Livereview: Bullet - '77 - Screamer

04. Oktober 2012, Aarau - Kiff
By Rockslave
Ich war eine ganze Weile nicht mehr im Kiff, und schon nur deshalb wurde es höchste Zeit, meinen Arsch wieder mal dahin zu bewegen. Der Anlass dazu hätte nicht besser sein können, denn mit Bullet als Headliner, begleitet von den spanischen AC/DC Clones '77 (aber nur im allerpositivsten Sinn gemeint!) und Screamer als erste Support-Band stand ein sehr leckeres audiovisuelles Menü bevor. Dort angekommen wähnte man sich dann glatt im Wohnzimmer von zig Freunden und der Facebook-Gemeinde. Zudem wollte ich mir nachher nicht wieder anhören, was ich an dieser Stelle verpasst habe. Einmal, wie bei beim Götter-Package Grand Magus, Bullet, Vanderbuyst, Steelwing und Skull Fist von Anfang Jahr, reicht mir völlig! Nun war der vorherige Co-Headliner der Platzhirsch, der sein neues und viertes Album «Full Pull» mit im Gepäck hatte. Im Genick so zu sagen sitzt zudem die Plattenfirma Nuclear Blast, was zur Zeit in Europa Plicht ist, wenn man es zu was, sprich Verkäufen bringen will. Was '77 angeht, stehen diese wohl kurz vor dem Durchstarten und Screamer zogen sich auf hohem Niveau überaus achtbar aus der Affäre.

Screamer

Die junge Band aus Malmö, sprich also Schweden, fand sich im Jahre 2009 zusammen und besteht aus Christoffer Svensson (v/b), Anton Fingal (g), Dejan Rosić (g) und Henrik Petersson (d). Letzterer verfügt über eine ansehnliche Körpergrösse und musste sich deshalb fast noch verrenken, damit er überhaupt befreit aufspielen konnte. Dies fiel Mainman und Kollege Christoffer weniger schwer und vornehmlich mit den Songs von ihrer feinen Debüt-Rille «Adrenaline Distractions», 2011 erschienen, legte das Quartett ziemlich ungestüm los. In der Schnitt-menge der alten Iron Maiden (mehr) und den eher früheren Motörhead (weniger) wurden die guten alten Vibes der NWOBHM zu neuem Leben erweckt. Das Publikum übte sich zu Beginn noch etwas in vornehmer Zurückhaltung, aber schon bald standen die ersten wehenden Matten am Bühnenrand und dann ging die Party langsam aber sicher los. Nebst dem ansprechenden Sound, der einer-seits dem Rickenbacker Bass zuzu-schreiben war, fielen auch die dienlichen Backing Vocals zu den Songs auf. Obwohl das Ganze nicht sonderlich innovativ war, schafften es Screamer dennoch, das Interesse der Besucher zu wecken. Dabei konnte man in der ersten halben Konzertstunde des Abends auch neuem Material vom kommenden Album (Februar 2013) lauschen. Für meine Ohren war das nun nicht zwingend die Quadratur des Kreises, doch die Art und Weise, wie die Schweden sich präsentierten, war auf jeden Fall schwer in Ordnung. Im meinem Fall gereichte es dann sogar zum Erwerb der limitierten Erstlangrille in rotem Splatter-Vinyl!

Setliste: «Screamer» - «Adrenaline Distractions» - «Keep On Walking» - «Phoenix» - «All Over Again» - «Can You Hear Me» - «Rock Bottom (kein Cover!)».

''77
Auch wenn mir das jetzt einige Freunde, KollegenInnen und alle anderen nicht glauben werden: Ich sah '77 heute Abend zum allerersten Mal! Tja, manchmal braucht es wirklich den berühmten Tritt in den Allerwertesten, damit man es endlich realisiert. Im Facebook und Youtube waren die Videos ja schon eine Weile zu sehen. Die Kommentare auf die mittlerweile zahlreichen CH-Konzerte der jüngeren Vergangenheit waren unisono immer die Gleichen, nämlich dass die Spanier jeweils einen Flächen-brand auszulösen vermögen, der, nur so oberflächlich betrachtet, nicht nachvollziehbar ist. Spätestens ab heute Abend musste nun auch ich anerkennen, dass es über dreissig Jahre nach Bon Scotts Ableben tatsächlich immer noch möglich ist, aus dieser Rock'n'Roll Ursuppe was Eigenständiges zu kreieren. Während zum Beispiel Airbourne den Kern zielsicher getroffen haben, haben diese sich mit immer grösseren Shows zumindest etwas ins Aus geschossen, aber die kommen schon wieder. Daneben, und da zählt auch der Headliner Bullet dazu, gibt es unzählige Combos, die auf den Spuren von Angus & Co. wandeln. Einiges davon, inklusive dem ganzen Cover-Gedöns, mag ja unterhaltend sein, aber '77 sind anders, weil sie soundtechnisch genau da weiter machen, bevor ihre Mentoren mit «Highway To Hell» (1979) den kommerziell erfolgreichen Vogel mit Getöse abschossen. Schon nur der Bandname ist kult, denn 1977 veröffentlichten AC/DC «Let There Be Rock» und ein Jahr darauf «Powerage». In dieser Ära, mit Reminiszenzen nach noch weiter hinten, agieren die Spanier in der Besetzung mit Armand Valeta (Rhythm Guitar/Vocals), LG Valeta (Lead Guitar), Johnnie Dolphin (Drums) und Raw (Bass). 2010 (eigentlich schon 2009) erschien das Debüt-Album «21st Century Rock», das sowas von authentisch klingt, dass man dazu einfach schlicht nur Folgendes sagen kann: Auf diesem Album stehen die Songs, die damals nicht geschrieben wurden! Ein Album zu machen ist eine Sache, das Ganze auf die Bühne zu bringen hingegen eine andere. Ein einzelner, respektive einziger Auftritt von '77 reicht aber aus, dass man erstens ob der freigesetzten Energie nicht mehr zum Staunen heraus kommt und sich zweitens umgehend fragt, in welcher Stadt die Jungs noch zu sehen sein werden. Die 45 schweiss-treibenden Minuten von Aarau waren auf jeden Fall der schiere Wahnsinn und es spricht weiter für die Band, dass sie keine einzige Cover-Version spielen. Weder auf den Alben, noch live und das brauchen sie auch nicht, denn sie haben die DNA ihrer grossen Vorbilder entschlüsselt. Selbst wenn das zweite Album «High Decibels» (2011) qualitativ nicht ganz an den Erstling heran reicht, haben '77 ein gewaltiges Potenzial, das jede (Cover-) Konkurrenz in dieser Ecke unmissverständlich wegbläst und somit dem Original die einzig echte Ehre erweist. Das sah das ziemlich durchstartende Publikum des Kiff genau so. Mann, war das eine geile Club-Fuhre und was für eine!

Setliste (ohne Gewähr): «Your Game's Over» - «High Decibels» - «Meltin' In A Spoon» - «Things You Can't Talk About» - «Less Talk (Let's Rock)» - «Gimme A Dollar» - «Big Smoker Pig» - «We're '77».

Bullet
Nun war ich sehr gespannt darauf, ob die zweite schwedische Band des Abends das durch '77 hoch angesetzte Niveau halten oder gar übertrumpfen konnte. Schliesslich haben auch Bullet die Känguruh-Rocker als grosse Inspiration einverleibt, ohne dabei die eigenständige Note auszulassen. Spätestens mit dem neuen Album «Full Pull» und dem Nuclear Blast Deal im Sack stehen Bullet in der ersten Startreihe und müssen nun beweisen, dass sie es drauf haben. Mit insgesamt vier Alben im Rucksack lässt sich auf jeden Fall eine saubere Headliner-Show zusammen stellen. Zudem waren ein paar Earcatcher-Songs am Start, die das ganze Unter-fangen erst zum Selbstläufer machten. Als Opener fungierte gleich mal «Midnight Oil», der auch die neue Scheibe eröffnet, gefolgt von «Rush Hour» und «Full Pull», zwei ebenfalls frischen Tracks. Letzterer als Titeltrack offenbarte dann bereits eine der Stärken der Nordländer, nämlich catchy und einfache Mitsing-Refrains, dazu mit Hampus Klang und Erik Almström zwei exzellente Gitarristen, die sich das Riffen und Solieren je nach Bedarf aufteilten oder sich auch mit gelegentlichen Twin-Soli in Szene setzten. Zwischendurch ergriff auch Bassist Adam Hector mal das Wort und überhaupt wirkten die Jungs ziemlich cool. Einzig Sänger Hell Hofer scheint nicht mit dem gleichen Selbstvertrauen wie seine Mitstreiter ausgestattet zu sein. Er stand am Anfang mehr oder weniger brav an Ort und Stelle und hielt dabei oft seine Beine zusammen. Der Oberkörper hingegen war nicht gestenarm, aber das brauchte es auch. Sein Glück und auch das Markenzeichen ist natürlich, neben der sichtbaren Körperfülle, seine unverwechselbare schneidende Gesangs-stimme. Das brachte in der Vergangenheit nicht selten den Vergleich zu Udo Dirkschneider (Ex-Accept, U.D.O.) ein, auch was einzelne Songs wie zum Beispiel «City Of Sins»/«Waste My Time» anbelangte. Mehrheitlich schimmern aber dennoch Angus Young & Co. durch, was irgendwie besser passt, auch wenn man da mindestens halbwegs an Brian Johnson erinnert wird. Mit zunehmemder Antizipation der Kiff-Besucher lockerte und öffnete sich auch Master Hofer, der offenbar den Erfolg von Bullet immer noch nicht recht verstehen kann. Zumindest kam das zeitweise so rüber, wenn er sich beinahe untertänig für den aufbrandenden Applaus bedankte. Zwar waren nur etwa rund 150 Nasen da, die jedoch mächtig Spass hatten und den Kult-Laden zum Kochen brachten. Mit im Publikum konnte man dann übrigens auch die komplette Mannschaft von '77 ausmachen, die ebenfalls ihre Köpfe rotieren liess(en). Wahrlich ein Bild für die Götter und der Beweis für die Bodenständigkeit der Spanier, die überhaupt keine Berührungsängste zeigten. Zwischendurch montierte Hell Hofer noch einen roten Umhang, auf dem hinten drauf entsprechend "HELL" stand. Zum Glück setzte er sich nicht noch eine Krone auf, denn so ein Auftritt würde fatal an Freddie Mercury (Queen) erinnern, und das hätte gar nicht hierher gepasst! Im Nu war eine Stunde vergangen und die Show schon bald zu Ende, was aber zu dem Zeitpunkt kaum jemand schon auf seinem Plan hatte. Der Zugabenteil enthielt mit «Highway Pirates» einen schnelleren Song, der metallische Vibes aufgriff, während «Back On The Road», wie zuvor auch «Stay Wild», stark an Airbourne erinnerten. «Bite The Bullet» verkörperte schliesslich eher den typischen Sound der Schweden und wurde lautstark mitgegrölt. Wie es anfing, hörte das Konzert auch auf, nämlich mit einem neuen Song: «All Fired Up». Als das Licht im Saal wieder anging, waren gerade mal 70 Minuten vorbei, was in meinen Augen grenzwertig war. Das Gezeigte überzeugte allerdings ohne Wenn und Aber, doch meine persönlichen Gewinner des Abends hiessen klar '77.

Setliste: «Midnight Oil» - «Rush Hour» - «Full Pull» - «Turn It Up Loud» - «Intro/Pay The Price» - «Roadking» - «One Deal With The Devil» - «Stay Wild» - «Rolling Home» -- «Intro/Highway Pirates» - «Back On The Road» - «Bite The Bullet» - «All Fired Up».