Ich war eine ganze Weile nicht mehr im Kiff, und schon nur
deshalb wurde es höchste Zeit, meinen Arsch wieder mal dahin zu
bewegen. Der Anlass dazu hätte nicht besser sein können, denn mit
Bullet als Headliner, begleitet von den spanischen AC/DC Clones '77
(aber nur im allerpositivsten Sinn gemeint!) und Screamer als erste
Support-Band stand ein sehr leckeres audiovisuelles Menü bevor. Dort
angekommen wähnte man sich dann glatt im Wohnzimmer von zig Freunden
und der Facebook-Gemeinde. Zudem wollte ich mir nachher nicht wieder
anhören, was ich an dieser Stelle verpasst habe. Einmal, wie bei
beim Götter-Package Grand Magus, Bullet, Vanderbuyst, Steelwing und
Skull Fist von Anfang Jahr, reicht mir völlig! Nun war der vorherige
Co-Headliner der Platzhirsch, der sein neues und viertes Album «Full
Pull» mit im Gepäck hatte. Im Genick so zu sagen sitzt zudem die
Plattenfirma Nuclear Blast, was zur Zeit in Europa Plicht ist, wenn
man es zu was, sprich Verkäufen bringen will. Was '77 angeht, stehen
diese wohl kurz vor dem Durchstarten und Screamer zogen sich auf
hohem Niveau überaus achtbar aus der Affäre.
Screamer
Die junge Band aus Malmö, sprich also Schweden, fand sich im Jahre
2009 zusammen und besteht aus Christoffer Svensson (v/b), Anton
Fingal (g), Dejan Rosić (g) und Henrik Petersson (d). Letzterer
verfügt über eine ansehnliche Körpergrösse und musste sich deshalb
fast noch verrenken, damit er überhaupt befreit aufspielen konnte.
Dies fiel Mainman und Kollege Christoffer weniger schwer und
vornehmlich mit den Songs von ihrer feinen Debüt-Rille
«Adrenaline
Distractions», 2011 erschienen, legte das Quartett ziemlich ungestüm
los. In der Schnitt-menge der alten Iron Maiden (mehr) und den eher
früheren Motörhead (weniger) wurden die guten alten Vibes der NWOBHM
zu neuem Leben erweckt. Das Publikum übte sich zu Beginn noch etwas
in vornehmer Zurückhaltung, aber schon bald standen die ersten
wehenden Matten am Bühnenrand und dann ging die Party langsam aber
sicher los. Nebst dem ansprechenden Sound, der einer-seits dem
Rickenbacker Bass zuzu-schreiben war, fielen auch die dienlichen
Backing Vocals zu den Songs auf. Obwohl das Ganze nicht sonderlich
innovativ war, schafften es Screamer dennoch, das Interesse der
Besucher zu wecken. Dabei konnte man in der ersten halben
Konzertstunde des Abends auch neuem Material vom kommenden Album
(Februar 2013) lauschen. Für meine Ohren war das nun nicht zwingend
die Quadratur des Kreises, doch die Art und Weise, wie die Schweden
sich präsentierten, war auf jeden Fall schwer in Ordnung. Im meinem
Fall gereichte es dann sogar zum Erwerb der limitierten
Erstlangrille in rotem Splatter-Vinyl!
Setliste: «Screamer» - «Adrenaline Distractions» - «Keep On Walking»
- «Phoenix» - «All Over Again» - «Can You Hear Me» - «Rock Bottom
(kein Cover!)».
''77
Auch wenn mir das jetzt einige Freunde, KollegenInnen und alle
anderen nicht glauben werden: Ich sah '77 heute Abend zum
allerersten Mal! Tja, manchmal braucht es wirklich den berühmten
Tritt in den Allerwertesten, damit man es endlich realisiert. Im Facebook und Youtube waren die Videos ja schon eine Weile zu sehen.
Die Kommentare auf die mittlerweile zahlreichen CH-Konzerte der
jüngeren Vergangenheit waren unisono immer die Gleichen, nämlich
dass die Spanier jeweils einen Flächen-brand auszulösen vermögen,
der, nur so oberflächlich betrachtet, nicht nachvollziehbar ist.
Spätestens ab heute Abend musste nun auch ich anerkennen, dass es
über dreissig Jahre nach Bon Scotts Ableben tatsächlich immer noch
möglich ist, aus dieser Rock'n'Roll Ursuppe was Eigenständiges zu
kreieren. Während zum Beispiel Airbourne den Kern zielsicher
getroffen haben, haben diese sich mit immer grösseren Shows
zumindest etwas ins Aus geschossen, aber die kommen schon wieder.
Daneben, und da zählt auch der Headliner Bullet dazu, gibt es
unzählige Combos, die auf den Spuren von Angus & Co. wandeln.
Einiges davon, inklusive dem ganzen Cover-Gedöns, mag ja
unterhaltend sein, aber '77 sind anders, weil sie soundtechnisch
genau da weiter machen, bevor ihre Mentoren mit «Highway To Hell»
(1979) den kommerziell erfolgreichen Vogel mit Getöse abschossen.
Schon nur der Bandname ist kult, denn 1977 veröffentlichten AC/DC «Let
There Be Rock» und ein Jahr darauf «Powerage». In dieser Ära, mit
Reminiszenzen nach noch weiter hinten, agieren die Spanier in der
Besetzung mit Armand Valeta (Rhythm Guitar/Vocals), LG Valeta (Lead
Guitar), Johnnie Dolphin (Drums) und Raw (Bass). 2010 (eigentlich
schon 2009) erschien das Debüt-Album «21st Century Rock», das sowas
von authentisch klingt, dass man dazu einfach schlicht nur Folgendes
sagen kann: Auf diesem Album stehen die Songs, die damals nicht
geschrieben wurden! Ein Album zu machen ist eine Sache, das Ganze
auf die Bühne zu bringen hingegen eine andere. Ein einzelner,
respektive einziger Auftritt von '77 reicht aber aus, dass man
erstens ob der freigesetzten Energie nicht mehr zum Staunen heraus
kommt und sich zweitens umgehend fragt, in welcher Stadt die Jungs
noch zu sehen sein werden. Die 45 schweiss-treibenden Minuten von
Aarau waren auf jeden Fall der schiere Wahnsinn und es spricht
weiter für die Band, dass sie keine einzige Cover-Version spielen.
Weder auf den Alben, noch live und das brauchen sie auch nicht, denn
sie haben die DNA ihrer grossen Vorbilder entschlüsselt. Selbst wenn
das zweite Album «High Decibels» (2011) qualitativ nicht ganz an den
Erstling heran reicht, haben '77 ein gewaltiges Potenzial, das jede
(Cover-) Konkurrenz in dieser Ecke unmissverständlich wegbläst und
somit dem Original die einzig echte Ehre erweist. Das sah das
ziemlich durchstartende Publikum des Kiff genau so. Mann, war das
eine geile Club-Fuhre und was für eine!
Setliste (ohne Gewähr): «Your Game's Over» - «High Decibels» - «Meltin'
In A Spoon» - «Things You Can't Talk About» - «Less Talk (Let's
Rock)» - «Gimme A Dollar» - «Big Smoker Pig» - «We're '77».
Bullet
Nun war ich sehr gespannt darauf, ob die zweite schwedische Band des
Abends das durch '77 hoch angesetzte Niveau halten oder gar
übertrumpfen konnte. Schliesslich haben auch Bullet die
Känguruh-Rocker als grosse Inspiration einverleibt, ohne dabei die
eigenständige Note auszulassen. Spätestens mit dem neuen Album «Full
Pull» und dem Nuclear Blast Deal im Sack stehen Bullet in der ersten
Startreihe und müssen nun beweisen, dass sie es drauf haben. Mit
insgesamt vier Alben im Rucksack lässt sich auf jeden Fall eine
saubere Headliner-Show zusammen stellen. Zudem waren ein paar
Earcatcher-Songs am Start, die das ganze Unter-fangen erst zum
Selbstläufer machten. Als Opener fungierte gleich mal «Midnight
Oil», der auch die neue Scheibe eröffnet, gefolgt von «Rush Hour»
und «Full Pull», zwei ebenfalls frischen Tracks. Letzterer als
Titeltrack offenbarte dann bereits eine der Stärken der Nordländer,
nämlich catchy und einfache Mitsing-Refrains, dazu mit Hampus Klang
und Erik Almström zwei exzellente Gitarristen, die sich das Riffen
und Solieren je nach Bedarf aufteilten oder sich auch mit
gelegentlichen
Twin-Soli in Szene setzten. Zwischendurch ergriff
auch Bassist Adam Hector mal das Wort und überhaupt wirkten die
Jungs ziemlich cool. Einzig Sänger Hell Hofer scheint nicht mit dem
gleichen Selbstvertrauen wie seine Mitstreiter ausgestattet zu sein.
Er stand am Anfang mehr oder weniger brav an Ort und Stelle und
hielt dabei oft seine Beine zusammen. Der Oberkörper hingegen war
nicht gestenarm, aber das brauchte es auch. Sein Glück und auch das
Markenzeichen ist natürlich, neben der sichtbaren Körperfülle, seine
unverwechselbare schneidende Gesangs-stimme. Das brachte in der
Vergangenheit nicht selten den Vergleich zu Udo Dirkschneider (Ex-Accept,
U.D.O.) ein, auch was einzelne Songs wie zum Beispiel «City Of Sins»/«Waste
My Time» anbelangte. Mehrheitlich schimmern aber dennoch Angus Young
& Co. durch, was irgendwie besser passt, auch wenn man da mindestens
halbwegs an Brian Johnson erinnert wird. Mit zunehmemder
Antizipation der Kiff-Besucher lockerte und öffnete sich auch Master
Hofer, der offenbar den Erfolg von Bullet immer noch nicht recht
verstehen kann. Zumindest kam das zeitweise so rüber, wenn er sich
beinahe untertänig für den aufbrandenden Applaus bedankte. Zwar
waren nur etwa rund 150 Nasen da, die jedoch mächtig Spass hatten
und den Kult-Laden zum Kochen brachten. Mit im Publikum konnte man
dann übrigens auch die komplette Mannschaft von '77 ausmachen, die
ebenfalls ihre Köpfe rotieren liess(en). Wahrlich ein Bild für die
Götter und der Beweis für die Bodenständigkeit der Spanier, die
überhaupt keine Berührungsängste zeigten. Zwischendurch montierte
Hell Hofer noch einen roten Umhang, auf dem hinten drauf
entsprechend "HELL" stand. Zum Glück setzte er sich nicht noch eine
Krone auf, denn so ein Auftritt würde fatal an Freddie Mercury
(Queen) erinnern, und das hätte gar nicht hierher gepasst! Im Nu war
eine Stunde vergangen und die Show schon bald zu Ende, was aber zu
dem Zeitpunkt kaum jemand schon auf seinem Plan hatte. Der
Zugabenteil enthielt mit «Highway Pirates» einen schnelleren Song,
der metallische Vibes aufgriff, während «Back On The Road», wie
zuvor auch «Stay Wild», stark an Airbourne erinnerten. «Bite The
Bullet» verkörperte schliesslich eher den typischen Sound der
Schweden und wurde lautstark mitgegrölt. Wie es anfing, hörte das
Konzert auch auf, nämlich mit einem neuen Song: «All Fired Up». Als
das Licht im Saal wieder anging, waren gerade mal 70 Minuten vorbei,
was in meinen Augen grenzwertig war. Das Gezeigte überzeugte allerdings
ohne Wenn und Aber, doch meine persönlichen Gewinner des Abends hiessen
klar '77.
Setliste: «Midnight Oil» - «Rush Hour» - «Full Pull» - «Turn It Up
Loud» - «Intro/Pay The Price» - «Roadking» - «One Deal With The
Devil» - «Stay Wild» - «Rolling Home» -- «Intro/Highway Pirates» -
«Back On The Road» - «Bite The Bullet» - «All Fired Up».
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