zumindest mich um einiges
mehr. Als Abschluss des ersten Zugabeblocks liess «Valhalla» das Z7
wieder komplett ausrasten und die alleinigen Fanchöre liessen die Halle
erschüttern. Und ja, es war einer dieser Gänsehautmomente.
Mit «Sacred Worlds» folgte dann wieder einer dieser in meinen Augen
"gemässigteren" Songs. Dies schien aber offenbar nur für mich ein
Show-Stopper zu sein, denn Pratteln ging steil. "Pratteln, ihr seid
der absolute Wahnsinn. Kann es sein, dass ihr noch nicht müde
seid?", wollte Hansi vom völlig am Rad drehenden Publikum wissen.
"Jetzt kommt was Tänzerisches", liess uns der Barde wissen und
kündigte «Majesty» vom Debütalbum «Battalions Of Fear» an. Dieser
Track ist eine Art musikalische Keule und für Blind Guardian schon
fast ein zu schlichter Track. Aber vielleicht ist er gerade deswegen
ein solches Abrisskommando, das man einfach gern haben muss. Und
dann folgte in Form von «The Bard's Song» das, was folgen muss. "Für uns
geht es in die Weihnachtsferien, aber für euch wird es jetzt ernst!"
Wie immer wurde diese Akustiknummer von den Fans gesungen und verschaffte
Sänger Hansi eine willkommene Abkühlung. Was bei einer solchen
Nummer im Publikum abgeht, ist unglaublich und lässt den Gänsehautfaktor
wiederum steigen. In grellem grün/gelbem Licht wurde der
Abend mit «Mirror, Mirror» beendet. Mit viel Gas, einem fulminanten
Chor, einer extrem tighten und spielfreudigen Truppe wurde die
letzte Show der «Beyond The Red Mirror»-Show nach 2 Stunden und 23
Minuten beendet. Es war ein Siegeszug der Seinesgleichen sucht, der
eine Truppe präsentiert, der man die letzten Shows in positiver Form
anmerkt und bei welcher die Fanchöre am Schluss lauter waren als
die Band selber. Blind Guardian sind in dieser Form kaum zu toppen.
Wären da nicht vereinzelte Tracks gewesen (stammten alle aus der
Zeit nach «Nightfall»), die in meinen Augen das Konzert etwas
bremsten (da hatte aber nur ich meine Probleme), könnten die Jungs
wieder zu einer meiner Lieblingsbands werden.
Setliste:
«The Ninth Wave» - «Welcome To Dying» - «Nightfall» - «Fly» -
«Time What Is Time» - «Imaginations From The Other Side» - «I'm
Alive» - «A Past And Future Secret» - «The Script For My Requiem» -
«Mordred's Song» - «Born In A Mourning Hall» - «Bright Eyes» - «Another
Holy War» - «And The Story Ends» - «War Of Wrath -- Intro» - «Into The
Storm» - «The Curse Of Fenor» - «Lord Of The Rings» - «Valhalla» -
«Sacred Worlds» - «Majesty» - «The Bard's Song – In The Forest» -
«Mirror Mirror».
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